Schöpfungs-Glaube und Wissenschaft (1)

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Schöpfungs-Glaube und Wissenschaft. I.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 42–44
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Gedanken zur Evolutionstheorie und der Entstehung des Lebens
Artikel wird in Heft 4 fortgesetzt
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[42]
Schöpfungs-Glaube und Wissenschaft.
I.


In der Natur geht Alles natürlich zu und das Glauben fängt da an, wo das Wissen aufhört.

Woher das Material zum Weltenbaue stammt und Warum dasselbe vorhanden ist? Diese Fragen stellt sich die Wissenschaft nicht, weil sie weiß, daß diese niemals beantwortet werden können. Die Entstehung der vorhandenen Materie (des Stoffes) ist der menschlichen Erkenntniß entzogen und kann deshalb niemals Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein. Während der Glaube wohl einen Schöpfer kennt, der Alles zweckmäßig geschaffen und eingerichtet hat, erklärt die Wissenschaft die Materie für ewig und unvergänglich und sucht zu erforschen, Wie alles Vorhandene aus dieser Materie hervorgegangen ist. Für die Wissenschaft giebt es gar keine Schöpfung oder Entstehung des Stoffes, wohl aber eine Entstehung der Form und zwar durch allmähliche Entwickelung des Vorhandenen aus dem Vorhergegangenen. Sie sucht den innern gesetzmäßigen Zusammenhang aller Lebensformen zu finden und die allmähliche Auseinanderentwickelung des Vorhandenen darzuthun. Sie betrachtet diese Entwickelung, die mit der Bildung der Erdrinde beginnt und sich ununterbrochen vom Unorganischen (Gesteinen, Wasser, Luft, Erdboden) auf das Organische (Pflanzen, Thiere, Menschen) fortsetzt, als die nothwendige und unabänderliche Wirkung der physikalischen und chemischen Kräfte (Eigenschaften), welche an der Materie haften. – Die Ansicht, nach welcher Alles, besonders aber Pflanzen, Thiere und Menschen, Producte eines gütigen und zweckmäßig thätigen Schöpfers sind, pflegt man als „teleologische, vitalistische, dualistische“ zu bezeichnen; sie betrachtet die Entstehung der Materie als die Wirkung einer übernatürlichen Schöpfungsthätigkeit und ist ein reiner Glaubensartikel. Dagegen ist die Ansicht, welche das Eingreifen einer übernatürlichen, außerhalb der Materie stehenden schöpferischen Kraft leugnet und Alles, die organischen wie die unorganischen Naturkörper, als die nothwendigen Producte natürlicher Kräfte, als die nothwendigen Wirkungen ewiger und unabänderlicher Naturgesetze ansieht, als „mechanische, einheitliche, causale, monistische“ bezeichnet worden.

Das Material, welches zum Aufbau unserer Erde, und höchst wahrscheinlich des ganzen Weltalls, verwendet ist, besteht, wenn man dasselbe so weit, als es nur möglich ist, zerlegt, nur aus einigen sechszig Stoffen, welche nicht weiter in andere Stoffe zerlegt werden können. Diese unzerlegbaren Stoffe werden „Urstoffe, Elemente, Grundstoffe, einfache Körper“ genannt und nur sie sind es, durch deren verschiedenartige Vereinigung die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Körperwelt herbeigeführt wird. Keiner dieser Grundstoffe läßt sich in einen andern Grundstoff umwandeln und jeder hat seine ganz bestimmten Eigenschaften oder Kräfte, welche er, so lange er für sich allein besteht, weder verlieren noch ändern kann. Durch die verschiedenartigsten Vereinigungen der Urstoffe unter einander entstehen die sogenannten „zusammengesetzten Körper“, in welchen nun, durch die Verschmelzung der Eigenschaften der sich vereinigenden Elemente, ganz neue und bestimmte Eigenschaften (Kräfte) zu Tage treten, während die der einzelnen verschmolzenen Elemente nicht mehr bemerkbar sind. Wird dann ein zusammengesetzter Körper wieder in seine Elemente aufgelöst, so gehen mit der Auflösung desselben natürlich auch dessen Eigenschaften (Kräfte) verloren und es erscheinen die Elemente mit den ihnen eigenen Eigenschaften wieder. Vereinigt man zum Beispiel die beiden in ihren Eigenschaften sehr von einander abweichenden Elemente „Sauerstoff“ und „Wasserstoff“ mit einander, so bildet sich „Wasser“, ein Körper, welcher ganz andere Eigenschaften besitzt, als seine Elemente. Zerlegt man das Wasser, so kommen natürlich jene beiden Elemente mit ihren bestimmten Eigenschaften wieder zum Vorschein und die Kräfte des Wassers sind sammt dem Wasser verschwunden. – Die zusammengesetzten Körper, zu deren Bildung übrigens nur eine sehr geringe Anzahl von Grundstoffen beiträgt, bilden die Hauptmasse des Weltenbau-Materials, während die allermeisten Grundstoffe rein nur sehr vereinzelt in der Natur vorkommen.

Die Grundstoffe gehen, nachdem sie sich aus früheren Verbindungen losgetrennt haben, fortwährend neue Verbindungen ein und erzeugen so immerfort neue zusammengesetzte Körper mit neuen Eigenschaften und Kräften. Daher kommt es denn auch, daß die Erde auf ihrer Oberfläche und in ihrer Rinde seit Jahrmillionen ein immer anderes Ansehen erhalten hat und immerfort noch erhält. – In den allerfrühesten Zeiten unserer Erdbildung entstanden blos, ohne Zweifel der damals herrschenden Verhältnisse wegen, durch einfache, aber sehr feste Vereinigung nur weniger Elemente, zusammensetzte Körper von großer Einfachheit und ziemlich langer Existenz. Sie finden sich auch jetzt noch in und auf der Erde und zwar in flüssiger (luftförmiger und tropfbarflüssiger) und fester (erdiger, gestaltloser oder krystallinischer) Form vor, werden „unorganische, todte, leblose, unbeseelte Körper“ genannt, bilden zusammen das „unorganische Reich“ und sind: die Gesteine, das Wasser, die Luft und der Erdboden, welcher letztere aber erst durch Zerstörung (Verwitterung) der Gesteine entstanden ist. Den Anorganen fehlen Werkzeuge (Organe), mit deren Hülfe sie wachsen und sich in ihrer Existenz erhalten können, auch gehen eiweißartige Kohlenstoffverbindungen niemals in ihre Zusammensetzung ein. Alle Erscheinungen, welche an diesen anorganischen Naturkörpern zu Tage treten, sind nur die nothwendigen und unabänderlichen Wirkungen der physikalischen und chemischen Kräfte, welche an der Materie dieser Körper haften.

Aus diesen unorganischen Körpern (hauptsächlich aus den kohlenstoff- und stickstoffhaltigen) entwickelten sich allmählich durch veränderte Verbindung und Vermehrung ihrer Grundstoffe, sowie unter gewissen, uns zur Zeit noch unbekannten Umänderungen der damaligen Verhältnisse auf unserer Erde (welche anfangs mit einer sehr kohlensäurereichen Dunstatmosphäre umgeben war und wahrscheinlich einen großen Kohlen- und Stickstoffreichthum in ihrem Urweltmeere enthielt), Körper mit neuen und äußerst mannigfaltigen Eigenschaften (Kräften), welche durch die vielfach verschlungenen und sich durchkreuzenden Beziehungen und Verknüpfungen ihrer Grundstoffe zu einander sehr complicirte, aber lockere Verbindungen darstellen. Sie sind, eben wegen der leicht trennbaren Verbindung ihrer Grundstoffe, auch leicht zerstörbar und vergänglich, von kurzer Dauer, und bedürfen überhaupt zu ihrem Wachsen und Bestehen eines fortwährenden Sichneubildens. Bei ihrer Zerstörung, wo sie sammt ihren Eigenschaften aufhören zu existiren, lösen sie sich natürlich ebenfalls wieder in ihre Grundstoffe auf, die dann abermals in neue Verbindungen (zusammengesetzte Körper) ein- und zusammentreten. Die ganz besondere und von der in den Anorganen ganz verschiedene Verbindungsweise der Grundstoffe in diesen Körpern bedingt zunächst gewisse physikalische Eigenthümlichkeiten, insbesondere in der Dichtigkeit ihrer Materie. Denn während sich die Anorgane entweder in festem oder flüssigem Zustande befinden, haben diese Körper, wegen der Durchtränkung und Aufquellung ihrer festen Bestandtheile mit viel Wasser, eine festweiche Beschaffenheit. Der Grundstoff aber, welcher vorzugsweise diesen Körpern ihre Eigenthümlichkeiten und großen Verschiedenheiten von einander verleiht, ist der Kohlenstoff. Dieser erzeugt nämlich durch seine ganz besondere Neigung zur Bildung verwickelter Verbindungen mit den anderen Elementen die größte Mannigfaltigkeit in der chemischen Zusammensetzung und so auch in den Formen und Eigenschaften jener Körper. Er ist es, welcher in seiner Verbindung mit drei anderen Elementen, vorzugsweise mit Stickstoff, sodann aber auch noch mit Sauerstoff und Wasserstoff (zu denen sich in der Regel noch Schwefel und Phosphor gesellt) die ganz unentbehrliche chemische Grundlage für die Existenz jener Körper abgiebt. – Es besitzen nun diese äußerst complicirt zusammengesetzten Körper bald eine größere, bald eine geringere Anzahl von „Organen“, d. h. von Werkzeugen, von denen jedes einzelne seinen ganz bestimmten Bau, seine eigene Form und sein von Form und Bau abhängiges, bestimmtes Geschäft (und zwar ein anderes als das andere) hat, alle zusammen aber zum Bestehen des Ganzen thätig sind. Man nennt diese Körper deshalb auch „organische Körper oder Organismen“ und rechnet zu ihnen die Pflanzen, Thiere und Menschen. In den pflanzlichen Organismen findet sich überwiegend der [43] Kohlenstoff (welcher einen Hauptbestandtheil der Kohle und Kohlensäure bildet) vor und dieser wird deshalb auch „Phytogen, Pflanzenstofferzeuger“ genannt, während der Stickstoff (im Ammoniak reichlich vorhanden) in dem thierischen und menschlichen Organismus vorherrschend ist und darum als „Zoogen, Thierstofferzeuger“ bezeichnet wird. Der Sauerstoff oder die Lebensluft ist sodann der Vermittler aller Bewegungen und Thätigkeiten in organischen Körpern und unterhält in diesen den gehörigen unentbehrlichen Wärmegrad mit Hülfe von Verbrennungen.

Für ihre kurze Existenz haben es die Organismen durchaus nöthig, daß ihnen fortwährend solche Stoffe zugeführt werden, aus denen sie selbst ihren Körper, der sich immerwährend abnutzt, fort und fort neu aufbauen. Man pflegt dieses fortwährende Neubilden und Absterben der Bestandtheile der Organismen „Stoffwechsel“ zu nennen. So lange derselbe im Gange ist, sagt man von jedem organischen Körper „er lebt“, betrachtet Stoffwechsel und Leben als gleichbedeutend und nennt die organischen Körper auch „belebte, lebende, lebendige“. Hört der Stoffwechsel in ihnen auf, dann pflegt man dies „Sterben, Tod“ zu nennen, und in dem dadurch zur „Leiche“ gewordenen Organismus tritt nun durch Trennung der verschiedenen, sehr locker mit einander verbundenen Elemente die Zerstörung der organischen Substanz (durch Fäulniß, Verwesung, Vermoderung, Gährung) und damit die Umbildung derselben in unorganische Stoffe ein. Auf diese Weise hört zwar jeder organische Körper als solcher mit seinen Eigenschaften nach seinem Tode scheinbar ganz auf, allein es dauern seine Grundstoffe (meist zu unorganischen Stoffen, Gasen, Asche, vereinigt) fort und helfen wieder neue Körper bilden. Das den Stoffwechsel bedingende, aber auch nur von physikalischen und chemischen Kräften abhängende Zusammen- und Aufeinanderwirken der organischen Stoffe in einem Organismus, wodurch dieser aufgebaut und während seiner Lebenszeit in der ihm eigenthümlichen Form erhalten wird, pflegt man als „Lebenskraft, Seele“ zu bezeichnen und die organischen Körper deshalb auch „beseelte“ zu nennen. In diesem Sinne hätte also die Pflanze ebenso gut eine Seele wie der Mensch. – Ob die Selbsterzeugung von Organismen aus anorganischen Stoffen ebenso wie früher in der Urzeit auch heute noch fortdauert, ist noch unentschieden. Verschiedene Beobachter wollen allerdings Infusorien durch freiwillige Zeugung haben entstehen sehen. Das scheint aber ziemlich sicher, daß alle organische Materie, welche heutzutage auf unserer Erde existirt, einst aus der unorganischen (mineralischen) hervorgegangen ist.

Die, organische Körper zusammensetzende eigenthümliche Masse pflegt man „organischen Stoff“ zu nennen und die diesem Stoffe zukommende Form (Structur und Textur) als „organisirte“ zu bezeichnen. Bei allen Organismen kommt nun die Organisation auf ganz dieselbe Weise zu Stande, nämlich durch die Zellenbildung, und diese geht auf folgende Weise vor sich: In dem sogenannten „Plasma, Protoplasma oder Cytoplasma, Sarkode, Oken’s Urschleim“, d. i. einer formlosen und structurlosen, aus eiweißartiger Kohlenstoffverbindung bestehenden schleimigen Masse (welche der wesentlichste und nie fehlende Träger der Lebenserscheinungen in allen Organismen ist) entwickeln sich zu allererst nur durch das Mikroskop sichtbare festere rundliche Kerne, in denen noch kleinere Körperchen (sogenannte Kernkörperchen) sichtbar werden. Sehr bald bildet sich um jedes kernhaltige Eiweißklümpchen eine Hülle (Zellhaut, Zellenmembran) und nun ist eine einfache Zelle entstanden. Jeder Organismus (Pflanze, Thier und Mensch) ist anfangs weiter nichts, als eine einfache Eizelle, ein einziges Schleimklümpchen mit einem Kern. Aus diesem einzelligen Urwesen, welches weder Thier noch Pflanze ist, bildet sich durch weitere Entwickelung der Mensch, das Thier und die Pflanze hervor. Innerhalb der Zelle zerfällt nämlich der Zellenkern durch Selbsttheilung in zwei Kerne und um jeden häuft sich Zelleninhalt an, so daß nun in einer Zelle (Mutterzelle) zwei junge Zellen (Tochterzellen) sich befinden. Diese beiden Zellen zerfallen durch fortgesetzte Selbsttheilung in vier, diese in acht, in sechszehn, zweiunddreißig etc. Zellen und endlich ist ein kugliger Haufen von sehr zahlreichen kleinen Zellen (Embryonalzellen) entstanden, die nun durch weitere Vermehrung (Zellenwucherungsproceß durch Theilung) und ungleichartige Ausbildung (zu Plättchen, Fäserchen, Röhrchen, Häutchen) allmählich den ganzen Organismus in allen seinen Theilen aufbauen. Jeder Organismus, mit Ausnahme der allerniedrigsten organischen Körper (Moneren), hat im Beginne seiner Entwickelung diesen sogenannten „Zerklüftungs- oder Furchungsproceß“ durchmachen müssen. – Die Zellenbildung ist nur bei Luftzutritt und dem gehörigen Wärmegrade, sowie natürlich beim Vorhandensein jenes Plasmas möglich; letzterem dürfen aber gewisse chemische Substanzen, nämlich: Wasser, Eiweißsubstanz (Eiweiß, Kleber), kohlenwasserstoffige Substanz (Fett, Stärke) und Salze (vorzugsweise Kochsalz und Kalksalze) nicht fehlen. Man trifft die genannten, zur Zellenbildung unentbehrlichen chemischen Substanzen in ihrer Vereinigung: im Thier-Ei und im Pflanzen-Samen, im Blut und in der Milch. – Die Pflanzen haben die Fähigkeit, unorganische Stoffe als Material zum Aufbau ihrer Zellen verwenden zu können, während Thiere und Menschen zu ihrem Bestehen durchaus organischer Stoffe bedürfen. Und deshalb, nicht weil die Pflanze bei ihrem ersten Entstehen unvollkommener als das Thier war, dürfte von den Organismen die Pflanze vor dem Thiere auf unserer Erde existirt haben.

Betrachtet man nun die Organismen, welche auf unserer Erde seit der ersten Entwickelung organischer Körper gelebt haben und zur Zeit noch leben, so ergiebt sich, daß eine scharfe Grenze zwischen den einzelnen nicht aufzufinden ist und daß alle zusammen eine ununterbrochene Kette von Körpern bilden, deren unterstes Glied die einfachsten, nur aus einer oder wenigen Zellen bestehenden Pflanzen und Thiere sind, während das oberste der Mensch ist. An der untersten Grenze des Lebens stehen einzellige Wesen, welche man weder für Thiere noch für Pflanzen erklären kann und Protisten, Urwesen nennt. Ist eine solche Zelle mit Zusammenziehungs- und Ausdehnungsfähigkeit versehen (contractil), so theilt man sie dem Thierreiche, ist sie es nicht, dem Pflanzenreiche zu. Manche sind aber nur zeitweilig contractil und deshalb Mittelglieder zwischen Thier und Pflanze. Der Uebergang vom Pflanzen- zum Thierreiche ist also ein so unmerklicher, daß man von manchen Körpern nicht weiß, ob sie zu den Pflanzen oder zu den Thieren zu rechnen sind (Oldhamia, Phytozoen und Zoophyten). Auch Uebergänge zwischen den einzelnen Wirbelthierclassen existirten und existiren noch, wie von den Amphibien zu den Fischen und Vögeln. Selbst der Uebergang vom Thiere zum Menschen ist ein sehr allmählicher, wie der Schritt vom Affen zum Neger beweist, welcher die Annahme eines eigenen „Menschenreiches“ nicht zuläßt. Ja selbst der Uebergang aus dem unorganischen Reiche in das organische ist ein kaum bemerkbarer, wie die Lithophyten, Nulliporen und Korallen beweisen. – Verfolgen wir nun die Organismenkette von unserer jetzigen Erdoberfläche aus in die Erdrinde hinein bis zu der Stelle, wo zuerst organische Körper auftraten, und vergleicht man die in den verschiedenen Schichten der Erdrinde vorhandenen versteinerten Ueberreste der damals lebenden Thiere und Pflanzen untereinander und mit den jetzt lebenden, so zeigt es sich deutlich, daß alle verschiedenen Thier- und Pflanzenarten, welche jemals existirt haben und noch existiren, nur die veränderten und immer vollkommner gewordenen Nachkommen ihrer einfacheren Vorfahren sind und schließlich von einer einzigen oder einigen wenigen, höchst einfachen, ursprünglichen Stammformen abstammen. – Jedoch ist dabei stets zu bedenken, daß die jetzt vorhandenen Formen nicht etwa direct aus einander hervorgegangen, sondern nur die Abkömmlinge, Endglieder oder letzten Resultate einzelner Abzweigungen aus den großen Entwickelungsstämmen der Vergangenheit sind, gebildet durch eine Millionen Jahre dauernde, langsame Arbeit der Natur. Es ist eine Unmöglichkeit, daß solche Ausläufer einer für sich verlaufenden Reihe an ihren Endgliedern oder Endpunkten in einander übergehen können. Aus einem Esel kann niemals ein Löwe, aus einem jetzigen Affen kein Mensch werden, obschon sie in der Vergangenheit einer Wurzel entsprossen zu sein scheinen. Wie bei einem Strauche die Zweige neben einander in verschiedener Höhe emporwachsen und aus einem Zweig immer andere Zweige hervorgehen, so verhält es sich bei der ursprünglichen Bildung der Pflanzen und Thiere. Aus einem gemeinsamen Urstamme wuchsen verschiedene Abtheilungen hervor, von welchen sich eine jede für sich weiter fortbildete und sich mit jedem Schritt weiter von ihrem ersten Vorbild entfernte, ohne directen Zusammenhang weiter mit den anderen Abtheilungen zu haben. Auch der Mensch scheint hinsichtlich seiner Entwickelung von den Pflanzen und Thieren keine Ausnahme zu machen, auch von ihm [44] glaubt die Wissenschaft nachweisen zu können, daß er sich zuerst aus ganz niederen Thieren und zuletzt erst aus dem Affen hervorgebildet hat. – Bis jetzt waren die Uebergänge aus einer Thierform in die andere sehr schroff und lückenhaft und die Bindeglieder zwischen den einzelnen Formen noch nicht bekannt; neuerlich sind aber (besonders durch Waagen und Carl Mayer) schon manche derartige Lücken durch fossile Belegstücke ausgefüllt, und so wird mit jedem Tage die Auseinanderentwickelung der Organismen immer unbestreitbarer.

Der Mensch soll, nach Darwin, von einem lebenden Vierfüßer abstammen, welcher, mit einem Schwanze und zugespitzten Ohren versehen, wahrscheinlich in seiner Lebensweise ein Baumthier und ein Bewohner der alten Welt war. Die Vierfüßer und alle höheren Säugethiere rühren nun aber von einem Beutelthier, und dieses durch eine lange Reihe verschiedenartiger Formen wieder von irgend einem fischähnlichen Thiere her. Der frühere Urerzeuger aller Wirbelthiere war sodann ein Wasserthier, welches mit Kiemen versehen war, dessen beide Geschlechter in einem Individuum vereinigt und dessen wichtigste Körpertheile (besonders das Gehirn) unvollständig entwickelt waren. Dieses Thier scheint den (kaulquappenähnlichen) Larven unserer jetzt existirenden Meer-Mantelthieren sehr ähnlich gewesen zu sein.

Nach Häckel, welcher schon früher als Darwin diesen seinen hypothetischen Stammbaum des Menschengeschlechts aufstellte, ist der echte (sprechende) Mensch der Jetztzeit mit seinem entwickelten Gehirn und seiner articulirten Sprache der nächste Nachkomme eines sprachlosen oder eines nur mit thierischer Lautsprache begabten Affen- oder Urmenschen, welcher sich aus dem Menschenaffen, einer schwanzlosen Schmalnase, entwickelte, die unserm Gorilla und Schimpansen (in Afrika), Orang und Gibbon (in Asien) ähnelte. – Die Vorfahren des Menschenaffen oder der Anthropoiden waren Schwanzaffen, geschwänzte schmalnasige Affen mit dichtbehaartem Körper und langem Schwanze, welche unseren Nasen- und Schlankaffen glichen. – Diese entstanden nun aus den Halbaffen durch Umbildung des Gebisses und Verwandlung der Krallen in Nägel. Diese unsere Halbaffen-Ahnen besaßen vermuthlich nur ziemlich entfernte äußere Aehnlichkeit mit den heutigen kurzfüßigen Halbaffen (Maki, Indri und Lori) und waren die Nachkommen von (den Beutelratten verwandten) Beutelthieren. Diese, welche den heute noch lebenden Opossum und Känguruh nahe standen, nahmen ihren Ursprung aus Stammsäugern, deren Bau dem unserer Schnabelthiere glich. Sie bildeten die Stammform aller Säugethiere und entwickelten sich aus den Ur-Amnioten durch Umbildung der Oberhautschuppen dieser Vorgänger zu Haaren und durch Bildung einer Milchdrüse zur Ernährung der Jungen. Die Uramnioten sind als die gemeinsame Stammform der drei höheren Thierclassen anzusehen und entstanden aus Schwanzlurchen dadurch, daß diese der Kiemen verlustig gingen. Diese amphibischen Vorfahren, ähnlich den heutigen Salamandern und Molchen, fingen schon an, wie ihre Vorgänger, die dem heutigen Proteus ähnelnden Kiemenlurche, zeitweilig durch Lungen zu athmen. – Die Lurche bildeten die Stammformen aller lungenathmenden Wirbelthiere und der Amphibien. Mit ihnen begann die fünfzehige Fußbildung, die sich von da auf die höheren Wirbelthiere und zuletzt auch auf den Menschen vererbte. Sie kam durch Umbildung der rudernden Fischflossen der Lurchfische zu fünfzehigen Beinen zu Stande. – Unsere Fischvorfahren sind nun die Lurchfische, welche den heutigen Molchfischen (Lepidosiren) ähneln, sowie die Urfische mit Haifischähnlichkeit. Die ersteren entstanden aus den Urfischen durch Anpassung an das Landleben und Umbildung der Schwimmblase zu einer luftathmenden Lunge; die letzteren gingen aus den niedrigsten Schädelthieren, den Unpaarnasen, welche den noch lebenden Rundmäulern (Cyclostomen) ähnelten, hervor und diese wieder aus den Schädellosen, welche mit unseren jetzigen Lanzetthierchen entfernte Aehnlichkeit hatten. – Von jetzt an verlassen unsere Ahnen die Wirbelthierreihe und gehen in die Wirbellosen über, zunächst in die Sackwürmer, welche den Uebergang der Wirbellosen zu den Wirbelthieren machen und unseren Mantelthieren (Seescheiden) am nächsten standen; sodann in die Weichwürmer (ähnlich den heutigen Tunicaten und Turbellarien) mit beginnender Bildung eines Athmungs- und Darmapparates; die Strudelwürmer, welche aus den mundführenden bewimperten Infusorien mit der ersten Bildung eines Nervensystems und der einfachsten Sinnesorgane hervorgingen, während die Wimperinfusorien sich aus den Flimmerschwärmern (den heutigen Opalinen und Amphioxus ähnlich), und diese, mit der ersten Bildung eines Darmcanals, aus den Synamöben (Amöben-Zellen-Haufen), diese aber aus den Amöben (einzelligen Urthieren) entwickelten. – Schließlich gerathen wir also als auf die ältesten Vorfahren des Menschen, wie aller anderen Organismen, auf lebende Wesen der denkbar einfachsten Art, auf Organismen ohne Organe, auf ein ganz einfaches, durch und durch gleichartiges, structurloses und formloses Klümpchen einer schleim-eiweißartigen Materie (Protoplasma) ohne Zellenkern. Noch heute existiren derartige Urorganismen als Moneren (der Zusammenziehung und Wiederausdehnung fähige Eiweiß- oder Plasmaklümpchen). Diese sind aber höchst wahrscheinlich auf chemisch-mechanische Art durch Urzeugung, freiwillige oder elternlose Zeugung, aus kohlenstoff- und stickstoffhaltigen „anorganischen Verbindungen“ hervorgegangen. Daß aus unorganischen Stoffen organische Substanzen zu erzeugen sind, hat die neuere Chemie bewiesen, welche sogar dem Eiweiß, Fett und Leim ähnliche Substanzen künstlich, nur aus anorganischen Stoffen, dargestellt haben will. Daß aber für uns Pflanzen und Thiere niemals künstlich aus Anorganen zu entwickeln sein werden, liegt darin, daß der Mensch die Arbeit, welche die Natur dabei viele Millionen Jahre lang angewendet hat, nicht nachzuahmen im Stande ist.

Wie die Umwandlungen der Organismen zu Stande kamen, davon nächstens.

Bock.