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Es finde sich eine Verknüpfung widersprechender christlicher und fremdartiger Gedanken, die Ursache weiterer Verwirrung sei. So verfährt v. E. öfters; ein richtig analytisches, ein wahrhaft geschichtlich kritisches Verfahren können wir hierin nicht erkennen. Nach unserer Meinung ist Justin nicht blos geneigt, obiges zu glauben, sondern er glaubt es wirklich. Wo soll denn der Dualismus liegen? Ein Mann, der wie Justin die Schöpfung aus Nichts – der Sache nach wenigstens – und die Auferstehung des Fleisches lehrt, ist nicht Dualist. Der Dualismus zeigt sich in Verachtung des Körperlichen, welche auch Plato nicht fremd ist (Ritter, Gesch. der Phil. II, S. 292 f.). Die Würdigung des Leiblichen ist aber gerade eine der Lichtseiten der ächt christlichen Anschauung Justin’s. Und wie reimt sich Justin’s Freiheitslehre, die Lehre, daß Gott die Engel und das Menschengeschlecht ursprünglich frei erschaffen hat, mit der Annahme einer mit der Schöpfung gesetzten bösen Lust? Der Philosoph Ritter verfährt hier weit richtiger, indem er die böse Lust einfach als Folge des Falles anzusehen scheint (Gesch. der Phil. V, 306): „Jetzt sind nun aber die Menschen, verführt von der Schlange, den Versuchungen der bösen Dämonen anheimgefallen, welche zu ihrer Bundesgenossin die in Jedem wohnende, zu allem Schlechten geneigte und von Natur vielfarbige Begierde haben“. Bei dieser Fassung steht die Stelle in bestem Einklang mit Dial. 88, wo wir lesen, Christus sei geboren und gekreuzigt für das Menschengeschlecht, welches von Adam her (ἀπὸ τοῦ Ἀδὰμ) unter den Tod und unter die Verführung der Schlange (πλάνη, seductio, wie von Otto übersetzt) gerathen war, indem ein Jeder durch eigene Schuld böse handelte. Es ist über diese Stelle unendlich viel geschrieben worden. So wenig, wie von Seiten v. Engelhardt’s, ist kaum je darin gefunden worden. Nach ihm ist nur der Zeitpunkt angegeben, von wo an Sünde und Tod sich ausbreiteten; sie ist nicht einmal so zu verstehen, als sei der Tod durch die Sünde in die Welt gekommen, jeder einzelne Mensch folgte in vollkommener Freiheit dem Beispiel Adam’s. Man erkennt aber aus der Ausdrucksweise, daß in der christlichen Gemeinde gelehrt wurde, von Adam her sei Sünde und Tod in der Menschheit herrschend geworden. Er schloß sich dieser Formel an und legte sich dieselbe in seiner Weise zurecht, ohne ihren Sinn zu treffen (S. 266 ff.). Welche Vorstellung muß man doch hiernach von einem Manne wie Justin haben, der ein vollgewichtiger Repräsentant der Kirche

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.10.2017)