Rosen-Monate heiliger Frauen/Maria aus Egypten

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XVIII.
9. April.
Maria
aus Egypten.


 Die Geschichte der Büßerin Maria aus Egypten ist so abenteuerlich, und sieht einem Mährchen der alten Zeit, einer „Lügende“, so ähnlich, daß man sich besinnen kann, ob man sie nur, sei es auch in allgemeinen Umrißen, in ein protestantisches Buch aufnehmen soll; und doch hat die Geschichte mehr Zeugschaft als andere, und ihre Einkleidung, in welcher sie überliefert ist, trägt so gerade hin den Charakter der historischen Relation, daß man am Ende den Muth bekommt, dennoch zu erzählen, was das Alterthum berichtet. Es kommt noch überdies dazu, daß die siebente allgemeine Synode der Maria von Egypten ehrende und anerkennende Erwähnung thut. Wir wagen es daher vorzulegen, was wir lesen, dem Leser aber überlaßen wir völlig seine eignen Gedanken, Werth und Geringschätzung,| Glauben und Unglauben, wenn er nur eines zugesteht, nämlich daß damit an ihn eine Aufforderung geschieht, Buße zu thun für seine Sünden, und zwar, wenn auch nicht auf eine so auffällige, doch aber auf eine ebenso ernste und, wenn er es im Vermögen hat, auf eine schönere, des Evangeliums würdigere Weise. Die Geschichte ist an das Ende des vierten Jahrhunderts und in den Anfang des fünften zu setzen.
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 Damals lebte in einem Kloster von Palästina Zosimus ein Mönch, der auf eine wunderliche Weise die Bekanntschaft der egyptischen Maria machte, und aus deßen Munde sie der Schriftsteller aufgezeichnet hat, durch den man die ganze Sache weiß. Zosimus hatte in seinem Kloster keine Ruhe; das Verlangen, in seiner Heiligung und Vollendung noch weiter zu kommen, als er bereits zu sein glaubte, trieb ihn hinaus zu den Einsiedlern und Mönchen in der Nähe des Jordans, von denen er sich auch wirklich weit übertroffen fand. Sie lebten in einem Leben der Entsagung und der Armuth, unter Handarbeit und unabläßigem Gebet, und erlangten eine dem Zosimus merkwürdige Freiheit ihrer Begier von allen Creaturen. Am ersten Sonntag in der Fasten zogen sie mit einander| über den Jordan und zerstreuten sich in der fernen Wüste gen Arabien hin, um bis zum Beginne der Passionswoche wieder zu ihren Zellen zurückzukehren. Zosimus gieng mit ihnen und drang von Tag zu Tag mehr in die Wüste hinein, in der Hoffnung, irgendwo einen Einsiedler zu finden, dessen Weisheit und hohe Stufe der Vollendung ihn für alle das Ungemach der Hitze und des Weges entschädigen könnte. Als er nun am Mittag des zwanzigsten Tages nach seinem Aufbruch vom Kloster seiner Brüder sich niederließ, um zu ruhen und Psalmen zu beten, erblickte er eine von den Strahlen der heißen Sonne geschwärzte menschliche Gestalt mit kurzen, völlig weißen Haaren. Anfangs erschrocken, als begegnete ihm etwas Ungeheueres, faßte er sich bald, und eilte der entfliehenden Gestalt nach, die ihm jedoch eher nicht Stand hielt, als bis er ihr seinen Mantel umgeworfen hatte, denn sie war ein altes Weib und unbekleidet. Jetzt erst gab es ein Gespräch, und die beiden konnten mit einander beten. Hierauf beschwor Zosimus die Seltsame, daß sie ihm sagte, wer sie sei, wie und wie lange sie da in dieser Einöde schon gelebt habe. Darauf erzählte denn die Alte unter Ausdrücken der Scham und Buße, sie sei| eine Egypterin und heiße Maria. Als zwölfjähriges Mädchen sei sie ihren Eltern entlaufen, und nach Alexandrien gegangen, in keiner andern Absicht, als ihren wilden Lüsten zu fröhnen. Sie habe siebenzehn Jahre lang, ohne Gewinn zu suchen, das Leben einer feilen Dirne geführt; da habe sie dann einmal am Ufer Leute gesehen, die ihr gesagt hätten, sie giengen nach Jerusalem, um dort das Fest der Kreuzerhöhung zu feiern, ihr aber sei gleich eingefallen, daß sie bei einem solchen Zusammenfluß von Menschen, wie er bei diesem Feste zu Jerusalem zu sein pflegte, die beste Gelegenheit haben würde, ihren wilden Trieben zu fröhnen, und so habe sie sich dann wirklich angeschloßen, und schon auf der Reise, geschweige nach ihrer Ankunft in Jerusalem, sei sie in die abscheulichsten Ausschweifungen versunken. Als der Festtag der Kreuzerhöhung herbeigekommen wäre, habe auch sie sich zur Kirche begeben, um an der Feier theilzunehmen, allein sie habe sich wie durch eine Gewalt am Eintritt in die Kirche verhindert gefühlt, und dies Hindernis nicht blos einmal, sondern bei noch mehreren angestellten Versuchen, in die Kirche einzudringen, empfunden. Dadurch aufmerksam geworden, habe sie sich in einen Winkel des Vorplatzes| der Kirche zurückgezogen und sich das unerklärliche Hindernis zu erklären versucht. Bald sei es ihr klar geworden, daß sie von ihren Sünden zurückgehalten worden sei, in die Kirche einzutreten, und, nun innerlich von Schmerz und Reue durchdrungen, habe sie endlich angefangen zu beten und um Gnade für Recht anzuhalten, so wie um Wegnahme des Hindernisses für ihren Eingang in die Kirche. Sie habe auch Beßerung ihres Lebens versprochen. Nach Beendigung ihres Gebetes (welches sie aber allerdings nach der Zeiten Irrthum, angeregt durch ein Marienbild, welches sich ihren Blicken darbot, der Mutter Gottes zur Vertretung vorgetragen), habe sie eine süße Beruhigung gefühlt und in die Kirche eintreten können, wo sie tief erschüttert durch die ihr so schnell und unverhofft wiederfahrene Gnade den Fußboden mit ihren Thränen benetzt und innerlich eine andere Lebensperiode begonnen habe. Sie habe sich angemahnt gefühlt, über den Jordan zu gehen, sich deshalb drei Brote gekauft, bei dem Bäcker sich nach dem Thore erkundigt, das zum Jordan führe, und auch sogleich den Weg zu diesem Fluße angetreten. Bereits am Abend jenes Tages sei sie an der Kirche Johannis des Täufers bei diesem Fluße angelangt, habe da das| Sakrament genoßen, darnach von einem ihrer Brote die Hälfte gegeßen, Ruhe gehalten und am andern Tage das jenseitige Ufer erreicht, und seitdem den Umgang mit Menschen gemieden. – Zosimus fragte darauf Marien, wie viele Jahre sie schon in der Wüste zugebracht, und womit sie sich ernährt hätte. Sie berichtete ihn darauf, es müßten wohl siebenundvierzig Jahre seit der Zeit verfloßen sein, wo sie von Jerusalem ausgegangen wäre. Sie hätte sich zuerst von ihren wenigen Broten, darnach aber von den Kräutern der Wüste genährt, ihre Kleider wären allmählich alle worden, und sie hätte von der Hitze und Kälte viel erlitten und sich oft sehr schlecht befunden. Zosimus wünschte hierauf auch zu wißen, wie es ihr mit ihrem inneren Leben gegangen wäre. Er konnte durch eigene Erfahrung wißen, daß der Mensch auch nach einer plötzlichen Bekehrung nicht ebenso schnell von den Schäden und sündlichen Gewöhnungen seines vorigen Lebens geheilt ist. Mit der Bekehrung geht es oft schnell, an sie aber schließt sich dann insgemein ein mühevoller und langsamer Weg der Heiligung an, bei welchem sich das gesammte Reich des Bösen um sein altes Fürstenthum zu wehren und dem neuen Besitzer| sein Recht streitig zu machen scheint. Vor den Schrecken und Mühseligkeiten einer solchen Wüstenfahrt erbebt gar manche Seele und viele, die glücklich und wunderbar durchs rothe Meer und bis zum Sinai gekommen, bleiben dann in der Wüste liegen, weil sie die neue Lebensordnung, zu welcher man sich für das Leben in Canaan anheischig machen muß, gegenüber der Begier, die an den Fleischtöpfen Egyptens festhalten will, nicht durchführen können. Es zeigte sich auch in der Antwort der Büßerin Maria, daß sie solche Erfahrungen sattsam gemacht hatte. So viel Jahre sie der Welt in voller Hingebung gedient hatte, ebenso viele hatte sie mit jämmerlichen Nachwehen ihres früheren Lebens zu kämpfen. In der Einsamkeit focht sie der gesammte Reiz ihres früheren Lebens an. Ihr frugales Mahl machte sie lüstern nach allen Speisen Egyptens, ihr armer Trank nach Wein, ihre Entbehrungen und Leiden nach dem früheren zügellosen Lebensgenuß. Sie hatte alle die Mittel anzuwenden, welche sie kannte und von andern gehört hatte, um ihrer und ihres Vorsatzes Herr zu bleiben, und nicht wieder in das alte unordige Wesen zurückzulaufen. – Zosimus fragte sie auch, ob sie denn in ihrer Einsamkeit auch| viel in Gottes Wort gelesen hätte, allein das war nicht der Fall gewesen. Maria konnte nicht lesen, und vorlesen hörte sie nichts wegen ihrer großen Einsamkeit. Mit dem wenigen, was sie wußte, hatte sie die langen siebenundvierzig Jahre hausgehalten, der Tropfen ihres Waßers hatte zum Quell werden müßen, wie sich das auch bei andern ähnlichen Lebensläufen findet. Die nachhaltende und sich selbst immer erneuende Kraft des göttlichen Wortes erzeigte sich in ihr als in einem mächtigen Beispiel. „Gott kann dem Menschen Verstand geben,“ sagte Maria in diesem Sinne dem Zosimus. Die Büßerin, welche ja wohl an dem alten Mönche während des Gespräches steigende Verehrung inne werden mochte, sorgte nach Weise der Einsiedler, sie möchte im stillen Gang ihres Lebens gestört werden, wenn ihre Geschichte kund würde, und bat daher ihren neuen Freund, von ihr zu schweigen, bis ihr Lebenslauf geschloßen sein würde. Er möchte aber desto ernstlicher für sie beten. „Du hast eine Gewohnheit, sagte sie, zu Anfang der Fasten vom Kloster wegzugehen; thue es das nächste mal nicht, wolle es auch nicht, denn du wirst es nicht können, auch wenn du willst. Bring mir aber am grünen Donnerstag den| Leib und das Blut des HErrn und erwarte mich am Ufer des Jordans auf der unbewohnten Seite.“ Mit diesen Worten hub sich Maria von dannen und eilte tiefer in die Wüste. Zosimus aber hatte, was er gesucht, Erquickung und Stärkung seines eigenen inneren Lebens durch die Erkenntnis des Lebens einer anderen Seele.
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 Als seine Brüder im nächsten Jahre zu Anfang der Fastenzeit sich wieder aufmachten, um in die Wüste zu gehen, lag Zosimus krank und erinnerte sich an die Worte Mariens, daß er das Kloster nicht würde verlaßen können. Am grünen Donnerstage machte er sich auf mit den gesegneten Elementen des heiligen Mahles, so wie mit einem Weidenkorbe mit Feigen, Datteln und Linsen, und wanderte an den Jordan. Am Abend sah er Marien am jenseitigen Ufer, wie sie das Waßer mit dem Kreuzeszeichen belegte, und dann darüber hin, wie auf festem Boden zu ihm kam. Vor Zosimus stehend bat sie ihn, daß er mit ihr den Glauben und das Vaterunser spräche, nahm dann das heilige Abendmahl, hub ihre Hände gen Himmel und sagte unter Thränenströmen: „HErr, nun läßest du deine Magd in Friede fahren, denn meine Augen| haben dein Heil gesehen.“ „Du aber, sagte sie zu Zosimus, verzeihe mir alle Mühe, die ich dir verursacht habe, und erzeige mir noch die einzige Gnade, im nächsten Jahre, am Anfang der Fastenzeit zu mir an den Ort zu kommen, wo du mich zuerst gefunden hast.“ Von den mitgebrachten Früchten nahm Maria nichts als etwas Linsen an, und entfernte sich alsdann in derselben wunderbaren Weise. Bei seinem nächsten Besuche fand er nicht sie, aber ihren Leichnam, und neben demselben eine Inschrift mit ihrem Namen und ihrer Todeszeit. Er legte sie in eine Grube, die in der Nähe von einem Thier ausgegraben war, und gieng dann weg und diente seinem Gott, bis er im hundertsten seiner Jahre starb.

 Nimm dir, Leserin, aus der Geschichte, was du willst; fang mit ihr an, was dir beliebt; siehe aber zu, daß du nicht allzuschnell sie hinter dich werfest, etwa weil Maria über den Jordan gegangen sein soll, wie du nicht kannst, und weil sie von sich und Zosimus dies und jenes voraussagen konnte, was du auch von dir und andern nicht voraussagen kannst.




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