Schiller und Margarethe Schwan
Von J. Leyser.
An einem Sommerabend des Jahres 1784 sah man zu Mannheim in einem jener stattlichen Häuser, welche den Paradeplatz umsäumen, eine ausgesuchte Gesellschaft versammelt, die mit gespannter Aufmerksamkeit der Declamation eines jungen Mannes lauschte, der einige Scenen aus seinem neuesten Drama: „Louise Millerin“ vortrug. Der jugendliche Dichter mit dem gesenkten, sinnenden Haupte und den glänzenden Augen, mit der hohen, weiten Stirn, auf welcher ewige Gedanken zu thronen schienen, es ist Friedrich Schiller, dessen Locken bereits die ersten Lorbeeren des entzückten Vaterlandes schmückten. In seiner Nähe gewahren wir den Herrn des Hauses: der Mann mit den feingeschnittenen, geistreichen Zügen ist Schiller’s treuer Freund und Verleger seiner ersten Schriften, der Buchhändler und kurfürstliche Hofkammerrath Christian Friedrich Schwan, selbst thätiger Schriftsteller, von Lessing und Wieland, von Herder und Goethe hoch geachtet. Und von jenen beiden Frauengestalten, vor Kurzem erst aufgeblüht zu wunderbarer Schönheit, die an des Dichters Lippen hängen, ist die Eine Schwan’s älteste Tochter, Anna Margarethe, auf deren Namen durch ihr Verhältniß zu Schiller ein Strahl der Dichtkunst gefallen ist; die Andere die vertraute Freundin Margarethens, die reizende, talentvolle Schauspielerin Fräulein Ziegler, die als „Louise“ in „Cabale und Liebe“ und als „Leonore“ in „Fiesco“ mächtig alle Zuhörer ergriff und von der ein Zeitgenosse schreibt: „Nie habe ich solche Accente wieder gehört, noch die Melodie der Liebe, wie sie in Fiesco’s Gattin von diesen Lippen tönte.“ Und dort jene feine Gestalt von etwas aristokratischer Haltung, doch mit mildem, angenehmem Ausdruck auf dem Angesicht, es ist der Begründer und Intendant der berühmten Mannheimer Bühne, Wolfgang Heribert Reichsfreiherr v. Dalberg; an seiner Seite bemerken wir einen der größten Schauspieler, auch als dramatischer Schriftsteller berühmt, August Wilhelm Iffland. –
Unsere Leser kennen jene tragische Wendung in Schiller’s Leben, die den ehemaligen Regimentsmedicus zu Stuttgart der Heimath entrückt und nach der freundlichen Neckarstadt verschlagen hat.
Im April 1781 war der Druck der „Räuber“ begonnen worden. Um dem Werke eine größere Verbreitung zu sichern, schrieb Schiller noch vor beendigtem Druck an Schwan, dem er zugleich die sieben ersten fertigen Bogen überschickte. Voll Enthusiasmus lief Schwan, wie er in einem Brief an Schiller sich ausdrückt, sogleich zu Dalberg und las ihm das Bruchstück „brühwarm“ vor. Dalberg forderte nun den Dichter auf, sein Stück für die Mannheimer Bühne zu bearbeiten, und so wurde es denn mit verschiedenen Abänderungen, gegen die Schiller vergebens sich sträubte, in dessen Gegenwart am dreizehnten Januar 1782 in Mannheim aufgeführt. Auch zur zweiten Aufführung der „Räuber“ (am fünfundzwanzigsten Mai) war er ohne Urlaub nach Mannheim gereist, bekam Arrest und fiel in die Ungnade seines Landesherrn. Aber je drückender seine Lage wurde, desto mehr [428] regte sich sein Freiheitstrotz. Während das allgemeine Interesse den Festlichkeiten sich zuwandte, die auf dem Lustschloß Solitude zum Empfange des Großfürsten Paul von Rußland stattfanden, war Schiller unbemerkt mit seinem getreuen Streicher entflohen.
Es liegt unserer Aufgabe fern, diesen dritten Aufenthalt Schiller’s zu Mannheim und Oggersheim zu schildern sammt der Noth, mit welcher er dort kämpfte, und den niederschmetternden Täuschungen, die er durch Dalberg erfuhr. Unter den Wenigen, die damals dem unglücklichen Dichter treu zur Seite standen, befand sich Schwan. Hatte Dalberg den „Fiesco“ als unbrauchbar zurückgewiesen. Schwan, in gerechter Bewunderung der Tragödie, übernahm den Druck derselben, das hierfür gewährte Honorar reichte hin, die Wirthshausschuld zu Oggersheim zu decken und die Kosten zur Reise nach Bauerbach bei Meiningen, wo eine edle Dame, die Freifrau v. Wolzogen, dem Dichter die Ruhe eines einsamen Aufenthaltes anbot, zu bestreiten.
Was die Beziehungen Schiller’s zur Familie Schwan während dieses Zeitraums betrifft, so fließen die Quellen hier äußerst spärlich. Doch können wir einen Schluß ziehen aus einem Briefe Schiller’s an Schwan (Bauerbach, den achten December 1782), worin es heißt: „Bei meiner neulichen schnellen und heimlichen Abreise war es mir unmöglich, von Ihnen, mein bester Freund, Abschied nehmen zu können. Ich thue es jetzt und sage Ihnen für Ihre zärtliche Theilnahme an meinen Schicksalen den aufrichtigsten Dank. Meine damalige Verfassung gab mir Gelegenheit genug, meine Freunde auf die Probe zu stellen, und so unangenehme Erfahrungen mir dabei aufstießen, so bin ich doch durch die Bewährung einiger weniger Freunde genug schadlos gehalten.“ Wir entnehmen es ferner aus einem Brief, den Schiller’s Vater an demselben Tage von Solitude an Schwan richtete: „Ew. Hochedelgeboren“ – so heißt es darin – „haben meinem Sohne, dem Dr. Schiller, so ausnehmend viele Freundschaft erwiesen, daß ich mich höchst verbunden erachte, Ihnen meinen aufrichtigsten Dank dafür abzustatten, mit dem eifrigsten Wunsch und der gehorsamsten Bitte, daß es Ihnen gefällig sein möchte, diesen jungen Mann auch fernerhin Ihrer schätzbaren Gewogenheit empfohlen sein zu lasten.“
Zu Bauerbach, auf seiner „literarischen Wartburg“, sollte Schiller nicht allzu lange in poetische Entwürfe sich vertiefen. Es war eine Sirenenstimme, schreibt Streicher, die ihn nach Mannheim zurückrief, die schmeichelnde, verlockende Stimme Dalbergs und so schied er nach siebenmonatlichem Aufenthalte von seiner Wohltäterin. Am achtundzwanzigsten Juli 1783 treffen wir ihn wiederum zu Mannheim, wo er eine anmuthige Wohnung neben dem Schloßplatz bezog. Zum Umgange war ihm neben dem Dalberg’schen das Schwan’sche Haus am liebsten. „Die Frauenzimmer“ – schreibt er am dreizehnten November an Fr. v. Wolzogen – „bedeuten hier sehr wenig und die Schwanin ist beinahe die Einzige, eine Schauspielerin ausgenommen,“ (er meint hier die frühverstorbene Karoline Ziegler) „die eine vortreffliche Person ist. Diese und einige Andere machen mir zuweilen eine angenehme Stunde; denn ich bekenne gern, daß mir das schöne Geschlecht von Seiten des Umganges gar nicht zuwider ist.“ Wie ein Gebild aus Himmelshöhen trat die siebenzehnjährige, liebenswürdige und geistvolle Margarethe Schwan dem empfänglichen Dichter entgegen und verdrängte schnell die Neigung, die eben erst für Charlotte v. Wolzogen in seinem Herzen zu keimen begonnen hatte.
Margarethe Schwan war, wie Frau von Wolzogen berichtet, damals, in ihrem siebenzehnten Jahre, ein sehr schönes Mädchen mit großen, ausdrucksvollen Augen und von sehr lebhaftem Geist, der sie mehr zur Welt, Literatur und Kunst, als zur stillen Häuslichkeit hinzog. Im gastfreien Hause des Vaters, welches ein Vereinigungspunkt für Gelehrte und schöne Geister war, gewann sie schon in früher Jugend eine ausgezeichnete Bildung, lernte aber auch die Kunst, diese Vorzüge geltend zu machen.
Die Züge ihres Bildes, das noch heute die Familie Götz zu Mannheim aufbewahrt, sind nicht ohne einen Anflug von Stolz und von Strenge.[1] Margarethe war gewöhnlich zugegen, wenn Schiller ihrem Vater das Netteste, was er gedichtet, vorlas; allmählich mischte das Herz sich mit ein, und schon bezeichnete die öffentliche Stimme Margarethen als Schiller’s Verlobte. Gleichwohl kam es nicht zu einem entscheidenden Schritte, selbst damals nicht, als Schiller’s Verhältniß zur Mannheimer Bühne immer mehr sich löste und er sich bereits anschickte, einer Einladung Körner’s nach Leipzig zu folgen.
Es war ein düsterer Märzabend, als der Dichter schweren Herzens Margarethen die Hand zum Abschied reichte, die in all ihrer Lieblichkeit und voll inniger Rührung vor dem Scheidenden stand und ihn nicht entließ ohne ein freundliches Andenken. Mit dem Frühroth des nächsten Morgens warf Schiller der Neckarstadt die letzten Scheidegrüße zu. Er hat Mannheim nicht wieder gesehen.
„Töne, Wandermelodei,
Durch die öden Straßen!
Wie so leicht einander doch
Menschen sich verlassen! …“
Am 17. April 1785 war Schiller zu Leipzig angekommen und schon acht Tage darnach hielt er bei Schwan um die Hand seiner Tochter an. Nachdem er in dem betreffenden Briefe zuerst seine Reise nach Leipzig und seine dortigen Bekanntschaften geschildert, fährt er also weiter: „Hier bin ich Willens, sehr fleißig zu sein, an dem ‚Carlos‘ und der ‚Thalia‘ zu arbeiten, und was Ihnen vielleicht das Angenehmste zu hören sein wird, unvermerkt mich wieder zu meiner Medicin zu bekehren. Ich sehne mich ungeduldig nach dieser Epoche meines Lebens, wo meine Aussichten gegründet oder entschieden sein werden, und wo ich meiner Lieblingsneigung blos zum Vergnügen nachhängen kann. Ueberhaupt hab’ ich ja die Medicin ehemals con amore studirt, soll ich das jetzt nicht um so mehr können? Sehen Sie, bester Freund, das könnte Sie allenfalls von der Wahrheit und Festigkeit meines Vorsatzes überzeugen dasjenige aber, was Ihnen die vollkommenste Bürgschaft darüber leisten dürfte, was alle Ihre Zweifel an meiner Standhaftigkeit verbannen muß, hab’ ich noch bis auf diese Minute verschwiegen. jetzt oder nie muß es gesagt sein. Nur meine Entfernung von Ihnen giebt mir Muth, den Wunsch meines Herzens zu gestehen. Oft genug, da ich noch so glücklich war, um Sie zu sein, oft genug trat dies Geständniß auf meine Zungen aber immer verließ mich meine Herzhaftigkeit, es herauszusagen. – Ihre Güte, Ihre Theilnahme, Ihr vortreffliches Herz haben eine Hoffnung in mir begünstigt, die ich durch nichts, als Ihre Nachsicht und Freundschaft zu rechtfertigen weiß. Mein freier zwangloser Zutritt in Ihrem Hause gab mir Gelegenheit, Ihre liebenswürdige Tochter ganz kennen zu lernen, und die freimütige gütige Behandlung, deren Sie Beide mich würdigten, verführte mein Herz zu dem kühnen Wunsch, Ihr Sohn sein zu dürfen. Meine Aussichten sind bis jetzt unbestimmt und dunkel geblieben; nunmehr fangen sie an, ach zu meinem Vortheil zu verändern. Ich werde mit jeder Anstrengung meines Geistes dem gewissen Ziel entgegengehen. Urteilen Sie selbst, ob ich es erreichen kann, wenn der angenehmste Wunsch meinen Eifer unterstützen wird. Noch zwei Jahre, und mein ganzes Glück wird entschieden sein. Ich fühle es, wie viel ich begehre, wie kühn und mit wenigem Recht ich es begehre. Ein Jahr schon ist es, daß dieser Gedanke meine Seele beschäftigt; aber meine Hochachtung für Sie und Ihre vortreffliche Tochter war zu groß, als daß ich einem Wunsche hätte Raum geben sollen, den ich damals durch nichts unterstützen konnte. Ich legte mir die Pflicht auf, Ihr Haus seltner zu besuchen und in der Entfernung Zerstreuung zu finden aber dieser armselige Kunstgriff gelang meinem Herzen nicht. Der Herzog von Weimar war der erste Mensch, dem ich mich öffnete. Seine zuvorkommende Güte und die Erklärung, daß er an Anderer Glück Antheil nehme, brachten mich dahin, ihm zu gestehen, daß dieses Glück auf einer Verbindung mit Ihrer edeln Tochter beruhe, daß er mehr handeln wird, wenn es darauf ankommt, durch diese Verbindung mein Glück zu vollenden. Ich setze nichts mehr hinzu, als die Versicherung, daß vielleicht hundert Andere Ihrer Tochter ein glänzenderes Schicksal verschaffen können, als ich in diesem Augenblick ihr versprechen kann, aber ich leugne, daß ein anderes Herz ihrer würdiger sein wird. Von Ihrer Entscheidung, der ich mit Ungeduld und furchtsamer Erwartung entgegensehe, hängt es ab, ob ich es wagen darf, selbst an Ihre Tochter zu schreiben.“
Was war der Erfolg dieser Werbung? Die Biographen [429] Schiller’s bemerken ziemlich übereinstimmend: Schwan, ohne auch nur die Tochter mit Schiller’s Antrag bekannt zu machen, habe seine Ablehnung in die mildere Form gekleidet, daß der Charakter seiner Tochter nicht für Schiller passe. Wir sind in der Lage, diese Angabe berichtigen zu können. Zwar, es mag auf Wahrheit beruhen, was Caroline von Wolzogen in Schiller’s Leben erzählt (I, 206), daß Schwan gegen den von ihm hochgeschätzten Dichter offen seine Bedenken aussprach, ob die Eigenthümlichkeit seines Mädchens sie zur Gattin des Bewerbers geeignet mache, und auch darin hätte Schwan nur als Freund gehandelt; aber im letzten Grunde war doch der Sachverhalt ein anderer. Am Rande des Schiller’schen Originalbriefes,[2] den noch heute die Familie Götz zu Mannheim aufbewahrt, steht nämlich, von Schwan eigenhändig geschrieben, folgende Bemerkung: „Laura in Schiller’s Resignation ist Niemand anders als meine älteste Tochter; ich gab derselben diesen Brief zu lesen und sagte Schiller, er möchte sich gerade an meine Tochter wenden. Warum aus der Sache nichts geworden, ist mir ein Räthsel geblieben.“
Suchen wir das Räthsel zu lösen. Ein Dreifaches ist es, das wir hier in’s Auge fassen müssen. Einmal bemerken wir ursprünglich bei Schiller, wie bei anderen genialen Naturen, eine gewisse Abneigung gegen die Ehe, eine Abneigung, die sich sträubt, das hochgespannte Geistes- und Gefühlsleben des Genius an eine endliche Leidenschaft zu verpfänden. Als Schiller von dem Componisten Zumsteeg, der sich eben verheirathet hatte, aufgefordert wurde, diesem Beispiel zu folgen, antwortete er demselben: „Laß mich mein Schicksal trotz des warmen Blutes, das in meinen Adern strömen mag, allein tragen… Du weißt ja, daß ich über diesen Gegenstand auf meine eigene Art philosophire.“
Zum Zweiten tritt aber nun an diesen hoch- und stillschwebenden Idealismus die ernüchternde Wirklichkeit heran, die dem Ideale feind ist. Das Junggesellenleben, ohne Ordnung, ohne weibliche Fürsorge, erfüllte Schiller mit Ueberdruß. „Einsam, ohne Führung“ – klagt er gegen Reinwald – „muß ich mich durch meine Oekonomie hindurchkämpfen … tausend kleine Bekümmernisse, Sorgen, Entwürfe, die mir ohne Aufhören vorschweben, zerstreuen meinen Geist, zerstreuen alle dichterischen Träume und legen Blei an jeden Flug der Begeisterung.“ Aus dieser Stimmung erwächst dann die Sehnsucht nach den Annehmlichkeiten einer behaglichen Häuslichkeit, die nöthigenfalls selbst die Poesie dranzugeben bereit ist. So begreifen wir’s, wenn Schiller (30. Mai 1783) an seine Freundin nach Bauerbach schreibt:
„Es war eine Zeit, wo mich die Hoffnung eines unsterblichen Ruhmes so gut als ein Galakleid ein Frauenzimmer gekitzelt hat. Jetzt gilt mir Alles gleich und ich schicke Ihnen meine dichterischen Lorbeeren in dem nächsten Boeuf à la mode und trete Ihnen meine tragische Muse als eine Stallmagd ab. Wie klein ist doch die höchste Größe eines Dichters gegen den Gedanken, glücklich zu leben!“
Zum Dritten endlich darf man wohl behaupten, daß der damalige Schiller, dessen Jugend in Sturm und Drang dahinfloß, der selber so unzufrieden war mit den Frauengestalten seiner ersten Dramen, den Werth und die Anmuth einer schönen weiblichen Seele noch nicht genugsam zu würdigen verstand. „Mädchenherzen“, sang er damals,
„Mädchenherzen sind so gern
Kästchen zum Vexiren;
Manchen lockt der goldne Stern,
Perlen, die nur zieren.
Hundert werden aufgethan,
Neunundneunzig trügen;
Aber nur in Einer kann
Die Juwele liegen.“
„Es ist sonderbar,“ schrieb er an Körner, „ich liebe die herzlich empfindende Natur, und jede Kokette kann mich fesseln. Jede hat eine unfehlbare Macht auf mich, durch meine Eitelkeit und Sinnlichkeit; entzünden kann mich keine, aber beunruhigen genug.“ Und in einem andern Briefe an denselben Freund: „Mein Herz ist ganz frei; ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz machte und Dir angelobte: ich habe meine Empfindungen durch Vertheilung geschwächt.“ Um nur an einem Beispiel zu zeigen, wie Schiller diese Theorie der ‚Vertheilung‘ geübt hat: zu Mannheim ist Margaretha Schwan die eigentliche, unbestrittene Herzenskönigin; zu gleicher Zeit tritt er in ein vertrautes Verhältniß mit Charlotte Kalb, der schönen geistreichen Titanide mit den großen Augen und dem großen Herzen, die mit der ganzen feurigen Gluth ihrer gequälten Seele den Dichter an sich heranzieht; im Frühling desselben Jahres reist er mit Iffland nach Frankfurt, um der Aufführung des „Fiesco“ beizuwohnen, und verliert sein Herz an die gefeierte Schauspielerin Sophie Albrecht. Und am achtzehnten Januar des nächsten Jahres begleitet er zu Mannheim die begabte und reizende Schauspielerin Katharina Baumann nach Hause und drückt ihr sein Miniaturbild in die Hand. Und was vielleicht am wunderbarsten erscheinen muß: keines dieser zahlreichen Verhältnisse hat eine lyrische Blüthe getrieben, wie sie aus Goethe’s Herzen so reich und duftig hervorbrachen; keines hat auch nur ein Lied geweckt in des Dichters Brust!
Wir fassen unsere Erörterung zusammen, indem wir sagen: es war nicht ein tiefes Bedürfniß des Herzens, das Schiller bestimmt hat, um Margarethens Hand zu werben, es war vielmehr [430] die Sehnsucht nach einer sorgenfreien Existenz. Als nun Schwan’s Antwort eintraf, da war Schiller’s höchster Wunsch in Erfüllung gegangen: Körner’s Freundschaft gewährte ihm jene Freiheit von irdischer Noth und vom Druck der Verhältnisse, die das Feuer der jugendlichen Dichterseele so frühe gedämpft hatten. An die Rückkehr zur Medicin, die auch in keinem Falle so ernstlich gemeint war, mochte er jetzt nicht mehr denken, damit zerrann aber auch der schöne Traum einer Verbindung mit Margarethen vor seinen Augen. In der ländlichen Abgeschiedenheit des Dorfes Gohlis suchte er seinen Schmerz über gescheiterte Hoffnungen zu überwinden.
Aus den düsteren Betrachtungen jener Tage ging das vielbewunderte Gedicht „Resignation“ hervor, in welchem der Dichter mit aller Schärfe den Gedanken ausführt, daß die Hoffnung auf einen Lohn im andern Leben nur ein beglückendes Phantom sei, indem die Hoffnung ihren Lohn ebensowohl in sich trage wie der Genuß. Schiller selbst hat jede Andeutung über die Veranlassung dieses Gedichtes, das er übrigens nicht als sein eigenes Glaubensbekenntnis, sondern nur als eine Aufwallung der Leidenschaft betrachtet wissen wollte, geflissentlich vermieden; und wenn nun Schwan, sein vertrauter Freund, mit aller Bestimmtheit erklärt, daß sich dasselbe auf das Verhältniß zu seiner Tochter Margaretha beziehe, so haben wir um so weniger Grund, diese Angabe zu bezweifeln, als Nichts einer solchen Annahme entgegensteht, weder die Zeit der Entstehung der ergreifenden Dichtung, noch auch die leidenschaftliche Aufregung jener Tage, in denen Schiller mit dem Theater, mit Dalberg und den Schauspielern immer mehr zerfiel, in denen die Leidenschaft der Frau von Kalb ihn beängstigte, statt ihn zu erheben, während seine Schuldenlast immer drückender wurde und die Huldigungen, die man von allen Seiten dem Geist und der Schönheit Margarethens entgegenbrachte, mit allen Qualen der Eifersucht ihn erfüllten.
Dem Schwan’schen Haus hat übrigens Schiller stets ein freundliches Andenken bewahrt. Als im nächsten Jahre Schwan mit seinen beiden Töchtern nach Leipzig reiste, empfing sie Schiller zu Meißen und begleitete sie dort wie in Dresden auf die freundlichste Weise. Noch am 2. Mai 1788 schreibt er an Schwan: „Glauben Sie, daß Ihr Gedächtniß in meinem Gemüth unauslöschlich lebt und nicht nöthig hat, durch den Schlendrian des Umgangs, durch Versicherungsbriefe aufgefrischt zu werden … Im Wieland’schen Hause wird mir oft und viel von Ihrer ältesten Tochter erzählt, sie hat sich da in wenigen Tagen sehr lieb und werth gemacht. Also steh’ ich doch noch bei ihr in einigem Andenken? In der That, ich muß erröthen, daß ich es durch mein langes Stillschweigen so wenig verdiene.“ An Margaretha selbst hat Schiller nie geschrieben. Das Schweigen des Dichters, dem sie eine warme Zuneigung bewahrte, hat schwer auf Ihrer Seele gelastet. Noch einmal sah sie ihn 1793 zu Heidelberg, als er mit seiner jungen Frau nach Schwaben reiste, ein Wiedersehen, das beide auf das Tiefste bewegte; Lotte von Lengefeld fand die einstmalige Nebenbuhlerin höchst liebenswürdig. So weit reichen meine Quellen über Schiller’s Verhältniß zu Margaretha Schwan.
Die Biographen Schiller’s berichten übereinstimmend, Margaretha Schwan sei in ihrem sechsunddreißigsten Lebensjahr gestorben an den Folgen einer Niederkunft. Auch diese Angabe ist falsch. Margaretha ist unvermählt geblieben. Am 27. Januar 1796 ward sie neben ihrer Mutter zur Ruhe gebettet, erst neunundzwanzig Jahre alt.
„Schwalben ziehen, Blätter fallen,
So zerfließt der Liebe Traum.“
- ↑ Ein wohlgelungenes Bild Margarethens, ihres Vaters, der Karoline Ziegler und Anderer, nebst einer Anzahl interessanter Autographen findet der Leser in dem in Mannheim erschienenen Prachtwerk von Götz: "Geliebte Schatten“ – ein Buch, das die wohlverdiente weitere Verbreitung nicht gefunden zu haben scheint.
- ↑ Ein Facsimile desselben befindet sich in dem erwähnten Buche „Geliebte Schatten“.