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allen ist nach v. E. sein wesentlich heidnischer Gottesbegriff. Gott ist Justin absolute Transcendenz und absolute Substanz zugleich; Gott ist nicht als freier persönlicher Geist gedacht (S. 197); Gott ist ein kosmisches Wesen (S. 468). Der Justin’sche Gottesbegriff ist möglichst abstrakt und deistisch, und dann doch wieder pantheistisch gefärbt. Bezeichnend sind folgende Worte: „Dieser Gottesbegriff (Gott nur die absolute Kausalität) machte es Justin möglich, die heidnische Vorstellung festzuhalten, daß Gott geistige Substanz sei, und Bestandtheile seines Wesens in verschiedenen Abstufungen an andere Wesen übertragen könne. Was hätte sonst seine Logoslehre für einen Sinn? Wie wäre es sonst denkbar, daß ein Wesen, das nicht Gott selbst oder Gott im eigentlichen Sinne ist, doch die persönliche Vernunft und Kraft Gottes sei? Ebenso ruht die Lehre vom sporadischen Logosantheil, den der Mensch besitzt, auf jener Vorstellung, daß die schöpferische Substanz der Kreatur κατὰ δύναμιν Antheil gibt an ihrem eigenen Wesen, das hier nur in gebrochener Gestalt erscheint und darum dem Irrthum, der Sünde und der Vergänglichkeit unterworfen ist (S. 167).“ Hiernach ist Justin reiner Pantheist; daß bei dieser Anschauung kein Stein des christlichen Systems über dem andern bleiben kann, daß Anthropologie und Christologie eine andere werden muß, ist klar. Aber der wirkliche Justin ist es nicht, der aus dieser Darstellung uns entgegentritt. Justin ist wohl nicht an der „Verwirrung“ Schuld, bezüglich deren v. E. zuletzt ausruft: „Er weiß sich gar nicht zurecht zu finden (S. 162. 166).“ Des Herrn Verfassers Aufstellungen selbst sind uns theilweise sehr unklar. So lesen wir S. 197, weil Justin nur ein durch die Schöpfung gesetztes Verhältniß und eine unauflöslich bestehende Lebensgemeinschaft zwischen Gott und Mensch statuire, bedürfe es keiner Wiederherstellung dieser Gemeinschaft; S. 235 dagegen: „Eine ursprüngliche, durch die Schöpfung gesetzte Gottesgemeinschaft und Gotteserkenntniß gibt es eben so wenig, als eine Aufhebung dieses Verhältnisses durch die Sünde“. Nur das Eine möchten wir hier fragen: Gibt es denn nicht auch nach der Schrift eine unauflöslich bestehende Wesensgemeinschaft zwischen Gott und Mensch? Hat denn nicht Paulus das Wort des Dichters Aratus und des Philosophen Cleanthes bestätigt, daß wir göttlichen Geschlechts sind? Wir können auf das Einzelne nicht näher eingehen. Die Schlüsse des Herrn Verf. nach der anthropologischen Seite

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.10.2017)