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Einfluß der heidnischen Denkweise erfahren hat, wie er ihn denn auch der „Umdeutung der Taufformel“ beschuldigt, weil er den Sohn Gottes wider den Sinn der christlichen Lehre als zweiten Gott faßt.

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 Die Mängel der Justin’schen Christologie liegen ja klar vor Augen. Justin hat die Logos- und Weltidee nicht scharf genug unterschieden, hat, da er im Gegensatz zu heidnischem Emanatismus, den Sohn nach dem Rath und Willen Gottes aus diesem hervorgehen läßt, einen arianisirenden Schein nicht völlig vermieden; er hat in Betonung des hypostatischen Unterschieds das Gemeinschaftsverhältniß zwischen Vater und Sohn nicht innig und tief genug gefaßt. Aber gleichwohl muß gesagt werden, er behauptet die Gottheit Christi, seine göttliche Herrlichkeit, mit aller nur möglichen Entschiedenheit, dreimal nennt er ihn ὁ θεός; er erschöpft sich im Dialog förmlich in Prädikaten, die auf Christi göttliche Ehre hinweisen. Hierzu kommt, daß die große christologische Stelle, Phil. 2, 5–11, durch die Schriften Justin’s hindurchklingt, und Christus durchweg als König und Herr der Welt, als Bezwinger aller Gewalten, als der Siegesfürst seiner Gemeinden angeschaut wird. Justin hat auch keine besondere Lehre von einem „andern Gott“ aufgestellt; sondern seine biblisch-kirchliche Lehre in apologetischem Interesse in diesen allerdings verfehlten Ausdruck gekleidet. Justin betrachtet alle Theophanien als Christophanien; seine desfallsigen Ausführungen sind zum Theil sehr äußerlich und massiv; es ist aber doch unrichtig zu behaupten, daß diese Lehre nicht aus dem alten Testament geschöpft sei (vergl. dagegen Semisch a. a. O. II, S. 263 u. Joh. 12, 41; 1 Kor. 10, 4). So subordinatianisch scharf Justin den „andern Gott“ auch scheidet von dem Vater, so bemüht er sich doch wiederum, die volle Willens- und Wesenseinheit mit ihm aufrecht zu erhalten. „Wegen des Sohnesverhältnisses schreibt er ihm göttliches Wesen, Gottheit zu“ (Otto), vergl. auch Baur, Lehre von der Dreieinigkeit I, S. 172, theilweise auch Nitzsch, Dogmengesch. S. 192. Das γεννητός des Justin besagt doch auch nichts anderes als das γεννηθείς des Nicänums. Es ist durchaus nicht so, wie es v. Engelhardt darstellt, daß es Justin und den Heidenchristen von ihren heidnischen Vorstellungen aus überhaupt nicht so schwer fiel, in die Lehre „von einer Mehrheit göttlicher Wesen“ (S. 146) sich zu finden; er ist sich stets bewußt, daß die Lehre von der Anbetung

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/44&oldid=- (Version vom 1.10.2017)