Textdaten
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Autor: Karl Ruß
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Titel: Reisende Brieftauben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 188-189
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Verwendung der Brief­taube zur mili­täri­schen und nicht­mili­täri­schen Nach­richten­übermittlung
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Reisende Brieftauben.

Von Dr. Karl Ruß.

Zu den lieblichsten Naturbildern, welche die Heimath uns gewährt, gehört zweifellos die Ausschau auf eine im milden Frühsommersonnenschein oder in der klarblauen, durchsichtigen Herbstluft vor uns liegende Landschaft, in der wir unsere Blicke schweifen lassen über Hügel und Gelände, ein Städtchen mit spitzem Kirchthurm, den blinkenden Landsee, den mit kräuselnder Dampfwolke dahin rollenden Eisenbahnzug – während hoch oben in der Bläue sich ein Schwarm Tauben kreisend umhertummelt. Voll Entzücken verfolgt der Liebhaber dieses Naturschauspiel, und in dem Reiz, welchen dasselbe birgt, begründet sich eben auch die alte, weitverbreitete Neigung für die sogenannten Fliegetauben. In den meisten großen Städten haben wir Vereine, deren Mitglieder allen Gesellschaftsklassen angehören und die das „Jagen“ der „Berliner Altstämmigen“, der „Danziger Wolkenstecher“, der „Wiener Gamseln“ u. a. m. förmlich mit Begeisterung treiben.

Seit den Jahren des deutsch-französischen Krieges ist sodann auch bei uns bekanntlich die Brieftaubenliebhaberei überall zur regsamen Entwickelung gekommen. Selbst für denjenigen, der den Kriegsbrieftauben keine oder doch nur eine geringe Bedeutung zuschreiben mag, wird eine Ueberschau der Entwickelung der Brieftaubenliebhaberei und des Kriegsbrieftaubenwesens interessant erscheinen, und daher will ich wenigstens eine kurze Uebersicht des Wichtigsten auf diesem Gebiete geben.

Alle derartigen Bestrebungen haben verhältnißmäßig viel und andererseits doch auch ungemein wenig gebracht. Da sehen wir, daß die oberste Militärbehörde des Deutschen Reichs bereits in allen bedeutenden Festungen sogenannte Brieftaubenstationen eingerichtet hat und das Netz derselben noch immer enger zu ziehen sucht, während bekanntlich auch alle übrigen Länder, neuerdings besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Italien, Rußland und selbst Dänemark diesen Kriegsbrieftaubensport nicht minder eifrig treiben; da schießen die Liebhabervereine förmlich wie Pilze hervor und eine eigene Zeitschrift hat sich in ihren Dienst gestellt; wir haben bis jetzt in Deutschland etwa hundert Brieftaubenzüchtervereine mit ungefähr 30 000 Tauben, und für Kriegszwecke werden bereits zwischen 6- und 8000 Tauben gehalten. Im Etat des deutschen Reichshaushalts wurde die Summe für das Kriegsbrieftaubenwesen auf 50 000 Mark erhöht, so daß sie also 15 000 Mark mehr als in früheren Jahren beträgt.

Neuerdings hat das Kriegsministerium in Berlin eine Medaille mit der Inschrift „Für Verdienste um das Militärbrieftaubenwesen“ herstellen lassen. Der Minister für öffentliche Arbeiten in Preußen hat alle möglichen Vergünstigungen bei der Versendung der Brieftauben bewilligt, und der Minister für Landwirthschaft hat sogar klingende Belohnungen für das Abschießen der für die Brieftauben gefährlichsten Raubvögel (Wander- und Baumfalk, Habicht u. a.) ausgeboten. Als bedeutungsvolle Neuerung wurden Brieftaubenstationen für den Dienst der Luftschifferabtheilung des Eisenbahnregiments in Schöneberg bei Berlin u. a. eingerichtet, und die hier gezüchteten Tauben werden nun eigens für Reisen vermittels der Luftballons abgerichtet oder, wie der Kunstausdruck lautet, trainirt. Dieser Weg ist zweifellos der einzig richtige, um die Brieftaube für den Fall des wirklichen Kriegs nutzbar zu machen, denn nur so ist es möglich, Tauben aus einer belagerten Festung heraus oder in dieselbe hinein zu bringen und in entsprechend umgekehrtem Verhältniß Nachrichten in die Festung oder aus derselben heraus gelangen zu lassen.

Eine absonderlich eingerichtete Uhr zur raschen Feststellung der Ankunft der Brieftauben, bis auf die Sekunde genau, ein elektrischer Meldungsapparat, welcher die Ankunft verkündet, Verbesserungen in der Herstellung und Befestigung der vermittelst photographischer Verkleinerung auf den denkbar engsten Raum zusammengedrängten Depeschen an den Schwanzfedern der Tauben, praktischer Fußringe zur Kennzeichnung, verbesserte Plombenzangen und bequemer und praktischer eingerichtete Reisekörbe, immer reichere Erfahrungen in der Verpflegung, vervollkommnete Nistvorrichtungen u. a. m., das sind Errungenschaften, welche die Brieftaubenliebhaberei in letzter Zeit aufzuweisen hat.

Nicht minder strebt man nach immer größerer Erhöhung der Flugleistungen, und ich darf darauf hinweisen, daß man auch in dieser Beziehung erstaunliche Ergebnisse zu verzeichnen hat. Um nur ein Beispiel anzuführen, will ich berichten, daß bei einem Wettfliegen zwischen Köln und Berlin die beiden ersten Tauben des Vereins „Phönix“ nach 4 Stunden 38 Minuten in Berlin eintrafen. Dies ist die größte Fluggeschwindigkeit, welche wir bis jetzt bei gut eingeübten, flugessicheren Tauben zu verzeichnen haben. Die Entfernung zwischen Köln und Berlin beträgt 474 Kilometer oder 64 Meilen Luftline, jene Tauben haben also in der Minute rund 1700 Meter zurückgelegt, während die Schnellzüge in runder Zahl es nur auf 50 Kilometer in der Stunde oder 833 Meter in der Minute bringen. Im allgemeinen kann man die Durchschnittsgeschwindigkeit guter Brieftauben auf 1000 bis 1200 Meter in der Minute schätzen.

Die neueste und vielleicht allerbedeutsamste Verwendung der Brieftauben liegt in ihrer Abrichtung zur See. Es ist z. B. gelungen, von den in der See liegenden Leuchtschiffen aus bei stürmischem Wetter die Lotsen für herankommende Schiffe durch Brieftauben vom Lande herbeizurufen.

Außerordentlich großes Aufsehen hat ein Erfolg erregt, welchen man seit dem Alterthum erstrebt, bis jetzt aber noch nicht erreicht hatte, nämlich die wirklich zuverlässige Abrichtung der Brieftauben zum Hin- und Zurückfluge. Bis dahin hatten sich die Tauben nämlich immer nur in einer Richtung verwendbar erwiesen. Der Leiter des italienischen Kriegsbrieftaubenwesens, Hauptmann Malagoli, hat es wirklich dahin gebracht, daß eine Anzahl seiner Tauben zwischen zwei Festungen, mit Depeschen beladen, hin und zurück ihren Dienst leisten. Die betreffende Schrift, in welcher diese Thatsache mitgetheilt worden und zugleich Anleitung zu dieser Abrichtung gegeben ist, erschien soeben unter dem Titel „Experimente über Hin- und Rückflug der Militärbrieftauben“, ins Deutsche übertragen und besprochen vom sächsischen Artillerielieutenant Fellmer (Berlin, Fr. Luckhardt), und dies Büchlein ist in der That der allgemeinen Beachtung werth. Derartige Versuche waren ja, wie vom Hofrath A. B. Meyer in den „Mittheilungen des ornithologischen Vereins von Wien“, und dann auch in meiner Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ dargelegt worden ist, schon vielfach angestellt worden, bis jetzt aber hatten sie noch niemals vollen Erfolg gebracht.

Im Gegensatz zu allen hochgespannten Erwartungen und Hoffnungen, welche die Brieftaube erweckt, zeigt sie sich mit ihren Leistungen in Wirklichkeit leider gar unzuverlässig. Wind und Wetter, Nebel, Sturm und Ungewitter, die Kugel des gewissenlosen Raubschützen, die in den Forsten hausenden gefiederten Räuber und zahlreiche andere Gefahren bedrohen den Dienst des geflügelten Boten.

Als vor etwa fünfzehn Jahren der große Neuschöpfer der deutschen Reichspost eine Versammlung zusammenberufen hatte für den Zweck, um über die Verwendung der Brieftaube im Postdienst zu berathen, mußte ich eine an mich als Verfasser des Buchs „Die Brieftaube“ gestellte Frage dahin beantworten, daß dieser Vogel als Beförderer von Nachrichten neben dem Telegraphen in dessen neuester Vervollkommnung nach meiner Ueberzeugung keinesfalls nachhaltig bestehen könne. Auf meine Gegenfrage hatte Dr. Stephan nämlich angegeben, daß im Laufe von wenigen Jahren über ganz Deutschland ein Telegraphennetz verbreitet sein werde, dessen weiteste Entfernung nur etwa zwei Meilen betragen dürfe. Daraufhin konnte ich eben keine andere Auskunft ertheilen, als die, daß die Brieftaube auch nicht im entferntesten dazu geeignet sei, sicherer und schneller als der Telegraph Nachrichten zu übermitteln. Auf weite Entfernung hin kann sie schon von vornherein neben dem elektrischen Boten, der ja eben mit „Blitzesschnelle“ vorwärts zu dringen vermag, nicht aufkommen und auch bei geringen Entfernungen wird sie weder in der einen noch anderen Hinsicht den Telegraph übertreffen. So bleibt die Brieftaube denn für Europa zunächst nur ein Gegenstand des Sports, das heißt einer allerdings ungemein anregenden Liebhaberei – und allenfalls kann sie noch hier und da als Liebesbote, wie im Alterthum so auch heute, zur Geltung kommen.

Anders im schwarzen Erdtheil. Major Wißmann sind für seine Expedition auch deutsche Brieftauben mitgegeben worden. Die Haustaube acclimatisirt sich leicht im innern Afrika, wird aber nach Berichten Emins ebenso leicht durch Raubvögel ausgerottet. Immerhin sind die Versuche auf afrikanischem Boden beachtenswerth, denn wo der Telegraph völlig fehlt, wo die Wege schlecht und unsicher sind, kann die Taubenpost zwischen zwei entfernten Stationen gute Dienste leisten.

Wenn die Tauben, mit Wind und Wetter kämpfend, wie es das schöne Spechtsche Bild veranschaulicht, in Schraubenlinien aufsteigen, um sich in eine solche Luftschicht emporzuschwingen, in der sie einerseits nicht mehr widrigen Wind haben, und in der ihnen andererseits ein weiter Ausblick für das Zurechtfinden zu Gebote steht, so sehen wir, daß der ganze Schwarm, der bisher wohl verhältnißmäßig lange Frist rastlos in malerischem Fluge kreiste, nun plötzlich nach der rechten Richtung hin abschwenkt – und da fragen wir uns unwillkürlich: worin liegt denn diese Gabe des Vogels, auf unglaublich weite Entfernungen hin sich zurechtzufinden und die Heimath wieder zu erreichen? Die Antworten auf diese Frage fallen sehr verschieden aus, denn es ist der wissenschaftlichen Forschung bis heute noch nicht gelungen, eine endgültige und stichhaltige Begründung dieser Thatsache zu finden.

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Reisende Brieftauben.
Zeichnung von F. Specht.