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wesentlichen eigenschaftlichen Bestimmungen der Schrift enthält, da Gott nach Justin allmächtig, allwissend – auch das Innerste der Gedanken erforschend – vom Raume nicht beschränkt, gerecht, heilig, gnädig und barmherzig ist, daß er eine göttliche Wirksamkeit des Wortes und Sakramentes, eine Wiedergeburt, eine neue Lebensschöpfung, deren Anfänger und Prinzip Christus ist, eine Gegenwart Christi in seiner Gemeinde, ein schließliches Gericht, eine ewige Scheidung zwischen Guten und Bösen, eine Erlösung und Verklärung seiner Gemeinde, ein tausendjähriges Reich, einen neuen Himmel und eine neue Erde lehrt; wird dazu genommen, daß Justin allenthalben eine glühende Liebe zur Sache der Christen an den Tag legt, daß er gelegentlich ausruft: ich bekenne, daß ich darum bete und mit jedermann in die Wette um die Ehre kämpfe, als wahrer Christ befunden zu werden (II, 13), daß er jeden Tag für den Christus, den er liebt (ebenda), sein Leben zu lassen bereit ist, und es als sichere Erwartung ausspricht, um des Christenbekenntnisses willen demnächst an das Kreuz geheftet zu werden (II, 5), so erscheinen die Behauptungen v. E.’s so überraschend, daß es sich wohl der Mühe lohnt, der Sache näher zu treten.

 v. Engelhardt muß, um seine Anschauung durchzuführen, behaupten, daß Justin manches vom christlichen Gemeindeglauben nur als Formel sich angeeignet, oder es doch angenommen habe ohne völlig hinreichenden inneren Grund; anderes von seinen heidnischen Anschauungen aus gänzlich umgesetzt und umgedeutet habe; endlich hilft er sich damit, daß er öfters geradezu Verwirrung und Selbstwiderspruch bei Justin annimmt.

 Es darf bei Justin offenbar nicht aus dem Auge gelassen werden, daß er nichts weniger als systematisch verfährt weder im Ganzen noch im Einzelnen. Mit Recht hat ihn Neander einen unsystematischen Geist genannt (Dogmengesch. I, 63 f.). Die Wahrheit des Dogma ruht in der organischen Zusammenfassung des für das natürliche Denken gegensätzlich Auseinanderliegenden. Dies Gegensätzliche kennt Justin, er faßt es aber häufig in keiner Weise zur Einheit zusammen. Er hatte in seinem rein apologetischen Streben zunächst auch keine Veranlassung zu solchem Verfahren. Er hebt wohl in letzterem Interesse die eine Seite der christlichen Wahrheit in einer Weise hervor, als existirte die andere nicht, holt diese aber gleichwohl an einer anderen Stelle nach (vergl. Otto,

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.10.2017)