Romeias, der Villinger Simson

Textdaten
<<< >>>
Autor: Fidelis Dürr
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Romeias, der Villinger Simson
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 447–452
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Karlsruhe
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[447]
Romeias, der Villinger Simson.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts lebte zu Villingen ein Mann, Namens Romeias Mann, der von beinahe riesenhafter [448] Gestalt und Gliederstärke war. Als Lieblingsgeschäft trieb er die Jägerei, beschränkte sich aber nicht auf die Gemeindewaldungen, sondern holte sich auch aus den entlegeneren Forsten der Umgegend reiche Beute an Schwarz- und Edelwild, weßhalb ihn die Nachbarn, als einen verheerenden Wilderer, gar gerne gefangen und in Verwahrung und Strafe genommen hätten, wär’ ihm nur etwas leichter beizukommen gewesen. Unser Held stund in Villingen wegen seiner herkulischen Eigenschaften in hohem Ansehen und war, wenn auch von dieser Seite nicht wenig gefürchtet, doch von Seite seines geraden offenen Gemüths, seines mannlichen Charakters und leutseligen Wesens, bei Alt und Jung im Volke sehr beliebt. In Folge des noch nicht ganz abgeschafften Faustrechts und der Villinger kriegsständiger Einrichtung waren die hiesigen Bürger in Rotten und Fähnlein eingetheilt. Anführer eines solchen Fähnleins war auch Romeias geworden und, dasselbe stets in kriegerischer Uebung zu erhalten, unternahm er mit ihm bald da, bald dorthin, bald als Freund, bald als Feind, Streifzüge in die benachbarten Orte, je nachdem sie mit den Villingern auf friedlichem oder feindlichem Fuße standen. Die andern Rottenmeister trieben es nicht viel besser, doch war keiner so gefürchtet auf weit und breit, wie unser Held. So bekriegten sie die Städte Haslach, Hornberg, Rotweil etc. und nahmen an Beute weg, was ihnen gefiel, wenn sie den Sieg errungen hatten.

In einem solchen Strauße mit der benachbarten Stadt Rotweil zeichnete sich nun Romeias durch ein Kraftstück aus, das ihm den Ehrennamen „der Villinger Simson“ auf ewige Zeiten erworben hat. Bei nächtlicher Weile schlich er sich, von der Dunkelheit begünstigt, durch den Graben watend, dicht an das Stadtthor, schlug mit einigen Streichen die Wachen nieder, mit ein Paar andern das Thor ein, hob den einen schweren hölzernen Flügel desselben aus, lud ihn auf seine Schultern und trug ihn, ohne nur einmal auszuruhen, im Triumphe bis auf den Stumpen, einen zwischen Villingen und Rotweil gelegenen Berg, wo er ihn als Siegesdenkmal aufstellte.

Auf solchen Zügen wurde geraubt und gebrandschatzt, daß es oft ein Greuel war; zugleich verschmähten diese Rotten nicht, das edle Handwerk der Wegelagerei zu treiben, das sie [449] den Rittern trefflich abgelernt hatten. Eine schöne Glocke auf einem der Thürme des Villinger Münsters ist die Beutefrucht eines derartigen Zuges nach Düningen, einem drei Stunden von da gelegenen Würtembergischen Dorfe.

Bei der unbeschränkten Freiheitsliebe und Streitlust, die Romeias’ ganzes Wesen erfüllte, konnt’ es nicht fehlen, daß er bald in arge Händel nicht nur mit der Nachbarschaft, sondern auch mit dem Villinger Stadtrathe selbst gerieth, der ihm nichts recht nach Sinnen machte; besonders erboßt war er auf eine der ersten Rathspersonen, auf den Stadtschreiber und Schultheißen, Hans von Frankfurt genannt, der ihn einmal ziemlich hart zur Strafe gezogen. Er suchte seine Rache an ihm durch solche Stachelreden und thätliche Beschimpfungen auszulassen, daß sich zuletzt der Magistrat genöthigt sah, diesen unruhigen Kopf wo möglich unschädlich zu machen. Am Tage Mariä Empfängniß, im Jahr 1498, ward Romeias auf Befehl des Stadtraths unversehens gefangen genommen und in das Verließ des Michaels-Festungsthurmes, den sogenannten Diebsthurm, gesperrt. In diesem Thurme sieht man noch, 30 Schuh über dem Fundamente, in der Mitte des dicken Holzbodens ein Loch, durch welches unser Held hinuntergelassen wurde und durch welches er auch seine Nahrung, wie es heißt, ein ganzes gebratenes Kalb täglich, erhalten haben soll. Romeias aber machte sich die abgenagten Knochen trefflich zu Nutze; er sammelte sich binnen kurzer Zeit einen solchen Vorrath davon, daß er sich eine Art von Stiege, die er in die Mauerritzen und gebohrten Löcher seiner Kerkermauer einkeilte, verfertigen und darauf bis zur Decke klettern konnte. Allein da das erwähnte Loch in der Mitte derselben, durch welches ihm seine Kost herabgelassen wurde, noch ohngefähr 12 Schuhe vom Saume der Mauer entfernt war, gelang es ihm doch nicht, auf diese Weise zu entkommen. Dazu verhalf ihm hingegen glücklicherweise sein eigener Gefängnißwärter, den er durch Versprechung reichlichen Lohnes zu bestechen wußte. Dieser steckte ihm die nöthigen Instrumente zu, um den Bohlenboden, welcher die Decke seines Verließes bildete, zu durchbrechen. Aus dem Thurme, der an der Stadtmauer steht, entfloh nun Romeias, auf dem sogenannten Umlauf an der Ringmauer, nach St. Johann, einer ehemaligen Commende [450] des Teutschherren-Ordens, in die sogenannte Freiheit. (Ort, in welchem Verfolgte freies Asylrecht genossen.) Da ihm dort der Stadtrath nichts anhaben konnte, beschloß er, mit ihm zu kapituliren. Wirklich fügte sich Romeias den gestellten Bedingungen, schwor sein unordentliches Leben ab und erhielt bis auf seinen Tod den Genuß der sogenannten weißen Pfründe im heiligen Geist-Spitale, in dessen Kirchlein, wo heut zu Tage das Kornhaus steht, er auch begraben wurde.[1]

Auszug aus Heinrich Hug’s Villinger Chronik.

Item A. D. 1498 auf Concept. Mariæ, da ward Einer gefangen, der hieß Romeyus Man und ward gelegt in den Diebsthurm von wegen etlicher Reden, die er gegen den Stadtschreiber und den Schultheißen Hans von Frankfurt getrieben sollte haben; und lag im Thurm bis Weihnachten, da hatte man einen gebotenen und zusammengeläuteten Rath, und ward mit dem Mehr erkannt, daß er (Romeyus) sein Leben mit einem Stück Brot und Wasser in dem Thurm aufgeben und beschließen sollte; was aber ihm seine Freunde und gute Gönner um Gottes Willen gäben, das möchte man wohl leiden. Da gaben ihm dieselben je einen um den andern Tag im Thurm zu essen, und auch der gemeine Mann hatte groß Mitleiden mit ihm, aber es mocht ihm nit zu Hülf kommen. Und begab sich hernach in der Fasten, daß des Herzogs von Bayern Zeug allhieher kam. Der wollte in’s Hoch-Burgund reiten; dem zeigten fromme Leut an und hielten ihm des Romeyus Sache für, warum er also hart gefangen war; dazumal baten für ihn drei Grafen, auch sieben Ritter und Freiherrn etc. Aber es half Alles nichts; ein ehrsamer Rath vermeinte, er müßte im Thurm sterben, nach Ihrer Erkenntniß, und ließen ein Brück (Blockhaus) aus eichenen Fleckling (Planken) in den Thurm machen und verwahrten ihn gar wohl, daß ihm kein Mensch von dannen helfen möchte. Da rief er Jesum Christum, auch Maria die Mutter Gottes und alle seine liebe Heiligen also getreulich an, und lugte dabei was ihm gut seyn mochte. Indem so wurde ihm ein Messerlein eines Fingers lang in den Thurm geschafft, damit brachte er mit Hülfe des Alllmächtigen also viel zuwegen, daß er einen Spreißen (Riß) nach dem andern in die Mauern brachte, bis er oben an die Bühne kam, da hatt’ er große Noth, denn die Balken all gar groß und eichene Fleckling waren. Er arbeitete aber so streng Nachts mit dem Messerlein und trieb es also lang bis an unsers Herrn Frohnleichnams Abend [451] um die eilfte Stunde im Tag, da war er auf der Bühne des Thurms und rüstete sich mit den Seilen, die daselbsten lagen und da es Nacht war zwischen 10–11 Uhr, da hatt’ er sich ganz gerüstet und ließ sich zu einer Baye oder Laden hinaus herab an einem Seil, bis auf das Dächlein, so vorm Thurm ist, und sprang dann hinab auf die Dillen, so damals daselbsten lagen; er hatte aber vorher große Klötze hinausgeworfen, die er ausgegraben im Thurm; die trug er mit sich gen Sankt Johannes, allwo der eine noch liegt in dem Chor; den andern hat er mit sich gen St. Wolfgang in’s Bayerland getragen. Und do er gen St. Johannes kam, da war es das allergrößte Wunder, das je gehört ward, daß er aus seinem harten Gefängniß sollte kommen seyn und ging Jedermann zu ihm und lobten Gott; aber Keiner kam zu ihm, der aus dem Rath oder ein Rathsfreund war; zudem ward auch der Werkmeister (des Blockhauses) in den Bickenkäfig[2] gelegt und ihrer viel deswegen gefangen. Aber der Werkmeister brach auch aus und kam auch gen St. Johannes, wollt’ er aber gerichtet (seine Sache geschlichtet haben) seyn, so mußte er dem Rath 20 Gulden geben. Und den Thurmhüter fing man auch; es konnt’ aber Niemand erfahren, wer dem Romeyus das Zeug[WS 1] gegeben hatte, damit er hatt’ können ausbrechen. Es legte auch ein ehrsamer Rath einen großen Kosten auf ihn, mit Hut und Wartung, und hatte großen Anschlag, ihn aus der Freiheit (Asyl) zu nehmen. Aber auf St. Urbans Abend, da kam ein so großes Schneegestümes Wetter, daß Jedermann seiner Behausung besorgen mußte. Als aber Romeyus Man solches gewahr wurde, da stieg er aus dem Kirchlein hinaus und kam hinweg und begehrte Rechts; aber man ward mit ihm gerecht (verglich sich mit ihm) um alle Sachen und gab ihm ein ehrsamer Rath all seine Verschreibung hinaus und noch Geld dazu und er durfte wandeln, wohin er wollt. – Er war ein wunderbarlicher Mensch, daß seine Sachen nicht zu beschreiben sind; denn er war ein Kriegsmann von Jugend auf und hat große Sachen gethan und verrichtet seiner Tage.

Und darnach im 1499er Jahr fing der Schweitzerkrieg an, da lag Romeyus Man auf einem Schloß hieß Kissaberg bei Waldshut; damals hielt er sich also mannlich und redlich, daß ihm der König allhier (in Villingen) im Spital in der oberen Stuben eine Pfründe gab. Die war ihm (wie wohl zu glauben) viel lieber als die einstige Pfründe im Diebsthurm, die ihm ein ehrsamer Rath zuvor versprochen. – Es ist und kann nicht Alles von seinem Thun und Lassen beschrieben werden.

Inschrift an der Villinger Stadtmauer vor dem Rotweiler Thore zu dem Freskobilde des Romeias.[3]

Als man zählt 1498 Jahr
Hat hier gelebt, glaubt fürwahr,
Ein Wundermann, Romeyas genannt,

[452]

Im ganzen Land gar wohl bekannt.
Nachdem er ritterliche Thaten vollbracht,
Sein Stärke ihn verführet hat,
Fing an seine Obrigkeit zu schelten,
Dessen mußt er im Thurn entgelten.
Broch wunderlich mit List daraus
Und floh in Sanct Johanniser Haus,
Allda noch ein Balken zu finden,
Welchen Romeyas dahin tragen konnte;
Wagt sich hernach über d’Mauern n’aus
Belagert Kusenbeeg, das feste Haus,
Das er in wenig Zeit eingenommen,
Daher wiederum Gnad bekommen,
Daß im Spital bis an das Grab
Die Herren-Pfrund ihm geben ward,
Endigt also in Ruh sein Leben.
Gott woll’ uns allen den Frieden geben!


  1. Von diesem Berichte, den ich der gütigen brieflichen Originalmittheilung des Herrn Chorregent Dürr zu Villingen verdanke, weicht in einigen Punkten die Erzählung von Romeias’ Gefangenschaft ab, welche sich in der handschriftlichen Chronik des Heinrich Hug von Villingen (im Besitz des Generallandes-Archivs zu Carlsruhe) befindet. Ich lasse sie, vergleichshalber, in modernisirter Abschrift hier folgen.
    Anm. des Herausg.     
  2. Eine Art Gefängniß auf dem Bickenthor.
  3. Sowohl das Riesenbild als obige Verse, welche der Herausgeber der freundlichen Mittheilung des Herrn Hofpredigers Becker von Donaueschingen zu danken hat, sollen bereits seit einigen Jahren von der Villinger Stadtmauer verschwunden seyn.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zeng