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Rosen-Monate heiliger Frauen
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Dorothea »
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III.
26. Januar.
Paula,
Wittwe zu Rom.


 Wenn wir die Geschichte der makkabäischen Mutter mit ihren Söhnen oder ähnliche Geschichten des Neuen Testamentes lesen, so werden wir von Hochachtung, ja von Bewunderung ergriffen, den Glauben und die Liebe zu Christo größer und mächtiger zu finden, als die natürliche Mutterliebe. Was aber wirst du o Leserin zu der Geschichte sagen, die ich dir nunmehr vorzutragen habe? Du wirst eine Mutter sehen von einer überaus zärtlichen Liebe zu ihren Kindern, eine Mutter, der kein Tyrann die Kinder wegnimmt, die sie aber freiwillig verläßt und in eine ferne weite Einsamkeit geht – freiwillig, rein von dem Gedanken getrieben, daß sie sich von alle dem losmachen müße, was ihr in dieser Welt theuer sei, um allein Jesu Christo zu dienen, nur von Seiner Liebe zu leben. Die makkabäische Mutter und ihresgleichen verehren wir| und finden uns ihnen gegenüber klein; dagegen befremdet uns ein Benehmen wie das der Wittwe Paula von Rom, und weit entfernt, die Geisteskraft und die edle Begier einer Seele, die sich aller Dinge entschlägt, um Christum zu gewinnen, anzuerkennen und zu ehren, finden wir uns vielmehr in der Gefahr, den Geschmack auch für das zu verlieren, was in dem Leben der heiligen Paula unzweifelhaft groß und schön ist. Wir sind durch die Reformation belehrt, daß das natürliche Leben mit allem was es hat, nicht in Gegensatz zu dem geistlichen Leben zu stellen sei, sondern vielmehr durch das geistliche Leben geheiligt und verklärt werden müße, und finden es der heiligen Schrift und dem Beispiel Jesu ganz ähnlich gesprochen, wenn unsere symbolischen Bücher behaupten, es sei keine Vollkommenheit, Weib, Kind und zeitlichen Beruf zu verlaßen, und in die Einsamkeit zu gehen. Wen Gott einsam macht, ihm die Seinen nimmt, ihn für den zeitlichen Beruf untüchtig werden läßt, der hat einen göttlichen Beruf, sich in der Aufgabe alles Zeitlichen zu üben; wer aber durch Gottes Fügung Familie und einen zeitlichen Beruf hat, der hat die andere Aufgabe, dem HErrn in der Familie und im irdischen Beruf zu dienen; auch hier gilt,| was geschrieben ist: „ein jeder bleibe in dem, darin er berufen ist.“ So sicher wir nun das wißen, so gewis würden wir aber doch den Weg des Hochmuths betreten, wenn wir Jüngerinnen wie die heilige Paula um des Irrwegs willen, den sie sich erwählten, und zwar nach großen Beispielen erwählten, gering schätzen und an ihnen theilnahmslos wie an fremden vorübergehen wollten. Es ist wahr, daß unsere Zeit und wir in ihr nicht an den Fehlern leiden, an welchen das Zeitalter der heiligen Paula und spätere gelitten haben; aber wir leiden an anderen Fehlern und Gebrechen, welche in der That nicht geringer sind, als die der früheren Zeiten. Hat man früher das Geistliche in Gegensatz zum Leiblichen gestellt, und sich in der Abtödung des Fleisches, welche doch in einem gewissen Maße von dem heiligen Geiste gefordert wird, mehr geübt, als in der Durchdringung des leiblichen Lebens durch das geistliche; so ist es im Gegentheil unser Fehler, die Seele durch Hingabe ans Zeitliche und Irdische zu verweichlichen und anstatt unsern Leib verklären zu laßen, vielmehr ohne alle Rücksicht auf unsere geistlichen Bedürfnisse in den Tag hinein und so zu leben, daß zwischen uns und Heiden kaum ein weiterer Unterschied gefunden werden kann, als der| hohe Name, und das Bekenntnis, welche wir im Schilde führen. Wollen wir daher trotz unserer Mängel und Gebrechen für Christen gehalten werden; so wird es auch gut sein, wenn wir andere behandeln, wie wir behandelt sein wollen, und eine Zeit, für deren Fehler wir sogar zu klein sind, nicht verachten, weil wir ohne alles eigene Verdienst und Würdigkeit in dem oder jenem Stücke den Willen Gottes deutlicher erkennen. „Alles ist euer“, spricht der heilige Paulus; so haben wir also auch ein Anrecht an, eben damit aber auch eine Pflicht gegen die, die zwar ihrer Zeiten Weise an sich tragen, wie wir die der unsern, uns aber dennoch in ebendemselben Glauben, welchen wir bekennen, und in der Liebe zu Christo, die auch von uns gefordert wird, so sehr übertreffen.
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 Paula ist eine Tochter ausgezeichneter und edler Eltern, geboren zu Rom am 5ten Mai 347. Der Glanz hoher Ahnen, z. B. von mütterlicher Seite der Scipionen und der Gracchen, vereinigte sich bei ihr mit einer Fülle großer Anlagen und mit einem Reichthum an zeitlichen Gütern, wie er selten zu finden ist. Aufgewachsen unter den glücklichsten Umständen, welche sie finden konnte, wurde Paula die| Gemahlin eines ihr nach Leib und Seele ebenbürtigen Mannes, Namens Toxotius, und durch ihn Mutter von vier Töchtern und einem Sohne. Sie und ihr Gatte waren Christen, deren Wandel die römische Gemeinde erbaute: zu der Summe aller Erdenfreuden kamen bei ihnen die Freuden der Religion. Der HErr aber, der da wohl weiß, was Seinen Kindern nützt, und wie selten einmal ein Mensch bloß unter dem Sonnenschein von außen und innen gedeiht, hatte seine Jüngerin Paula auf den Gipfel ihres Glückes geführt, um sie dann andere Wege betreten zu laßen, auf denen sie den Beweis finden konnte, daß alles Glück der Erde eitel, und der Friede und die Vollendung der Seele von demselben unabhängig auch in denjenigen Zuständen gedeihen könne, welche die Menschen Unglück nennen. Der Mensch, welcher in immerwährendem Erdenglück lebt, bleibt selten unangesteckt von Wohlgefallen und Lust dieser Welt; unvermerkt findet er sich eingeladen, von der Burg des Christentums Verbindungsbrücken zu bauen hinüber zu den Gebieten der Christo fremden Bevölkerung und Bündnisse wenigstens mit denen zu schließen, welche, wenn auch nicht Christen, doch in irgend einem Sinne edel genannt werden| können. So mag auch Paula die glückliche Römerin von 22 Jahren in mancherlei Gefahr ihrer Seele gewesen sein, als ihr der HErr den trauten Gemahl durch den Tod von der Seite nahm. Was ein solches Schicksal auf ein junges glückliches Weib für eine Einwirkung hervorbringt, können wir alle Tage erleben, selten aber werden wir im Gefolge herber Wittwentage diejenige Veränderung finden, welche an der heiligen Paula wahrgenommen werden kann. Schien sie zuvor zum Genuße des Lebens wie geschaffen, so war von nun an ihr ganzes Leben wenigstens nach der einen Seite hin in das Wort „entsagen“ zusammengefaßt. Die vornehme, verwöhnte und verweichlichte Frau ließ auf die zwei und zwanzig Jahre, welche den ersten Theil ihres Lebens ausmachen, einen zweiten Theil von sieben und dreißig Jahren folgen, während welcher sie die Abtödung ihres Fleisches und aller sinnlichen Begier sich zum zeitlichen Berufe erwählte und damit versuchte, ihren ewigen Beruf und ihre Erwählung fest zu machen. Ihre Lebensweise, ihre Kost und Kleidung, ihre Wohnung, ihr Schlafgemach, ihr Umgang, alles zeigte, daß sie sich der freiwilligen Armuth ergeben hatte und ihr zeitliches Gut nur zur Milderung| fremden Elends anzuwenden bemüht war. Sie hatte ja fünf Kinder, und konnte sich so gut wie andere einbilden, daß sie ihr Vermögen in deren Interesse verwalten und vermehren müße. Aber von diesem Gedanken war sie völlig frei geworden, sie glaubte ihren Kindern keine reichere Erbschaft hinterlaßen zu können, als wenn sie sich nach den Worten des Erlösers durch Wohlthat an den Armen Schätze im Himmel sammelte.
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 Indes wuchsen ihre Kinder heran und sie verheiratete ihre älteste Tochter Blösilla. Was aber geschah? Nach zwei Monaten wurde Blösilla Wittwe. Die junge Wittwe faßte den Entschluß, ihrer Mutter in der Benützung der Wittwenschaft nachzufolgen, sich ganz dem Christenthume und dem Dienste Jesu hinzugeben. Da schien die Mutter die Tochter durch herbes Schicksal aufs neue gefunden zu haben, um mit ihr vereinigt den Weg der Entsagung und Gottseligkeit zu gehen. Das aber war beiden nicht beschieden. Blösilla bekam den Ruf in die ewige Heimath, ehe sie recht zur Ausführung ihrer Vorsätze schreiten konnte, und Paula gieng ihren Weg allein. So hatte der HErr nach der Weisheit gethan, die er oftmals ausübt: er verwundet| die Seinen, wo es ihnen am wehesten thut. Hieronymus, Paula’s Freund, hatte viel zu thun, bis er sie getröstet hatte. Im Jahre 397 verlor Paula ihre zweite Tochter Paulina, welche an den heiligen Pammachius verheirathet war.
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 Während der mancherlei Lebenserfahrungen, welche Paula machte, war sie heimgesucht von dem heiligen Geiste, und drang mehr und mehr in die süße Heimlichkeit eines von der Welt abgeschiedenen gottverlobten Lebens ein. Immer unerträglicher wurde ihr der Lärm der Hauptstadt, sie sehnte sich nach einer völligen äußerlichen Abgeschiedenheit und nach einem Orte, wo sie nichts mehr in ihrer innern Sammlung stören möchte. Zwar graute ihr allerdings vor dem Gedanken, ihre Kinder zu verlaßen, da gerade sie mit einem größeren Grade mütterlicher Liebe und Zärtlichkeit begabt war, als andere. Es war ihr, als sollte sie sich das Herz aus der Brust reißen, aber so war sie eben geführt, so gesinnt, so gewillt; für ihre Kinder schien in anderer Weise ganz wohl gesorgt werden zu können, während ihre eigene innere Vollendung ein völliges Absterben zu erfordern schien. So folgte sie denn ihrem Triebe, gab allem den Abschied und schiffte sich ein| nach dem heiligen Lande, um bei ihrem Führer Hieronymus in Bethlehem sich niederzulaßen. Noch einen harten Strauß gab es zu überwinden, den Abschied von den heißgeliebten Angehörigen, die ihrerseits mit aller Zärtlichkeit an der verehrten Mutter hiengen. Da streckte der junge Sohn Toxotius unter lautem bitterem Weinen seine Hände nach der scheidenden Mutter aus, andere stimmten wie im Chore in sein Jammergeschrei ein, sie aber wandte ihre Augen vom Gestade ab und kehrte sie dem Himmel zu und dem Erlöser, welchem sie dies Opfer zu ihrer eigenen Vollendung glaubte darbringen zu müßen.
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 Sie reiste dahin; wohin sie kam, wurde sie mit der Aufmerksamkeit und Ehrerbietung empfangen, die ihrem Stande gebührte. Sie aber, die Matrone, war nicht mehr die weichliche Römerin, die einst von ihren Sclaven in Sänften getragen wurde, sondern sie wallte mit eigenen Füßen in mühseliger Entbehrung von Ort zu Ort. Sie kam nach Cypern zu ihrem Freunde, dem Bischof Epiphanius in Salamis, sie besuchte die Zellen der Einsiedler in Aegypten, in Syrien, alle Orte, die in der Geschichte des Reiches Gottes merkwürdig geworden waren. Der Statthalter von Jerusalem ließ ihr einen| köstlichen Palast zur Wohnung richten, sie aber mochte am wenigsten in dieser Stadt, in welcher ihr HErr und Heiland für sein müdes Haupt keine andere Stätte finden konnte als die eigne Brust, nach der Weise ihrer Väter ruhen. Andachtsvoll besuchte sie alle heiligen Stätten, durchreiste das ganze Land, um alle Spuren Jesu aufzusuchen und zu ehren, vertheilte allenthalben zu Seinem Preiße reiche Almosen und war selbst mit dem Geringsten und Mindesten zufrieden. Zuletzt wählte sie sich mit ihrer Tochter Eustochium, die sie begleitete und nie verließ, zu Bethlehem eine arme Wohnung und übergab sich der Führung des heiligen Hieronymus. Sie baute ein Xenodochium auf dem Wege nach Jerusalem, ein Mannskloster und drei Frauenklöster. Sie baute Kirchen, aber so groß war ihre Liebe zur Armuth, daß sie auch an den Gotteshäusern lieber die Armuth sah, als den Schmuck und die Zier, der anderen sonst Gleichgesinnten im Hause des HErrn so wohl gefiel. Die Frauenklöster, welche sie gestiftet hatte, regierte sie selbst, so jedoch, daß sie mehr eine Dienerin, als eine Regentin aller zu sein schien.
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 Während sie auf diese Weise in Gottesdienst und im Dienste anderer zwanzig Jahre in Bethlehem zubrachte,| war sie für ihre Angehörigen und ihren Sohn Toxotius in Rom keineswegs todt. Dieser lebte zu Rom mit seiner Gattin Läta, der Tochter eines heidnischen Priesters, welcher durch das junge Ehepaar den Weg zu Christo fand, ein Leben zu Christi Ehren, wie seine Mutter in Bethlehem, und gieng an seinem Ort den Weg des HErrn, wie sie an ihrem. – Voll Verlangens, mit dem HErrn ewig vereinigt zu werden, starb Paula am 26ten Januar 404. Bischöfe trugen sie auf ihren Schultern in die Kirche, andere führten die Leiche mit Psalmengesang, andere folgten mit Fackeln und Kerzen. In der Kirche der Höhle von Bethlehem setzte man sie am 28ten Januar bei. Für ihren Nachruhm und ihr Gedächtnis sorgte einer, der dazu vorzugsweise befähigt war, der Kirchenvater Hieronymus. Die Freude an diesem Lebenslaufe einer heiligen Dienerin Jesu durchzog die ganze Kirche und ihre Zeiten, und so sehr sich auch bei uns Licht und Zeit geändert hat, werden doch auch wir immerfort die heilige Kraft einer Seele ehren und bewundern, die ähnlich wie Elisabeth von Thüringen im Glück der Jugend und im herben Leid der reiferen Jahre wie eine edle Pflanze unter Sonnenschein und Regen zum ewigen Leben gedieh und| am Ende ihres Lebens den Eindruck zurückließ, daß sie nur Eine Passion hatte, vor welcher alle anderen zurückweichen und ersterben mußten, nemlich die Liebe zu Jesu.




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