Schloß Babelsberg
Schloß Babelsberg.
Wenige Städte mag es geben, in denen Kunst und Natur so im edelsten Wettstreit um den Vorrang der Schönheit eifern, in deren Palast- und Parkschöpfungen sich der Geschmack der wechselnden Jahrhunderte, die Geschichte eines aufsteigenden Königshauses, so charakteristisch und fesselnd widerspiegeln, wie es in Potsdam geschieht. Jeder Schritt in der Sommerresidenz der preußischen Herrscher hallt wider von Erinnerungen und weckt Gestalten auf vor unseren Sinnen, die ihren Namen für immer in die Tafeln der Geschichte gruben. Die Perle aber, welche heute Potsdams Umgebung mit Stolz sein eigen nennt, das ist der kaiserliche Sommersitz Wilhelm’s I., Schloß Babelsberg. Zu seinen Füßen rauscht der breite Havelstrom vorüber mit dem königlichen Schmucke von tausenden stolz einherziehenden Schwänen, ein blauleuchtendes Ordensband, an das sich Schlösser, Villen und Tempel wie Sterne an einander reihen.
Noch im Anfang der dreißiger Jahre bildete der Babelsberg oder Babertsberg, wie er damals hieß, eine schroff abfallende sandige Höhe von Kiefern gekrönt und hier und da von alten Eichen durchsprengt. Prinz Wilhelm von Preußen, welcher 1829 mit der eben so geistreichen wie schönen Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar einen Herzensbund geschlossen hatte, entschloß sich 1835, angezogen von dem poetischen Reiz der natürlichen Lage dieses vernachlässigten Erdenwinkels, Schloß und Park für einen Sommersitz hier anzulegen. Und so geschah es. Nach Schinkel’s Entwürfen erhob sich hier bald unter Persius’ künstlerischer Leitung im altenglischen Stile mit Erkern, Thürmen und Altanen ein herrliches Schlößchen, welches 1848 dann noch bedeutend erweitert wurde. Poetisch innen und außen gestaltet, athmete es ganz die Romantik des Mittelalters, anmuthend wie eine zu Stein gewordene Schöpfung Walter Scott’s. Was aber diesem Tusculum noch erhöhten Reiz und eine Fülle stiller Schönheiten lieh, das war der weite, auf- und niedersteigende Park, welcher seitdem mit jedem Jahr an Ausdehnung, künstlerischer Vollendung, an Reichthum sinniger Erinnerungen, malerischer Fernsichten in fast unvergleichlicher Weise gewann. Nirgends verschnittene Taxushecken und verschnörkelte Blumenbeete; keine schlanken, marmornen Götterbilder schauen aus dem Gebüsch, noch hemmen Urnenpostamente oder zerbrochene Säulenstümpfe mit elegischen Strophen den Schritt des Wanderers: was uns hier entgegenschlägt, ist der Puls unverfälschter Natur, ist so warm und treu empfunden, wie es dem deutschen Gemüth nun einmal eigen ist. Der königliche Gartendirektor Lenné hatte die erste Umwandlung des melancholischen Fichtenwaldes in einen lachenden Waldpark vollzogen, dann aber kam der Altmeister der deutschen Gartenkunst, Fürst Pückler, der in seinem Muskau und Branitz unvergängliche Schöpfungen aus dürrem Sande erstehen ließ, und gab auch dem Hügelpark von Babelsberg eine Grundgestaltung, welche immer als ein Triumph deutscher Landschaftsgärtnerei dastehen wird.
Verschwiegene, stille Laubgänge führen auf und ab durch den stetig mehr sich ausdehnenden Park, in dem alle Baumarten in prächtigsten Exemplaren ihre säuselnden Wipfel über weite sammetglänzende Rasenteppiche breiten. Tief unten zieht die blaue Havel vorüber und ihre Wellen plätschern geschwätzig mit den kaiserlichen Gondeln in der kleinen Hafenbucht, von der ein grünumwobener Gang emporleitet. Wer wollte den Reichthum schildern, welchen diese Parkanlage in ihrem Bannkreis faßt? Dichter umfängt uns das Laubgewirr, und dann blickt uns ein tief melancholischer See mit Insel und Uferröhricht wie ein Waldgeheimniß an; aber schon steigt der Weg wieder; lichter wird es um uns, schmetternder klingt der Jubelchor der gefiederten Sänger; eine Bank ladet noch einmal zum Weilen, und drüben springt ein umgitterter Altan hinaus über das flüsternde Blättermeer des Parkes, und trunken fliegt der Blick über den schimmernden Havelstrom und die stolz sich darüber schwingende Glinicker-Brücke, über Seen und Uferbuchten, über Schlösser, Villen und malerische Gotteshäuser längs der prächtig bewaldeten Ufer, zu den Doppelthürmen des hochragenden Pfingstberges, an dessen Füße sich die Dächer Potsdams schmiegen.
Tiefe Stille herrscht überall. Da erschallen anf dem einsamen Wege des Parkes Hufschlag und Wagengerassel; rasch eilt an unsern Blicken ein ergreifendes Bild vorüber, ein Bild innigster väterlicher und kindlicher Liebe! In dem offenen Wagen sitzen Kaiser Wilhelm und seine einzige Tochter, die Großherzogin von Baden. Alljährlich pflegt die Fürstin nach Berlin zu kommen, und der Kaiser verbringt alsdann in ihrer Gesellschaft die wenigen Erholungsstunden, welche ihm nach Erledigung der Regierungsgeschäfte übrig bleiben. Sie ist auch ein oft gesehener und lieber Gast in Schloß Babelsberg.
Immer neue Bilder, neue Fernsichten eröffnet uns die Wanderung durch den Park. Wo einst die abgebrannte Mühle des Babertsberges stand, erhebt sich heute der nach dem Muster des Eschenheimer Thorthurms in Frankfurt am Main erbaute Flatower Thurm, von dessen Zinnen sich ein Rundgemälde von bezauberndem Liebreize entrollt. An Kavalierhäusern, dem Dampfmaschinenhaus zum Betriebe der Fontaine, rosenumsponnenen Gärtneridyllen schreiten wir vorüber. Hier grüßen uns Büsten preußischer Feldherren; dort hemmen wir sinnend unseren Schritt vor einem altersgrauen Bildstöckl, das, aus dem Süden hierher gepflanzt, dem deutschen Kaiser stets ein Erlebniß aus dem badischen Feldzuge wachruft. Und jetzt nimmt uns ein freier Platz auf, und charakteristisch und ernst baut sich vor uns die einstige Berliner [844] Gerichtslaube auf, welcher der Kaiser, nachdem ihr Abbruch am Rathhausplatze der Reichshauptstadt beschlossen war, hier eine Zufluchtsstätte eröffnete. Was predigen diese Steine Alles! Unter ihnen saßen einst die würdigen Rathsmannen Berlins, Recht zu berathen. Es waren stolze Kernnaturen, diese seßhaften Altvordern der freien Stadt, und als der erste Hohenzoller an ihre Thore mit seinem Eisenhandschuh, Einlaß fordernd, dröhnend klopfte, da kostete es manchen Kampf und reiches Blutvergießen, ehe der Widerstand gebrochen und der Einlaß gewährt ward. Das liegt weit zurück. Heute klopft kein Hohenzoller mehr vergeblich an unsere Thore und Herzen; sie stehen ihnen längst weit offen.
Da liegt unter Bäumen halb versteckt, heiter und traulich, der Sommersitz des ersten deutschen Kaisers. Alles athmet den Hauch altenglischer Romantik, nur sonniger, üppiger vielleicht in graziösen und künstlerischen Einzelheiten. Ein dämmeriger, gewölbter Gang führt uns in die „Hall“. Eichene, kunstvoll geschnitzte Möbel, Waffen und Jagdtrophäen, Kamin und Ampel, nichts fehlt, den Eindruck des Mittelalterlichen noch zu erhöhen. Wir steigen empor. Aber auch was da auf den Wendeltreppen, Fluren an Bildern, Schnitzereien, merkwürdigen Erinnerungsstücken aufbewahrt ist, fesselt immer aufs Neue unsere Aufmerksamkeit. Auf einem Treppenabsatz befindet sich eine Stocksammlung, darunter ein schlichtes Weichselrohr, vom Kaiser selbst vor 46 Jahren geschnitten und seitdem sein treuer Begleiter auf allen Spaziergängen in diesem schönen Besitzthum. Im ersten Stock liegen die Gemächer der Kaiserin wie die daranstoßenden Repräsentationsräume: der große Gesellschaftssaal, die Bibliothek, der herrliche, durch zwei Stockwerke reichende Tanzsaal, wie der Eßsaal mit der mächtig gewölbten Decke und dem imposanten Kamin. Reiche Kunstschätze alter und neuer Zeit, Meisterwerke der Malerei und Plastik füllen diese eben so glanzvollen wie anmuthigen Räume. Ueberraschend wirkt der Blick aus den Fenstern des Speisesaals rückwärts in den Park auf den gothischen Gerhardsbrnnnen, ein unter Blumen Wassergarben speiendes Kunstwerk, geschenkt von den vereinigten Dombaumeistern Kölns, mit der Statue des Schöpfers des herrlichen Doms: Gerhard.
Eine Treppe höher wohnt der Kaiser. Sein Arbeitszimmer, das oberste Geschoß eines starken achteckigen Thurmes, mit gewölbter Decke, blauen Wänden, seiner Lieblingsfarbe, ausgestattet mit weißen Ahornmöbeln, bildet ein wahres Museum von Erinnerungsstücken. Was Liebe und Verehrung dem greisen Monarchen huldigend darbrachten, vom unscheinbarsten bis zum stolzesten Geschenk, ist hier in diesem wunderbaren Raume wie dem bescheidenen Schlafzimmer nebenan, auf den Tischen, Stühlen, Lehnsesseln, an den Wänden und Thüren aufbewahrt worden. Die wohlwollende Herzensgüte, der dankbare, pietätvolle Sinn auch für die geringste Liebesbezeugung, diese Tugenden des Monarchen finden hier ihren rührendsten Ausdruck. Hier oben weilt der Monarch gern in strenger Pflichterfüllung, wenn er, von seinem Rundgang durch den Park heimkehrend, sich wieder an den Tisch setzt, die eingelaufenen Berichte durchzugehen und zu erledigen.
Und wenn er dann das milde Auge von der gethanen Arbeit aufhebt und sein Blick durch das Spitzbogenfenster hinaus über die grünen Baumwipfel in die entzückendste Havellandschaft schweifen läßt, wenn das Roth der scheidenden Sonne Wald und Wasser sanft erglühen macht, die Schwäne langsam zu ihren Schilfnestern heimkehren: dann mag der Friede, welcher wie eine segnende Gotteshand auf der müden Erde liegt, ihm wie ein sanftes Echo des eigenen edlen Herzens scheinen, und das an der fernen dunkelnden Kiefernwand herauftauchende weiße Segel zum Bilde der erfüllten Hoffnung werden. A. Trinius.