Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Schloß Lichtenstein
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aus: Gedichte. 1. Band, S. 319–322
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Schloss Lichtenstein
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[319]

Schloß Lichtenstein.

In einem tiefen grünen Thal
Steigt auf ein Fels, als wie ein Strahl,
Drauf schaut das Schlößlein Lichtenstein
Vergnüglich in die Welt hinein.

5
In dieser abgeschied’nen Au’,

Da baut’ es eine Ritterfrau,
Sie war der Welt und Menschen satt,
Auf den Bergen sucht sie eine Statt.

Den Fels umklammert des Schlosses Grund,

10
Zu jeder Seiten gähnt ein Schlund,

Die Treppen müssen, die Wände von Stein,
Die Böden ausgegossen seyn.

So kann es trotzen Wetter und Sturm,
Die Frau wohnt sicher auf ihrem Thurm,

15
Sie schauet tief in’s Thal hinab,

Auf die Dörfer und Felder, wie in’s Grab.

„Die blaue Luft, der Sonnenschein,“
Spricht sie, „der Wälder Klang ist mein,
Eine Feindin bin ich aller Welt,

20
Zu Gottes Freundin doch bestellt.“


[320]
Mit diesem Spruch sie lebt’ und starb,

Davon das Schloß sich Ruhm erwarb,
Seit wohnte drauf manch ein Menschenfeind,
Und ward in der Höhe Gottes Freund.

25
Und als vergangen hundert Jahr,

Ein Menschenfeind auch droben war,
Lang hatt’ er an keinen Menschen gedacht,
Da pocht’ es einsmals an zu Nacht.

„Es ist ein einz’ger vertrieb’ner Mann,

30
Der Welt Feind wohl er sich nennen kann,

Herr Ulrich ist’s von Württemberg,
Zu Gaste will er auf diesen Berg.“

Der And’re hat ihm aufgemacht,
Er nimmt des Fürsten wohl in Acht;

35
Er zeiget ihm das finst’re Thal,

Das weit sich dehnt im Mondenstrahl.

Der Herzog schaut hinunter lang,
Er spricht mit einem Seufzer bang:
„Wie fern, ach! von mir abgewandt,

40
Wie tief, wie tief liegst du, mein Land!“


„„Auf meiner Burg, Herr Herzog, ja!
Ist Erde fern, doch Himmel nah;
Wer schaut hinauf, und wohnt nicht gern
Im Himmelreich von Mond und Stern?““

[321]
45
Da hebt der Herzog seinen Blick,

Und sieht nicht wieder auf’s Land zurück;
Von Nacht zu Nacht wird er nicht satt,
Bis er es wohl verstanden hat.

Und als nach manchem schweren Jahr

50
Er wieder Herr vom Lande war,

Da hat er Alles wohl bestellt,
Und hieß ein Freund von Gott und Welt.

Wie hat er erworben solche Gunst?
Wo hat er erlernet solche Kunst?

55
In des Himmels Buch, auf Lichtenstein,

Da hat er’s gelesen im Sternenschein.

*               *
*

Das Schloß zerfiel, es ward daraus
Ein leichtgezimmert Försterhaus;
Doch schonet sein der Winde Stoß,

60
Meint, es sey noch das alte Schloß.


Und einsam ist es jetzt nicht mehr,
Es kommt der Gäste fröhlich Heer,
Aus einer Höhle [1] kommen sie,
Doch Menschenfeinde sind es nie.

[322]
65
Manch holdes Mädchenangesicht

Läßt leuchten seiner Augen Licht,
Da führt mit Recht in solchem Schein
Das Schloß den Namen Lichtenstein.

Die Männer stolz, die Mägdlein frisch,

70
Sie sitzen alle um Einen Tisch,

Die Erde lächelt herauf so hold,
Es strahlt am Himmel der Sonne Gold.

Sie spenden von des Weines Thau
Dem Herzog und der Edelfrau,

75
Sie bitten sie, dies Schlößlein gut

Zu nehmen in ihre fromme Hut.

Und ziehn sie ab, mit einer Brust
Voll Gotteslieb’ und Menschenlust,
Dann steht im späten Sternenschein

80
Einsam und selig der Lichtenstein.

  1. Der Nebelhöhle, die seitdem durch Wilh. Hauff’s vortreffliche Schilderung in seinem Roman Lichtenstein wohl allen meinen deutschen Lesern bekannt geworden. Nach ihrer jährlichen Erleuchtung sammeln sich die Besucher derselben auf Lichtenstein.