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hielt man mich vielmehr für einen Spion, ausgesandt das Land zu erforschen, nur mit dem Unterschied, daß der Sultan dies von England annahm, die Paschas, Kaïds und Scheichs aber vom Sultan“. Diesem hatte Hooker das Versprechen zu geben, keinen Stein des Landes mitzunehmen. Das klingt sonderbar, ist aber leicht zu verstehen und ein weiteres Zeichen der tiefen Bildungsstufe, auf welcher sich Hoch und Niedrig befinden. Der Gedankengang ist dabei einfach etwa der: „Wenn Du Fremder es der Mühe wert hältst, einen Stein vom Wege aufzuheben oder vom Felsen abzuschlagen und mitzunehmen, so muß jedenfalls etwas Wertvolles darin sein; wir kennen dasselbe zwar noch nicht, möchten es aber unter keinen Umständen verlieren“. Das unwissende Volk, die Regierung obenan, hat keine Vorstellung von einem selbstlosen wissenschaftlichen Interesse, das den Fremden zu ihm führen könnte. Einige weitere Beispiele, wie beschränkt und befangen das Wissen und Urteil der maßgebenden Persönlichkeiten in Marokko ist, mögen hier noch Platz finden.

Vor etwa 20 Jahren lebte in der Stadt Rabat ein Lehrer, Sohn eines griechischen Renegaten, der sich herausnahm, seine Schüler neben dem Koran auch etwas Geographie zu lehren. Er hatte dafür zwei Jahre im Kerker zu büßen. Der Kaïd (Gouverneur) von Mogador bemerkte uns bei einem Besuch, den wir ihm abstatteten, Prusse (Preußen), von dem er noch nichts gehört hatte, müsse wohl sehr weit sein, noch weiter als Mekka.

Daß die geographischen Kenntnisse der Marokkaner seitdem nicht gestiegen sind, können wir auch aus einer Unterredung ersehen, welche Dr. R. Jannasch, der um unsere Kolonialbewegung hochverdiente Leiter der vorjährigen deutschen Handelsexpedition nach der marokkanischen Küste, mit dem jetzigen Sultan hatte, wobei dieser sich nach dem Lande Kamerun erkundigte und fragte, ob es in demselben einen Fluß gebe, der Nil heiße[1].

Die vorerwähnten Beispiele dürften zur Kennzeichnung des Bildungszustandes des marokkanischen Volkes und seiner Regierung genügen. Dasselbe ist nicht ohne Schulen; die männliche Jugend lernt darin arabisch schreiben und im Chor den Koran lesen. Aber bei diesen elementaren Fertigkeiten bleibt es; der Aufbau, welcher die befangenen Geister freimachen und des Volkes Blick und Urteil erweitern und schärfen könnte, fehlt.

Die Autorität der despotischen Regierung erstreckt sich nur so weit man ihre Macht fühlt. Ist dies eine Reihe von Jahren hindurch


  1. Siehe „Die deutsche Handelsexpedition 1886 von Dr. R. Jannasch“. Berlin 1887, p. 246–247.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Justus Rein: Über Marokko. Dietrich Reimer, Berlin 1887, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_Marokko.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)