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Es folgte der Vortrag des Hrn. Zech über die Kettenschifffahrt und ihre Einführung auf dem Neckar.

Die Anfänge der Tauerei[WS 1] gehen bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts hinauf (vergl. auch Bd. XIII, S. 737, d. Z.), nämlich bis zum Jahre 1702, wo Boulogne mit einem Project auftrat, ein Schiff stromaufwärts zu ziehen mit Hilfe der Strömung des Wassers als Triebkraft. Es sollte ein Seil mit einem Ende am Ufer befestigt werden, während das andere Ende an einer auf dem Schiffe befindlichen Seiltrommel befestigt war. Umtreiben wollte er die Trommel durch zwei auf ihrer Achse sitzende Schaufelräder, die vom Wasser ihre Bewegung erhielten. Nach langjährigen Bemühungen nahm sich im Jahre 1729 die französische Akademie der Sache an, doch wurde diese Methode nicht lebensfähig. Aehnliches Schicksal hatten Versuche, welche der Marschall von Sachsen zu Paris im Jahre 1732 gleichfalls auf der Seine anstellte. Als Motor benutzte er Pferde am Göpel auf dem Schiff und trieb damit die Trommelwelle um, auf welcher zwei Seiltrommeln lose sassen, welche nach Bedürfniss in feste Verbindung mit der Welle gebracht werden konnten. War eine Trommel voll, so wurde ihre Verbindung mit der Welle gelöst und die leere Trommel mit derselben verbunden. Während sich nun das zweite Seilstück auf letztere Trommel aufwickelte und so das Schiff stromaufwärts zog, wurde das zuerst aufgenommene Seil von der nun losen Trommel abgehaspelt, auf einen Nachen[WS 2] verladen, in demselben stromaufwärts gebracht und wieder verlegt. Nach diesen mühsamen Versuchen trat ein längerer Stillstand ein bis zum Jahre 1819, wo auf der Rhone ähnliche Versuche wie die von Boulogne angestellten abermals gemacht wurden mit gleich ungünstigem Erfolg, weil der Einfluss der verschiedenen Stärke der Strömung ein zu bedeutender war. Grössere Versuche wurden noch angestellt im Jahre 1828 auf der 18 km langen Strecke Givors–Lyon, welche man in 18 gleiche Theile theilte und die Trommeln für die Aufnahme von 1000 m Seillänge einrichtete. Damit waren die Versuche dieser Art zu Ende.

Vorher schon, im Jahre 1820, hatten Tourasse und Courtéant auf der Saone mit der Verwendung von Pferden als Motoren ebenfalls Versuche gemacht. Auf der Rhone führten sie dann 1822 zwischen Givors und Lyon zwei Probefahrten aus, bei welchen sie zwei Taue von je 1 km Länge und 55 mm Dicke verwandten. Zuerst fuhr ein Nachen mit einem Tauende um 1 km voraus, legte sich dort vor Anker, und nun zog sich der Schlepper mit seinem Anhang am Seil hinauf. Während dessen war ein zweiter Nachen noch um 1 km weiter gefahren mit einem Ende des zweiten Seils und der Schlepper zog sich nunmehr an diesem hinauf u. s. w.

In demselben Jahre machte Vinchon auf der Seine Versuche mit Anwendung der Dampfkraft statt Pferde. Seine Maschine war aber nur 6 Pferde stark. Auch wandte er erstmals die Kette statt des Seils wegen dessen starker Abnutzung an, erreichte aber kaum bessere Erfolge, da er im Uebrigen die gleich umständliche Methode verfolgte wie der Marschall von Sachsen. Eine etwas rationellere Methode probirte Bourdon 1825 auf der Saone. Er hatte zwei mit Schaufelrädern versehene Schleppdampfer von 30 Pferdest., welche so eingerichtet waren, dass er die Kraft der Maschine nach Belieben auf die Schaufelräder oder auf eine Seiltrommel leiten konnte, welche für eine Seillänge von 600 m eingerichtet war. Der eine Dampfer fuhr mittelst seiner Schaufelräder stromaufwärts, bis seine ganze Seillänge entwickelt war, warf dann seine Anker aus und zog nun den Lastzug nach, indem er die Seiltrommel arbeiten liess. Während dessen war der zweite Dampfer abhaspelnd noch 600 m weiter gefahren und löste dann den ersten Dampfer in der Arbeit ab. Es ist einleuchtend, dass auch bei diesem System der Hauptūbelstand die ausserordentlich rasche Abnutzung des Seils war. De Rigny war es, welcher, die Mängel der bis jetzt angewandten Systeme erkennend, zuerst 1825 den Vorschlag machte, auf die ganze Länge der zu durchfahrenden Strecke eine einzige ununterbrochene Kette zu legen und dieselbe über Rollen zu führen, welche auf dem Schiffe durch Dampfkraft umgetrieben wurden. De Rigny's System ist das noch heut zu Tage bei der Kettenschifffahrt angewandte. Nach demselben legte die Entreprise des remorqueurs sur la Seine auf der Strecke Paris–Rouen eine einzige, 104 km lange Kette. Als Motor diente eine 30 pferdige (Rotations-)Dampfmaschine. Für die Thalfahrt war das Schiff mit Schaufelrädern ausgestattet. Es scheint, dass de Rigny anfänglich zur Verhinderung des Gleitens der Kette eine Art Klappentrommel (palettes mobiles) verwandte und erst später zwei Trommeln in geringer Achsenentfernung wählte, um welche die Kette mehrmals geschlungen wurde. Infolge der günstigen Resultate entwickelte sich die Ketten-Schleppschifffahrt auf der Seine einestheils bis ans Meer, anderentheils besonders auf der oberen Seine, wo sie von Paris bis Monterau ausgedehnt wurde (1859). Auch auf der Loire, der Oise und einigen anderen französischen Flüssen und Canälen fand sie Anwendung.

In Deutschland gaben diese Vorgänge den Anstoss zur Einführung der Ketten-Schleppschifffahrt auf der Elbe durch die Hamburg-Magdeburger Gesellschaft. Dieselbe erwarb im Jahre 1863 die Concession auf 30 Jahre und nahm gleich die wegen der Stromschnellen schwierigste Strecke Buckau-Neustadt von 51/2 km Länge in Angriff. Im August 1864 ward der Betrieb mit glänzendem Erfolg eröffnet. Das Kettenschiff zog sechsmal so viel wie der Raddampfer und soll nur den zwölften Theil an Brennmaterial verbraucht haben.

Es folgte nun ziemlich rasch die Einführung der Ketten-Schleppschifffahrt auf der Oberelbe, dann auf der Unterelbe bis Hamburg (1874). Auch die Saale ward auf eine Strecke von 20 km in das Netz gezogen.

Unterdessen hatte man auch in Amerika und in Belgien in der Sache gearbeitet. Statt der schweren Ketten verwendete dort Baron de Mesnil das leichtere Drahtseil und die Fowler’sche Klappentrommel. Selbst kein Techniker, fand er in unserem Landsmanne Max Eyth, Ingenieur bei Fowler, die richtige Persönlichkeit, welche seine Idee in die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tauerei ist ein Oberbegriff für die Seil- und Kettenschifffahrt.
  2. Ein Nachen ist die süddeutsche Bezeichnung für ein kompaktes, flaches Boot, das durch Rudern oder Staken bewegt wird.
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Ziebarth (Hrsg.): Kettenschifffahrt und ihre Einführung auf dem Neckar. , Berlin 1878, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1878_Wochenschrift_des_Vereines_Deutscher_Ingenieure_Nr_48.pdf/7&oldid=- (Version vom 17.5.2023)