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daß zwischen der Sünde Adam’s und der Sündhaftigkeit aller seiner Nachkommen ein Zusammenhang stattfinde, indem jene den Verlust des wahren göttlichen Lebens für das ganze Geschlecht, damit zugleich die Sterblichkeit des Leibes herbeigeführt, und die Menschheit der Herrschaft des Satans unterworfen habe“; er hält dies in seiner Dogmengeschichte fest (I, S. 452; vergl. auch das allgemeine Urtheil bei Nitzsch, Grundriß der christl. Dogmengesch. I, S. 353).

 Bestätigt wird das Gesagte durch I, 61, wonach wir von unserer ersten Geburt her Kinder der Unfreiheit und Unwissenheit (ἀνάγκη und ἄγνοια) sind, und erst durch die Taufe Kinder freier Wahl und Erkenntniß werden (vergl. über diese wichtige, von E. allzuwenig gewürdigte Stelle: Rößler a. a. O. S. 123 ff., der sehr richtig sagt: Justin schreibt den Menschen nicht ausdrücklich Erbsünde zu, doch leugnet er sie hiermit nicht; auch Thiersch, Zeitschrift von Rudelbach u. Guericke 1841, II, S. 171 ff., der allerdings zu weit geht; Neander, Dogmengesch. I, S. 197). Nach Apol. II, 1 hat der Mensch von Natur einen schwer zu ändernden, der Lust ergebenen und zum Guten schwer zu bewegenden Sinn. Wird nun noch dazu genommen, daß Justin eine Knechtung der Menschen durch die Dämonen (I, 5. 14), eine förmliche Unterjochung jener durch diese (ἐδούλωσαν II, 5) lehrt, so dürfte doch klar sein, daß der Märtyrer beides vom Menschen aussagt, daß er frei und gebunden, frei und unfrei zugleich sei. Beides hat er allerdings nicht wohl vermittelt. So ganz unzufrieden sollte man übrigens mit dem ersten Theologen nicht sein, wenn er so fern ist als möglich von allem Determinismus, denn dieser ist in jeder Gestalt ein bedenklicher Bundesgenosse der christlichen Wahrheit.

 Justin redet nun ebenso davon, daß der Mensch ein sittlich religiöses Wissen habe, als er ihm Unwissenheit, Verdunkelung des sittlich-religiösen Bewußtseins zuschreibt. Recht gut redet er von einem γνωριστικὸν καλοῦ καὶ αἰσχροῦ (II, 14), aber auch von der Möglichkeit, die φυσικαὶ ἕννοιαι zu verlieren (Dial. 93). Der Mensch ist aber ebenso ein Kind der ἄγνοια (I, 61) und bedarf übernatürlicher Erleuchtung. Jener Greis, der Justin zum Christenthum führt, ruft ihm zu: „Bete vor Allem, daß Dir des Lichtes Thore aufgethan werden; denn nicht sind es Dinge, für alle ersichtlich und erkennbar, außer wenn es einem Gott und sein Christus gibt, sie zu verstehen (Dial. 7)“ – eine sehr charakteristische Stelle, die,

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.10.2017)