Sanct Petrus in Elsaß-Lothringen

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Titel: Sanct Petrus in Elsaß-Lothringen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 423–424
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[423] Sanct Petrus in Elsaß-Lothringen. Anunas der Fromme und Sanct Petrus haben in grauer Vorzeit das Rheinthal in Besitz genommen und auch unserem schönen Ländchen den Stempel der römischen Weltherrschaft aufgedrückt. So will’s die ultramontane Ueberlieferung, die noch immer in Elsaß-Lothringen ein Vorland deutscher Zunge unter römischem Scepter, sieht. Mit gierigem Griffe erfaßten unsere Ultramontanen Alles, was zur Herstellung der römischen Herrschaft tauglich erschien. Man trifft im Elsaß zahlreiche Kirchen, Abteien und Ortschaften an, die dem Andenken des Apostelfürsten geweiht sind. Die Vornamen Peter und Jean-Pierre gehören zu den beliebtesten in Deutsch-Lothringen. Viele Familiennamen, wie Mattern, Matter, Mattel, Matt erinnern an den heiligen Maternus, welchem Petrus die Leitung der elsässischen Kirche anvertraut hatte. Im Munde des Volkes aber spielt Petrus eine ganz andere Rolle, als in der kirchlichen Ueberlieferung.

August Stöber, der treue Eckart unseres alemannischen Volksstammes, erzählt uns in seinem elsässischen Sagenbuche eine komische Legende, die er in der Umgegend von Buchsweiler aufgezeichnet und die weit mehr mit der Passionsgeschichte als mit den Beschlüssen des vaticanischen Concils übereinstimmt: Christus und Petrus kommen in der Erntezeit zu einem reichen Pächter und lassen sich von ihm als Drescher anwerben. Für die Nacht wird ihnen zusammen ein Bett angewiesen, wie es jetzt noch den armen lothringischen Schnittern gegenüber Sitte ist. Aber müde von der Reise, verschlafen sie am andern Morgen die Arbeitsstunde. Der erboste Pächter – die Grobheit der hanauischen Bauern ist sprüchwörtlich – kommt mit einem Stocke und prügelt den vorn im Bette liegenden Petrus tüchtig durch. Auf Grund dieser Beobachtung bittet Petrus am folgenden Abend, sich an die Wand legen zu dürfen, und der Heiland hat nichts dagegen. Am nächsten Morgen verschlafen sie abermals die Arbeitsstunde, und wieder erscheint der Pächter mit dem Prügel. „Gestern,“ sagt er, „hat der da vorne Schläge bekommen, heute ist die Reihe am Andern!“ und Petrus erhält auch die zweite Bescheerung.

Diese Sage stammt aus einer vorwiegend protestantischen Gegend, doch hörte der Verfasser auch katholische Dienstboten erzählen, wie Petrus sich bald als Wandersmann, bald als Himmelspförtner überlisten ließ. Im katholischen Oberelsaß zeichnet August Stöber einen Schwank auf, der den Unfehlbaren in die mißlichste Lage gerathen läßt. Einmal treibt den frommen Pilger das Gelüste, in einer Schenke elsässischer Bergknappen neuen Wein zu trinken, und der Herr entläßt ihn mit wohlmeinender Warnung. In der Schenke geht es lustig her und einer der Gäste sagt zu Petrus: „Du mit Deinem langen Barte, mach’ uns doch eins auf, damit wir tanzen können!“ Petrus, der gerade seinen witzigen Ton hat, erwidert: „Wartet, ich will Euch eins aufmachen!“ – und macht die Thür auf, findet aber bei den Bergknappen so wenig Verständniß für seine geselligen Talente, daß sie ihn durchprügeln und hinauswerfen. Wir Elsässer schreiben es dem feurigeren oberrheinischen Weine zu, daß unsere Landsleute im Sundgau, die sogenannten „Hü bi Gott“ noch gröber und streitsüchtiger sind, als die Bauern im hanauischen Ländchen. Petrus kommt übel zugerichtet zum Herrn und fordert Strafe für die groben Gesellen. „Nun,“ sagt der milde Herr, „bis sie höflicher werden, soll ihre Strafe sein, Sonntags zu vertrinken, was sie in der Woche mit saurem Schweiße verdient haben.“ Daß die Strafe noch im Jahre der Gnade 1875 für die Bergknappen fortwirkt, kann der Verfasser als Augenzeuge und Abonnent des „Bergmannsfreunds“ bestätigen.

Ein drittes Mal ziehen die himmlischen Wanderer als Musikanten durch’s oberelsässische Land und werden von Zimmerleuten, denen sie am Sonntage nicht zum Tanze geigen wollen, unbarmherzig geschlagen. Der ergrimmte Petrus verlangt’, daß der Herr den Zimmerleuten alles Holz in Bein verwandle, Christus aber willfahrt ihm nur theilweise. Seit jener Zeit werden die Zimmerleute im Wasgauthale durch beinharte Aeste im Holze für ihre Grobheit gestraft.

[424] Der elsässische Volkswitz handhabt die Geschichte des Apostels Petrus mit demselben Freimuthe, mit welchem die „Edelsasser Chronick“ die Legende vom Kaiser Barbarossa bespricht. „Der gemein Mann ist beredt worden, diser Keyser Fridericus sey zu Hagenaw in der Burg lebendig verzucket worden, das ist aber Fabelwerck, dann wie es mit disem frommen Keyser (welcher nit allerdings des Bapst’s und der geystlichen liedlin singen wollen) ein ende genommen, bezeugen die Chronicken und Historien, so von ihme beschriben seyndt.“ Petrus, der ein zerbrochenes Hufeisen verschmäht, während sein Herr und Meister die übrigen Brocken sorgfältig sammeln läßt, der wie ein Landsknecht mit dem Schwerte dreinschlägt, wo der Heiland duldet und verzeiht, entspricht in der elsässischen Volksdichtung weit mehr seinem wahren geschichtlichen Bilde, als man nach der kirchlichen Ueberlieferung sich den Apostelfürsten denken mußte.

Eine mittelalterliche Sage erzählt, daß ein Papst einem kaiserlichen Gesandten die Schätze des Vaticans zeigte mit der Bemerkung: „Wir sagen nicht mehr, wie Petrus zu dem Lahmen vor der Thür des Tempels sagen mußte: Gold und Silber habe ich nicht.“ Mit großer Geistesgegenwart erwiderte der kühne Ghibelline: „Darum können Sie auch nicht fortfahren wie Petrus: Aber was ich habe, das gebe ich dir. Im Namen Jesu Christi von Nazareth, stehe auf und wandle!“ An diese Sage erinnerten unsere katholischen Bauern, als man sie aufforderte, sich bald an der päpstlichen Anleihe, bald am Peterspfennige zu betheiligen.

In den letzten Jahrzehnten wurde öfters in Predigten und Flugschriften behauptet, der Papst müsse eine weltliche Herrschaft und eine mächtige Armee zur Verfügung haben. Einzelne Elsaß-Lothringer traten in die Reihen der päpstlichen Zuaven ein; die Väter der Gemeinden aber erinnerten an die Frage, die ein elsässischer Fröhner beim edlen Waidwerke an den Bischof von Straßburg richtete: „Mein Gnadherr, Ihr seid heute als Landgraf, nicht als Bischof, ausgeritten. Wenn aber der Teufel einst den Landgrafen holt, wo wird der Bischof bleiben?“ Ein Bauer, der zur Zeit der Option im Namen der Kirche aufgefordert wurde, seinen Sohn in die französische Armee eintreten zu lassen, deutete auf den goldenen Hahn, der den Kirchthurm schmückte, und sprach: „Dieses Warnzeichen soll uns den Hahnenschrei und den großen Fehler in’s Gedächtniß zurückrufen, den Petrus begangen hat, als er das Schwert gegen die Obrigkeit zog. Mein Sohn soll dem Kaiser geben, was des Kaisers ist.“ Den tiefsten Eindruck aber machten die Worte des Apostels Petrus am 4. Mai 1873. An jenem Sonntage sollte der Sturm losbrechen, den die Madonna im Bitscher Ländchen angekündigt, und bereits hatten die Bürgermeister der Saarstädte Hülfsmannschaft begehrt. Wie eine Friedensbotschaft vernahm man die Worte der Sonntagsepistel: „Seid unterthan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als den Gesandten von ihm!“ An jenem Sonntage ging das Volk aus den Gotteshäusern mit dem Bewußtsein, daß Petrus das Schwert in die Scheide gesteckt hatte und aus den Reihen der elsässischen Liga getreten war.

Die elsässische Dorfsage erzählt vom goldenen Bilde eines Heidengottes, das bei Benfelden im Kiese der Ill verborgen liegt. Aehnliches berichtet man im Saarthale vom goldenen Sarge eines römischen Kaisers. Von Jahr zu Jahr sinken die Kleinodien tiefer hinab. Es sind die Wahrzeichen der römischen Weltherrschaft, die immer mehr aus dem Gedächtnisse unseres Volksstammes entschwinden.

Ein Elsässer.