Rubens „Urtheil Salomonis“ im Stadtmuseum

Meister George Bährs Tod Rubens „Urtheil Salomonis“ im Stadtmuseum (1896) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
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Rubens’ „Urtheil Salomonis“ im Stadtmuseum.


Im kleinen Sitzungssaale des Altstädter Rathhauses hing seit Jahrzehnten ein Oelgemälde von 2,24 Meter Höhe und 2,63 Meter Breite, das in lebensgroßen Figuren das Urtheil Salomonis darstellt. Das Bild hatte sich vorher in der Gerichtsstube des Neustädter Stadtgerichts befunden, wohin es laut einem Inventarverzeichniß von 1817 der Senator Karl Christian August Fehre nach seiner 1784 erfolgten Ernennung zum Stadtrichter geschenkt hatte; nach Ausweis der Stadtrechnungen war es im Jahre 1785 einer Ausbesserung durch den Hofmaler Johann Adolf Helmsdorf, der dafür 40 Thaler erhielt, unterzogen und mit einem neuen Goldrahmen im Preise von 47 Thalern versehen worden. Wegen Platzmangels im Rathhause wurde es kürzlich in das Stadtmuseum übergeführt.

Es stellte sich bald heraus, daß die Komposition des bisher wenig beachteten Bildes von keinem geringeren als Peter Paul Rubens herrührt.

Max Rooses beschreibt in seinem großen Werke l’Oeuvre de P. P. Rubens, Bd. 1, S. 150 ein denselben Gegenstand darstellendes Gemälde von 2,33 Meter Höhe und 3 Meter Breite, das sich in der Königl. Gemäldegalerie zu Kopenhagen befindet: zur Linken Salomo auf säulengetragenem Throne, in rothem, goldverbrämtem Mantel mit Hermelinkragen, in der einen Hand das Scepter, die andre zur Urtheilsverkündung erhoben; ihm zur Linken zwei Höflinge, der vordere in violettem, der hintere in blauem Gewand; eine der Frauen, mit blondem Haar und in gelbem Kleid, kniet vor dem Throne und streckt fragend die Hand aus, ihre lebhafte Geberde verräth, daß sie die wahre Mutter ist, die ihr Kind retten will. Die andre, in hellblauem Kleide, steht dabei und hält die weiße Schürze mit beiden Händen auf; zwischen den Müttern der Henker, der das Kind an einem Beine hält und mit der andern Hand zum Schwertstreiche ausholt; hinten ein Greis im Turban und zwei Krieger in voller Rüstung; ganz rechts eine alte Frau; vorn das todte Kind auf dem Boden, ein grau und schwarz gefleckter Hund nähert sich ihm schnüffelnd; im Hintergrunde ein grüner Vorhang und reich geschmückte gewundene Säulen von weißem Marmor, dazwischen ein offener Bogen, durch den man den Himmel mit weißen Wolken hindurchsieht. – Rooses erklärt die Komposition dieses Gemäldes für meisterhaft, nicht so die Ausführung; es sei eine Schülerarbeit, die der Meister nur in den Hauptpartien und den Lichtern übergangen habe. Am untern Rande des Gemäldes befindet sich eine Inschrift, wonach es ein Geschenk des Grafen Jostas von Rantzau, Marschalls von Frankreich, an König Christian IV. von Dänemark (gest. 1648) ist.

Wenn man Rooses’ Beschreibung des Kopenhagener Bildes liest, muß man glauben, es stimme mit dem unsrigen – bis auf die Kleinigkeit, daß hier der vordere Höfling nicht violettes, sondern grünes Gewand trägt – völlig überein. Bestärkt wird man in dieser Meinung noch dadurch, daß Rooses seiner Beschreibung die Nachbildung eines Kupferstichs von Boëtius a Bolswert beifügt, der das Dresdner Bild bis in alle Einzelheiten genau wiedergiebt. Und doch ist das Gemälde in Kopenhagen ein ganz anderes, wie eine von dort herbeigezogene Photographie ausweist. Zwar die Hauptpersonen sind auf beiden Bildern im wesentlichen dieselben, aber in den Einzelheiten, namentlich der Stellung und des Kostüms, finden sich fast überall Abweichungen und vor allem ist der Hintergrund ein durchaus verschiedener. Der Ausblick ins Freie wird auf dem Kopenhagener Bilde durch den Greis im Turban und die beiden Krieger fast ganz verdeckt; der König sitzt dicht an der Vorhangöffnung, während der Henker in dem geschlossenen Raume rechts vor den Säulen steht. Auf dem Dresdner Bilde hingegen ist die Oeffnung des Palastes durch Zusammenrücken der Säulen mehr nach rechts hin verschoben und von einem Bogen überspannt, wie ihn Rooses, offenbar auf Grund des Bolswert’schen Kupferstichs, irrthümlich beim Kopenhagener Bilde beschreibt. Durch diese Veränderung des architektonischen Hintergrundes ist der Vortheil erzielt, daß einerseits die Gruppe um den König geschlossener und ruhiger sich darstellt, andererseits der Henker vor die Oeffnung zu stehen kommt, so daß sein zum Schwertstreich ausholender Arm sich frei vom Himmel abhebt, wodurch das ganze Bild an dramatischer Lebendigkeit gewinnt. Dies sind so augenfällige Vervollkommnungen der Komposition, daß man das Kopenhagener Gemälde mit Sicherheit als die frühere, das Dresdner als die spätere Behandlung des Gegenstandes zu betrachten hat.

Forschen wir nach der Herkunft unseres Bildes, so leitet uns der mit ihm genau übereinstimmende Kupferstich von Bolswert, der um 1630 entstanden ist (nach Ad. Rosenberg, der Kupferstich in der Schule des Rubens, S. 100, wo auch schon die Abweichung des Stiches von dem Kopenhagener Gemälde angedeutet wird), auf die Spur.

Bolswert hat ihn laut Aufschrift dem Bürgermeister und Rathe der Stadt Brüssel für das Gerichtszimmer gewidmet. Man wird diese Widmung dahin zu deuten haben, daß das dem Stiche zu Grunde gelegte Gemälde dem Brüsseler Rathe gehörte. Diese Vermuthung wird bestätigt durch den Bericht des Geographen Abraham Göllnitz, der um 1624 Belgien bereist hat und erzählt, in einem Saale des Stadthauses zu Brüssel befinde sich ein Urtheil Salomonis von Rubens, das 3000 Gulden gekostet habe; auf zwei Seitenflügeln des Bildes seien Porträts von Schöffen dargestellt. Demgegenüber haben nun Henne und Wanters in ihrer Geschichte der Stadt Brüssel festgestellt, daß die 3000 Gulden im Jahre 1622 für ein Urtheil des Kambyses von Rubens gezahlt worden seien, und Rooses nimmt an, daß Göllnitz den Gegenstand dieses Gemäldes mit dem eines ebenfalls im Brüsseler Stadthause vorhanden [288] gewesenen Bildes von Coxcie, das Urtheil Salomonis darstellend, auf dessen Flügeln sich Schöffenporträts befanden, verwechselt habe. Wenn man somit zuzugeben hat, daß hier bezüglich zweier Nebenpunkte, der Schöffenporträts und der Kaufsumme, eine Verwechslung vorliegt, so kann damit noch keineswegs als nachgewiesen gelten, daß der in seinen Angaben doch sonst sehr zuverlässige Göllnitz in Brüssel überhaupt kein Urtheil Salomonis von Rubens gesehen habe. Vielmehr dürfte man mit Rücksicht auf die Widmung des Bolswert’schen Kupferstichs das Gegentheil als wahrscheinlich zu betrachten haben, und diese Wahrscheinlichkeit wird dadurch zur Gewißheit, daß sich nun in unserem Bilde die Vorlage für den Bolswert’schen Stich, der also nicht nach bloßen Skizzen von Rubens, noch weniger nach dem ganz abweichenden Kopenhagener Gemälde angefertigt ist, wirklich gefunden hat. Freilich läßt die Ausführung unseres Bildes, die nichts von der Hand des Meisters und seiner unmittelbaren Schüler verräth, keinen Zweifel darüber, daß wir darin nicht das Original, sondern nur eine Kopie des Brüsseler Bildes besitzen, die allerdings wohl auch schon aus dem 17. Jahrhundert stammt. Aber da eben das Original als verloren gelten muß, so ist auch die bloße Kopie nicht ohne Werth.

Dr. O. Richter.