Schönbrunn
Wenn der erste Frühlingsstrahl auf den Giebeln der Wiener Häuser den Schornsteinen erzählt, daß er nun Baum und Strauch im Walde wieder reifen machen müsse, damit sie im nächsten Winter nicht darben, da pilgern die Wiener schon hinaus nach Schönbrunn, dem schönen Sommerschloß ihres Kaisers, um die Blumenflur, die prachtvollen Hyacinthenbeete mit ihrem süßen, lieblichen fast überwältigenden Duft und ihrem märchenhaften Farbenschimmer, die sie wie Sultane aus orientalischen Zelten ergießen, in Augenschein zu nehmen.
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[30] Wenn die Pilger nach Mekka mit ihren fanatischen Sängen und Sprüchen durch die Dörfer und Weiler ziehen, faßt die stillen friedlichen Bewohner oft ein Drang, sie verlassen Haus und Hof, Heimath und Heerd, bis sie erschöpft irgend wo niedersinken, und dann wieder still und friedlich heimkehren.
Wenn nun die eingefleischten Wiener Linienpilger mit vielversprechenden Hemdkrägen, flammenden, vielsagenden Blicken schon in den ersten Maitagen nach Schönbrunn gehen, wenn die zahllosen Kutschen mit allem erdenklichen Gespann, Fiakres, Comfortables, Stellwagen unter betäubendem Gerassel einen besonderm Drang nach der „Schönbrunner Linie“ haben, da faßt den friedlichsten Wiener, der bisher zurückgeblieben, den ingrimmigsten Strazzawurm, den verschollensten Zimmerhüter eine unabweisbare Neigung, er muß auch „heuer einmal wieder“ nach Schönbrunn!
Einmal wieder! Schönbrunn ist der Traum der Kinder, die Heimath ihrer ersten Wunder, der Urquell der Erinnerung an alle die „reißenden Thiere“, Gold- und Silberfischlein im krystallenen Teich, an alle die phantasieverwirrenden „Pflanzenungeheuer“ der Tropen, bis in das späteste Alter; der Jüngling wandelt hier sicher einmal mit seiner Geliebten in einer stillen Allee, der Gatte mit seiner jungen Gemahlin, und das Alter selbst glaubt, daß die Sonne nirgends so geregelt und wohlthuend scheine, die Luft nirgends so „angemessen“ sei, als in Schönbrunn.
Diese enge Bekanntschaft des Wieners mit Schönbrunn von Jugend auf läßt ihn Theil an Allem hier nehmen, und die geringste Neuerung daselbst wird ein Stadtgespräch; er kennt jeden Bären im Teiche, die Größe der Zähne des Elephanten, die Pelze der Beutelthiere, die Physiognomie der Giraffen, er controlirt sie, er kommt jährlich nachsehen, wie sie sich befinden, ob sie zu- oder abgenommen; sie sind ein Theil Altwiens und des Altwieners.
Man kann sich nichts Reizenderes, im Einzelnen Schlichteres und doch im Gesammt großartiger Ueberraschendes denken, als die kaiserliche Sommerresidenz Schönbrunn. Wenn man von der Wiener Straße, vor der Brücke etwas geneigt, abwärts fährt, und ganz Schönbrunn als schiefe Ebene dadurch in die Höhe gehoben wird; wenn man von da über das große Schloß hinweg in das riesige Parterre des Gartens mit seinem saftigen Grün, seinen farbenreichen Blumen und den blitzenden Springbrunnen sieht, und im Hintergrunde, abschließend auf der Höhe, wie eine schwebende, emporgehaltene, sonnig-goldene Krone, das „Gloriett“ – dann hat man einen der reizendsten Anblicke von der Vermählung der Natur mit der Kunst genossen!
Wenn ganz Schönbrunn dem Fremden bei dem ersten Anblick wie eine tausendfältige erschlossene Wunderblume erscheinen mag, so ist das Gloriett, rückwärts und auf der Höhe, mit seinen feinen Gliedern, mit dem glitzernden und blitzenden Scheibenschimmer, seinem Mittelkörper und den graziösen durchsichtigen Seitenflügeln ein wunderschöner Schmetterling, der sich auf dem Ganzen mit ausgebreiteten Flügeln niedergelassen.
Nicht anders sieht das Gloriett (oder die Gloriette) aus. Dort, wo es steht, sollte nach ursprünglichem Plane das ganze Hauptschloß zu stehen kommen; aber Kaiserin Maria Theresia ließ mit seltenem Scharfblicke das Vordergebäude um ein Stockwerk erhöhen, die Seitengebäude ganz neu errichten, und Kaiser Joseph II., mit der Grazie, die ihm eigen war, ließ aus dem Projecte das Mittel- und Kelchstück der ganzen Architekturblume herausheben, und pflanzte es so geist- und geschmackvoll, so luftig und duftig, so groß in seiner Kleinheit, auf die Höhe.
Von dem Plateau desselben, das man betreten kann, sieht man bis nach Ungarn hinein, und Kaiserin Maria Theresia hat von hier aus jeden Morgen einer geliebten Tochter nach Preßburg (auf dem jetzt in Ruinen liegenden Bergschlosse) ein grüßendes Signal gesendet oder ein solches empfangen.
Fischer v. Erlach, der die von selbst dem Staunen sich aufdrängende Karlskirche, die Hofbibliothek und die monumentale Reichskanzlei in Wien gebaut, hat auch Schönbrunn in seiner jetzigen Gestalt entworfen. 1619 hat wohl Kaiser Matthias den „schönen Brunn“ geehrt, im Jagdschlößlein haben später die Wittwen der Ferdinande II. und III. gewohnt; aber die Türken brachen mit ihrer Verwüstung herein, legten Alles in Asche, und machten den Hain zum Schauplatz blutiger Gräuel. Er ward ein wildes Gehölz, wie vorher, bis Leopold I. seinem obengenannten Landbaumeister 1696 befahl, wieder einen Sommerpalast aufzubauen. Er war aber noch immer so klein und unansehnlich, daß die „große Kaiserin“ sechs Jahre, von 1740 an, daran weiter bauen ließ. Jetzt hat er an 1000 Zimmer, und die Breite des Ganzen beträgt 700 Klafter.
Da kann man, wie die Hausfrauen sagen, seine Sachen schon stellen! Die Brücke vor dem Schlosse führt über einen etwas weniger reizenden Fluß, als der Arno oder der Mississippi ist, nämlich die mit der Themse an Größe aller Uebel wetteifernde kleine „Wien“. Am schönsten nimmt sie sich im Hochsommer aus, wenn sie gar nicht da ist; und wie man auf dem Bilde sieht, gehört eine Löwennatur dazu, um bei ihr auszuharren. Aber auch die Löwen kehren der Wien wenigstens den Rücken. Nach der Schönbrunner Seite liegen schon zwei Sphinxe; sie sehen aber so begehrlich aus, daß, wenn man kein anderes Sehnen bei diesen räthselhaften und reizenden Gestalten begreift, gewiß jenes: von hier weg nach den Obelisken, wo die Hauptwache ist, zu kommen.
Der große majestätische Hofraum mit den prachtvollen Freitreppen, mit dem Gewimmel von Wagen und Fußgängern, die auch rechts und links nach den angrenzenden Ortschaften eilen, würde weit größeren Reiz auf uns üben, wenn nicht aus den offenen Thorbogen unter dem Hauptbalkone Duft und Schimmer, Grün und Sonnenschein des Gartens, wie aus den Augengläsern eines Panorama’s, perspectivisch und lockend herauswinken würden.
Doch eilen wir nicht zu rasch davon, dieser Raum hat Großes, Heiteres und Tiefbetrübendes gesehen. Hier woben die Fäden des siebenjährigen Krieges; hier hat Joseph II. seine Brautzüge gefeiert; hier hat Erzherzog Karl 1801 seine tapferen Schaaren und Reichsvertheidiger als im Hauptquartiere gemustert; hier hat Napoleon I. auf seinem Siegeszuge 1809 gewohnt und die Marschälle der „großen Armee“ haben hier in der Sonne glänzend paradirt, hier hat gleichzeitig Staps mit dem Eisen gezuckt, um den Sieger im Laufe zu hemmen; er ward von Rapp mit eigener Hand erfaßt und wenige Tage darauf rechts vor der Mauer erschossen; hier hat der selbstgekrönte „Kaiser“ decretirt: es gibt kein päpstliches Rom, sondern ein Königreich mehr; hier lebte und starb sein Sohn, der „König von Rom“, ohne Rom und ohne Königreich, im selben Raume, wo sein mächtiger Vater decretirt!
Und nun rasch, ehe die Wehmuth über Vergänglichkeit, ehe eine Schaar gespenstiger Gestalten in Turbanen, Wämsen, Eisenharnischen oder Seidenstrümpfen vor unseren inneren Blicken auftaucht – rasch hinein in das erquickende Aetherbad des Gartens!
Es ist ein prachtvoller Anblick! So sehr der Geschmack über die Maßregelung der Natur hier grollen mag, der Anblick bleibt ein prächtiger! Die Bäume bilden grüne glatte Wände und kein Lineal des Maurers würde sie glätter aufgeführt haben. Vor den grünen Wänden, als Hüter der träumerisch halbdunklen, bogengewölbten Baumgänge, stehen die blendend weißen, marmornen Statuen mit geheimnißvollen Leibern. Im Hintergrunde quellen und rauschen die Brunnen und springen in den glitzernden Sonnenschein hinein.
Doch das ist nicht der „schöne Brunnen“. Hier thront Neptun über einer Grotte und die Thetis bittet den wässerigen Gott, ihren Sohn Achill auf der Seefahrt zu assecuriren. Welche Antwort sie in diesem Wasserrauschen erhält, habe ich bisher nicht verstehen können – ich will einen Wasserpolaken fragen!
Der „schöne Brunn“, dieser kühle, liebe Brunnen steht nicht so offen auf dem Markte zur Schau, ist nicht so lärmend und prangend. Biegen wir links in die Stille der halbdunkeln, lauschigen, grünen Gänge ein – sehen Sie die kleine runde Kuppel ragen? – Das ist die Kuppel eines stillen, bescheidenen Tempelchens, und in diesem Tempel rieselt der kühle Quell. Hier hat der gewaltige Jäger Kaiser Matthias 1619 geruht und sich erquickt, hier hat er die erste Idee zu dem schönen Jagdschloß gefaßt! An seiner Stelle ruht eine steinerne Nixe, Najade, Elfe, Fee, Sirene – nenne man sie nach Belieben, sie ist ein göttliches, marmornes Weib! Diese liegende, ruhende Gestalt der Quelle ist eine Pilgerfahrt werth. Wenn Pygmalion himmlisches Feuer stahl, um eine Statue zu beleben – im Anblick dieser würde man ihm Recht geben. Wenn Einer Anlagen hat, zum Narren zu werden und einem weißen Marmorweibe an die Brust sinken will, hier gebe ich ihm die genaueste Adresse, er komme hieher, hier kann es ihm gelingen; ich bin immer nur beim halben Ziele angelangt!
Wenn ich kam und ein Philister sich mit seinem physiognomielosen Theile an diese Göttliche lehnte, sein Glas Wasser schlürfend – und die Philister haben immer Durst und könnten um keinen Preis vorübergehen, ohne zu trinken – ich hätte ihm mögen Rattenpulver in’s Glas geben!
[31] Dieses im Allgemeinen noch immer nicht ganz gewürdigte Meistergebilde ist von einem Deutschen, und noch dazu von einem „Gothaer“, aus Tyroler Marmor gefertigt. Die Gothaer sind also zum Aushauen vortrefflich! Der selige Gothaer hieß Jos. Wilh. Bayer, war 1729 geboren und starb als hochbetagter Greis im nahen Hietzing. Von ihm sind alle Statuen des Gartens entworfen und modellirt, er erhielt einen für die damalige Zeit hohen Preis, 2000 fl. per Kopf; für diesen, das Meisterwerk unter allen, wäre ein Schloß nicht zu viel!
Und nun fort von der verführerischen Gestalt, die das marmorene Räthsel aller Reize der Umgebung zu sein scheint, und begeben wir uns zur nahen römischen Ruine, die, künstlich erbaut, einer wirklichen täuschend ähnlich sieht. Von hier aus ist uns ein Blick auf den mächtig ragenden Obelisk gegönnt, den vier goldene Schildkröten tragen und unsere Phantasie von Rom nach den Ufern des Nils zu versetzen suchen. Wir wollen aber nicht den Ibis hören und die Fledermäuse, die aus den Pyramiden schwirren, sondern den tausend heimischen Sängerkehlen lauschen, die da rings ihre Heimath gefunden und deren laubumschattete Nester, vor Frevlerhand streng geschützt, die Missionäre für Liebe und Freude und Bewunderung jährlich neu aussenden! – Doch horch – welche gewaltige Stimme donnert in diese Ruhe und Melodieen hinein? Es ist die Stimme des Königs der Wüste, der von der entgegengesetzten Seite zornig brüllt, daß wir seiner Größe noch nicht huldigend genaht. In der Häuser-Rotunde, rechts vom Mittelplane, wohnt er, ein gefangener König, und wenn wir eilen, sehen wir vielleicht, wie eben der Wärter ihm ein Stück Fleisch hinwirft und er gierig frißt, gerade wie der König von Audh! Die Rotunde der Menagerie mit allen möglichen Ungeheuern Asien’s, Afrika’s und Amerika’s, dem ewigen betäubenden Gekreische der Papageien im Mittelpavillon, ist allein ein reichhaltiges unerschöpfliches Genrebild. Hier hausen die Mägde mit unzählbaren Kindern, hier sieht man die komischsten Bauern mit glotzenden Augen, die Gesellen und Soldaten aus allen möglichen Nationalitäten und mit welchen Gesichtern! Ein einziger Fang mit dem photographischen Apparate vor dem Affenhause ließe die gesammte Münchner Schönheiten-Gallerie weit hinter sich! Der Elephant beschäftigt sich Sonntags mit nichts als mit Semmel- und Kuchenfressen. Er verdaut mehr wohlthätige Spenden, als sich anderswo mit großer Mühe während einer Woche auftreiben ließen. Die Land- und Wasserbären sind die ersten Freunde und Bekanntschaften des sonst ganz fremden Handwerksburschen, die Lehrjungen entwickeln besonders eine rührende Neigung zu ihnen, und was die dreisten Fischlein draußen mit ihren verlangend gestreckten Köpfen und glotzenden Augen übrig gelassen, wird hier lucullisch gespendet. Die Naturgeschichte erhält hier im Allgemeinen vor den Käfigen und gesprächsweise Bereicherungen, vor denen Buffon, Raff und selbst die Gebrüder Schlagintweit schaudern würden!
Auf welchem Punkte der Fuß in diesem Garten ruhen mag, immer öffnen sich zahlreiche Wege und Sichten in die Ferne. Der Elegant sitzt auf den kühlen Bänken, neben der schüchternen Schönheit vom Lande, der alte Herr mit der Dose neben der reizenden Dame der Saison. Hier wandeln alle Uniformen, die gemeinen truppweise; hier führen „Bädecker“, französische, englische, italienische Reisebücher ihre Eigenthümer mit in die Luft gestreckten Nasen kreuz und quer; hier hört man bei dem polyglotten Zustande des Reiches alle Sprachen, und die Töne aus der Menagerie sind darunter immer noch nicht die unmelodischsten.
Bis der Abend hereinbricht, strömt die Menge aus und ein; endlich, wenn das Dunkel beginnt und das Gloriett in der Abendsonne flammt, wie ein Phönix, der sich in Gluthen taucht, wenn die Teiche, das Schloß und der Garten mit Perlenmutterschimmer übergossen sind, sagt der glänzende Gensd’arm an der Freitreppe denen, die hinein wollen: „ich bitte, es wird bald gesperrt!“ dann ertönt in Zwischenräumen drei Mal die weithinschallende Glocke – furchtbar lange Schatten streichen über den gelben Sand, die Ausgänge füllen sich, der große Hof und die Wege nach den Flügeln wimmeln, und fast in allen Besuchern ist eine Empfindung rege: Hunger!
So sehr Ansichten und Zwecke hier auch auseinander laufen mögen, darin sind alle Wiener zu allen verschiedenen Tageszeiten einig: der Weg durch Schönbrunn und die Luft daselbst „zehrt!“ Damit nun die Luft diesen Beruf nicht allein übe, verfügen sie sich regelmäßig zu den zahlreichen Wirthsgärten der Umgebung – hier baut nun jeder sein eigenes Schloß in die Luft!