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Schriften der Propheten den Schöpfer aller Dinge priesen und den von ihm gesandten Christus, seinen Sohn ankündigten, wie Otto richtig übersetzt. Er tadelt es endlich, daß von Gnade kein Wort geredet werde; wovon soll denn aber die ganze Heilsoffenbarung ausgehen, wenn nicht von der Gnade, obwohl, wie wir wissen, Justin Gnade auch im weiteren Sinne gebraucht? Dial. 9 unmittelbar nach jener Erörterung findet sich ja aber überdies die schöne Aeußerung von den Worten voll heil. Geistes, voll Kraft und Gnade, denen die Christen gefolgt sind.

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 v. E. scheint uns viel zu sehr mit dem vermeinten Gottesbegriff Justin’s zu operiren. Semisch sagt II, S. 26: „Der Gottesbegriff ist bei ihm noch nicht von ferne Gegenstand der Spekulation geworden.“ Justin billigt das ἐπέκεινα πάσης οὐσίας Plato’s, findet es aber für die Hauptsache ungenügend. Merkwürdiger Weise hat aber Frank trotz seines Gegensatzes gegen die gewöhnlichen abstrakten Wesensbestimmungen Gottes gerade diese, auch von Dionysius Areop. vertretene Bestimmung gut geheißen, weil damit das absolute Wesen Gottes bezeichnet sei (Syst. d. christl. Wahrheit S. 109). Man wird sie deshalb wohl auch Justin nachsehen können. Daß der Justin’sche Gottesbegriff an die Fülle und Tiefe des biblischen nicht entfernt reicht, daß auf Justin’s theologische Darstellung stoische, platonische, philonische, wohl auch – nach Weizsäckers Meinung – aristotelische Begriffe eingewirkt haben – wer wollte dies leugnen? Die innerste Gottesanschauung Justin’s, die von der begrifflichen Definition des göttlichen Wesens zu unterscheiden ist, war aber nicht heidnisch, sondern christlich. Pantheistisches findet sich auch bei den bedeutendsten Scholastikern (vergl. Neander, Wissenschaftl. Abhandlungen S. 45; Herzog, K.-G. II, 227), Rocholl glaubte selbst bei Luther einen Zug zum Pantheismus auf Grund der Einwirkung neuplatonischer Mystik zu entdecken, Rothe beginnt mit einem Gottesbegriff, von dem er selbst sagt, daß es der philonische sei – und doch wird es niemand beikommen, zu behaupten, daß das christliche oder theologische System dieser Männer vom Pantheismus oder der absoluten Transcendenz getragen und beherrscht sei. Aehnlich wird es sich wohl auch bei Justin verhalten. Weizsäcker hat gerade das durchaus Ethische und Persönliche in dem Gottesbegriff Justin’s hervorgehoben. Er sagt zum Theil das gerade Gegentheil wie v. E.: Justin ist sorgfältig bemüht, jedem Gedanken, welcher auf Kosten der Persönlichkeit

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.10.2017)