Schulausstellung der Kunstgewerbeschule

Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Schulaustellung der Kunstgewerbeschule
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 139–143
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1897
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: [Franz Glück 1962] [452] zuerst erschienen unter dem titel „unsere kunstgewerbe-schule“ in „die zeit, wiener wochenschrift für politik, volkswirtschaft, wissenschaft und kunst“, herausgeber J. Singer, Hermann Bahr und Heinrich Kanner, band XIII, nr. 161 vom 31. oktober 1897, s. 78.
Quelle: PDF bei Commons
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SCHULAUSSTELLUNG
DER KUNSTGEWERBESCHULE
(30. oktober 1897)


Die schule des Österreichischen Museums, unsere kunstgewerbeschule, stellt seit dem 9. dieses monats die leistungen des letzten schuljahres aus. Man sieht wieder die gewohnten arbeiten, mit gewohnter präzision ausgeführt, und in den tagesblättern erhebt sich der gewohnte beifall. Und wirklich, auch der strengste beobachter, wenn er in den soliden italienischen räumen Ferstels die stilleben, die blumenstücke, die akte, die heiligenbilder, die szenen à la Tadema, die porträte, die statuen, die reliefs, die holzschnitte, die zeichnungen für möbelpublikationen und alles übrige betrachtet, muß sagen: Hier ist viel geleistet worden.

Malerei, bildhauerei und graphische künste besitzen an der schule am stubenring so eine art akademie zweiter güte. Unsrer kunsthochschule auf dem Schillerplatz wird konkurrenz gemacht, und wenn auch deren leistungen wegen der kürze der studienzeit nicht einzuholen sind, wird doch im edlen wettstreit manches erreicht. Auf dem Schillerplatz kommt man dadurch rascher zur erkenntnis, daß es notwendig ist, aus dem stillstand aufzuwachen, und am stubenring erzeugt man künstler zweiten ranges.

Dagegen, glaubt man vielleicht, sollte niemand etwas einzuwenden haben. Das ist falsch. Denn es gibt etwas, auf dessen kosten dieses preislaufen stattfindet. Das ist das gewerbe, das handwerk.

Sagen wir es gerade heraus: Durch ein solches gebaren wird das kunstgewerbe einfach betrogen. Die kleine summe, die in dem budget des unterrichtsministeriums [140] für den kunstgewerblichen unterricht bestimmt ist, geht für diesen zweck vollständig verloren. Wir österreicher, die in dieser beziehung der unzureichenden mittel wegen von kleinlichster sparsamkeit sein sollten, lassen unser kunsthandwerk auf kosten der „großen kunst“ hungern und darben.

Dieses unrecht wird schon seit jahrzehnten begangen, ohne daß sich ein anwalt für das betrogene handwerk gefunden hätte. Unseren gewerbetreibenden ist es ja lange schon kein geheimnis mehr: die kräfte, die aus dieser anstalt hervorgehen, sind für die werkstatt, für das leben, für das publikum unbrauchbar. Vollgepfropft mit falschen ideen, ohne materialkenntnis, ohne feingefühl für das vornehme und für das kommende, ohne wissen um die gegenwärtigen strömungen, helfen sie entweder die große zahl der geringen maler und bildhauer vermehren, oder holen im auslande, wenn sie genügend assimilationsfähigkeit besitzen, die fehlende erziehung nach. Dann sind sie eben für uns verloren. Wir selbst können sie nicht in die schule nehmen, dazu fehlt uns die kraft. Im gegenteil! Wir erwarten von einer solchen anstalt sogar den anstoß, der uns ins rollen bringen soll.

Wir sind lange stillgestanden und stehen noch still. Die ganze welt ist im kunstgewerblichen während des letzten dezenniums unter der führung Englands mutig marschiert. Die distanz zwischen uns und den anderen wird immer größer und größer, und es ist höchste zeit, wenn wir den anschluß nicht verpassen wollen. Selbst Deutschland hat sich im laufschritt hinterher gemacht und wird den zug bald erreichen. Welch neues leben im auslande! Maler, bildhauer, architekten verlassen ihre bequemen ateliers, hängen die liebe kunst an den nagel [141] und stellen sich an den amboß, an den webstuhl, an die drehscheibe, vor den brennofen und die hobelbank! Weg mit aller zeichnerei, weg mit der papierenen kunst! Nun gilt es, dem leben, den gewohnheiten, der bequemlichkeit, der brauchbarkeit neue formen und neue linien abzugewinnen! Drauf und dran, gesellen, die kunst ist etwas, was überwunden werden muß!

Angesichts dieser stets wachsenden begeisterung für die gute gewerbliche bewegung müssen wir es tief bedauern, daß unsre künstlerische jugend halb teilnahmslos zur seite steht. Selbst diejenigen, die berufen wären, kokettieren, wie wir gesehen haben, mit den absoluten künsten. Das umgekehrte, daß die künstler auf das handwerk zurückgehen, ist natürlich schon gar nicht der fall. Sollte denn wirklich so wenig begeisterungsfähigkeit in unserer jugend stecken?

Aus den wenigen gewerblichen arbeiten in der ausstellung können wir uns eine antwort auf diese frage schon geben. Es ist, als ob dem schüler zu gunsten eines starren dogmas die ihm eigene seele aus dem körper hinausgezeichnet, -korrigiert, -konstruiert, -modelliert, und -doziert worden wäre. Die natur wird studiert – aber ohne erfolg. Denn solches studium ist doch für das kunstgewerbe nur mittel zum zweck. Was erreicht werden soll, ist die fähigkeit, das in der natur vorhandene zu stilisieren, oder, besser gesagt, dem material, aus dem es gebildet werden soll, dienstbar zu machen. Dazu fehlen in der schule der mut und die kraft, vor allem aber die materialkenntnis. Das dogma, an dem diese schule zugrunde gehen muß, ist die ansicht, daß unser kunsthandwerk von oben herab, von den ateliers aus reformiert [142] werden soll. Revolutionen aber kommen immer von unten. Und dieses „unten” ist die werkstatt.

Bei uns herrscht noch die ansicht, daß nur dem der entwurf eines stuhles zugetraut werden kann, der die fünf säulenordnungen in- und auswendig kennt. Ich glaube, ein solcher mann müßte vor allem andern etwas vom sitzen verstehen. Denn von einer säulenordnung kann man für den zu entwerfenden stuhl sicherlich nichts profitieren. Die modellzeichner, die als zeichner für publizistische werke hervorragendes leisten, also eine tätigkeit haben, die doch sicherlich zur graphischen kunst gerechnet werden muß, versagen vollständig, sobald sie eigene entwürfe vorlegen. Unverständnis für das material bei den naturdetails – man beobachte nur die untischlerische profilierung – und ödes kopieren, spranzen nennt es der fachmann, in den dekorativen zeichnungen zu innenräumen, das sind die gemeinsamen merkmale aller drei spezialateliers unserer schule.

Den einzelnen lehrer kann dabei kein vorwurf treffen. Es ist der geist schuld, der über der ganzen anstalt schwebt.

Man müßte das gesagte nur wiederholen, wenn man auf die dekorative malerei zu sprechen käme. Auch hier tüchtige arbeiten, solange die malerei für sich allein spricht. Für das gewerbe sind die besten zeichnungen nichts wert. Naturalistisch gezeichnete kürbisse – um ein beispiel herauszuheben –, fein säuberlich und recht plastisch schattiert, tuns nicht. Besonders wenn sie für eine wandfriestapete unter dem plafond erdacht sind. In einem solchen unglückszimmer würde man nicht stark aufzutreten wagen. Schließlich könnten einem die kürbisse auf den kopf fallen! Für die aufrechterhaltung [143] solcher illusion bürgt die tüchtige zeichnung. Man könnte blatt für blatt auf diese weise durchgehen, aber das eine beispiel wird wohl von der gedankenlosigkeit, die nur so weit sieht, als das reißbrett reicht, hinlänglich zeugnis geben.

Wir können hoffen, daß dies die letzte derartige ausstellung gewesen ist. Dem kunsthandwerk wird wohl endlich gegeben werden, was des handwerks ist. Mit dem neuen direktor, hofrat von Scala, ist ein neuer geist in das haus gezogen. Möge dieser geist stark und rücksichtslos genug sein, dem alten gegenüber kräftig den hausherrn zu spielen. Das österreichische handwerk erwartet das.