Reitochsen in Südwest-Afrika

Textdaten
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Autor: Max Buchner
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Titel: Reitochsen in Südwest-Afrika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 432–434
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Reitochsen in Südwest-Afrika.

Von Max Buchner.

Noch innerhalb des Bereiches der portugiesischen Kolonie Angola erhebt sich das westafrikanische Küstenland mit zwei Staffeln zu einem 1000 Meter hohen Plateau empor, welches ostwärts fast bis zum Indischen Ocean sich erstreckt. Zahllose Wasseradern durchlaufen diesen mächtigen Körper. Grüne Savannen, zusammengesetzt aus langhalmigen Gräsern, Gebüsch und knorrigem Baumwuchs, bedecken seine Oberfläche, in den Thälern gedeihen üppige, von Lebenskraft strotzende Wälder.

So beschaffen, ist das Hochland Südafrikas für die Zucht von Rindvieh geeignet wie kaum ein anderes Gebiet unserer Erde, und ein gutes Stück der kulturellen Zukunft seiner Bewohner wird an diesen beinahe gänzlich kostenlosen Erwerbszweig geknüpft sein, wie ja schon jetzt der ganze Reichthum der südlichsten Negerstämme in ihren zahlreichen Rinderheerden besteht.

Aber während man noch im Bereich von Angola, soweit die Europäer oder doch wenigstens ihre Einflüsse herrschen, kein Dorf ohne feiste Heerde antrifft, entbehrt das ganze ungeheuere Gebiet des freien Inneren östlich des Koango, welches Millionen von Rindern ernähren könnte, derselben fast völlig. An dieser Thatsache ist weiter nichts schuld, als die großartige Indolenz der schwarzen Souveräne, welche die Schwierigkeiten der Weiterverbreitung des Rindes nicht zu überwinden vermag, verbunden mit ihrer Verschwendungssucht, die sie bei festlichen Gelegenheiten aller Rücksicht auf die Zukunft vergessen und oft ihren ganzen langsam angesammelten Viehbesitz zu einer einzigen Mahlzeit abschlachten und aufzehren läßt.

Wenn nun auch heutzutage in jenen fernen Landstrichen das Rind noch nicht jenen Nutzen abwirft, der bei fortschreitender Kultivation aus ihm zu gewiunen sein wird, so ist ihm dort doch schon seit mehr als zweihundert Jahren eine Rolle zugefallen, die man ihm in Europa nicht auferlegt, nämlich die eines Reitthieres. Wahrscheinlich haben schon die ersten portugiesischen [433] Ansiedler, darauf hingewiesen durch schlechte Erfahrungen mit Pferden, die das Klima nicht vertrugen, angefangen, an ihrer Statt Reitochsen abzurichten und zu besteigen. Oben auf dem kühleren und deßhalb etwas gesünderen Hochplateau kann man der zur Beförderung von Reisenden dienenden Hängematte „Tipoya“, die in den schwülen Küstenniederungen so beliebt ist, leichter entbehren, und so trifft man denn oben jeden einigermaßen wohlhabenden Mann europäischer, schwarzer oder gemischter Rasse im Besitz eines Reitochsen „Boi cavallo“ (wörtlich „Pferde-Ochs“).

Auch an mich trat auf meiner ersten afrikanischen Forschungsreise die Nothwendigkeit heran, einen solchen „Boi cavallo“ zu kaufen und mich in der landesüblichen Art beritten zu machen. Ich muß gestehen, daß ich zwar anfänglich einige Vorurtheile gegen dieses sonderbare Transportmittel hatte, kann jedoch nicht umhin, auf Grund der gemachten Erfahrungen mich sehr befriedigt darüber auszusprechcn, zumal es mir glückte, in meinem „Malukku“, den ich von einem bankerott gewordenen Mulatten um 32 Milreis (etwa 140 Mark) erwarb, einen ganz vorzüglichen Vertreter seines Geschlechtes kennen zu lernen. Obgleich mein Kabindabursche André in dem komischen Kabinda-Englisch, das er redete, ihn höchst respektwidrig „the cow“ (die Kuh) nannte, war er doch ein richtiger Stier, kein Ochse, wie der geläufigere Ausdruck „Reitochse“ glauben lassen möchte.

Die afrikanische Luft hat diesen Thieren die Gefährlichkeit ihrer europäischen Vettern fast gänzlich benommen. Allerdings ist ihnen auch dort niemals recht zu trauen, und es empfiehlt sich immerhin, vorsichtig im Umgang mit ihnen zu sein. Die Abrichtung des jungen Stierleins, dem das Loos zufiel, ein „Boi cavallo“ zu werden, beginnt schon vor dem Ende seiner Entwickelung, noch ehe es vollkommen ausgewachsen ist.

Reitochsen in Angola.0 Nach einer Skizze von Max Buchner.

Zunächst fängt man es aus der Heerde heraus, indem man ihm mittelst langer Stangen etliche Schlingen um den Kopf und um die Füße legt, und wirft es zu Boden. Dann wird ihm mit einem Messer die Nasenscheidewand durchbohrt, ein Strick durchgezogen und hinter den Ohren zusammengebunden. Später steckt man meistens durch das mittlerweile heil gewordene Loch eine halbkreisförmig gebogene Eisenstange (vergl. Abbildung S. 434), welche an beiden Enden Ringe zum Einschnallen des jenen Strick ersetzenden Backenriemens und der einfachen Zügel trägt.

An jedem der vier Füße und zu beiden Seiten der Nase ein langes Gängelband und geführt von sechs Mann, muß nun das junge Thier lernen, sich nach fremdem Willen zu richten und die ersten ruhigen, ordnungsmäßigen Schritte zu thun. Ist das erreicht, so legt man ihm einen Sattel auf, der links und rechts mit Sandsäcken beschwert ist, und ist nach und nach die Gewöhnung auch hieran eingetreten, so setzt sich schließlich ein besonders muthiger Negerjunge selber darauf. Jede dieser drei Stufen des Unterrichts kostet einen neuen Kampf. Das Stierlein spreizt die Beine, bockt, springt und will nicht von der Stelle. Im Bogen, wie von einer Feder emporgeschnellt, fliegt der Reiter immer wieder herab, so oft er aufsteigt, aber leicht und elastisch, wie so ein Negerjunge ist, nimmt er dabei keinen sonderlichen Schaden und läßt sich nicht abschrecken, das lustige Schauspiel der unfreiwilligen Saltos, das meistens ein zahlreiches applaudirendcs Publikum herbeigelockt hat, abermals zum Besten zu geben. Das kleine eigensinnig bockende Thier, das vier Mann an den Beinen und zwei an der Nase herumziehen, mit dem Reiter, den es, kaum daß er oben ist, durch einen kurzen Stoß des Rückgrats aus dem Sattel hebt, liefert auch in der That die gelungensten komischen Scenen.

Wenn ich auch nicht behaupten möchte, daß ein Ochsenkavalier sich mit einem Pferdekavalier messen kann, so wäre es doch falsch, den afrikanischen Reitsport nach dem plumpen ungeschlachten Hornvieh Europas zu beurtheilen. Das Angolenser Rind ist viel gracileren schlankeren Baues als das unserige und demgemäß beweglicher. Die Rückenbreite erreicht in der Regel kaum die eines mittleren Pferdes. Als Sitz wird ganz ebenso wie bei jenem ein gewöhnlicher englischer oder portugiesischer Sattel mit Steigbügeln aufgelegt. Mit meinem Malukku, dieser Perle seines Geschlechtes, konnte ich traben und galoppiren, über Gräben setzen, in jeder Gangart Volten und Achtertouren ausführen. Er ging, allein oder in Gesellschaft, wohin ich wollte, auf gebahntem Wege oder durchs Dickicht. Im Inneren leistete er mir gar oft vortreffliche Dienste, wenn es ersprießlich schien, gegen widerspenstige Träger attakirend [434] einzusprengen. Nur beim Aufsteigen war er immer etwas schwierig. Da mußten meine Burschen ihn stramm an der Nasenstange festhalten, bis ich im Sattel war. Losgelassen, schoß er dann jedesmal ein paar Galoppsprünge vorwärts, fiel aber gleich darauf in ein ruhigeres Tempo, um fortan ganz ausgezeichnet zu gehorchen. Außerdem hatte er die üble Gewohnheit, gegen Neger, die Furcht vor ihm zeigten, mit den Hörnern loszugehen. Daher auch sein Name, den meine Leute ihm gaben. „Maluco“ (sprich Malukku) ist ein portugiesisches Wort, bedeutet ursprünglich „närrisch“ oder „verrückt“ und wird in Angola meistens im Sinne von „böse“ oder „wild“ gebraucht. Ja, Malukku ist auch noch dadurch merkwürdig, daß er eigentlich ein viel größerer Afrikareisender geworden ist, als ich selbst, indem er, nach meiner Rückkehr aus Lunda in die Hände meines berühmten Freundes Wißmann übergegangen, bis in die Nähe von Nyangwe gelangte.

Die Ochsenreiterei nimmt unter den vielen legitim gewordenen Grausamkeiten, die sich der Mensch den dienstbar gemachten Kreaturen gegenüber erlaubt, eine hervorragende Stelle ein.

Naseneisen der Reitochsen.

Nur bei ganz zahmen und schwächlichen Ochsen kann man des oben beschriebenen Naseneisens entbehren und sich mit einem einfachen durch die Nase gezogenen und hinter den Ohren zusammengebundenen Stricke begnügen, um an diesem links und rechts die Zügel zu befestigen. In solcher lotterigen Weise pflegen z. B. die Neger ihre elenden, kleinen Thiere aufzuzäumen. Bei kräftigen und etwas wilden Ochsen, wiez. B. mein Malukku einer war, ist das Naseneisen unumgänglich nöthig. Bei Malukku mußte man in der ersten Viertelstunde die Zügel immer fest anziehen, damit er stets in Fühlung mit der ihn bändigenden Vorrichtung blieb, sonst erlaubte er sich, mit den Hörnern nach rückwärts zu stoßen.

Sowohl Schritt wie auch Trab und Galopp sind bedeutend langsamer, als beim Pferde. Der Tritt aber ist viel sicherer. Die kurzen massigeren Knochen und die breiteren Gelenke des Rindes nehmen nicht so leicht Schaden auf den schlechten steinigen Wegen und auf dem rauhen löcherreicheu Boden der Savannen. Die vielen ausgedehnten Sümpfe würde ein Pferd nie überstehen.

Das Traben der Ochsen ist im Anfange unangenehm, indem man dabei beständig um seine Längsachse hin und her gedreht wird. Im Galopp wird man lebhaft vorwärts geworfen und hat das Gefühl, als müsse man auf die zuweilen sehr spitzen Hörner stürzen. Portugiesische Ochsenreiter, seien sie nun weiß oder schwarz oder braun, dahin galoppiren zu sehen, ist gewöhnlich ein heiterer, aber selten eleganter Anblick. Arme und Beine klappen im Takte der Gangart flügelartig auf und nieder. Die meisten Ochsen beginnen nach kurzer Zeit scharfen Reitens laut zu keuchen, sodaß man daran allein schon die Annäherung eines Kavaliers gewahr wird, ehe dieser selbst zwischen dem hohen Grase auftaucht. Denkt man sich dazu noch das johlende Geschrei hintendrein laufender Diener, das Bellen von Hunden und das häufige Klatschen der Peitsche, so hat man einen kleinen Begriff der lustigen Stimmung, die so eine Ochsenkavalkade mit sich bringt.

Es giebt natürlich Reitochsen der verschiedensten Qualität, und ihr Preis schwankt dementsprechend zwischen 17 bis 170 Mark.

Außer Malukku besaß ich noch einen zweiten Reitstier, welcher zwar minder vorzüglich war, aber doch noch zu der besseren Klasse gehörte. Während Malukku schön emporstrebende Hörner besaß, trug dieser sie abwärts gebogen, was, im Verein mit einer gewissen stumpfsinnigen Sanftmuth, den Namen „Mboffo“ oder „Boffo“, ein Negerwort, welches soviel bedeutet wie „unbewaffnet, unmännlich“, zur Folge hatte. Malukku und Boffo haben mir, ohne jemals krank zu werden, zwei Jahre lang auf meinen Reisen gedient, und mit ihnen waren mein Schicksal und meine Arbeiten ebenso lange innig verknüpft.

Den großen Vortheilen, welche das Berittensein auf einer Reise gewährt, stehen freilich auch manche Nachtheile zur Seite, die hauptsächlich in der großen Schwierigkeit liegen, die Reitochsen über die Sümpfe und Wasserläufe zu bringen. Es ist oft erstaunlich, wie tief diese Thiere in morastigen Boden einsinken und wie häufig sie stecken bleiben, wo der mit hundert Pfund belastete Träger noch ziemlich gut durchkommt. Meistens müssen sie vollständig abgesattelt werden, und nicht selten kostet es stundenlange Anstrengungen, bis eine Sumpfstrecke, vielleicht nicht breiter als hundert Meter, die noch dazu gar nicht schlimm aussieht, passirt ist. Namentlich mein phlegmatischer Boffo machte uns bei solchen Gelegenheiten viel zu schaffen. Er hatte ein merkwürdiges Talent, in Morastlöcher zu gerathen, und zeigte sich dann jedesmal in seiner ganzen Unmännlichkeit, indem er verzweiflungsvoll stecken blieb, ohne einen Versuch zu machen, wieder herauszukommen, während Malukku, der Streitbare, voller Aufregung alle Kraft aufwendete, sich durchzuarbeiten. Ganz dieselbe Scene, die man bei uns um gefallene Droschkenpferde sich abspinnen sieht, umgab dann auch Boffo.

Noch schwieriger waren zuweilen die Flußpassagen. Wo man nicht mehr durchwaten kann, muß für die Karawane entweder eine Brücke gebaut werden oder man bedient sich der Kähne eingeborener Häuptlinge zum Ueberfahren. Da aber in jenen Theilen Afrikas, von denen hier die Rede ist, sowohl die Brücken als auch die Kähne so mangelhaft beschaffen sind, daß sie kaum für die zweibeinigen und vernunftbegabten Menschen einige Sicherheit gewähren, so läßt man die Ochsen am besten schwimmen, indem man sie ins Wasser treibt und durch das Knallen der Peitsche, durch Steinwürfe und durch Geschrei so lange beunruhigt, bis sie sich entschließen, dem anderen Ufer zuzusteuern. Ist drüben das Ufer günstig zum Landen, so geht diese Arbeit leicht und ohne Anstand von statten. In der Regel jedoch ist hüben und drüben der Fluß von dichten Waldlinien eingesäumt, die über und unter dem Wasserspiegel eine Menge sperriger Aeste vorstrecken. Dann heißt es oft, lange nach einer besseren Stelle suchen und diese erst einigermaßen von Hindernissen, die niemals ganz fehlen, säubern. Wo der stachelige Rotang mit seinen Widerhaken tragenden Ranken in größerer Zahl das Uferdickicht durchsetzt, kostet diese Pionierarbeit manches Stück Haut und Kleidung.

Ist schließlich alles fertig, so vereitelt nicht selten das theure Rindvieh selber den Erfolg der sorgsamen Vorbereitung. Während Boffo immer ziemlich gerade dem jenseitigen Ufer zusteuerte, ließ sich Malukku, der sonst so Vortreffliche, oft von der Strömung erfassen und tiefer hinabtreiben, als wir berechnet hatten. Konnte er dann nicht landen, so schwamm er zurück, wurde noch weiter hinabgetrieben und verschwand uns einmal sogar gänzlich, sodaß wir ihn bereits für verloren hielten. Wo es angeht, läßt man die Ochsen deßhalb am besten neben dem Kahne her schwimmen und nimmt sie mittels des Naseneisens in seine Gewalt.

Die angedeutete Schwierigkeit des Rindviehtransportes im uncivilisirten Innerafrika erklären genugsam das fast gänzliche Fehlen von Rinderheerden. Nur zwei Potentaten habe ich kennen gelernt, die deren besaßen. Muatiamwo, der große Lundakönig, erfreute sich des seltenen Reichthums von sechs Stieren und einer Kuh. Die Stiere erkannte man an ihren durchlöcherte Nasescheidewänden sofort als ehemalige „Bois cvallos“, die Muatiamwo durch verschiedene schwarze Händler aus den Küstengebieten erhalten hatte. Die Kuh brachte ihm vor vier Jahren ein Kiokohäuptling zum Geschenk. Der vorige Muatiamwo soll mehr als vierzig Rinder besessen haben, aber nach seinem Tode, während des Interregnums allgemeiner Trauer und Gesetzlosigkeit, das in der Regel solchen Ereignissen folgt, wurden sie insgesammt aufgefressen. Der andere Potentat, bei dem ich Rinder antraf, ist der Lundafürst Kahungula. Dieser hat gleichfalls nur eine einzige Kuh neben fünf Stieren. Im nördlichen Mataba waren diese Thiere so gänzlich unbekannt, daß nicht einmal ein eigenes Wort für sie existirte. Die Eingeborenen, die dort herbeikamen, um Malukku und Bosso anzustaunen, nannten dieselben „große Ziegen“.

Den Europäern bleibt es somit vorbehalten, den Segen des Rindes, jenes Urkapitals der Menschheit, auch über Südafrikas Tropenstriche immer mehr auszubreiten. Wenn dereinst künftige Generationen die Ebenen Südamerikas für den Getreidebau in Anspruch nehmen, dann wird mittlerweile der dunkle Kontinent in den Stand gesetzt sein, statt ihrer die Rolle des großen Fleischlieferanten auszufüllen.