Schuljahr und Ostern
Schuljahr und Ostern.
Von Dr. Georg Winter.
Schon seit langer Zeit ist in Deutschland namentlich von
pädagogischer Seite auf die großen Mißstände hingewiesen
worden, welche unserem Unterrichte daraus erwachsen, daß das
Schuljahr mit einem zeitlich so sehr schwankenden Termine, wie
es das Osterfest ist, beginne. Bei dem großen Interesse, welches
in unserem Vaterlande in den weitesten Kreisen für alle das
Schulwesen angehenden Dinge herrscht, hätte man annehmen
sollen, daß diese wiederholt aufgeworfene Frage alsbald auch einer
befriedigenden Lösung entgegen geführt werden würde. Aber trotz
aller berechtigten Klagen ist noch immer Alles beim Alten
geblieben. Vielleicht aber ist das gegenwärtige Jahr der geeignete
Zeitpunkt, den Stein von Neuem ins Rollen zu bringen und die
leitenden Kreise unserer Schulverwaltung nochmals zur Abhilfe
anzuregen.
Das Osterfest fällt in diesem Jahre auf den denkbar spätesten Termin, den 25. April, und dadurch erscheint die Ungleichheit der beiden Abschnitte, in welche unser Schuljahr nach diesem Feste getheilt wird, in besonders scharfem Lichte. Das Sommerhalbjahr wird diesmal in einer Weise verkürzt, die es in höchstem Maße fraglich erscheinen läßt, ob es möglich ist, in diesem kurzen Zeitraume den Lehrkursus, der im Sommer im Wesentlichen derselbe ist wie im Winter, überhaupt zu bewältigen. Der Unterricht wird diesmal erst Anfang Mai beginnen können, umfaßt also im Ganzen nur fünf Monate, von denen anderthalb durch Ferien in Anspruch genommen werden, so daß als Lehr- und Lernzeit selbst nur dreieinhalb Monate übrig bleiben, während das Winterhalbjahr volle sechs Monate umfaßt hat. Dazu kommt noch, daß in den heißeren Monaten von vorn herein die Lernlust und Lernfähigkeit erheblich geringer ist, als im Winter. Noch schlimmer ist die Sache an unseren Hochschulen, deren Sommersemester schon in den ersten Tagen des August schließt, so daß für die Vorlesungen kaum drei Monate verfügbar bleiben. Mit einem Worte, wir stehen hier vor einem Uebelstande, der dringend Abhilfe erheischt.
Für diese Abhilfe sind nun die verschiedensten Wege in Vorschlag gebracht worden, allgemein aber wird an der Unterscheidung eines Sommer- und Winterhalbjahrs festgehalten. Die Einen – und deren sind gar nicht so wenige, als man glaubt – schlagen geradezu vor, das Osterfest selbst aus einem so sehr beweglichen, wie es gegenwärtig ist, zu einem mehr fixirten zu gestalten, indem man dasselbe statt auf den ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond etwa auf den ersten Sonntag im April ansetzen könne. Dadurch würde in der That die Grenzlinie bei Weitem enger gezogen werden; anstatt fünf Wochen würde sie nur eine umfassen; im Wesentlichen könnte dann der 1. April als Anfang des Schuljahrs festgesetzt werden. Daß vom religiös-kirchlichen Standpunkte aus hiergegen im Ganzen wenig einzuwenden wäre, haben einsichtige Theologen wiederholt offen zugestanden. Haben doch in früheren Jahrhunderten oft auf officiellen Kirchenversammlungen Debatten über diese Fixirung des Osterfestes stattgefunden, in denen viel [224] für und wider gestritten wurde. Die gegenwärtige, an alttestamentliche Ueberlieferungen anknüpfende Einrichtung ist im Grunde nur auf einen solchen Koncilbeschluß zurückzuführen, der ebenso gut auch anders hätte ausfallen können. Gleichwohl ist es zweifellos, daß von mancher Seite aus gegen diese Lösung der Frage energischer Widerspruch erhoben werden würde. Es empfiehlt sich daher von demselben von vornherein abzusehen, da eine Aenderung nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn die Mittel zu derselben möglichst allgemein anerkannt werden. Auch hat ja an sich der Beginn unseres Schuljahres mit dem Osterfeste als solchem gar nichts zu schaffen.
Bei Weitem mehr schon würde sich der andere, namentlich neuerdings warm befürwortete Vorschlag empfehlen, grundsätzlich den 1. April als Termin für das Schuljahr festzustellen auf das Osterfest aber dabei ebenso wenig Rücksicht zu nehmen, als etwa auf das Pfingstfest. Das Schuljahr würde einfach um die Mitte des März schließen, dann würden bis zum 1. April Ferien einzulegen sein, die wiedernm ohne Rucksicht darauf, ob das Osterfest in dieselben fällt, festzusetzen wären. Fallt das Osterfest, wie meist, nach dem 1. April, so würde im Sommersemester, ebenso wie am Pfingstfeste, nur an den Feiertagen selbst und etwa einen Tag vorher und nachher der Unterricht ausfallen.
In ganz derselben Weise wäre dann die Sache auch an den Universitäten zu reguliren. Das Wintersemester würde an denselben am 1. März zu schließen, das Sommersemester am 1. April zu eröffnen sein. Durch diese zeitliche Fixirung würde auch dem großen Mißstande abgeholfen sein, daß die Osterferien sich, wie in diesem Jahre, bis auf sechs oder gar sieben Wochen ausdehnen. Denn gegenwärtig herrscht der Brauch oder Mißbrauch, daß das Wintersemester in jedem Falle, gleichviel auf welchen Tag das Osterfest fällt, in den ersten Tagen des März schließt, während das Sommersemester bei der jetzigen Einrichtung immer erst nach Ostern, das heißt also in diesem Jahre erst Anfangs Mai beginnt. So sehr wir nun auch die Berechtigung größerer akademischer Ferien und ihre Nothwendigkeit gerade für Diejenigen, die schon selbständig wissenschaftlich arbeiten, anerkennen, so dürfte es doch alles Maß übersteigen, wenn außer den fast dreimonatlichen Sommerferien die Osterferien sich eventuell auch auf fast zwei Monate ausdehnen.
Mit dieser Reform würden also offenbar die schreiendsten Mißstände beseitigt und eine gesündere Eintheilung des Lehrplanes ermöglicht werden. Immerhin aber würde auch dann noch eine merkliche Ungleichheit zwischen den beiden Halbjahren bestehen bleiben„ vor Allem dadurch, daß nach wie vor sämmtliche heißen, das heißt zum Lehren und Lernen bei Weitem weniger geeigneten Monate in den einen, alle kalten Monate in den andern Abschnitt fallen würden. Aber auch der zeitlichen Ausdehnung nach würden beide noch immer keineswegs gleich sein.
Volle Abhilfe dieser und anderer gleich zu erwähnender Uebelstände würde nur erreicht werden können, wenn man sich zu einer viel weiter gehenden, radikaleren Reform entschließen wollte. An sich ist die Eintheilung des Unterrichtsjahres in ein Sommer- und Wintersemester doch offenbar durch nichts unbedingt geboten, im Gegentheil, wir sehen daß sie mit erheblichen Nachtheilen verknüpft ist. Es würde einen unermeßlichen Segen für unsern gesammten Unterricht in sich schließen, wenn die warmen und kalten Monate auf beide Jahreshälften gleich vertheilt würden. Und das würde der Fall sein, wenn man das Naturgemäßeste thäte, was man überhaupt thun kann, wenn man nämlich das Unterrichtsjahr mit dem bürgerlichen in Uebereinstimnmng brächte und am Januar beginnen ließe. Dann wären in der That alle Schwierigkeiten beseitigt; das erste Halbjahr würde bis zum 1. Juli reichen, das zweite vom 1. Juli bis 1. Januar. Beide Semester würden durch die großen Sommerferien von einander zu trennen sein, die, auf beide ungefähr gleich vertheilt, bei den Schulen etwa von Mitte Juni bis Ende Juli, bei den Universitäten von Mitte Juni bis Mitte August auszudehnen wären. Daraus würde sich namentlich für die Universitäten noch ein weiterer großer Vortheil ergeben. Gegenwärtig beginnen deren Ferien bekanntlich in den ersten Tagen des August, umfassen also im wesentlichen die kühleren Herbstmonate, während in den heißesten Sommermonaten Vorlesungen gehalten werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Einrichtung eine grundverkehrte ist. Was hat es für einen Sinn, im September und größten Theil des Oktober die Vorlesungen auszusetzen und sie im Juli beizubehalten, in welchem zumeist die tropische Hitze den Lehr- und Lerneifer sehr wesentlich beeinträchtigt? Führt man dagegen die von uns vorgeschlagene Reform, die doch um nichts schwerer zu bewerkstelligen ist als die Verlegung des Unterrichtsanfangs auf den 1. April, durch, so fallen die eigentlich heißen Monate bei Schulen und Universitäten vollkommen weg, und die Wintermonate vertheilen sich auf beide Semester vollkommen gleich: November, December in dem einen, Januar, Februar in dem andern. Die Gleichheit der zeitlichen Ausdehnung aber würde dann eine nahezu absolute sein. Das erste Halbjahr (1. Januar bis 15. Juni) würde 51/2 Monate umfassen, die durch Ostern und Pfingstferien um etwas gekürzt und auf etwa 43/4 Monate reducirt werden würden, das zweite Semester (1. August bis 1. Januar oder bei den Universitäten 20. August bis 1. Januar) würde 5 (oder 41/2) völlig unverkürzte Monate umfassen.
Warum aber theilen wir alle unsere bürgerlichen Geschäfte nach dem bürgerlichen Jahre ein und machen allein mit dem Unterrichtswesen eine Ausnahme? Dies läßt sich leicht aus der Macht der Gewohnheit erklären, die hier zu unverkennbaren Nachtheilen führt. Die Einrichtung stammt aus der Zeit, da Kirche und Schule zwei nothwendig mit einander verbundene Institute des staatlichen Lebens waren: damals hatte es einen Sinn, ein kirchliches Fest zum Anfangs- und Endpunkt des Schuljahres zu machen. Jene absolute Zusammengehörigkeit besteht aber nicht mehr und wird in dem Umfange, wie sie früher bestand, auch von strengkirchlicher Seite nicht mehr angestrebt. Wozu soll man also die Wirkung beibehalten, nachdem die Ursache fortgefallen ist? Nachdem die Schule zu einer vorwiegend staatlich-bürgerlichen Einrichtung geworden ist, ist es doch zweifellos das Naturgemäßeste, sie mit dem bürgerlichen Jahre in Uebereinstimmung zu bringen.
Wir wollen die Erörterung über den wichtigen Gegenstand nicht schließen, ohne noch einen für viele Familien nicht unwesentlichen Vortheil der von uns angestrebten Reform zu erwähnen. Bei der gegenwärtigen Eintheilung fallen nämlich in dem größten Theile Deutschlands die Sommerferien der Schulen und Universitäten niemals zusammen: die letzteren beginnen, wenn die ersten schließen. Daraus erwächst aber für alle diejenigen Familien, welche zu gleicher Zeit einen Sohn die Universität, andere Söhne oder Töchter aber die Schule besuchen lassen müssen, der große Nachtheil, daß sie niemals alle ihre Kinder zugleich um sich versammeln, nie mit allen zugleich eine Sommer-Erholungsreise unternehmen können. Auch dieser Nachtheil würde durch die angestrebte neue Eintheilung beseitigt werden: die Schulferien fielen dann in ihrer ganzen Ausdehnung in die etwas längeren Universitätsferien.
Wir wollen nicht leugnen, daß eine solche, die ganze bisherige Eintheilung umwerfende Aenderung namentlich in der Uebergangszeit einige Schwierigkeiten bereiten würde, aber unübersteiglich wollen uns dieselben doch keineswegs erscheinen; ja sie stehen in gar keinem Verhältniß zu den großen Vortheilen, welche unserem ganzen Unterrichtswesen aus einer solchen durchgreifenden Reform erwachsen würden. Jedenfalls ist die Sache reiflicher Erwägung in hohem Maße werth. Sollte aber dieser weitergehende Vorschlag an maßgebender Stelle auf unüberwindlichen Widerstand stoßen, so müßten zum mindesten doch die betheiligten Kreise alle Hebel in Bewegung setzen, daß wenigstens die minder weitgehende Aenderung, die Verlegung des Anfangs des Schuljahres auf den festen Termin des 1. April endlich zur Durchführung käme. Gelingt es in diesem Jahre, in welchem die großen Uebelstände der bisherigen Einrichtung besonders schroff zu Tage treten, nicht, eine Aenderung herbeizuführen, so steht zu befürchten, daß dieselbe auf unabsehbare zeit verschoben werden dürfte. Und aufgeschoben wäre in diesem Falle fast so gut wie aufgehoben. Darum möge ein Jeder, dem die ideale Sache einer gedeihlichen Fortentwickelung unseres Schulwesens, auf das sonst stolz zu sein wir alle Ursache haben, am Herzen liegt, mit uns seine Stimme erheben, damit hier endlich Wandel geschaffen und einer weiteren Fortentwickelung Bahn gebrochen werde.