« Mathildis Wilhelm Löhe
Rosen-Monate heiliger Frauen
Alphabetisches Namensverzeichnis
Theodosia »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
XV.
17. März.
Gertrud,
Jungfrau, Aebtissin.


 Gertrud ist keine Märtyrin der ersten Zeit, sondern eine Tochter des siebenten Jahrhunderts, geboren und erzogen in Verhältnissen, in welchen von einer Verachtung des Namens Jesu Christi keine Rede mehr war. Sie hatte nicht mehr um des Namens Jesu willen zu leiden, nicht mehr die Schmach der Welt außerhalb der Kirche zu tragen, sondern ihre Lebensaufgabe war jene Zurückziehung von der Welt in der Kirche und jene Überwindung dieser Welt, welche in ihren Tagen die Aufgabe und das Heldenwerk auch vieler andern war, das stille Martyrium eines mitten in der verweltlichten Kirche dem HErrn ergebenen Lebens. Ihr Lebensgang verläuft im allgemeinen gerade so, wie der vieler anderer: sie wächst unter der Erziehung frommer Hände heran, sie wendet ihr Herz von dem gewohnten Treiben anderer ab, sie will nicht| ehelich werden, sie geht ins Kloster und führt bis an ihr Ende nach der Regel ihres Ordens ein stilles Leben der Abtödung und der Aufopferung für andere. Bei wie vielen Lebensläufen jener Tage kehren diese Züge immer wieder, wie ein Schema, an welchem die Verschiedenheiten und Besonderheiten jedes einzelnen Lebens sich ausnehmen, wie etwa die verschiedene Zier und Ausschmückung vieler Kleider, welche nach einem und demselben Schnitt und Muster gefertigt sind: die einheitliche Form wird je nach Umständen mehr oder weniger durch Zier und Schmuck hervorgehoben und empfohlen. Trotz der Monotonie liest man dennoch jeden Lebenslauf eines Märtyrers der ersten Jahrhunderte und jeden Entsagungsgang eines Mönches oder einer Nonne der späteren Zeit mit erneuerter Befriedigung. Versteht sich: was haben denn die Christen der ersten Jahrhunderte beßeres thun können und sollen, als die Welt außer der Kirche bekämpfen und überwinden, – und was konnten und können die Christen der späteren Zeit für sich und andere heilsameres unternehmen, als die Welt in der Kirche innerlich und äußerlich überwinden? So wandeln beide dem Lamme Gottes nach, welches durch Entsagung, Aufopferung und Unterliegen selbst zu ewigen Ehren kam| und uns ein ewiges Heil erwarb. Kloster und Mönchthum mag man, wenn man will, zufällige Formen des Lebens nennen, wie wir es geschildert haben, aber mit Abrechnung dieser Formen haben auch die wahren Christen unserer Tage, auch die protestantischen in ihren Landeskirchen keine andere Aufgabe, als Gertrud und alle die leuchtenden Sterne der vergangenen alten Zeit. Weißt du es anders, so belehre mich, weißt du es aber nicht beßer, so kannst du dich an Gertrud spiegeln und wohl zusehen, daß deine Lebensformen preiswürdiger seien, als die der Nonne Gertrud.

 Ein langer Eingang, hoffentlich nicht ohne Nutzen geschrieben, dem nun in der Kürze die Besonderheiten von Gertruds Leben folgen mögen.

 Gertrud war, wie man zu sagen pflegt, hochgeboren, die Tochter eines Mannes, deßen Ruhm weltbekannt ist, nemlich Pipins von Landen, des Major-Domus der fränkischen Könige von Austrasien. Ihre Mutter hieß Itta oder Ituberga, und war die Schwester Modoals, Bischofs von Trier. In ihres Vaters Palaste nahte ihr die Versuchung der Welt nicht; derselbe war vielmehr Zufluchtsort und Sammelpunkt aller, die Hilfe bedurften, oder den ewigen Helfer Christus suchten.| Gerade das Leben bei den Ihren machte ihr die Welt unlieb und erzog in ihr das Verlangen, in stiller Abgezogenheit Christo und seinen Heiligen zu dienen. Als sie herangewachsen war, fehlte es ihr an Heirathsanträgen keineswegs, auch nicht an zureden, den einen oder den andern anzunehmen. Als man in diesem Sinne in Gegenwart des fränkischen Königs Dagobert auch einmal in sie drang, gab sie eine Antwort, welche den König vermochte, ferneres Dringen in sie zu untersagen: „Ich habe schon einen Bräutigam, ich habe Den erwählt, deßen ewige Schönheit der Grund ist von aller Schönheit der Kreatur, deßen Reichthum unermeßlich ist, und vor deßen Antlitz die heiligen Engel anbetend niederfallen.“ Nachdem nun Gertrud Herrin ihrer Wahl geworden war, begab sie sich in ein Kloster, welches ihre Mutter zu Nivelles in Brabant gestiftet hatte. In einem Alter von 20 Jahren wählte man sie zur Aebtissin, und neben freudiger Armuth und Aufopferung trat nun bei aller anerkannten Demuth ein Maß der Gabe zu regieren und andere zu leiten hervor, über das man um so mehr erstaunen mußte, wenn man ihre Jugend in Anschlag brachte. Ihre eigene Mutter hielt es für das schönste und beste, unter| der Leitung ihrer Tochter zu leben. Zehn Jahre lang blieb Gertrud in ihrem Regimente, dann aber legte sie es nieder und ihre Nichte Wilfetrudis folgte ihr in ihrer Würde. Sie selbst machte nun die Bereitung für die selige Ewigkeit zu ihrem Hauptgeschäfte, und nach drei Jahren der Vorbereitung entschlief sie im 33. Jahre ihres Alters, am 17. März 659. So wußte sie wohl anzufangen und wohl aufzuhören, das Scepter zu ergreifen und wieder niederzulegen und allezeit dasjenige zu thun, was ihr und anderen am meisten nützte. Eine solche strahlende Weisheit sucht man wohl bei Jungfrauen von 33 Jahren für gewöhnlich vergebens, Leserin, bei dir nicht vergebens?




« Mathildis Wilhelm Löhe
Rosen-Monate heiliger Frauen
Theodosia »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).