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Praxis einzuführen verstand. Die ersten Versuche fanden in Amerika statt, um sodann im Jahre 1868 in Belgien auf der 70 km langen Strecke der Maas von Lüttich nach Namur verwerthet zu werden. Dieser Strecke folgten noch weitere in Belgien und Holland. Auch für den Rhein und einige Nebenflüsse nahm die unternehmende belgische Gesellschaft (Société de touage) das Patent der Einführung der Drahtseil-Schifffahrt.

Die Erfolge, welche die Tauerei in den einzelnen Ländern unter den verschiedensten Umständen aufzuweisen hatte, erregten in hohem Mass auch das Interesse der Heilbronner, denn die Eisenbahn, besonders diejenige längs des unteren Neckars, drohte die Neckarschifffahrt vollends lahm zu legen.

Man berief (1869) den Ingenieur Eyth nach Heilbronn, um auf Grund seiner in Amerika und Belgien gemachten Erfahrungen ein Gutachten über die Möglichkeit der Einführung der Tauerei auf dem Neckar abzugeben. Unser Mitglied, Hr. Prof. Teichmann, erneuerte die Frage vor dem Heilbronner Handelsverein in eingehendem Vortrage sowol von der technischen wie auch finanziellen Seite; Hr. Baurath v. Martens beleuchtete die Sache in einer besonderen Abhandlung. Nach solchen Ermunterungen ward ein Comité mit der weiteren Verfolgung der Sache betraut. Die Herren Bellingrath, Director der Hamburg-Magdeburger Schleppschifffahrts-Gesellschaft, Baurath v. Martens und Honsell bereisten im August 1872 den Neckar und sodann im October desselben Jahres unter Zuziehung einiger Comitémitglieder auch die Elbe. Das Resultat war, dass sich die drei genannten Herren in ihrem Gutachten einstimmig für die Einführung der Tauerei auf dem Neckar und zwar mittelst der Kette aussprachen. Wegen der damaligen Krachzeit (1873)[WS 1] erschien aber die Aufbringung der erforderlichen Geldmittel schwierig. Man wandte sich deshalb an die Regierung um Unterstützung der Sache. Hr. Oberbürgermeister Wüst von Heilbronn arbeitete im April 1874 eine Denkschrift aus, im Juni 1876 beschlossen die bürgerlichen Collegien Heilbronns sich mit 200 000 ℳ an dem Unternehmen zu betheiligen. Im Juli desselben Jahres erfolgte dann die Bewilligung der Zinsgarantie durch den Staat; Hr. Commerzienrath Linck leitete die Verhandlungen mit den Nachbarstaaten Hessen und Baden, wegen Erwerbes der Concession und bearbeitete die Statuten. So fanden dann am 2. und 3. Juli 1877 die 6 000 Actien zu 300 ℳ[WS 2] raschen Absatz; am 25. Juli tagte die constituirende Versammlung. Der erwählte Aufsichtsrath legte die Bauleitung in die Hand des Hrn. Bellingrath. Derselbe verfasste die Lieferungsbedingungen und lieferte die Zeichnungen für die Schiffe. Schon anfangs August ward die Kette zur Submission ausgeschrieben und Ende September, nach eingehend vorgenommener Probe der eingesandten Muster, vergeben. Im April und Mai 1878 fand die Verlegung statt. Die Schiffe waren Mitte October 1877 von der Sächsischen Dampfschiff- und Maschinenbauanstalt in Dresden zur Lieferung übernommen. Die Schiffskörper, zunächst vier an der Zahl, wurden unter Leitung der genannten Maschinenbauanstalt bei Neckarsulm gebaut, und daselbst Kessel, Maschinen u. s. w. montirt. Die Uebernahme des ersten Schiffs erfolgte am 20. Mai, worauf am 23. Mai die „Schleppschifffahrt auf dem Neckar“ in feierlichster Weise eröffnet wurde. Die übrigen drei Schiffe folgten rasch bis zum 8. September.

Redner ging dann zur Erklärung der aufgelegten Zeichnungen der Schiffe und einzelner Theile derselben über, wie Kessel, Trommel u. s. w.; ebenso lagen von der Kette selbst mehrere Probemuster auf. Die Dicke der kurzgliedrigen Ketten ohne Stege beabsichtigte man anfänglich je nach der Stärke der Strömung verschieden (7/8 bis 1 Zoll engl.) zu wählen, zog aber schliesslich eine gleichmässige Eisenstärke von 1 Zoll engl. = 25,4 mm[WS 3] vor. Das Maximalgewicht der Kette durfte pro Meter Länge 15,5 k, die Festigkeit des Eisens nicht unter 38 k pro Quadratmillimeter betragen. Die Probelast der Kette beträgt 14 000 k[WS 4], d. h. 14 k pro Quadratmillimeter. Einzelne Kettenstücke von etwa 16 Gliedern wurden ausserdem auf 25 000 k probirt. Zerriss eines bei geringerer Belastung, so wurde das ganze gelieferte Stück von 250 bis 400 m Länge zurückgewiesen. Um die Lieferung bewarben sich 12 Firmen aus Deutschland, Belgien, England und Frankreich. Auf Grund der vorgenommenen Proben und mit Berücksichtigung der verlangten Preise wurden vergeben:

an Darémieux fils et Cie., St. Amand bei Valenciennes 351/2 km à 30 ℳ pro 100 k
an Brand & Humelet in Grabow bei Stettin 71/2 km à 32 ℳ pro 100 k
an Gold’s Hill Chain, Cable and Anckor Cie., Westbromwich.    40 km à 30 ℳ pro 100 k
an N. Kinglake & Son, Dudley 30 km à 33,35 ℳ pro 100 k

Unter den übrigen acht Firmen waren eine deutsche, die keine Kettenmuster lieferte, eine deutsche, eine belgische, eine französische, welche zu schlechte Muster lieferten, und eine englische, die zu hohe Preise forderte.

Die einzelnen Offerten schwankten im Preise zwischen 27 und 36 ℳ pro 100 Kilogramm loco Mannheim. Der Durchschnittspreis der gelieferten Ketten berechnet sich zu 31,56 ℳ. Das Gesammtgewicht der ganzen 113 km langen Kette beträgt 1 737 870 k. Ihr durchschnittliches Gewicht 15,4 k pro Meter. Sie reicht von Heilbronn bis Mannheim-Neckarhafen. Da sie sich während des Betriebes stark verlängert, so wird sie mit der Zeit auch bis zur Neckarmündung reichen.

Die vier Schleppschiffe, von Eisen gebaut, haben in der Wasserlinie eine Länge von 42 m und eine Breite von 6,5 m, sowie einen Tiefgang von 0,47 m. Wegen der scharfen Krümmungen des Flusses ist zum Zwecke der Kettenführung an beiden Schiffsenden je ein auf Rollen laufender, um eine Verticalachse drehbarer Ausleger angebracht. Zum Steuern des Schiffs dient je ein Steuerruder an beiden Enden. Der Motor des Schiffs besteht in einer etwa 80 pferdigen gekuppelten Dampfmaschine mit schräg liegenden Cylindern von 0,32 m Kolbendurchm. bei 0,64 m Hub und zum Zweck des Umsteuerns mit Coulissensteuerung versehen. Den Dampf von 7 Atm. liefern zwei Kessel, von je 35 qm Heizfläche. Die beiden Kettentrommeln von 1,12 m Durchm. sind vierläufig und mit Bremskranz versehen. Ihre Umdrehungsgeschwindigkeit kann mittelst ein- und ausrückbarer Zahnräder derart geändert werden, dass bei 50 Umdrehungen der Maschine pro Minute die Schiffsgeschwindigkeit bergauf 1 m, bergab 2,66 m beträgt. Als Signalvorrichtung dient eine Dampfpfeife mit tiefem Ton.

Lag auch zwischen der ersten Anregung des Unternehmens und der regelmässigen Aufnahme des Betriebes wohl ein ziemlich grosser Zeitraum, so brachte diese Verzögerung in sofern einen Vortheil, als infolge des allgemeinen Rückganges der Preise nach dem Krach die Anlagekosten für das ganze Unternehmen sehr mässig waren. Sie betrugen nämlich nur etwa zwei Drittel des Voranschlages. Die diesbezüglichen Hauptposten sind in runder Summe:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mit der Krachzeit ist der Einbruch der Finanzmärkte am Ende der Gründerzeit gemeint.
  2. ℳ ist das Währungssymbol für die in Deutschland 1871 bis 1923 gültige Mark.
  3. Originalschreibweise der Dezimalzahl im Artikel: 25mm,4.
  4. k ist die alte Abkürzung für Kilogramm.
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Ziebarth (Red.): Kettenschifffahrt und ihre Einführung auf dem Neckar. , Berlin 1878, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1878_Wochenschrift_des_Vereines_Deutscher_Ingenieure_Nr_48.pdf/8&oldid=- (Version vom 14.2.2021)