Rede bei der Beerdigung des Herrn Dr. Hermann Bechmann

Textdaten
Autor: Hermann Bezzel
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Titel: Rede bei der Beerdigung des Herrn Dr. Hermann Bechmann
Untertitel: Kgl. Pfarrer in Dinkelsbühl. Geboren am 10. April 1869 in Nürnberg. Gestorben am 22. Oktober 1908 in Nürnberg. Gehalten in der St. Johanniskirche zu Nürnberg
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Erscheinungsdatum: 1908
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Rede
bei der Beerdigung
des
Herrn
Dr. Hermann Bechmann
Kgl. Pfarrer in Dinkelsbühl.

Geboren am 10. April 1869 in Nürnberg.
Gestorben am 11. Oktober 1908 in Nürnberg.

Gehalten
in der St. Johanniskirche zu Nürnberg
von
Rektor D. Dr. Bezzel, Neuendettelsau
am 13. Oktober 1908.

Buchdruckerei L. Ströbel, Dinkelsbühl.
1908.


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   Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach Seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel.


In dem Herrn Christo Geliebte!

Damit für dieses nun abgeschlossene Leben die rechte Würdigung und Bedeutung gefunden werde, wollen wir es in dieser Scheidestunde in das Licht eines Abschiedswortes unseres Herrn und Meisters rücken. Wenn Er in unser Abschiednehmen und Scheiden ein Wort hineinspricht, dann muß auch der Abschied Gewinn werden, und die Er von uns abgerufen hat, sind dann wieder aufs neue mit uns verbunden. Angesichts Seines eigenen Scheidens spricht Christus zu Seinen Jüngern: „Ihr habt mich nicht erwählet, sondern Ich habe euch erwählet und gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe.“ Wohl dem Knecht, den sein Herr also tun findet, wenn Er kommt; wohl dem Leben, über dessen Ausreifung Er also sprechen kann.

 „Ihr habt mich nicht erwählet“, damit fällt alle Ruhm dahin, den Menschen so gerne über einem Leben anheben möchten. „Ich habe euch erwählt“, damit geht und blüht der Ruhm auf, welcher an diesem Sarg dem Vater aller Barmherzigkeit und Gott aller Güte dargebracht werden darf, daß Er dieses Leben mit der Sonne Seiner Gnade so reichlich beschienen und mit mancherlei Gaben und Kräften seltener Art ausgestattet hat. Wiederum an dem Wort: „Ich habe euch erwählt“ fällt alle Klage dahin. Wie Er Ordnung und Gesetz stellt, wird es recht sein.| Er hat es gegeben und Er hat es genommen und Er sei über beidem gelobt. „Ich habe euch gesetzt, daß ihr Frucht bringet“. Dieses Wort bedeutet bei Jesus weit mehr, als wir zunächst von ihm sagen können. Aber weil Er allen Wesen das Sosein gibt, sind auch die äußeren Umstände in einem Christenleben hochbedeutsam. Ich darf hier einen Teil des Lebensbildes unseres Heimgegangenen geben.

 David Hermann Bechmann ist geboren am 10. April 1869 dahier zu Nürnberg als Sohn des Großkaufmanns Heinrich Bechmann und seiner Gattin Johanna, geb. Zwick. Ein reiches, freudenbeglänztes Leben tat sich ihm auf, die Liebe treuer Eltern, großelterliche Güte, welche in gedoppelter Form über sein Leben schien, ein harmonischer Geschwisterkreis, alles trat zusammen, um die Jugend unseres Heimgegangenen zu erquicken und zu erfreuen. Auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt in ernster Arbeitsamkeit und großer Freundesliebe bewährt, bezog er 1887 die Universität Erlangen und fand dort einen Freundeskreis, dem er Zeit seines Lebens verbunden blieb. Von Erlangen aus begab er sich auf die Universitäten Tübingen und Berlin und nach dem wenigen, was aus seinem Munde mir bekannt ist, hatten die Professoren Gustav Claß und Paulsen besonderen Einfluß auf ihn, vor allem aber Harnack. Er hat mit Dank und Ehrerbietung von seinen Lehrern gelernt und als er 1891 sein erstes theologisches Examen bestand, war er so wohl beschlagen, daß man ihn in das Predigerseminar nach München berief. Bis hierher geht gleichsam die Einwurzelung unseres Bruders; das sind die Eindrücke, die sein Leben bestimmten. So hat sein Herr ihn eingepflanzt zuerst in den Glauben der Kindheit, wie er ihn im Elternhause überkam; dann hat Er ihn geheißen diesen Glauben prüfen und hat ihm diese Prüfung in immer größer werdendem Ernste zum Heil und Frieden werden lassen.

 Wenn aber der Herr Jesus ein Menschenleben setzt, tut Er es nicht zu dem Behufe, daß es nur für sich allein Kraft und Gabe sammle, sondern Er heißt es ausgeben,| was es erarbeitet, und bewuchern, was Er vertraut hat. Er sprach auch zu unserem lieben Bruder: „Gesetzt habe ich dich, daß du hingehest“. Und er ging hin, zuerst in natürlicher Freudigkeit seiner sonnigen Persönlichkeit. Wer ihm näher trat, hatte den Eindruck eines glücklich beanlagten Menschen, dem es gegeben war, dem Leben die lichten Eindrücke abzugewinnen und auch andere damit zu erquicken. Aber indem unser Bruder in natürlichem Mute hinging, hat der Herr diese Freudigkeit vertieft und gestählt. Ernste Bedenken religiöser Art kamen über ihn, ernste Frage nach dem wieder fraglich Gewordenen hat sein Leben beherrscht. Aber so gewiß es einen Gott gibt, der das Suchen in das Herz Seiner Knechte gelegt hat, heißt Er uns das Altüberkommene als ewig neue Wahrheit erfahren und erfassen. In einer immer größer werdenden Vertiefung seiner Forschung, in Erlebung des einmal Geschriebenen und einmal Gegebenen hat unser Bruder auch die innere Freudigkeit wiedergewonnen von dem zu zeugen, der das Licht der Welt und das Leben aller ist, die nach Ihm verlangen.
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 Nachdem er einige Jahre im Predigerseminar zu München und als Reiseprediger in Tölz zugebracht hatte, wurde er Vikar – und das nannte er seine glücklichste Zeit – in Theilenhofen an der Seite eines alten Pfarrers, des im vorigen Jahre verstorbenen Pf. Fronmüller, der mit einer seltenen Bildung geschmückt war. Dort sah er, wie Christum lieb haben das Erdenwissen und -forschen nicht verdirbt, sondern überstrahlt und übergütet. So nahm er von diesem Vikariat ein lichtes Bild, das auch der schwere Eindruck eines folgenden in Wassertrüdingen ihm nicht nehmen konnte, in die hiesige Vorstadtgemeinde Wörth. Fünf Jahre hat er dort gelebt und gewirkt und diese Jahre waren ihm durch Gottes Güte und der Menschen Freundlichkeit besonders geschmückt; hier gründete er seinen Hausstand. Die Ehe war eine aufrichtig geheiligte und geläuterte; ein Teil trug des andern Last und ich erinnere mich eines Wortes aus einem Brief, wie überaus glücklich| der Mann sei, der immer etwas zu geben habe; er sei dann doch immer der Nehmende und Empfangende. Dieser Ehe waren vier Kinder geschenkt, von denen das jüngste ein halbes Jahr alt ist. –

 Schon in Nürnberg zeigte sich eine besondere Gabe zur Seelsorge, eine Kraft mit den Müden zur rechten Zeit zu reden; der gelehrte Theologe verdarb nicht den einfachen Seelsorger. 1901 bekam er seine erste Pfarrei, Röthenbach. Die Muße, die ihm diese Pfarrei gönnte, der Ernst, mit dem er seinen Studien oblag, veranlaßten ihn zu promovieren. Über die Philosophie seines Lehrers Claß hat er geschrieben und den Niederschlag von dessen Forschen in einer „Verbindung von Wissen und Forschung“ gefunden. In dem Bedürfnis nach einem größeren Wirkungskreis erbat er sich 1905 die dritte Pfarrstelle zu Dinkelsbühl. Dort war es ihm vergönnt, drei Jahre in großem Segen zu wirken. Seine Predigt war schlicht, einfach und erbaulich, sein Unterricht in der Realschule erfolgreich, weil er sich zu den Schülern herabließ.

 Einer, der mit ihm im Seminar war, hat mir erzählt, daß er besonders für die Jüngeren warmes Verständnis hatte und ihr Vertrauen für sich und für den Herrn gewann.

 Ein Vortrag, den er im Februar dieses Jahres in Ansbach hielt, hatte die Augen seiner Oberen auf ihn gelenkt. Diese glückliche Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Bekenntnisernst ließ ihn als Kommissär in das erste theologische Examen einberufen werden. Er war darüber wie billig hocherfreut und schrieb: „Ich glaube, daß man mich gewählt hat, weil ich zu allem, was ernst, lauter und ehrlich ist, ein unbedingtes Vertrauen habe. Ich will den Suchenden ein Wegweiser zu dem werden, den ich gefunden habe und der mich gefunden hat.“ Aber, o ein wundersamer Gott! an dem Tage, da er die Feder von der letzten Vorbereitung weggelegt hatte, traf ihn die Nachricht, daß ein schweres Leiden in ihm schlummre. Es hat mich das an einen Lehrer unserer Väter erinnert, der bei der Auslegung des 23. Psalms im 4. Vers| vom Tode ereilt wurde und nur noch sagen konnte: „Jetzt, meine Schüler, werde ich in eine andere Schule abgerufen“. Zuerst in natürlicher Freudigkeit, dann in geheiligter Freude, in dem Frohmut etwas Gewisses der Gemeinde darbieten zu dürfen, war unser Bruder hingegangen; und dann hat der Heiland in das Hingehen einen ganz eigentümlichen Klang eingemengt. „Ich habe euch gesetzt, daß ihr langsam hingeht und allmählich vergeht“. Unser Bruder hat diese schwerste Prüfung, die einem Manne und einem Theologen auferlegt werden kann, leuchtend überstanden. Er hat sich einer Operation unterstellt und noch in den letzten Tagen sich einer zweiten unterzogen, die ihm Erleichterung bringen sollte. Er hat keinen Trost bedurft, sondern andere getröstet und hat Gottes Erbarmen seinen Stecken und Stab in schweren, nächtigen Stunden sein und bleiben lassen. Er hat mir in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben: 2. Kor. 4, 7—8: „Wir haben aber solchen Schatz in irdenen Gefäßen, auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns“. Das letzte, was er mit bebenden Lippen sang, war, wie mir scheint, ein Schlußakkord in dieses reich angelegte und harmonisch geschlossene Leben, das alte Volkslied: Schönster Herr Jesu. In der Kraft des Weltüberwinders, dieses Freundes aller Mühseligen und Beladenen, hat unser Bruder ritterlich um die zwölfte Stunde des 17. nach Trinitatis geendet, uns kam das Wort zu Sinn: „Und Jesus rührte ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen“.
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 „Ich habe euch gesetzt, daß ihr hingeht und Frucht bringt“, reiche Frucht, wahrhaft bewährte, in der Hitze geprüfte Frucht, nicht eine theologische, sondern eine religiöse Erkenntnis von dem Herrn, der Sünde vergibt, Missetat erläßt, Todesgrauen überwindet und Leben gibt. Wir müssen dahin, das bleibt das schmerzhaft großartige Rätsel; was wir erarbeiten, überdauert uns. Wenn der Baum seine Frucht getragen hat, darf er ruhen; es ist auch den reichbegabten Knechten noch eine Ruhe vorhanden.| Unser teurer Bruder ist jetzt in eine Tatenlosigkeit gesandt, aber in eine Tatenlosigkeit, die sich auf die Großtat der Heimat rüstet. Er sieht Geheimnisse der Theologie, an die wir Armen noch nicht rühren; er hat jetzt, was ein Leben reich und groß und der Vollendung entgegenreifend macht. Wir sagen an diesem Sarge Dank dem Vater aller guten und vollkommenen Gabe, bei dem kein Wort auf Schrauben steht; wir preisen den König aller Lichter, der unsern Bruder ein brennendes, leuchtendes, sich verzehrendes Licht hat sein lassen. Und indem wir das preisen, sagen wir: Deine Frucht soll ewig bleiben! Wir rufen das den schwer heimgesuchten und doch getrosten Eltern zu: Was euer Sohn erarbeitet und erbetet hat, soll euch bleiben. Bewahre es die schwergeprüfte Gattin ihren Kindern, daß sie dem Vorbild des Vaters nach- und entgegenreifen. Wir Amtsbrüder wollen es auch in unseren Herzen bewahren; diesen Kampf um Heilswirklichkeit, diese Mühen um ewige Gewißheit wollen wir nicht vergeblich sein lassen und von dem Heimgegangenen uns auch das weite, allen ehrlichen Fragen erschlossene Herz zeigen lassen, mit dem wir tragen, was getragen werden darf, mit dem wir aufnehmen, was aufgenommen sein will. Und die Gemeinde soll auch nicht umsonst von ihm geweidet sein! Laßt das Wort Gottes unter euch reichlich wohnen; gedenkt an euren Lehrer, der, in jungen Jahren ausgereift, euch das Wort Gottes gesagt hat. Schaut die Wandlungen seines Lebens an und folgt seinem Ausgang!

 Wo ist solch ein Reichtum von Gottesbezeugung, die mitten im Leid jubilieren läßt? Wo ist solch eine Herrlichkeit, wie die der Gottesleute, die sagen können: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir“? Ihm sei Dank, daß Er Seinen Knecht gesetzt, daß er Frucht trage; Ihm sei auch dieser Frucht Bleiben befohlen. Er mache uns alle bereit, Ihm nachzufolgen, zagend, fragend, suchend und endlich des Besitzes froh. Amen.