57) M. Fulvius Flaccus. Verschiedene Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Bericht des Livius XL 41, 7–11 über einen Kriegstribunen des in Ligurien stehenden Heeres, der seine Legion ohne Geheiß und vor dem Eintreffen der Consuln entlassen hatte und zur Strafe dafür auf Senatsbeschluß nach Hispania ulterior versetzt wurde. Die hsl. Überlieferung ist hier verwirrt: wenn man jetzt gewöhnlich frater Q. Fulvi M. Fulvius Nobilior als gesicherte Lesart annimmt, so muß man einen Irrtum des Livius annehmen, da der vorher erwähnte Q. Fulvius, der Consul dieses J. 574 = 180, nicht zu den Nobiliores, sondern zu den Flacci gehörte, und folglich der Kriegstribun, wenn er sein Bruder war, ebenfalls Flaccus geheißen haben müßte (vgl. Mommsen Ephem. epigr. I p. 156). Von einem Kriegstribunen F. (ohne Praenomen und Cognomen) berichten ferner Val. Max. II 7, 5 und Frontin. strat. IV 1, 32, er sei wegen eigenmächtiger Entlassung seiner Legion von den Censoren von 580 = 174 aus dem Senat gestoßen worden, obgleich der eine von diesen sein eigener Bruder war. Hier erheben sich drei Schwierigkeiten: sowohl im J. 574 = 180, wie im folgenden J. 575 = 179 war ein Q. Fulvius Flaccus Consul, aber der Censor von 580 = 174 war der jüngere von ihnen (Nr. 61). Zweitens hat nach Liv. XL 30, 4 auch dieser einen Bruder M. gehabt, der aber unter ihm bereits 573 = 181 in Hispania citerior diente. Drittens wird die Ausstoßung seines Bruders aus dem Senat auch von Livius XLI 27, 2 und Vell. I 10, 6 erzählt; beide geben den Grund der Strafe nicht an, wohl aber den Vornamen des Bestraften und zwar abweichend voneinander, Livius: L. Fulvius, qui frater germanus et, ut Valerius Antias tradit, consors etiam censoris erat, Velleius: censoris frater et quidem consors Cn. Fulvius. Fragt man zunächst, ob von diesen beiden Vornamen der eine mehr Vertrauen verdiene als der andere, so muß man mit Mommsen antworten, daß Lucius sonst bei den Fulvii Flacci kaum je vorkomme, also die Angabe des Livius zu verwerfen sei. Geht man aber weiter, so zeigt sich, daß Mommsens Lösung der Schwierigkeiten eine sehr verwickelte ist. Der aus dem Senat gestoßene Mann hieß Cn. und war ein Bruder des jüngern Consuls Q.; er ist nun erstens verwechselt worden mit dessen anderem Bruder Marcus, dann ist aber dieser Marcus wieder verwechselt worden mit seinem gleichnamigen Vetter, und so kam die Überlieferung des Valerius Maximus zustande. Dagegen dürften doch wohl zwei andere Möglichkeiten einfacher erscheinen. Die eine ist, daß der aus dem Senat gestoßene Mann wohl frater des Censors gewesen sei, aber nicht germanus, sondern patruelis, und daß Valerius Antias für germanus, – nicht für consors, was auch Velleius hat, – angeführt werde, d. h. dies gefälscht habe. Wahrscheinlicher ist vielleicht die zweite Möglichkeit. Auch Valerius Maximus nennt den F. fratrem, consortem, geht also wie Livius und Velleius auf Antias zurück; er gibt aber den Grund der Bestrafung an, ist also vollständiger als sie; er hat dagegen kein Praenomen
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des F., also sind die beiden Praenomina L. und Cn. gleich verdächtig. Der Bruder M. des jüngeren Consuls kommt nur in einem sehr bedenklichen Kriegsbericht bei Liv. XL 30, 4 vor; sein Auftreten in diesem ist ohne weiteres preiszugeben. Dann aber hindert nichts, ihn in dem fehlbaren Tribunen von 574 = 180 zu sehen; frater Q. Fulvi M. Fulvius bei Liv. XL 41, 8 ist nicht der Bruder des Consul suffectus, sondern des spanischen Statthalters Q. Fulvius vom gleichen Jahre. Dafür sprechen zwei Gründe. Die Existenz eines M. Fulvius als Bruder dieses Q. Fulvius Q. f. ist durch die Acta triumph. von 631 gesichert, wie Mommsen bemerkte, die eines M. Fulvius als Bruder des Q. Fulvius Cn. f. dagegen nicht. Dann aber ist der Amtsgenosse des Q. Fulvius in der Zensur von 580 = 174 kein anderer als A. Postumius Albinus, der als Consul und Amtsgenosse des älteren Q. im J. 574 = 180 die erste Bestrafung des Kriegstribunen herbeigeführt hatte und die Censur keineswegs in steter Eintracht mit dem jüngeren Q. verwaltete. Bei dieser Auffassung verflüchtigen sich allerdings zwei unklare Gestalten unter den Fulviern dieser Zeit vollständig, dagegen tritt eine dritte deutlich hervor und vereinigt in sich die meisten von der Überlieferung gegebenen Züge. Unbedenklich kann man annehmen, daß dieser M. Fulvius Flaccus vor seinem Kriegstribunat von 574 = 180 im J. 570 = 184 als Triumvir mit Q. Fulvius Nobilior, dem Sohne des Aetolersiegers M. Nobilior (vgl. Nr. 95), die Gründung der Kolonien Potentia und Pisaurum geleitet hatte (Liv. XXXIX 44, 11); die Beziehungen zu den Fulvii Nobiliores können es sogar erklären, weshalb F. nach dem Kriegstribunat nicht von dem ersten folgenden Censorencollegium aus dem Senat gestoßen wurde, sondern erst von dem zweiten; in jenem 575 = 179 war nämlich der Aetolersieger maßgebend und mit seinem Amtsgenossen einig. Dagegen ist kaum möglich, daß mit dem 580 = 174 aus dem Senat gestoßenen Manne identisch ist M. Fulvius, der 583 = 171 nach Aquileia (Liv. XLIII 1, 12), und M. Fulvius Flaccus, der 584 = 170 nach Makedonien geschickt wurde (ebd. 11, 2, vgl. 9ff.), da diese Gesandten dem Senat angehören mußten; dann ist allerdings zuzugeben, daß in dieser Zeit noch ein zweiter M. Fulvius Flaccus existierte. Vgl. noch Nr. 29. 58.