Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Religiosität in Frankreich
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 124-125; S. 493-494; 498-500
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[493]

Religiosität in Frankreich.


Es besteht in Frankreich, seit längerer Zeit, eine Gesellschaft, die unter dem Namen der katholischen Societät für gute Bücher (Société catholique des bons livres) bekannt ist und angeblich den Zweck hat, das, was man religiöse Indifferenz zu nennen pflegt, zu bekämpfen, die verirrten Kinder der katholischen Kirche zu ihrer Mutter zurück zu führen, und vor allen Dingen den Fortschritten des Protestantismus Schranken zu setzen. Der kürzlich verstorbene Herzog von Riviere, Gouverneur des Herzogs von Bordeaux [1], war bisher der Präsident dieser Gesellschaft, die unter ihren Mitgliedern eine große Anzahl von Prälaten, Vorstehern von Seminarien, vornehmen Herren und Frommen des Hofes zählt. Der angebliche Zweck dieser Gesellschaft, sagten wir, sey, den Triumph des Katholicismus zu sichern; nach den Werken, welche sie unter dem Volke in Umlauf gesetzt hat, möchte man indessen glauben, daß ihr wahrer Zweck nicht sowohl der sey, religiöse Gesinnungen – die wir doch für den Kern des Katholicismus halten – als einen glühenden, menschenfeindlichen Fanatismus zu verbreiten, die heranwachsende Generation dumm zu machen, und sich des Willens und der Neigungen der Jugend zu bemeistern, um sie in einem Zustande der tiefsten Knechtschaft zu erhalten und sich für die Zukunft Werkzeuge der religiösen, sittlichen und politischen Tyrannei vorzubereiten. Erst seit kurzer Zeit ist man auf diese Gesellschaft aufmerksam geworden, die ihre Thätigkeit meist nur auf die niedern Stände und die Departements beschränkte, und sie hat daher ungestört eine Menge von Büchern verbreiten können, deren Titel keinen Verdacht erregen, und deren Inhalt doch bereits unendliches Unheil gestiftet hat.

Auch in Deutschland haben sich nur zu häufig ähnliche Bestrebungen gezeigt, wenn auch vielleicht nicht nach einem so consequenten und umfassenden Plane geleitet; wir glauben uns daher um die zahlreichen Mitglieder unserer Vereine zur Ausbreitung religiöser Tractätchen ein Verdienst zu erwerben, wenn wir sie mit dem Treiben ihrer Freunde in Frankreich bekannt machen. Wir entlehnen deshalb aus einem im Geiste unparteiischer Forschung geschriebenem Journal (Révue Trimestrielle, Janvier p. 2ff) folgende Notizen über einige der „guten Bücher,“ die von der französischen Gesellschaft vertheilt wurden.

Das erste der guten Bücher – sagt der Verf. des angeführten Artikels – das mir in die Hände kam, war: La Vie de Marie-Angelique de la Providence (Zweiter Titel. l’Amour de Dieu seul, ein Theil der Bibliothèque chrétienne pour l’education de la jeunesse, Paris 1825. 8) von Boudon. Der Herausgeber benachrichtigt uns, daß Henri-Marie-Boudon zu seinen Lebzeiten Priester, Doctor der Theologie und Archidiaconus von Evreux war, und daß das Leben der Schwester „Angelika der Vorsehung“ sich im Manuscript im Kloster Mariahülf (Notre Dame de Bon-Secours) der ehrwürdigen Väter Karmeliter-Barfüßer in der Normandie gefunden habe. Was die Schwester Angelika betrifft, so war sie die Tochter einen Krämers von Evreux, Namens Pierre Simon, und sie verdankte es der weisen Leitung des frommen Boudon – fügt der Herausgeber hinzu – daß sie zu einer Stufe der Vollkommenheit gelangte, auf der sie allen Jungfrauen, die das Heil ihrer Seele nicht vernachlässigen wollen, zum Vorbild empfohlen werden kann. – Wir wollen nun sehen, auf welche Weise man zu jener Vollkommenheit gelangt, wenn man dem Beispiele der Schwester Marie-Angelika folgt.

„Als diese Schwester noch sehr jung war,“ sagt der fromme Boudon, „hatte sie eine so außerordentliche Neigung zur Reinlichkeit, daß es zum Erstaunen war. Nichts machte ihr eine unangenehmre Empfindung, als wenn sie in dem Hause ihrer Eltern etwas sah, das nicht in Ordnung war, wie Kleider, Wäsche, die zerstreut umherlagen u. dergl.“

Man hält allgemein dafür, daß diese Reinlichkeit und Ordnungsliebe in allen Perioden des Lebens etwas sehr Löbliches sey. Fenelon in seinem Traité sur l’education des filles, einem Werklein, das sich in der Bibliothèque chrétienne nicht findet, empfiehlt die Reinlichkeit als das erste Sittengebot; aber unsere modernen katholischen Christen der Societät sind in der Vollkommenheit weiter gekommen, als der Erzbischof von Cambrai; nicht die Reinlichkeit, sondern die Unreinlichkeit ist es, was in ihren Augen als Tugend erscheint; sie wissen nicht, welcher Worte sie sich bedienen sollen, um die kleine Schwester Marie-Angelika zu loben, die – in der Absicht, ihre natürliche Neigung zur Reinlichkeit zu überwinden – Gassenkoth und andere Unsauberkeiten in dem Hause ihrer Eltern verbreitete, was diesen äußerst angenehm und vor Gott ein großes Verdienst gewesen seyn muß.

In ihrem achten oder neunten Jahre ging Marie Angelika [494] in die Schule der Ursulinerinnen zu Evreux; diese lehrten sie eine Menge geistliche Uebungen, um – fügt der Biograph hinzu – die unbefleckte Mutter Gottes zu ehren; aber ihr Beichtvater ließ sie diese vielen Uebungen aufgeben, indem er ihr sagte, daß die heilige Jungfrau mehr geehrt würde, wenn sie ihre Sammlung (son recueillement) pflegte.“

Diese Art von Sammlung der Gedanken ist das, was die Gewissensräthe das innere Leben nennen, die Quelle frommer Visionen und Entzückungen; die wunderbarsten Wirkungen werden durch sie hervorgebracht. In ihrem achten Jahre trug unsere Gesegnete ihr Frühstück auf den Altar der heiligen Jungfrau, die sie bat, es unserem Herrn zu bringen, und beraubte sich auf diese Weise desselben. Um Weihnachten schlief sie auf der Erde, indem sie in ihrer Unschuld ihr Bett der gebenedeiten Jungfrau und dem preiswürdigen heil. Joseph einräumte. Dieß war der Weg, auf welchem sie zur Vollkommenheit des Christenthums gelangte.

Indessen wurchs die kleine Heilige heran; aber siehe da! in einem Alter von fünfzehn Jahren läßt sie sich von der Eitelkeit verführen; sie findet Vergnügen daran, sich zu putzen, will gefallen und geliebt werden, und legt auf ihre Frömmigkeit geringen Werth. Sie ging in ihrer Verirrung so weit, daß sie der Mode folgte und bunte Bänder trug, gleich andern Mädchen. Glücklicher Weise kam sie unter die Leitung eines Priesters von der Congregation der Eudisten, Namens Jourdan. Dieser Mann Gottes drängte Marie-Angelika, ihre Bänder abzulegen, die er Werkzeuge der Eitelkeit (meubles de vanité) nannte; aber sie konnte sich nicht dazu entschließen, indem sie entgegnete, daß dieser Putz mit der Frömmigkeit nicht unvereinbar sey; denn sie war in dieser Zeit noch umgeben von Finsterniß und erfüllt von Schwachheit. Endlich gehorchte sie jedoch dem Rathe des Vaters Jourdan und gab gegen Pfingsten, als sie siebzehn Jahre alt wurde, alle diese Eitelkeiten auf. [498] Einige Zeit darauf wurde Angelica als Laienschwester in einem berühmten Kloster der Stadt Meaux aufgenommen. Aber sie konnte sich in die Arbeiten dieses Klosters nicht finden; sie wurde krank und verließ dasselbe mit einer Taubheit, die ihr sehr lästig war. Dieses Ungemach behielt sie ungefähr sieben oder acht Monate, bis zu dem Festtage des heil. Franciscus, der in vielen Fällen für sie ein Tag des Segens geworden ist; wie wurde durch den Wein geheilt, der bei Gelegenheit der heiligen Thräne (sainte larme) geweiht worden war, die in der Abtei zu Vendome aufbewahrt wird. Diese wunderbare Heilung befestigte sie in ihren frommen Gesinnungen und sie faßte eine heilige Neigung für den Orden Unserer Frau vom Berge Carmel. Schon in ihrer Kindheit hatte sie diese Vorliebe gezeigt. Sie war entzückt, sagt ihr Biograph, wenn sie einen Carmeliter durch die Stadt Evreux gehen sah, sie folgte ihm durch die Straßen und lief hinter ihm drein, ohne zu wissen, was sie that, geleitet durch eine geheime Führung des Geistes Gottes. Sie hatte den brennendsten Wunsch, in einem armen Orte in der Nähe der Wüste der Carmeliter-Barfüßer wohnen zu können, die in der Diöcöse von Evreux, eine Stunde von Louviers ist. Die Umstände gestatteten ihr indessen nicht, diesen frommen Entschluß auszuführen.

Hier berichtet uns Boudon, daß Elias, der bekanntlich der Patron der Carmeliter-Barfüßer und Nicht-Barfüßer ist, mehrere Mal der Schwester Marie Angelika erschienen sey „mit einem Gesicht von strengem Ausdruck, das indessen für sie immer eine gewisse Süßigkeit hatte.“ Boudon, wahrscheinlich in der Besorgniß, daß diese Erscheinungen bei seinen Lesern einigen Zweifel finden möchten, erzählt eine Thatsache derselben Art, welcher man seinen Glauben nicht versagen kann, weil sie in der Geschichte der Brüderschaft der Carmeliter erzählt wird. „Eine vornehme Dame, Catharina [499] von Cardonne, hatte sich auf besondere Bewegung des heiligen Geistes in Mannstracht verkleidet (déguisée par un mouvement particulier du Saint-Esprit, – en habit d’homme) und entfloh von dem spanischen Hofe. Sie zog sich in eine Einöde zurück, wo sie von Nichts als Kräutern und Wurzeln lebte, mit solcher Strenge, daß sie Pönitenz that, als sie einmal ein paar wilde Spargeln genossen hatte. In dieser Einsamkeit war es, wo der große Patriarch Elias dieser erwählten Seele erschien und ihr selbst die Form der Kleidung zeigte, die sie in Zukunft tragen sollte und die sie den Rest ihres Lebens trug.“ Es ist klar, daß diese Erscheinung eine unzweifelhafte Bürgschaft für diejenige ist, deren die Schwester Marie Angelika gewürdigt wurde.

„Auch die heilige Theresia,“ fuhr Boudon fort, „hat sich mehrere Male dieser guten Schwester gezeigt und es dauerte länger als ein Jahr, daß sie fast täglich den seligen Vater Jean de la Croix sah, entweder durch eine imaginäre oder eine rein geistige Vision. Man nennt eine übernatürliche, aber imaginäre Vision eine solche, die sich dem inneren Sinn in Formen oder Bildern zeigt, die denselben auf übernatürliche Weise zur Belohnung außerordentlicher Frömmigkeit von Gott eingegeben werden. Eine geistige Vision dagegen nennt man diejenige, die dem Geiste unmittelbar ohne Mitwirkung des äußeren oder inneren Sinns verliehen wird, und dieß geschieht durch eine große und ganz besondere göttliche Erleuchtung. Nur Gott kann rein geistige Visionen verleihen; aber die großen natürlichen Erleuchtungen kann der Teufel nachäffen, indem er sich der Einbildungskraft auf so geschickte Weise bedient, daß dieselbe zuweilen nicht den geringsten Theil daran zu haben scheint.“

Man sieht, daß die neuen Apostel Loyolas den Teufel für sehr bewandert in der Kenntniß der Natur und für eingeweiht in alle Geheimnisse derselben halten; sollte er es nicht seyn, dem wir die Entdeckung des Magnetismus und überhaupt unsere Fortschritte in den Naturwissenschaften verdanken? Der gute Boudon, der eben kein besonderer Naturforscher ist, führt uns bald wieder zu unserer Schwester Marie Angelika zurück und läßt sie uns Schritt für Schritt auf ihrem Wege der Vervollkommnung begleiten. „Die göttliche Gnade,“ sagt er, „trieb sie zu allem, was man sich als das härteste und schwerste für die Natur denken kann.“ Wir werden die Wirkungen dieser übernatürlichen Gnade sehen; aber ich fühle, daß ich der Nachsicht meiner Leser im vollsten Maße bedürfen werde. Was ich noch anzuführen habe, wird so ekelhaft, die Details erregen einen solchen Widerwillen, daß, während ich im Begriff bin, diese Stelle abzuschreiben, die Feder meiner Hand entfällt. Ich weiß in der That nicht, ob die dringende Nothwendigkeit, die Infamien einer heuchlerischen Sekte und das System des Dummmachens, welches sie verfolgt, mir zur Entschuldigung dienen; aber es ist eine Pflicht, und sie muß erfüllt werden.

„Maria Angelika,“ sagt der Priester Boudon, „faßte den Entschluß, um dem Rufe der göttlichen Gnade zu folgen, den Kopf eines jungen Mädchens zu verbinden, die einen abscheulichen Ausschlag hatte. Sie steckte sich von demselben ein Stück in den Mund und aß es! Aber wie gütig ist Gott, wie freundlich ist er gegen die, welche ihn lieben! Sie hat versichert, daß, indem sie sich auf diese Weise kasteite, sich so viel Süßigkeit über eine Sache verbreitete, die ihr natürlich die unangenehmste Empfindung hätte erregen sollen, daß sie sich nie erinnerte, etwas Wohlschmeckenderes gegessen zu haben: ja sie konnte sich keine Speise denken, so delicat sie auch seyn mochte, die dieser nur entfernt sich näherte. Sie unterwarf sich auch der Prüfung, die Linnen auszusaugen, die zum Verbande von Geschwüren gedient hatten und voll waren von Eiter; und indem sie auf diese Art fortfuhr, mit so vieler Großmuth sich zu überwinden, so fuhr der gute Gott seinerseits fort, sie zu begünstigen und sie Wollust finden zu lassen in Dingen, die auf natürlichem Wege nur den größten Abscheu hätten erregen müssen. Häufig hat sie den Auswurf (des crachats) verzehrt, der sich in der Kirche oder anderwärts fand. Kurz sie that alles Gute, was sich ihr darbot und was in der Ordnung Gottes war.“

Und es gibt Menschen, die jedes sittlichen Gefühls, jedes Gefühls für Scham oder Anstand so völlig unfähig sind, daß sie nicht erröthen, diese Bücher öffentlich bekannt zu machen und Kindern, die ihrer Leitung anvertraut sind, in die Hände zu geben! So erfüllt ihr eure Sendung, so geht ihr in den Geist der Religion ein, deren Diener ihr euch nennt, der Schriften, in denen die sanfteste Duldung und die reinste Moral athmet! Sind dieß die Mittel, um der katholischen Kirche Menschen zurück zu bringen, welche die Charlatanerie und die Heuchelei eines Theils ihrer Diener veranlaßt hat, sich von ihr zu trennen? Ist es möglich zu begreifen, wie zu einer Zeit, wie die unsrige, wo die Civilisation zu immer höheren Stufen sich entwickelt, wo man von allen Seiten zu gesunden Ideen und großmüthigen Gesinnungen kommt, wie in dieser Zeit noch von so ehrlosen und erbärmlichen Speculationen auf die Einfalt, die Leichtgläubigkeit und fanatische Unwissenheit die Rede seyn kann?

Werfen wir einen Blick auf ein zweites Werk: La Vie et les Révelations de la soeur de la Nativité, das aus derselben Fabrik kommt und gleichfalls dazu bestimmt ist, die Jugend zu verderben. Diese Schwester der Nativität nannte sich in der gewöhnlichen Welt Jeanne le Royer und war von dem Dorfe Beaulot, zwei Stunden von der kleinen Stadt Fouguères in der Bretagne. Wir verweilen nicht bei den Begebenheiten ihres Lebens; sie gleichen in vieler Hinsicht denen, die sich in dem Leben der Schwester Marie Angelika finden. Auch hier sind es Gebete, Selbstpeinigungen, Losreissungen von allen natürlichen Gefühlen und Vergessen alles äußeren Anstandes, nebst blinder Unterwerfung unter den Willen und die Befehle des Beichtvaters, was die christliche Vollkommenheit ausmacht.

Jeanne le Royer hatte allerlei Träume; sie sprach davon mit ihrem Beichtvater Genet, einem emigrirten Priester, [500] und klagte ihm, daß der Teufel sie überreden wolle, es sey in ihren Träumen kein gesunder Verstand. Genet antwortete hierauf: „Es scheint freilich, liebe Schwester, als ob der Teufel sich zu den Grundsätzen der großen Philosophie bekenne. Man möchte ihn selbst ein wenig in den Verdacht des Materialismus ziehen. Wenigstens bedient er sich der Sprache aller derer, die in dem Menschen nur eine Maschine und nichts als Natürliches und Materielles sehen. Was uns betrifft, so halten wir für gewiß, daß Gott während des Schlafes auf die intellectuellen Kräfte unserer Seele wirkt.

Jeanne le Royer faßt nun neues Zutrauen und erzählt dem würdigen Beichtvater ihre zahlreichen Offenbarungen, die nicht weniger als vier dicke Oktavbände einnehmen. Es ist schwer, sich von der fanatischen Ueberspannung, Unverschämtheit und Albernheit dieser vorgeblichen Offenbarungen einen Begriff zu machen: Aber Alles hat nur einen Zweck, den Menschen dahin zu bringen, daß er dem Gebrauche seiner Vernunft entsage, ihn in die Ketten des tollsten Aberglaubens einzuschmieden und die ganze Gesellschaft dem Joche des Priesterthums zu unterwerfen.

La parfaite Réligieuse par M. A. Marin (Paris 1827. 12) und Virginie ou la Vièrge chrétienne von demselben Verfasser (Paris 1825. 12), zwei fromme Romane, gehören dem nämlichen Systeme an. Unter den Maximen, die wir hier finden, verdient besonders die, welche den Gehorsam betrifft, unsere Aufmerksamkeit. Unbedingter, blinder Gehorsam, selbst im Widerspruche gegen unser Gewissen, dieß ist der höchste Grad der christlichen Vollkommenheit. Man erkennt leicht in dieser Lehre die Quelle aller der Mißbräuche, aller der ärgerlichen Auftritte, von denen so häufig die Nonnenklöster der Schauplatz gewesen sind.

Von all den „guten Büchern,“ mit denen Frankreich durch die Bemühungen der katholischen Gesellschaft überschwemmt worden ist, beschäftigt sich nicht ein einziges mit den Pflichten des Menschen gegen seines Gleichen und gegen die Gesellschaft, mit den Pflichten der Familie und den Tugenden, die der Trost des Unglückes und der Reiz des Glückes sind. Die gewöhnliche Moral ist völlig daraus verbannt; nie wird zu dem Herzen, immer nur zu der Phantasie gesprochen. Dasselbe System ist es, das die Missionäre befolgen, sie predigen nie über etwas anders, als die Hölle, den Tod und die Verdammniß; sie suchen Schrecken einzuflößen, jenen knechtischen Schrecken, den der Sclave unter der Geisel seines Henkers fühlt. Nie hat man mit größerem Eifer, größerer Anstrengung und Consequenz dahin gearbeitet, die menschliche Natur zu erniedrigen, alle vernünftigen Begriffe zu verwirren, die Gewissen zu hintergehen; es ist ein Vernichtungskrieg, der gegen die ganze civilisirte Gesellschaft geführt wird; aber – wir dürfen darauf vertrauen – nicht dieser, sondern nur dem Urheber jenes schändlichen Systems kann der Kampf den Untergang bringen.


  1. S. Journal des Débats, 23 Avril.