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Kahnis, Kirchenglaube S. 56; Otto a. a. O. S. 68) und theilt diesen Glauben selbst.

 Gleichwohl hat nun aber v. E. in dem Abschnitt: die Mehrheit göttlicher Wesen und die trinitarische Formel (S. 141 f.) sich geradezu dahin ausgesprochen, daß Justin völlig indifferent sei gegen den Gedanken einer solchen Mehrheit, so daß auch die Engel in letztere Kategorie gehören und der Unterschied zwischen ihnen und der Trias ein fließender wird. Wo lehrt denn aber Justin, daß die Engel göttliche Wesen sind? Er lehrt, daß Gott die Menschen und Engel geschaffen habe (II, 7). Rößler hat schon gesagt: „Man würde aber sehr irren, wenn man den Justin der Vielgötterei beschuldigen wollte (Bibl. der Kirchenväter I, S. 159).“ Es gehört zu dem Befremdendsten in dem ganzen Buche, daß v. E. wenn auch mit einiger Reserve aber doch unverhüllt genug das urkirchliche Bekenntniß von Vater, Sohn und Geist, wie es bei Justin auftritt, als unter dem Einfluß eines durchaus heidnischen Gottesbegriffs und polytheistischer Anwandlungen stehend betrachtet. Justin’s Glaube an die göttliche Trias ist aber dem Wesen nach, wenngleich derselbe Subordinatianer ist, eins mit dem Trinitätsglauben der gesammten Kirche.

 Wir müssen es jedenfalls für durchaus unrichtig erklären, und dem gegebenen Thatbestande widersprechend, wenn v. E. in jener Darstellung des Wesens des Christenthums nach Justin’scher Anschauung das Specifische der christlichen Gottesverehrung völlig und geflissentlich übergeht. Aber auch das Weitere können wir nicht für völlig richtig halten. Was v. E. von der Sehnsucht nach dem ewigen Leben und Erwartung des unvergänglichen Lohnes im Sinne Justin’s sagt, kann einen ganz guten Sinn geben; wie viel redet doch die Schrift vom Lohne! v. E. faßt aber von vorne den Lohn als rein gesetzliche, nur von der göttlichen Gerechtigkeit ausgehende Ablohnung gewisser äußerer Leistungen auf, und hält dies mit größter Konsequenz für seine ganze Darstellung zum großen Nachtheil derselben fest. Das specifisch Christliche tritt im Verlauf v. E. so zurück, daß er S. 410 von einer Denkweise, unter deren Herrschaft Justin stehe, redet, welche das Christenthum zu einer göttlichen Lehre von Gott, Tugend und Unsterblichkeit zu degradiren drohe. Die äußerste Selbst- und Werkgerechtigkeit erscheint hiernach als Justin’s wirkliche Anschauung. Wir behaupten dagegen, das Christenthum ist Justin

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.10.2017)