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L.
8. Oktober.
Brigitta,
Wittwe aus Schweden.


 Der Name Brigitta findet sich in den kirchlichen Calendarien zweimal, am ersten Februar und am 8. Oktober. Am 1. Februar gedenkt man einer berühmten irländischen Jungfrau aus dem Anfang des 6. Jahrhunderts, welche, väterlicherseits aus königlichem Geblüte, die Tochter einer Sclavin war, das Leben der Einsiedlerin erwählte, eine Führerin anderer Jungfrauen wurde und in ihrem Heimathlande Klöster stiftete. Mag sie leuchten vor Gott und aller der Ehren werth sein, welche ihr dankbares Vaterland ihr bis auf diese Stunde gibt; so hätten wir doch in diesem Buche nur wenig von ihr zu sagen, was andere zur Nachahmung reizen könnte. Unser Augenmerk ist daher auf jene andere Brigitta gewendet, deren man am 8. Oktober gedenkt.| Es ist diese Brigitta die wegen ihrer Gesichte und Offenbarungen merkwürdige, wegen ihres christlichen und frommen Wandels auch uns ehrwürdige Wittwe aus Schweden. Sie ist zu Finsta oder Finstad in der schwedischen Provinz Upland im Jahr 1302 oder 1303 geboren. Ihr Vater, Birger Pederson, war Lagmann oder Landvogt von Upland, und ihre Mutter hieß Ingeborg, wird aber auch, obschon vielleicht fälschlich, Sigrida genannt. Diese Eltern, beide hochgeboren, der Vater sogar aus königlichem Stamm, hatten drei Söhne und vier Töchter, unter welchen Brigitta oder Birgitta die jüngste war. Schon vor der Geburt dieser Tochter gab es nach der Überlieferung Gesichte und Träume, die auf besondere Gnaden des Kindes deuteten, welches geboren werden sollte. Als Ingeborg einem von ihrem Manne gestifteten Kloster einen Besuch machte, war einer Klosterfrau die ehrliche Pracht der hohen Dame so anstößig, daß sie nicht anders konnte, als sich darüber auslaßen: Ingeborg, meinte sie, sei hoffärtig. In der Nacht darauf wurde die Klosterfrau bedeutet, daß Ingeborg nicht hoffärtig, wohl aber Mutter eines auserwählten Kindes sei. Während derselben Zeit, da sie mit ihrer Tochter Brigitta gieng, machte sie| eine Seereise: das Fahrzeug litt Schiffbruch, viele Reisende starben, Ingeborg wurde gerettet, und in der Nacht darauf bekam sie den Unterricht: „Du bist verschont um des Guten willen, das du in deinem Schooße trägst.“
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 Als nun das Kind das Licht der Welt erblickt hatte, da zeigte sichs allmählich, daß es stumm war, nicht taub, nicht stumpf, aber stumm. So blieb es drei Jahre, nach deren Ablauf ihm die Zunge gelöst wurde, und sichs zeigte, wie wohl Brigitta in aller Stille gehört hatte und gereift war, denn siehe, sie konnte reden, als hätte sie es jahrelang geübt. Im Jahre 1310 starb ihre Mutter, und sie kam nun unter die Pflege einer ihrer Muhmen. Das Leben des jungen Mädchens war ernst von Kindesbeinen an, und bereits in ihrem zehnten Jahre begann die Reihe der inneren Gesichte und Offenbarungen, welche ihr Leben auszeichnen. Sie hörte eine Predigt vom Leiden Jesu und wurde durch dieselbe im tiefsten Innern gerührt. In der folgenden Nacht sah sie Jesum mit Blut und Wunden bedeckt an Seinem Kreuze hangen, und es war ihr, als hörte sie Seine Stimme: „Sieh mich an, meine Tochter.“ Sie wurde dadurch zu der Frage| bewegt: „Ach, wer hat dich so zugerichtet“, und hörte darauf die Erklärung Jesu von der Lieblosigkeit der Menschenkinder und Seine Klage über ihre Unempfindlichkeit gegen Seine Liebe. Seitdem gehörte ihr ganzes Herz dem Andenken der Leiden Jesu, und da sie später als Wittwe ihr Kloster zu Wadstena in Linköping und ihren Orden stiftete, war es ihre Hauptabsicht, daß sich die Brüder und Schwestern des Ordens der Betrachtung der Leiden Jesu widmen sollten, deren sie selbst kaum einmal ohne Thränen gedenken konnte. Unter ähnlichen Gesichten göttlicher und dämonischer Art, so wie unter fleißiger Andacht und Betrachtung erreichte sie ihr dreizehntes Jahr, in welchem sie ihr Vater mit dem Lagmann von Nerice in Schweden, Wulph Gudmarson, einem frommen und keuschen Jüngling verlobte. Die Vermählung gieng vor sich, nachdem sie in das sechszehnte Jahr getreten war.
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 Aus der Ehe giengen nach einem Jahre freiwilliger Enthaltung beider allmählich acht Kinder hervor, nach deren Gewinnung die beiden Eltern den ehelichen Umgang aufgaben. Beide, Wulph und Brigitta, hatten hohe Stellen am königlichen Hofe, welche sie nun niederlegten, um ihre fernere Lebenszeit dem Dienste der| Andacht, der Armen, der Kranken, zum Theil in einem von ihnen selbst gestifteten Hospitale, zu widmen. Sie wanderten auch, und zwar meist zu Fuß, nach San Jago di Compostell. Wieder zurückgekommen ordnete Wulph seine zeitlichen Angelegenheiten vollends, und da er eben damit umgieng, in das Kloster Alvastra einzutreten, woselbst er sich bereits angeschloßen hatte, starb er am 12. Februar 1344, noch ehe er das 50ste Jahr erreicht hatte, und für Brigitta begann der Wittwenstand.
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 Brigitta vertheilte nun Wulphs Güter unter ihre Kinder und erwählte für sich ein Leben der freiwilligen Armuth und der Entsagung, noch mehr aber ein Leben der Hingabe und der Andacht. Sie bezog das Kloster Alvastra und wurde in ihrer einsamen Stille bald wieder mit der Eröffnung des inneren Sinnes und mit Gesichten heimgesucht. Sie sah den Erlöser der Welt im Geiste, wie er sie, die vom Manne frei gewordene, zur Braut annahm, und es erwachte in ihr selbst der jugendlich bräutliche Sinn, fortan mit Leib und Seele ganz Ihm anzugehören und zu dienen. Ihr eigenes Glück, welches sie in der Stille gefunden hatte, war so groß, daß sie beschloß, es auch andern zu ermöglichen, und zu dem| Ende in Wadstena am Wettersee ein Kloster zu gründen, und zwar eines von eigentümlicher Art, aus Männern und Frauen bestehend, unter welchen jedoch nur so viel Gemeinschaft gestattet wurde, als nöthig war, um den Frauen die Wohlthat männlicher, seelsorgender Unterstützung zu verschaffen. In der Kirche antworteten sich die Chöre der Männer und Frauen und hörten einander, aber sie sahen sich nicht, da eine zwischen beiden aufgeführte Wand jeden Blick verhinderte. Was die Zahl anlangte, so waren der Personen so viele, daß die Zahl der dreizehn Apostel (Paulum mit eingeschloßen) und der zweiundsiebzig Jünger nachgeahmt wurde. Es waren also in Wadstena fünf und achtzig Menschen, sechzig Schwestern, dreizehn Priester, vier Diakonen und acht Laienbrüder. Diese Eigentümlichkeit von Wadstena gieng auf den hernach von Brigitta gegründeten Brigittenorden über, nach deßen, übrigens der Regel des heiligen Augustin entsprechenden Satzungen der Gedanke der Jungfrauschaft mit dem einer vorsichtig umschirmten heiligen Gemeinschaft beider Geschlechter verbunden war. Man wird dadurch an die heilige Walburgis erinnert, die es nach dem Tode ihres Bruders gleichfalls innerlich und| äußerlich möglich fand, zugleich einem Mönchs- und Nonnenkloster vorzustehen. – Die Betrachtung der Leiden Jesu und seiner Mutter, welche Hauptziel des Brigittenordens war, schien den Gemüthern Stärke und Kraft genug verleihen zu können, um die Vereinigung, von welcher wir sprechen, möglich zu machen.

 Uebrigens war Brigitta und ihr Aufenthalt nicht auf Alvastra oder Wadstena beschränkt, sondern sie pilgerte auch nach Rom und nach Jerusalem. Auch gehörte ihr Herz nicht bloß ihren Stiftungen, ihre Gesichte und ihre Fürsorge bezogen sich auf die ganze Kirche. Damals war der Papst zu Avignon in französischem Gewahrsam, und die römische Kirche von Parteiungen und Spaltungen zerklüftet. Da fühlte sich Brigitta öfters durch Gesichte angeregt, die Oberhirten der Kirche zu ihren Pflichten aufzurufen, und that mit Kraft und keineswegs ohne Erfolg, wozu sie sich getrieben fühlte. Man könnte am Verlaufe der Kirchengeschichte jener Tage Spuren ihres Einflußes aufzeigen.

 So hatte sie ein reiches Leben von Jugend auf, als Jungfrau, als Weib und Mutter, (denn ihre Kinder giengen die Wege der Eltern), und endlich als Wittwe. Noch bis zur Stunde blühen in Schweden mehrere Zweige| von Brigittens Nachkommenschaft in hervorragenden Geschlechtern. Auch ihre geistlichen Kinder, ihr Orden, [s]o wenig irdische Gewähr gerade die Vereinigung der beiden hohen Gedanken ihm verhieß, lebten und arbeiteten Jahrhunderte lang in verschiedenen Ländern. Ihre Offenbarungen aber haben ihren Namen bei fernen Geschlechten unvergänglich gemacht, wenn ihnen auch nicht blos von den Protestanten, sondern selbst von der römischen Kirche nicht allenthalben der gleiche hohe Werth beigelegt wurde.
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 Brigitta erreichte ein hohes Alter, denn ein hohes Alter kann man 71 Jahre wohl nennen, wenn man die Mühseligkeiten und die aufreibenden Umstände ihres Lebensganges in Anschlag bringt. Schon zur Zeit ihrer großen Reisen nach Italien und Palästina war sie leidend, Schwäche des Magens und Fieber machten ihr das Leben beschwerlich; als sie aber vom Morgenlande nach Italien zurückgekehrt war, wurde ihr im Gesichte angezeigt, daß ihre Zeit vorüber sei, und ihre Stunde gekommen. Sie ermahnte ihre anwesenden Kinder, ihren Sohn Birger und ihre Tochter Katharina; sie ließ sich auf ein Bußkleid niederlegen, empfieng das Sakrament und verschied mit den Worten:| „In deine Hände befehle ich meinen Geist“, am 23. Juli 1373.

 Warum man ihr Gedächtnis am 8. Oktober feiert, weiß niemand: ihre Kinder beantragten ihre Heiligsprechung, die sie auch erreichten, aber dieselbe geschah am 7. Oktober. Weil man aber von Alters her am 8. Oktober ihrer gedenkt, so behalten auch wir diesen Gedächtnistag bei, den Gedächtnistag einer Frau, die eine gleiche Höhe des inwendig verborgenen und des äußerlich kräftigen Lebens erreichte, zu den einflußreichsten ihrer Zeit gehörte, und doch allezeit auch das, was ihr selbst die größte Bewunderung abnöthigte, ihre Gesichte und Offenbarungen, deren sie sich unwerth achtete, dem Urtheil der Kirche demüthig anheimstellte. So fehlen ihr zum Charakter eines großen Lebens auch nicht die vollendenden Züge wahrer Schönheit, Herzenseinfalt, Demuth, Anspruchslosigkeit, – eine hohe Gnade bei einem solchen Hervortreten und einer Anerkennung, wie Brigitta derselben in der ganzen Kirche genoß.




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