| XLIV.
10. September.
Pulcheria.
Ein hochgefeierter Name im Morgen- und Abendland. – Pulcheria war Tochter eines Kaisers, Schwester eines Kaisers, den sie für den Thron erzog, selbst Augusta, das heißt Kaiserin und Gemahlin eines edlen Kaisers, dennoch aber vom Morgen- und Abendland mit dem Namen Jungfrau beehrt, weil sie mit ihrem Gemahl, mit welchem sie den Thron zum Heile des Reiches theilen zu müßen glaubte, schon bei der Verlobung eins geworden war, auch nach der öffentlichen Verbindung der Ehe jungfräulich zu leben.
Ihr Großvater war der römische Kaiser Theodosius der Große, ihr Vater der Kaiser Arcadius, ihre Mutter deßen Gemahlin Eudoxia, von der sie im Jahre 399 nach Christo geboren ist. Ihr Vater starb am 1. Mai 408, hinterließ einen achtjährigen Sohn, Theodosius, und außer
Pulcheria noch zwei Töchter,
| Arcadia und Marina.
Pulcheria, hochbegabt vor ihren Geschwistern wurde am 14. Juli 414 als fünfzehnjährige Jungfrau zur Augusta oder Kaiserin erklärt, um mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder das Regiment zu führen. So jung sie war, wurde sie dennoch des schwächer begabten Bruders Führerin, ja Erzieherin. Es wird ihr vorgeworfen, daß sie ihren Bruder mehr wie einen Priester, als wie einen Regenten erzogen und ihm vor allen Dingen Liebe und Ehrerbietung gegen die Kirche und ihre Diener eingeprägt habe. Aber an ihr selbst leuchteten von Jugend auf allerdings nicht blos christliche Tugenden, sondern auch kaiserliche. Sie lebte mit ihren Schwestern, die gleich ihr das Gelübde der Jungfrauschaft abgelegt hatten, in stiller Zurückgezogenheit, guter Werke beflißen, den Uebungen der Andacht, aber auch dem Betrieb weiblicher Arbeiten ergeben, den Künsten und Wißenschaften hold. Wenn sie aus ihrer Einsamkeit hervortrat an die Staatsgeschäfte, faßte sie Entschließungen erst nach langsamer und reiflicher Ueberlegung, drang alsdann auf sofortigen Vollzug und regierte, wiewohl immer im Namen ihres Bruders das Reich mit Glück und Ehre. Für die Geschäfte ihres Reiches suchte sie
| durch Studien, insonderheit der Geschichte, sich tüchtig zu machen, war eine Kennerin nicht blos ihrer Muttersprache, sondern auch der römischen, handelte und wandelte also, daß ihr Name innerhalb und außerhalb der Grenzen des Reiches hochgeachtet gepriesen wurde. Unglücklich war sie jedoch in der Wahl der Gattin für ihren Bruder. Sie glaubte ihm keine beßere und tüchtigere Gemahlin zur Seite stellen zu können, als die geistvolle und schöne Tochter eines griechischen Philosophen, deren heidnischer Name Athenais bei der vor der Vermählung mit dem Kaiser erfolgten Taufe in Eudoxia umgewandelt wurde. Auch nach dieser im Jahre 421 geschehenen Vermählung lenkte
Pulcheria das Ruder des Staates. Da aber erwachte die Eifersucht der Schwägerin, welche in Verbindung mit dem Eunuchen Chrysaphius den schwachen Theodosius so zu bearbeiten wußte, daß er dem Patriarchen Flavianus von Constantinopel den Befehl gab, seine Schwester
Pulcheria zur Diakonissin an seiner Kirche zu machen. Flavian, auch sonst, namentlich im Eutychianischen Streite guten Andenkens in der Kirche Gottes, willigte nicht alsbald in die kaiserliche Zumuthung, sondern benachrichtigte vielmehr die Kaiserin
Pulcheria von den
| bösen Absichten ihrer Feinde, und
Pulcheria zog sich nun freiwillig auf das Land zurück, nicht zum Segen des Staates und der Kirche, welche nun in den Händen der Eudoxia und des Chrysaphius waren, selbst aber fröhlich ergeben, ihre Tage in Ruhe und Verborgenheit zuzubringen. Jedoch ließ sich
Pulcheria durch Briefe des großen Bischofs Leo von Rom bewegen, noch einmal an den Hof zu gehen und ihrem Bruder alles das Elend vorzustellen, welches in seinem Namen über das Land gebracht wurde. Als dieser im Jahre 450 starb, zog sich seine Wittwe nach Palästina zurück,
Pulcheria aber folgte ihrem Bruder in der kaiserlichen Würde. Sie hielt es für gut, ihre Hand in der schon oben angegebenen Weise einem trefflichen Mann aus Illyrien, Namens
Marcian zu reichen, der im Kriegswesen und in Staatsgeschäften erfahren, wie sie selbst der rechtgläubigen Kirche ergeben, ein Eiferer für alles Gute und ein Freund der Elenden und Armen war. Unter dem Regimente der Beiden wurde im Jahre 451 zu Chalcedon jene merkwürdige Kirchenversammlung gehalten, auf welcher die Irrlehre des Eutyches unterlag.
Pulcheria selbst schrieb zwei Briefe nach Palästina, um den Beschlüßen des Conciliums
| Anerkennung bei denen zu verschaffen, welche sich dort wie in Egypten denselben mit aller Macht entgegen stellten.
Bei der bereits kund gegebenen Gesinnung der Kaiserin kann man es nur erwarten, daß sie, wie es auch wirklich geschah, ihre Macht und ihre Einkünfte vielfach werde zur Errichtung und zur Dotation christlicher Anstalten für Arme und Hilflose angewendet haben. Als sie am 10. September 452 in ihrem 69. Jahre starb, hinterließ sie alle ihre Güter, über die sie selbst verfügen durfte, denjenigen, deren treueste Freundin sie im Leben gewesen war, nemlich der Kirche und den Armen, und ihr Gemahl vollzog pünktlich ihr Testament und folgte ihr in jeder Tugend nach, bis auch er am 26. Januar 457 zu seines HErrn Freude eingieng.
Pulcheria ist keine Märtyrin, aber unter schwierigen Umständen auf hohen, steilen, schmalen Lebenspfaden von Jugend auf eine Bekennerin Jesu gewesen. Auf ihrem Haupte vereinigen sich die kaiserliche, die jungfräuliche, die bräutliche Krone mit der Krone der geduldigen Ueberwinder in der Nachfolge des Herzogs unserer Seligkeit. Das Andenken einer solchen Gerechten bleibe im Segen.