Sagen und Märchen aus der Bukowina

Textdaten
>>>
Autor: Raimund Friedrich Kaindl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Sagen und Märchen aus der Bukowina
Untertitel:
aus: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 23–27
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Links zu den Einzeltexten siehe unten
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[23]
Sagen und Märchen aus der Bukowina.
Mitgeteilt von
R. Kaindl.
1. Doka, die Bergjungfrau.
(Rumänisch.)

In der Nähe von Homor erhebt sich ein gewaltiger Felskamm, welcher Doka genannt wird. Die Zacken und Kuppen des Felskammes sind verwittert, aber in das Aschgrau ihrer Farbe mischt sich das Dunkelgrün der Tannen, welche in den Felsritzen aufgesprosst sind. Wer in diese Höhe emporsteigt, den überkommt das Gefühl des Einsamen und Verlassenen und doch auch wieder des Grossartigen. Besonders bemerkenswert ist aber die Vorderseite des Felsens, denn dieselbe zeigt demjenigen, welcher den schmalen Bergriss betritt, das verwitterte Steinbild einer Frau, in sitzender Stellung. Über ihre Lenden und Füsse fliesst eine Pelzdecke herab, mit dem Rücken lehnt sie an dem Felsen, den Kopf hat sie etwas nach vorn gebeugt und mit einem Tuch umwunden, von welchem die beiden Enden breit auf die linke Achsel herniederfallen. Dies ist Doka, die Jungfrau der Berge, welche jetzt von den Christen Eudokia genannt wird, denn also heisst eine Heilige der christlichen Kirche.

Warum die Jungfrau der Berge dort als Stein sich befindet, das berichtet folgende Sage.

In alten Zeiten hüteten auch die Töchter von Königen die Herden ihrer Väter. So that auch Doka, deren Vater ein König war. Als der Frühling hereingebrochen war und draussen auf den Matten der Berge bereits Gras und Kräuter sprossten, trieb auch Doka die Herden ihres Vaters hinaus auf die Berge. Das Wetter war mild und freundlich. Doka legte Pelz und Überkleider ab und griff zum Wocken und zur Spindel. Aber sie hatte noch nicht lange die Spindel am Faden tanzen lassen, da stiegen in der Ferne langsam und still Wolken auf, welche die Sonne zu verschleiern begannen. In den Wipfeln der Bäume regte sich erst ein verstohlenes Rauschen und Flüstern, dann erhob sich ein Sturm und umhüllte mit grauem, fliegenden Nebel Berg und Wald. Bald entquollen denselben weisse Schneeflocken und umtanzten von den Winden getragen wirbelnd die erschauernde Doka. Dieselbe lehnte sich sitzend an die Felswand, zum Schutz vor Schnee und Sturm, aber der eisige Wind drang durch die Gewänder der Königstochter, und ob sie sich auch in ihre Obergewänder und dem Pelz hüllte, das schöne Mädchen erfror und ward zu Stein.

[24] So sitzt nun Doka dort seit unvordenklichen Zeiten als ein Gebilde von Stein.


2. Das versteinerte Gefährt.
(Galizisch.)

Wenn man von Czernowitz thalabwärts nach Revna zu geht, so sieht man am Wege ein eigentümliches Steingebilde. Das Gebilde gleicht einer Kutsche aus Stein, vor welcher zwei Felsblöcke liegen, die Pferden nicht unähnlich sehen. Wie die steinerne Kutsche mit den Pferden dorthin gekommen ist, berichtet folgende Sage.

Unweit der Stelle, wo jetzt die Steinkutsche steht, sass vor unvordenklichen Zeiten – wer kann das wissen, wie lange es her ist? – ein armes Weib am Wege, umgeben von ihren hungernden Kindern. In ihrer Not flehte sie zum Himmel und bat um Abhilfe ihres Elendes. Da wirbelte plötzlich oben am Berge Staub auf und bald sah die Frau eine Kutsche in scharfer Eile auf sich zukommen, denn vor dieselbe waren zwei feurige Pferde gespannt. In der Kutsche sass ein gar stolzer Herr. Derselbe kümmerte sich nicht um die ihn umgebende Herrlichkeit der Natur, sondern er schlief und träumte wohl von seinen Schätzen. Da plötzlich wurde er jäh aus seinem Schlummer aufgerüttelt, denn die Kutsche war mit einem Ruck angehalten worden, weil sich die Frau vor die Pferde geworfen hatte und in flehendem Tone rief: „Hilfe, Hilfe, ich und meine Kinder sterben vor Hunger.“

Aber der reiche Herr im Wagen liess sich von dem Hilferuf der Armen nicht erweichen, mit einem gräulichen Fluch befahl er den Kutscher über die Frau hinwegzufahren. Die Frau rief noch einmal um Hilfe, aber der Herr erneuerte den Befehl, und nun trieb der Kutscher die Pferde an. Dieselben schritten aber nicht über den Leib der Frau hinweg, sondern bogen in heftigen Ansprunge mit dem Wagen vom Wege ab, dem Abhang zu.

In demselben Augenblick erstarrte das Gefährt mit Insassen und Pferden zu Stein, welche noch heute dort am Wege liegen.

Man weiss, dass diese Steine Niemand berühren darf, sonst trifft ihn ein Unglück, denn die Steine liegen da zur Warnung für alle Geizigen und alle Habgierigen, welche ihren Mitmenschen das tägliche Brot nicht gönnen.


3. Die versunkene Kutsche.
(Ruthenisch.)

An einer gewissen Ortschaft in der Bukowina fliesst ein reissender Gebirgsfluss vorüber, welcher an einzelnen Stellen sehr tief ist. Vor vielen Jahren nun geschah es, dass ein reicher Herr, welcher in einem vierspännigen Wagen fuhr, an das Ufer des Gebirgsbaches kam. Ohne sich lange zu besinnen, befahl er dem Kutscher, er solle durch den reissenden Bach fahren, um ohne Verzug das jenseitige Ufer zu erreichen. Der Kutscher fuhr auch in das Wasser hinein, aber er kam nicht weit, denn er war grade in eine sehr tiefe Stelle hineingefahren, so dass die Pferde versanken und mit dem Wagen Herr und Kutscher. [25] Aber dieselben haben keine Ruhe im Wasser gefunden: wenn nämlich der Vollmond am Himmel steht, so erhebt sich an der Stelle des Gebirgsbaches, wo die Kutsche versunken ist, ein unheimliches Geräusch, das bald zu einem lauten Getöse anschwillt: indem taucht aus der Tiefe des Gewässers der Wagen auf mit Herrn und Kutscher und vier weissen Pferden, welche davor gespannt sind. Kaum aber ist der bleiche Schein des Mondes auf dieselben gefallen, so versinkt alles wieder mit brausendem Getöse in die Tiefe und der wilde tiefe Bach eilt in tollen Sprüngen weiter der Ebene zu.


4. Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger.
(Galizisch.)

In einer Ebene, weit fort in Galizien lag ein Dorf hinter einem grossen Walde. In diesem Dorfe lebte ein Schulze, der eine wunderbar schöne Tochter hatte, von der man aber nur mit Furcht und Grauen sprach, denn sie sollte eine mächtige Zauberin sein.

In diesem Dorfe stand ein Kirchlein auf einem schönen, grünen Hügel. Jedes Kirchlein, und ist sie noch so klein, muss aber Pfarrer und Kirchensänger haben; letzterer muss ein junger, hübscher Bursch sein, an dem jede Menschenseele Freude und Gefallen findet.

Kein Wunder also, wenn die Schulzentochter gerade diesem Kirchensänger ihre besondere Aufmerksamkeit schenkte und jeden dieser Sänger in ihre Netze zu ziehen suchte. Schon mehreren dieser Burschen hatte sie die Köpfe verdreht und dann nie wieder zurechtgesetzt. Die jungen Männer starben nämlich immer bald darauf, nachdem sie sich mit ihr in näherem Verkehr eingelassen hatten.

So kam es denn, dass das Dorf bald keinen Kirchensänger mehr hatte. Keiner konnte und mochte mehr das Amt übernehmen, über das ein so böses Verhängnis waltete.

Da kam eines Tages weit über die Berge her ein Wanderer gezogen, welcher seine helle Stimme von weither erschallen liess. Wie er in die Nähe jenes Dorfes kam, da umringten ihn die Leute, bewunderten seinen Sang und fragten ihn endlich, ob er nicht geneigt wäre, bei ihnen Dienst als Kirchensänger zu nehmen; er werde es bei ihnen gut haben und brauche nur dann und wann ein wenig zu singen. Dem Wanderer leuchteten die Vorteile ein, welche die Stellung mit sich brachte und da er gerade auf dem Wege war, um in der nahen Stadt einen Dienst zu suchen, so kam ihm das Anerbieten hier glücklich in den Wurf. Er schlug also freudig ein, und die wackeren Dorfleute waren zufrieden. Der Wanderer, der über die Berge gekommen war, wurde nun Kirchensänger im Dorfe, in dem dort hinter dem Walde. Er nahm Wohnung bei einem alten Weibe und liess sich das Nachtessen wohlschmecken. Dann zündete er seine Pfeife an und sah gedankenlos in das Feuer.

„Bursch,“ sprach zu ihm das alte Weib, die ihn eine lange Weile aufmerksam betrachtet hatte, „du gefällst mir, und ich muss dich bedauern.“

„Was sagst du Mütterchen?“

„Ach! es ist bei uns so und so im Dorfe,“ entgegnete die Alte, [26] und dabei erzählte sie ihm alles, was sie über die junge Hexe und ihre Verhältnisse zu den Kirchensängern wusste, und das war sicherlich alles, was man überhaupt wusste, denn die Frau war alt und überdies hatte es ihr die Junge mit eigenem Munde erzählt; das Mütterchen war nämlich auch eine böse Zauberin.

„Was thun?“ sprach der Bursche.

„Ich will dir helfen,“ sprach die Frau, „und wenn du meinen Ratschlägen Folge leistest, wird dir auch geholfen sein. Wenn du nämlich morgen zum Brunnen gehst, um dich zu waschen, so wirst du einem wunderbar schönen Mädchen begegnen, das dich anlächeln wird, dir ihren Krug zum Gebrauche anbietet und dir noch anderes liebes erweisen möchte. Doch du musst streng und ernst bleiben und alles dies zurückweisen. Wenn du dann über die weite Wiese nach dem Kirchlein gehst, wird dir ein prächtiges Pferd begegnen, das dir nach läuft und dich so zum Aufsitzen locken will. Das darfst du aber auf keinen Fall thun, denn das Pferd ist das Mädchen, das dich auf diese Weise zu verderben sucht. Und wenn du endlich den Hügel zur Kirche emporsteigst, da wird an der steilsten Stelle dir ein Pflock aus dem Boden entgegenragen, ganz so, als ob er da wäre, damit der Wanderer sich auf ihn stütze. Doch du darfst ihn nicht berühren: sobald deine Finger ihn nämlich umklammern, giebt er nach und du stürzest mit ihm in die Tiefe, denn die junge Zauberin nahm auch diese Gestalt an, um dich zu vernichten. Thust du aber alles, mein Sohn, wie ich es dir sage, so wirst du gut fahren.“ So schloss die Alte ihre Belehrung.

Als nun am nächsten Tage der Kirchensänger sich zum Ausgehn rüstete, da sah ihn die alte Frau noch einmal aufmerksam an und begann dann: „Sänger, du bist es wirklich wert, dass ich dich für immer aus der Macht jenes Mädchens rette. Nimm diese Gerte und schlage unbarmherzig damit auf den Holzpfahl los; lass dich durch nichts bewegen, davon abzulassen, bis du müde und matt die Hände sinken lässt.“ Damit schickte sie ihren Gast aus dem Hause.

Dem Sänger begegnete auch wirklich alles, wie es ihm seine Wirtin vorausgesagt hatte. Er handelte auch ganz genau nach ihren Vorschriften und als der Pflock unter den Rutenschlägen jammerte und heulte, kehrte er sich keinesfalls daran, sondern hieb darauf los, bis die Gerte in Splitter ging und er kaum noch die Hände regen konnte. Da verschwand denn der übel zugerichtete Ast.

Wenige Tage nach dieser Begebenheit überraschte die Dorfbewohner die Kunde, die schöne Tochter des Schulzen sei tot. Kein Mensch wusste anzugeben, welcher Krankheit sie erlegen wäre, aber der Kirchensänger stellte in seinem Kopfe Vermutungen an; nur seine Wirtin hatte den Schlüssel zu dem Geheimnisse, den sie aber wohlweislich niemandem leihen wollte. Vor ihrem Tode hatte die schöne Sünderin noch gebeten, dass der neue Kirchensänger die drei Nächte, während der sie in der Kirche liegen würde, Gebete über ihrem Sarge sprechen sollte, was dieser zu thun bereit war.

Als nun der junge Mann zur Kapelle hinaufgehen sollte, um seine Pflicht zu verrichten, da gab ihm seine Beschützerin die Warnung mit [27] auf den Weg, um die Mitternachtsstunde ja nicht neben der Toten sitzen zu bleiben, vielmehr die erste Nacht hinter dem Altar, die zweite unter dem Altartuch, die dritte aber in dem Kasten zuzubringen, in welchem die Kirchengeräte waren. Der Bursche merkte sich die Vorschrift wohl und ging hin, wo er das Kirchlein fand.

Als nun der Abend nahte, zündete er eine dicke Wachskerze an, nahm ein grosses Gebetbuch zu Händen und betete und sang fleissig über den starren Leichnam. Als aber Mitternacht nahte, da kroch er schnell hinter den Altar und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Kaum war der schwere dumpfe Schlag der Turmuhr, welche die zwölfte Stunde verkündet hatte, verklungen, da kratzte und bewegte es sich in dem Sarge, nach und nach hob sich die Tote langsam empor und sah sich nach dem Sänger um. Als sie ihn nicht gewahr wurde, begann sie wütend die Kirche zu durchstöbern, nur vom Altare hielt sie sich fern. Als sie den Gesuchten nicht fand, stieg sie wieder in den Sarg und versank in ihren früheren Zustand. Der Gerettete kam nun aus seinem Verstecke hervor und setzte seine Andachtsübungen bis zum hellen Morgen fort.

So ging es auch in der nächsten Nacht zu. Gefährlicher sollte aber die Lage des Kirchensängers in der letzten Nacht werden. Er war nämlich, wie es ihm die Alte vorgeschrieben hatte, in den heiligen Kasten gestiegen und hatte denselben von innen fest verschlossen; dann drückte er sein Auge an ein Astloch und beobachtete den Sarg bei den Schein der Kerze.

Da erhob sich genau um dieselbe Zeit, wie in den früheren Nächten, die Tote aus ihrem engen Gehäuse, sucht mit ihren starren Blicken nach dem Sänger, streifte in dem öden Raume umher, bis sie sich endlich auch dem Kasten näherte und an dem Geruche merkte, dass ein lebendes Wesen darin verborgen sei. Doch der geweihte Kasten war ihrer Macht entrückt. Da sprach sie eine furchtbare Zauberformel vor sich hin: plötzlich begann es von allen Seiten zu schwirren und zu brausen und durch Fenster und Thüren kamen junge und alte Hexen herbei, begrüssten die tote Schulzentochter als ihre Meisterin und Königin und stellten sich um sie im Kreise herum. Diese legte nun den Hexen die Frage vor, wie man dem Verborgenen beikommen könnte. Doch jede schüttelte verneinend den Kopf, keine wusste Rat.

Da plötzlich kam jenes alte Weib herein, welches den Sänger beherbergte; auf ihren Armen trug sie ein neugeborenes Kind, bei dessen Anblick die anwesenden Hexen ehrfurchtsvoll erzitterten. Das Kind war nämlich die neue Königin alle der Zauberweiber; dasselbe sollte die Hingeschiedene vertreten: obgleich noch ein Kind, war es keinesfalls so harmlos, wie man erwarten mochte. Kaum hatte es nämlich die Thatsache, um die es sich handelte, erfahren, so befahl es vor dem Astloche des heiligen Kastens dies und jenes Hexenkraut in Flammen zu setzen. Schnell stoben die Hexen auseinander, um das gewünschte zu holen, ehe sie aber wieder kamen, krähte der Hahn, die Hexen verschwanden, die Tote kehrte in ihren Sarg zurück und der Kirchensänger war gerettet.

Wann er gestorben ist, wissen wir nicht, denn man vergass zuletzt die Zeit, wann er geboren war.

Anmerkungen (Wikisource)

Die Sagen und das Märchen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:

  1. Doka, die Bergjungfrau
  2. Das versteinerte Gefährt
  3. Die versunkene Kutsche
  4. Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger