Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Raben auf Hasenjagd
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 479–480
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[469]

Kolkrabe und Hase.
Originalzeichnung von C. F. Deiker.

[479] Raben auf der Hasenjagd. (Mit Illustration auf Seite 469.) „Das Leben der Hasen,“ sagte einst unser geschätzter Mitarbeiter Adolf Müller, „ist fast eine ununterbrochene Kette der Drangsal, der Noth und des Leidens, denen die Geschwister Wachsamkeit und Vorsicht zwar auf dem Fuße folgen, welchen aber auch das allbekannte, weniger bemitleidete als verspottete Kind, die Hasenfurcht, gleichsam riesig über den Kopf wächst. Schickt doch das ganze Heer unserer einheimischen Raubthiere unter Säugern und Vögeln die Spione, Schleicher, Wegelagerer und Raubmörder hinter dem Friedlichen und Wehrlosen her, das stille Eden seiner Fluren und Wälder in einen Plan der Bedrängniß und des Todes umzuwandeln.“

Diese vogelfreie Stellung in der Natur war es, welche schon zu der Zeit, da kaum ein richtiger Waidmann auf die Hasenjagd ging, die Dichter unsern Lampe zum Sinnbild der verfolgten Unschuld erheben ließ. Und doch ist der Hase keineswegs so harmlos, wie man glaubt. Schlechte Behandlung erzeugt bei Menschen schlechten Charakter, warum sollte dasselbe nicht auch im Thierleben der Fall sein?

Und in der That sind im Laufe der Zeit gar schlimme Charakterzüge bei denen vom Lampegeschlechte beobachtet worden. So lesen wir in Brehm’s „Thierleben“ einen Satz von Dietrich aus dem Winckell, wonach das größte Laster des Hasen seine Bosheit sei, die er nicht allein durch Kratzen und Beißen, sondern durch Verleugnung der elterlichen Liebe und oft durch Grausamkeit gegen junge Häschen in empörendster Weise bethätigt.

Geben wir hier nur ein Beispiel, wie der Hasenvater beschaffen ist. Der obengenannte Gewährsmann berichtet darüber wörtlich:

„Ich hörte einst einen jungen Hasen klagen, glaubte aber, da es in der Nähe des Dorfes war, ihn in den Klauen einer Katze und eilte dahin, um dieser den Lohn mit einem Schusse zu geben. Statt dessen aber sah ich einen Rammler vor dem Häschen sitzen und ihn mit beiden Vorderläufen von einer Seite zur andern unaufhörlich so maulschelliren, daß das arme Thierchen schon ganz matt geworden war. Dafür mußte aber der Alte seine Bosheit mit dem Leben bezahlen.“

Und die Hasenmutter! Sie ist bekanntlich eine sehr lose und leichtfertige Person und kümmert sich darum wenig um ihre Jungen. Sie wirft ja die Jungen manchmal auf den flachen Boden und giebt sich überhaupt keine Mühe, ein richtiges Lager zu bereiten. Nach fünf bis sechs Tagen verläßt sie ihre Kinder, und wenn ihnen schon früher Gefahr drohen sollte, so eilt sie in der Regel davon. Nur selten hat man beobachtet, daß sie sich gegen Feinde aus Mutterliebe zur Wehr setzte, und einen solchen Ausnahmefall hat der geniale Thiermaler Deicker heute unsern Lesern in der lebenswahrsten Darstellung vor Augen geführt.

[480] Der Feind der Lampefamilie ist hier ein Rabe. Der alte Jacob ist bekanntlich auch kein guter Charakter. Den scharfen Verstand, den ihm die Natur verliehen, benutzt er nur zu allerlei schlechten Streichen, und er ist ein Dieb und Räuber erster Classe.

Früher glaubte man, daß er nur an angeschossenen Hasen sich vergreife, aber genauere Beobachtungen haben das Gegentheil erwiesen. Unser Rabe geht geradezu mit leidenschaftlicher Vorliebe auf die Hasenjagd. Der treffliche Beobachter des Thierlebens, Graf Wodzicki, hat mehrmals Gelegenheit gehabt, Raben auf solchen Streifzügen zu ertappen, und wir geben im Folgenden nur eine dieser „Jagdgeschichten“ wieder, welche die Ueberlegung und List des Raubvogels besonders kennzeichnet.

„Im December 1847,“ erzählt der genannte Forscher, „ging ich bei hohem Schnee mit einem Gefährten auf die Hasenjagd. Obgleich wir schon einige Male geschossen hatten, erblickten wir doch an einer Schlucht des gegenüberliegenden Berges zwei Raben. Der eine saß ruhig am Rande und blickte hinunter, der andere, welcher etwas niedriger stand, langte mit dem Schnabel vorwärts und sprang behend zurück. Das wiederholte er mehrere Male. Erst als wir uns ihnen bis auf einige Schritte genähert hatten, flogen die Räuber auf, setzten sich aber in einer Entfernung von wenig Schritten wieder nieder, wie es schien, in der Hoffnung, daß auch wir, wie sonst die Bauern, vorbeigehen würden, ohne ihnen Schaden zu thun. An der Stelle nun, wo wir sie beobachtet hatten, saß an der Schneewand, etwa sechszig Centimeter tief, ein großer alter Hase. Der eine Rabe hatte denselben vorn vorn angegriffen, um ihn zum Aufstehen zu zwingen, der andere hatte mit Schnabel und Krallen von oben ein Loch in die Schneewand gebohrt, augenscheinlich in der Absicht, den Hasen von oben herauszujagen. Dieser war aber so klug gewesen, sitzen zu bleiben, und hatte durch Brummen und Fauchen den Raben zurückgescheucht.“

Auch in Schaaren verfolgen die Raben den fliehenden Hasen, der ihnen alsdann bald unterliegt, und suchen sogar manchmal, den Jagdhunden gleich, die Hasenspur auf.

Brehm hat in sein Thierleben eine ganze Reihe ähnlicher Beobachtungen aufgenommen, und wer sich dafür besonders interessirt, wird das Buch sicher nicht ohne innere Befriedigung aus der Hand legen.

Der Ausgang des Zweikampfes auf unserem Bilde ist nach dem Gesagten leicht vorauszusehen. Kommen dem Angreifer noch andere Genossen zur Hülfe, so fällt auch die alte Häsin ihnen zum Opfer. Auf alle Fälle aber bleiben dem Galgenvogel die im Grase versteckten Jungen ein sicherer Raub.