Südamerikanische Woll-Lieferanten

Textdaten
<<< >>>
Autor: Ernst Moßbach
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Südamerikanische Woll-Lieferanten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 193–195
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[193]

Südamerikanische Woll-Lieferanten.
Von Ernst Moßbach.


Anknüpfend an einen frühern Aufsatz der Gartenlaube, 1874, Nr. 21, „In der Heimath des Lamas[WS 1], führe ich den Leser nochmals auf die Hochplateaux der Anden Südamerikas und zwar auf die höchsten, die „Paramos, Punas und Purumas“.

Mit diesen Namen bezeichnen die dortigen Indianer den nur drei bis fünf geographische Meilen breiten, aber fast siebenhundert Meilen langen Landesstrich, welcher sich unmittelbar an die bis sechstausendsechshundert Meter hohen Schneeberge der Küsten-Cordillere im Osten anreiht und von der nördlichsten Republik Columbia oder Neu-Granada durch den Kontinent bis an Patagonien erstreckt. Dieser Hochgürtel wird von einem mehr oder weniger winterlichen Klima beherrscht, je nachdem er in seiner wellenförmigen Bodenbildung über oder unter viertausendsechshundert Meter Meereshöhe liegt. So eisig kalt hier die Luft Morgens und Abends weht und so todt und abgeschieden diese Gegenden im Allgemeinen erscheinen, so brennend heiß sind daselbst die Strahlen der mittägigen Sonne von oben und so bemerkbar die Lebenspunkte, hervorgerufen durch die Wirkung des Feuers von innen.


Schur der Alpacos.
Nach einer Skizze von Ernst Moßbach.


In der That befinden wir uns hier auf vulcanischem Boden und mitten in vulcanischer Thätigkeit. Von den nach Hunderten zählenden, theils erloschenen, theils noch thätigen Vulcanen erinnere ich nur an die bekanntesten der letzteren Kategorie in Neu-Granada und den erst im Jahre 1861 entstandenen Vulcan von Chillan in Chile.

Und wenn auch diese Feuerschlünde verstummen und ihre inneren Gluthmassen die Küstenländer erbeben machen und die Bewohner dort in Angst und Schrecken setzen, hier oben auf den Punas fühlen wir nichts von ihrer zerstörenden Gewalt, hier üben sie nur Wohlthat.

Mit dem Worte Calientes (das heißt spanisch „warm“, respective „warme Orte“) hört man öfter Gegenden dieser Hochregion benennen, die, was ihr Klima anbelangt, jene Bezeichnung durchaus nicht verdienen. Das Wort bezieht sich vielmehr auf die heißen Quellen, deren viele den höchsten Gebirgsschluchten entspringen und eine halbe Meile weit fließen, ohne zu gefrieren.

Die Quellen sprudeln nicht fortwährend an einer und derselben Stelle, sondern vertauschen diese nicht selten mit anderen, wenn sich der Spalt, dem sie entweichen, verstopft. So kommt es auch vor, daß sie in den porösen Torf- und Moorboden der Thalbecken dringen, welcher von geschlossenen Decken dichten Yaretamooses überwuchert wird, und daß die sich unter demselben ansammelnden Dämpfe jene Decke aufbauchen, zerreißen und wie Dämpfe aus dem Ventile eines Kessels aufsteigen. Danach sprudelt das warme Wasser wieder krystallhell, weiter, bis sich die Operation durch irgend eine Störung anderswo erneuert. Der Reisende, welcher hier an warmen Quellen vorüberzieht, ist bisweilen Zeuge solcher kleiner Dampfsäulen. Unheimlich unterbrechen dieselben dann durch ihr leise brodelndes Geräusch die lautlose Einsamkeit, aber in ihrer Umgebung sprießt ein kräftiges Pajagras, und selbst das Tolagestrüpp, welches sonst nur kümmerlich und vereinzelt wächst, hat sich auf den inselförmigen Erhöhungen der Brüche dichter angesiedelt und dient den Wasservögeln zum sichern Versteck ihrer Nester. Auch kleine Heerden von [194] Guanacos und Vicuñas, die durch die jagenden Indianer aus behaglicheren Gegenden vertrieben sind, haben Zuflucht zur Puna genommen und in den Thälern warmer Quellen eine neue Heimath gefunden.

Das sind die Punkte, Oasen in der Steppe, wo auch Menschen mit ihren einzigen Hausthieren, den Alpacos und Lamas, leben. Freilich sind ihre Ansiedelungen nur dünn gesät; umsomehr heimelt uns in der öden Gesteinswelt die Lehmhütte mit verblichenem Grasdach an, mehr als die Villa der Haciendas in den grünen Tropenthälern.

Die Alpacos oder Pacos gehören, wie die Lamas und die erwähnten Guanacos und Vicuñas, zur Familie Auchenia. Ganz treffend nennen wir sie „amerikanische Kameelschafe oder Schafkameele“, da alle diese Thiere wirklich viele Eigenschaften des Kameeles und Schafes in sich vereinen. Nur um ein Geringes kleiner, aber langhalsiger als das Lama, theilt das Paco mit letzterm die Störigkeit in der Zucht, zugleich aber auch die Anhänglichkeit an seinen Herrn und Beschützer. Zum Lasttragen giebt es sich jedoch nicht wie das Lama her, obschon seine Körperconstitution eine derartige Arbeitsleistung recht gut ertrüge. Es will einmal nicht arbeiten, und gegen seinen Willen ist weder mit Güte noch mit Gewalt etwas auszurichten. Genau genommen, richtet es sich in dieser Hinsicht nur nach seinen Gebietern, welche auch lieber in der Sonne oder am Feuerherde in ihren Hütten liegen und sich dem süßen Nichtsthun, vielleicht auch einem ebenso süßen Nichtsdenken überlassen. Doch will ich hiermit nicht sagen, daß sie – nämlich die menschlichen Bewohner dieser Hochregionen – geborene Faullenzer seien. Es fehlt ihnen nur die Arbeit; denn wenn sie die wenigen Felder, auf denen ihre bittern Kartoffeln und ihr Kinoa-Hirse gedeihen, bestellt und den Alpacos die Wolle abgenommen haben, Arbeiten, die auf die zwei Monate November und December, den Anfang ihres Sommers fallen, so sind sie, von geringen Unterbrechungen durch die Vicuñajagd und die Reparatur ihrer einfachen Kleidung und ihrer noch einfacheren Behausung abgesehen, mit dem Nothwendigen eigentlich fertig, und da Beil, Hammer, Säge oder gar Feder, Tinte und Papier Dinge sind, die sie kaum dem Namen nach kennen, so ist es am Ende ganz natürlich und verzeihlich, daß sie den größesten Theil des Jahres mit Nichtsthun verbringen. Aber nein. Einige erkühnen sich, ihr erhabenes Heimathland zeitweise zu verlassen, um als Lamatreiber in die tiefern, wärmern Gegenden herabzusteigen. Wenn aber das Wandeln unter Palmen Niemanden ungestraft läßt, so rächt es sich an diesen Hochlandskindern in der empfindlichsten Weise. Ein paar Wochen nur vermögen sie die Palmenluft, das heißt die dichte, schwere Luft der Waldregionen, auszuhalten, dann aber müssen sie in das ihnen von der Natur angewiesene Klima zurückkehren. Dessen sind sie sich auch bewußt und außerdem von einer ewigen Sehnsucht nach ihrer kalten Heimath befangen. Sie verweilen daher nicht gern lange Zeit in den Waldgegenden und an der Meeresküste. Es ist also kein Wunder, daß wir hier, in dem von allen Menschenracen besuchten Europa, keinen Puna-Indianer antreffen.

Die Kameelschafe scheinen ein ähnliches Schicksal mit den Menschen zu theilen, wennschon sie sich europäischer Acclimatisation zugänglicher zeigen. Die Lamas, welche man in Menagerien und zoologischen Gärten am häufigsten sieht, vertragen, jung herübergebracht oder hier selbst geboren, die schwere Luft, respective das europäische Klima am besten. Doch werden sie sich nie zu den vollkommenen schönen Exemplaren entwickeln, wie ihre Heimath deren hervorbringt. (Von der Zucht des Guanaco, welches irrthümlich als wildes Lama gilt, ist mir noch nichts bekannt. Vielleicht ist der Fang dieses scheuen Thieres zu schwierig, seine Zähmung aber ganz unmöglich.) Empfindlicher gegen fremdes Klima zeigen sich die Vicuñas, am empfindlichsten die Alpacos, deren Erhaltung und Fortzucht nach vielfach gescheiterten Versuchen endlich doch gelungen zu sein scheint. So existiren in Amsterdam einige Exemplare; im Schloßparke zu Haag und im Knowslyparke zu Liverpool sollen sogar kleinere Heerden bereits mehrere Jahre gezüchtet sein. In den Alpen, Pyrenäen und den algerischen Gebirgen ist ihre Acclimatisation jedoch mißlungen. Ob aber durch die europäische Züchtung je ein wirklicher Nutzen erzielt werden wird, möchte ich bezweifeln, da die Pflege hier viel kostspieliger, die Erhaltung mißlicher sein dürfte und der Ertrag und die Qualität der Wolle mit Amerika schwerlich concurriren kann. Auf der Puna leben diese Thiere das ganze Jahr hindurch frei in der Natur ohne jegliche Pflege und werden nur zur Zeit der Schur in Corrales, Höfen, welche von Steinmauern ohne Bindemittel umgeben sind, zusammengetrieben und, wie unsere Zeichnung veranschaulicht, mit Lassos eingefangen, an den Beinen gefesselt und dann geschoren. Das Eintreiben und Fangen besorgen die Indianerknaben, das Scheeren die Frauen und Mädchen. Das Abwägen und Verpacken der Wolle sowie der Transport derselben mittels Lamas nach der Küste ist die Arbeit der Männer. Ein Aberglaube verbietet den Indianern, die Alpacos der Kopfwolle zu berauben; vielleicht ist letztere nicht viel werth und außerdem unbequem zu gewinnen.

Wie schreckenerregend aber der Anblick solcher nackten Geschöpfe besonders auf die Saumthiere wirkt, davon habe ich mich selbst einmal in höchst unangenehmer Weise überzeugen müssen. In einer Carawane von sechs Mann zu Pferde mit ebensovielen Maulthieren, welche unser Gepäck trugen, hatten wir in einer der unwirthlichsten Gegenden zwischen Choco und Caquena auf den Peruanischen Punas bei untergehender Sonne eine Indianer-Ansiedelung erreicht. Im Vorgefühle der behaglichen Ruhe nach einem achtstündigen ermüdenden Ritte wollten wir eben in die Oeffnung des ein paar Hütten umzäunenden Hofes einlenken, als sich plötzlich ein Dutzend lange dünne Hälse mit unförmlichen, zottigen Köpfen über die Mauern erhoben und sich neugierig uns entgegenstreckten. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, ergriffen unsere Thiere die Flucht. Zwei Maulthiere stürzten auf dem steinigen Wege und verloren ihre Last; zwei andere geriethen in Sümpfe und der Rest schlug sich seitwärts in eine mit gigantischen Trachytblöcken übersäete Ebene. Glücklicher Weise waren die Indianer uns schnell zur Hülfe gekommen und hatten die nächsten Thiere wieder zusammengebracht, worüber freilich drei volle Stunden vergangen waren. So todtmüde diese Bestien auch waren, so entschieden weigerten sie sich doch, zu dem gefürchteten Hofe zurückzukehren. Es blieb uns daher nichts anderes übrig, als ihnen zum Nachtquartiere ein vor Wind und Wetter einigermaßen geschütztes Plätzchen zwischen den Trachytblöcken auszusuchen, welche ihnen die Aussicht auf die verdächtigen Mauern verdeckten.

Schließlich noch ein paar Worte über die Wolle der Kameelschafe, welche an der Westküste Südamerikas einen nicht unbedeutenden Ausfuhrartikel bildet. Am geschätztesten ist die der Vicuñas. Zwar nur kurz, kaum zwei Zoll lang, und gekräuselt, übertrifft sie an Weichheit, seidenartigem Glanz und selbst in der schön rothgelben leuchtenden Farbe alle andern Wollen. Allein „Gut und Viel“ ist selten beisammen. Die Vicuña ist die kleinste und zierlichste Species der Auchenias, der graciösen Gemse nicht unähnlich, aber ungehörnt und liefert höchstens zwei Pfund Wolle.

Die jagenden Indianer treiben die Vicuñas an geeigneten Orten in große Umzäunungen, die sie ungefähr ein Meter über dem Boden mittelst Stöcken und Stricken herstellen und an welche sie Federn, kleine Tolazweige und allerhand Lappen hängen. Vor diesen vom Winde bewegten Gegenständen fürchten sich die ängstlichen, scheuen Thiere dermaßen, daß sie sich eher todtschlagen lassen, als daß sie versuchen, die Umzäunung zu durchbrechen. Zur Bekundung der angeborenen Gutmüthigkeit der Indianer, wenigstens der von den peruanischen Hochlanden, sei hier beiläufig erwähnt, daß sie bei diesem Jagen die Vicuñas nicht tödten, sondern dieselben, einige Wenige zum Braten ausgenommen, nur scheeren und dann wieder laufen lassen. Es gehört auch ein hoher Grad von Grausamkeit dazu, einem so zarten, reizenden Wesen den Todesstoß zu geben, welches, in die Enge getrieben, sich vor seinem Verfolger auf die Kniee wirft und ihn mit den großen, sprechenden Augen, Erbarmung flehend, ansieht.

Nächst der Vicuñawolle ist die der Alpacos am gesuchtesten. Sie wird fünf bis acht Zoll lang, daher besonders als Kammgarn geschätzt, ist schlicht oder leicht gewellt, jedoch nicht so weich und seidenartig wie jene. Es giebt schwarze, weiße und gefleckte Alpacos; in Peru werden fast nur schwarze Exemplare gezüchtet. Der Ertrag von einem ausgewachsenen Thiere schwankt zwischen fünfzehn und zweiundzwanzig Pfund, in welchen annähernd sechs bis acht Pfund Fett und andere Unreinigkeiten, besonders Staub, enthalten sind. Die Wolle der Guanacos und Lamas endlich, nur unwesentlich von einander verschieden, bildet die geringste Qualität. [195] Sie besteht aus einem feinern, kürzern, filzigen Unterhaar und einem gröbern, längeren, zottigen Deckhaar. Die Guanacos, welche sich bisweilen zugleich mit den Vicuñas in den Umzäunungen fangen, liefern eine hellbraunrothe Wolle, die Lamas dagegen die verschiedensten Nüancen vom dunkelsten Schwarz durch Braun und Gelb bis zum blendendsten Weiß. Auch im Ertrage stehen Beide den Alpacos nach, da sie nur fünfzehn bis achtzehn Pfund Wolle geben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „In der Heimath der Lamas“