Romanzen vom Rosenkranz/Romanze VIII: Kosmes Buße II

« Romanze VII: Kosmes Buße I Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Romanze IX: Apo und Moles auf dem Turme »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).


[88]

     Kosmes Buße II

Nieder stieg die Sonne wieder
Auf des stummen Hügels Rand
Und sieht scheidend ernst hernieder
In das dämmervolle Land.

5
Ihre Strahlen fallen schiefer

An der engen Kammer Wand,
Malend an der Kerze, tiefer
Sinket Kosmes fleißge Hand.

Lang nach jenem Bilde sieht er,

10
Das er hänget an die Wand,

Und zur Erde kniet er nieder,
Weit die Arme ausgespannt.

Und er spricht: „O Herr, den Frieden
Gabst du, an das Kreuz gespannt,

15
Und das Kreuz, es blieb hienieden,

Du hast dich zu Gott gewandt.

Sieh gekreuzet mich hier knieen
In der schweren Sünde Last,
Bis du, Herr, auch mir verziehen,

20
Auch für mich gelitten hast.


Ach, das Herz ward dir durchspießet
Von verräterischem Stahl,
Blutige Versöhnung sprießet
Aus der heilgen Wunden Mal.

[89]
25
Aber ach, die Sonne spielet

Ewig nur mit meiner Qual,
Ewig, ewig sie mir zielet,
Nimmer tötet mich ihr Strahl.

Wenn so rasch die Wolken fließen

30
Um den nackten Feuerball,

Alle Narben sich erschließen,
Aufstehn meine Sünden all.

So wenn einst die Engel ziehen
Mit der Zornposaune Schall,

35
Nahn die Toten aufgeschrieen

In des Wahnes Widerhall.

Nieder schmilzt der Sonne Siegel
Vor des Richters jüngstem Tag,
Es zerbricht des Todes Riegel,

40
Klar steht, was verloren lag.


Und der ewgen Schönheit Spiegel
Spiegelt jegliche Gestalt,
Und des Rechtes Feuertiegel
Prüfet jeglichen Gehalt.

45
Wohin soll ich dann mich schmiegen,

Wenn das Licht hoch überwallt?
In dem Staube werd ich kriechen
Mit der Schlange Mißgestalt.

Weh, die Sonne sinkt, vergießend

50
Blutge Tränen ohne Zahl,

Und aus ihren Tränen sprießen
Tausend Tränen bittrer Qual.

Und es weinen die Verliebten
Einsam in vergeßner Schmach,

[90]
55
Und es weinen die Geliebten,

Denen man die Treue brach.

Unter gingst du, Lustgezierte,
Der die Ehe mich verband,
Der aus schändlicher Begierde

60
Pflicht und Treue ich entwand.


Blutschuld ist die Rosenzierde
In der Sonne Untergang:
Fluch der teuflischen Begierde,
Die mit Sünde dich verschlang.

65
Alle Tränen, die du gießest,

Sinkend auf der ewgen Bahn,
Bis du deine Augen schließest,
Wachsen mir zur Sündflut an.

Und auf ihrer Woge ziehet

70
Dort des Mondes bleicher Kahn,

Aber keine Taube fliehet
Mit dem Ölblatt mir heran.

Mond, wie blinkst du bleich und siechend
An des Abends Rosengrab,

75
Wo die Sonne still versiegend

In den Schatten sinkt hinab.

Rosalata, du sankst nieder
Mit dem roten Rosenkranz,
Rosatristis, du kehrst wieder

80
Mit der weißen Rose Glanz.


Mond, ich sah dich mahnend ziehen
Wie ein Geist die Wolkenbahn,
Und ich muß hier weinend knieen,
Klagen mich der Sünde an.

[91]
85
Eile nicht, vorüberfliehend

Mit der Sichel scharf und blank;
Schneide ab den Stamm, der knieend
An der Erde welk und krank.

Eine Wagschal, hoch auffliegend,

90
Hebt die Buße dich hinan,

Meine Sünde nie aufwiegend
Klagest du vor Gott mich an.

Wie so weiß dein Schleier fliehet,
Nonne, durch den Sternensaal,

95
Mit dir betend, büßend, ziehet

Still der Sterne Nacht-Choral.

Aus der Unschuld Paradiesen,
Wo du trugst den Rosenkranz,
Irrest du, durch mich verwiesen

100
Mit des Schwertes Feuerglanz.“


Doch der Mond zog stillverschwiegen
Hinter eine Wolkenwand,
Ließ ihn ungetröstet liegen,
Wo er ihn in Tränen fand.

105
Und er hebt sich von den Knieen,

Als er sein Gebet vollbracht;
Aber ihm ward nicht verziehen.
Auf dem Tale lag die Nacht.

« Romanze VII: Kosmes Buße I Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Romanze IX: Apo und Moles auf dem Turme »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).