Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kriminalgewalt ohne Ziviljurisdiktion
Band IX,2 (1916) S. 12111212
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Imperium merum. I. merum (potestas, ius gladii) ist im Gegensatz zum i. mixtum die bloße Kriminalgewalt ohne Civiliurisdiction. Ulp. Dig. II 1, 3 sagt diesfalls: imperium aut merum aut mixtum est: merum est imperium habere gladii potestatem ad animadvertendum facinorosos homines, quod etiam potestas appellatur …. Die Strafgewalt wegen Verbrechen war ursprünglich im königlichen I. enthalten und ist mit diesem auf die Consuln übergegangen. Auch ein Dictater besaß dieselbe. Doch infolge der in der Stadt und ihrer Bannmeile zulässigen provocatio ad populum stand diese Gewalt in letzter Linie während der republikanischen Zeit dem römischen Volke zu. Dasselbe handhabte sie zuerst in den Comitien, nach Schaffung der Quaestiones perpetuae in diesen durch einen Index quaestionis; nur außerhalb der Stadt übten die Consuln kraft ihrer Militärgewalt die Kriminalgerichtsbarkeit unbeschränkt aus und das gleiche gilt von den Proconsuln in den Provinzen. In der Kaiserzeit konnte, neben den ordentlichen Gerichten und der neuen senatorischen Gerichtsbarkeit auch der Kaiser kraft seines I.s die Kriminalgerichtsbarkeit in erster Instanz ausüben und stand außerdem an ihn Appellation als höchste Instanz offen. In Rom und Italien, wie in den Provinzen ließ er jedoch seine Kriminalgerichtsbarkeit regelmäßig durch Vertreter ausüben; in Rom durch den Stadtpräfekten, der hierzu ständig delegiert wurde, in den Provinzen durch die Statthalter, denen die magistratische Vollgewalt (i. merum) übertragen wurde. Solche Delegationen sind anfänglich – wohl schon seit Augustus – immer nur von Fall zu Fall vorgenommen worden. Da diese Gewalt nicht zu den statthalterlichen Funktionen gehörte, sondern ihnen vom Kaiser durch Spezialmandat verliehen worden war, konnte dieselbe von ihnen nicht auf andere Personen übertragen werden (Walter R. Rechtsgesch. II § 689. Pernice Sav.-Ztschr. XIV 157. Mommsen [1212] Strafr. 423). Dabei wird nicht selten den Statthaltern dies I. nur mit der Beschränkung verliehen, daß sie zur Fällung des Urteils zwar berufen erscheinen, jedoch zur Exekution desselben noch der kaiserlichen Bestätigung bedürfen. Vom ‚Schwertrechte‘ eximiert waren ‚die zu dem senatorischen Erbadel gehörigen Personen, sowie die persönlich adeligen Inhaber des Ritterpferdes‘ (Mommsen a. a. O.). Die honestiores hatten seit dem 3. Jhdt. ein Provokationsrecht an den Kaiser, so daß in aller Regel ihre Berufung an den Kaiser vom Statthalter zugelassen werden mußte. Literatur (neben den im Text angegebenen Werken): L. Albrecht De imperio mero (1751). Zimmern Röm. Civilproz. (1829) 6ff. Geib Gesch. des röm. Criminalproz. 477ff. (1842). Rudorff R. Rechtsgesch. II § 104 (1857). Bethman-Hollweg Civilpr. des gem. Rechts II 98ff. 1865. Kuntze Cursus § 220 (1869). 1879². Keller-Wach Röm. Civ.-Pr.⁶ 11 (1883). Mommsen St-R.³ I 22ff. 187, 2 und III 968. Girard-Mayr II 1064 (1908).