Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Schwarze Künste
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 230–236
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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79. Schwarze Künste

Die Wilden im Südwesten üben viele schwarze Künste. Häufig locken sie mit ihren Töchtern Leute aus dem Mittelreiche an, indem sie diese ihnen zur Ehe versprechen. Die armen Leute müssen dann Arbeit für sie tun, und die Ehe kommt schließlich doch nicht zustande. So war einmal ein Sohn aus armer Familie, der versprach sich als Schwiegersohn bei einem Wilden. Drei Jahre mußte er Arbeit tun, dann ward ihm die Tochter zur Ehe versprochen. Die Hochzeit wurde gefeiert und ihnen ein besonderes Häuschen als Hochzeitsgemach hergerichtet. Die Braut war über alle Maßen schön und mochte etwa achtzehn oder neunzehn Jahre zählen. Sie ging der Sitte gemäß mit brennender Laterne ins Gemach voran. Als aber der Bräutigam die Bettvorhänge aufhob und das Lager besteigen wollte, da war das Mädchen verschwunden und nirgends zu finden. Tür und Fenster waren wohlverschlossen wie zuvor, und er wußte nicht, wo sie hingekommen war. So ging es über einen Monat lang. Tags war sie da, nachts war sie weg. Aber auch unter Tags sprach sie kein einziges Wort mit ihm. Da stieg dem Bräutigam der Argwohn auf.

Nun war noch ein kleines Schwesterchen im Hause. Das kam beständig in den Hof zum Spielen. Als sich Gelegenheit ergab, da fragte er sie einmal über die Geschichte aus. Erst wollte sie nichts verraten. Doch mit der Zeit wußte er sie an sich zu gewöhnen durch manche Süßigkeit, die er ihr gab. Da gestand sie ihm, es sei ein Zauberkunststück. Wenn er aber in die vier Ecken des Hauses Blut von Hühnern und Hunden sprenge und rasch die Braut beim Kleid ergreife, so könne sie ihm nicht entwischen. Er tat, wie ihm das Schwesterchen gesagt, und als zur Dämmerungszeit die junge Frau herbeikam, die Tür schloß und ins Bett stieg, da trat er rasch herzu und griff [231] nach ihrem Ärmel. Sie kam in große Not; doch konnte sie ihm nicht entwischen.

Da sprach sie lächelnd: „Das hat dir sicher die flinke Zunge des Schwesterchens verraten. Doch war es ja nicht mein Wunsch, dir nicht Gattin zu sein, sondern der Eltern Befehl, den ich zu übertreten mir nicht getraute. Da es aber nun so gekommen ist, sind wir vom Himmel füreinander bestimmt.“

So wurden sie denn wirklich Mann und Frau und gewannen sich von Tag zu Tage lieber. Die Eltern wußten um die Sache und haßten ihn darob im stillen.

Eines Tages sprach seine Frau zu ihm: „Morgen früh ist meiner Mutter Geburtstag, da mußt auch du ihr deinen Glückwunsch bringen. Nun werden sie dir sicher Wein und Essen geben. Den Wein darfst du wohl trinken, doch vom Essen darfst du nichts berühren. Denk fest daran!“

Am andern Tag ging die Frau mit ihrem Manne in den Saal, und sie brachten ihre Wünsche dar. Die beiden Eltern schienen hocherfreut und warteten mit Wein und Süßigkeiten auf. Der Eidam trank, doch aß er nichts. Mit milden Worten und freundlichen Gebärden forderten ihn die Schwiegereltern beständig auf zuzulangen. Der Eidam wußte nicht, wie er sich retten sollte. Schließlich dachte er, daß sie es wohl nicht böse mit ihm meinen werden. Und wie er so vor sich im Teller die frischen und schönen Garneelen und Krebse sah, da aß er ein ganz klein wenig. Seine Frau warf ihm einen tadelnden Blick zu. Er schützte Betrunkenheit vor und wollte sich verabschieden.

Die Schwiegermutter aber sprach: „Heute ist mein Geburtstag. Du mußt doch auch von den Geburtstagsnudeln kosten!“

Darauf stellte sie eine große Schüssel vor ihn hin, mit Nudeln wie Silberfäden anzusehn, mit fettem Fleisch, mit duftenden Pilzen gewürzt. Der Eidam hatte während der drei Jahre, die er im Hause war, noch nie solch köstliche [232] Speise genossen. Verführerisch stieg ihm der Duft in die Nase, und er konnte sichs nicht versagen, die Eßstäbchen zu erheben. Seine Frau schielte nach ihm; er tat, als sähe er’s nicht.

Sie hustete bedeutungsvoll; er tat, als hörte ers nicht. Endlich stieß sie ihn unter dem Tisch mit dem Fuße an. Da erst kam er wieder zur Besinnung.

Er hatte noch nicht zur Hälfte ausgegessen und sagte: „Nun bin ich satt!“

Darauf ging er mit seiner Frau zusammen weg.

„Das ist eine schlimme Geschichte“, sagte seine Frau. „Du hast nicht auf meine Worte gehört, jetzt mußt du sicher sterben.“

Er aber glaubte noch nicht daran, bis er plötzlich im Leibe heftige Schmerzen spürte, die sich bald ins Unerträgliche steigerten, so daß er bewußtlos zu Boden fiel. Eilig hängte ihn nun seine Frau mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten am Balken der Zimmerdecke auf und stellte eine Kohlenpfanne mit glühenden Kohlen unter seinen Leib und ein großes Gefäß mit Wasser, in das sie Sesamöl gegossen, vor das Feuer, gerade unter seinen Mund. Als nun das Feuer ihm tüchtig den Leib erwärmte, da gab es in seinem Innern ein donnerähnliches Geräusch, er öffnete den Mund und begann, sich heftig zu erbrechen. Und was für Sachen kamen da heraus! Durcheinander wühlten sich giftige Würmer, Tausendfüßler, Kröten und Kaulquappen hervor, die alle in dem Gefäß mit Wasser untertauchten. Darauf band sie ihn wieder los, trug ihn ins Bett und gab ihm Wein mit Realgar zu trinken. Da ward ihm wieder besser.

„Was du gegessen hast als Garneelen und Krebse“, sprach die Frau zu ihm, „das waren alles Kröten und Kaulquappen, und die Geburtstagsnudeln waren giftige Würmer und Tausendfüßler. Aber noch gilts vorsichtig zu sein! Die Eltern wissen, daß du nicht gestorben bist, sie werden sicher andere Ränke schmieden.“

[233] Nach einigen Tagen sprach der Schwiegervater zu ihm: „Am Felshang vor der Höhle, da wächst ein großer Baum. Dort ist ein Phönixnest. Du bist noch jung und kannst klettern. Geh rasch dorthin und hole mir die Eier!“

Der Eidam ging nach Hause und sagte es seiner Frau.

„Nimm lange Bambusstangen“, sprach sie, „und binde sie zusammen, und oben dran mußt du ein Sichelschwert befestigen. Ich gebe dir hier neun Brote und sieben mal sieben Hühnereier. Die nimmst du in einem Korbe mit. Wenn du an jene Stelle kommst, so wirst du oben in den Zweigen ein großes Nest erblicken. Klettere nicht auf den Baum, sondern schlage es mit dem Sichelschwert herunter! Dann wirf die Stange weg und laufe, was du kannst! Wenn dann ein Ungetüm herankommt und dir folgt, so wirf die Brote nach ihm, drei jedesmal, zum Schlusse wirf die Eier auf die Erde und komm, so rasch du kannst, nach Hause! So magst du der Gefahr entgehen.“

Der Mann merkte sich alles genau und ging hin. Und richtig sah er da ein Vogelnest – groß wie ein runder Pavillon. Da band er sein Sichelschwert an die Stange und schlugs mit aller Kraft herunter. Dann legte er die Stange auf die Erde, sah sich nicht um und lief. Plötzlich hörte er das Brüllen eines Donnersturms, das sich über seinem Haupte erhob. Als er aufblickte, da sah er einen großen Lindwurm, der war wohl viele Klafter lang und hatte an zehn Fuß im Umfang. Die Augen blitzten wie zwei Lampen und aus dem Rachen spie er Feuer und Flammen. Er streckte zwei Fühler tastend nach unten. Da warf der Mann rasch die Brote in die Luft. Der Lindwurm fing sie auf, und es dauerte eine Weile, bis er sie gefressen hatte. Aber kaum war er ein paar Schritte von ihm weg, da kam der Lindwurm wieder hinter ihm hergeflogen. Da warf er wieder nach ihm mit den Broten, und als die Brote dann zu Ende waren, da leerte er den Korb um, daß die Eier auf die Erde rollten. Der Lindwurm hatte noch nicht satt gefressen und sperrte weit den hungrigen Rachen auf. Als [234] er nun plötzlich die Eier sah, da ließ er sich herab, und weil die Eier ringsumher zerstreut lagen, so dauerte es eine Zeitlang, bis er sie alle ausgesogen hatte. Unterdessen gelang es dem Manne, nach Hause zu entkommen.

Als er ins Zimmer trat und seine Frau sah, da sprach er schluchzend zu ihr: „Mit knapper Not bin ich davongekommen, daß ich dem Wurm nicht seinen Bauch gefüllt. Wenn das so unaufhörlich weitergeht, so ist es noch mein Tod.“

Mit diesen Worten kniete er nieder und bat die Frau flehentlich, ihm das Leben zu retten.

„Wo ist denn deine Heimat?“ sprach da die Frau zu ihm.

„Meine Heimat ist von hier wohl hundert Meilen weit im Land der Mitte. Es lebt mir noch eine alte Mutter. Es macht mir nur zu schaffen, daß wir so arm sind.“

Die Frau sprach: „Ich will mit dir entfliehen und deine Mutter suchen. Sei nicht traurig über deine Armut!“

Damit nahm sie, was an Perlen und Edelsteinen im Haus vorhanden war, tat es in einen Sack und ließ dem Mann ihn um die Lenden binden. Dann gab sie ihm noch einen Regenschirm, und tief in der Nacht überstiegen sie die Mauer auf einer Leiter und gingen weg.

Sie sagte noch zu ihm: „Nimm den Regenschirm auf den Rücken und laufe so rasch du kannst! Öffne ihn nicht und sieh dich auch nicht um! Ich will dir im Verborgenen folgen.“

So wandte er sich nach Norden und lief aus Leibeskräften. Einen Tag und eine Nacht war er gelaufen, wohl hundert Meilen weit, und hatte schon der Wilden Grenze überschritten, da ermatteten ihm die Beine und er ward hungrig. Vor ihm lag ein Bergdorf. Er blieb am Eingang dieses Dorfes stehen, um zu ruhen, holte etwas Wegzehrung aus der Tasche und aß. Er blickte sich um, ohne seine Frau zu sehen.

Da sprach er bei sich selbst: „Am Ende hat sie dich betrogen und kommt gar nicht.“

[235] Als er fertig gegessen hatte, nahm er noch einen Trunk aus einer Quelle, dann schleppte er sich mühsam weiter. Wie der Tag eben am heißesten war, da brach plötzlich ein heftiger Bergregen los. In der Eile vergaß er, was die Frau ihm anbefohlen hatte und öffnete den Schirm zum Schutze vor dem Regen. Da fiel seine Frau aus dem Schirm heraus, ganz nackt, auf die Erde.

Sie machte ihm Vorwürfe: „Du hast wieder nicht auf mich gehört. Nun ist das Unheil da!“

Rasch hieß sie ihn nach dem Dorfe gehen, um einen weißen Hahn, sieben schwarze Tassen und ein halbes Stück von rotem Nesseltuch zu kaufen.

„Spare die Silberstücke in der Tasche nicht!“ rief sie ihm noch nach.

Er ging ins Dorf, besorgte alles und kam wieder zurück. Die Frau zerriß das Tuch, machte einen Rock daraus und zog ihn an. Kaum waren sie einige Meilen gegangen, da sah man im Süden eine rote Wolke heraufkommen, rasch wie ein fliegender Vogel.

„Das ist meine Mutter“, sagte die Frau.

Im Augenblick war sie auch schon zu ihren Häupten. Da nahm sie die schwarzen Tassen und warf nach ihr. Sieben warf sie, und sieben fielen herunter. Da hörte man die Mutter in der Wolke weinen und schelten, dann verschwand sie wieder.

Wieder gingen sie etwa vier Stunden lang. Da hörten sie hinter sich einen Ton, wie wenn man Seide reißt, und schon sahen sie eine Wolke, schwarz wie Tusche, die dem Wind entgegen herankam.

„Wehe, das ist mein Vater!“ sagte die Frau. „Da gehts auf Leben und Tod. Der läßt nicht von uns ab. Aus Liebe zu dir muß ich nun die heiligsten Gebote verletzen.“

Mit diesen Worten nahm sie rasch den weißen Hahn, riß ihm den Kopf ab und warf ihn in die Luft. Da zerfloß die schwarze Wolke, und ihres Vaters Leichnam fiel, getrennt von seinem Kopfe, am Rand der Straße nieder. Da [236] weinte die Frau bitterlich, und als sie ausgeweint hatte, begruben sie den Leichnam. Dann gingen sie zusammen weiter nach der Heimat des Mannes. Dort trafen sie die alte Mutter noch am Leben. Sie nahmen nun ihre Perlen und Kostbarkeiten hervor, kauften ein gutes Stück Land, bauten ein schönes Haus und wurden reich und angesehen in der ganzen Gegend.

Anmerkungen des Übersetzers

[401] 79. Schwarze Künste. Quelle: mündliche Überlieferung.

Realgar hat chinesischer Anschauung nach giftlösende und stärkende Wirkung.