Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Exiguus, Skythischer Mönch
Band V,1 (1903) S. 998999
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155) Dionysius Exiguus. D. ein skythischer Mönch, der sich den Beinamen Exiguus zum Beweise seiner Demut selber beigelegt hat, ist etwa 497 nach Rom gekommen und hier lange als Lehrer thätig gewesen, wohl um 540 gestorben. Er stand in intimem Verkehr mit Cassiodorius, der die glänzenden Eigenschaften seines Charakters und seine Intelligenz de instit. div. liter. 23 gar nicht genug rühmen kann. Des Griechischen und Lateinischen gleich mächtig – moribus omnino Romanus nach Cassiodor – hat er durch Übersetzen griechischer Werke ins Lateinische sich verdient gemacht; wir besitzen noch seine Version der Vita s. Pachomii (Migne Patrolog. lat. LXXIII 229–272), mehrerer Schriften des Proklos von Constantinopel, des Tractats περὶ κατασκευῆς ἀνθρώπου von Gregor von Nyssa, der historia inventionis capitis S. Ioannis Baptistae. Seine Berühmtheit aber verdankt D. seinen einflussreichen kirchenrechtlichen und chronologischen Arbeiten, bei denen er übrigens grösstenteils auch nur Übersetzer ist; sein Verdienst liegt in der verständigen Auswahl des zu Übersetzenden. Ein codex canonum ecclesiasticorum wurde zunächst von ihm zusammengestellt, mit den Canones apostolorum beginnend – beste Ausgabe von Turner Eccles. occident. monum. juris antiquissima I 1899, 1–33 – worauf die Canones griechischer Synoden des 4. Jhdts. folgen, dann Beschlüsse der Synoden von Sardica 343 und die zu Carthago 419 angenommenen Canones; am Ende stehen die Canones von Chalcedon 451. Diese Sammlung ist in ihrer ursprünglichen Gestalt nur noch in einer Hs. erhalten und wird erst demnächst von Turner allgemein zugänglich gemacht werden; sie wurde verdrängt durch eine zweite Redaction, die der Verfasser selber vornahm, und die hauptsächlich den Gebrauch des Buchs bequemer machte. Später, etwa um 510, sammelte D. päpstliche Decretalen von Siricius (384–399) bis zu Anastasius II. (496–498); diese hat man bald mit jenem Codex canonum verbunden – das natürlich weiterhin vielfach ergänzte und verunstaltete Sammelwerk wird unter dem Namen Dionysiana verstanden. Auf Wunsch des Papstes Hormisdas (514–523) hat D. endlich noch einmal die griechischen Canones zweiter Ausgabe nach den Grundtexten emendiert, um die grösstmögliche Wörtlichkeit zu erzielen; diese Arbeit scheint aber verloren. Da man in Rom von den Sammlungen des D. bald officiellen Gebrauch machte, war ihnen die Zukunft gesichert. Seinem daher stammenden Ansehen wird es zuzuschreiben sein, dass seine chronologischen Vorschläge ebenfalls in Rom angenommen wurden und so der Grund zu einheitlichen Zeit- und Festberechnungen innerhalb der christlichen Völker gelegt wurde. Er hat 525 in dem Liber de paschate die Ostertabellen des Cyrill von Alexandrien fortgesetzt, dessen System in etwas verbessert und in den Briefen de ratione paschae, sowie durch die argumenta paschalia erläutert, vor allem aber die diocletianische Aera durch die christliche [999] ersetzt, d. h. die Jahre von der Geburt Christi, die er 753 ab urbe cond. ansetzte, berechnet. Die Hauptwerke sind gedruckt bei Migne Patrol. lat. LXVII; die interessanten Vorreden des D. zu seinen vier kirchenrechtlichen Sammlungen vollständiger und correcter bei Maassen Gesch. d. Quellen und d. Litt. des canon. Rechts I 1870, 960–965; die von D. seinem chronologischen Werke angehängte Übersetzung des Briefs von Proterios an Leo I. am besten bei Krusch Studien zur christl. mittelalt. Chronol. 1880, 266–278. Den Beweis dafür, dass D. fähig war, die gröbsten Plagiate auszuführen, hat Maassen a. a. O. 132–136 geführt; er hat in einem Anschreiben an Bischof Petrus die von Marius Mercator verfasste Übersetzung des cyrillischen Briefes der alexandrinischen Synode von 430 sich angeeignet; über eine in Sachen der Osterberechnung von ihm verübte pia fraus vgl. Krusch Neues Archiv IX 107 und L. Duchesne Lib. Pontific. I p. CXIV. Sonst vgl. Maassen a. a. O. 422–440. Im Spicilegium Casinense I 1888, 1–189 ist eine Sammlung von Schriftstücken aus cod. Novariensis N. XXX 60 veröffentlicht, die, am Anfang und am Ende verstümmelt, offenbar nach einheitlichem Plan hergestellt ist, um Material für eine Entscheidung der Streitfrage zu beschaffen, ob man orthodoxerweise von einem aus der Trinität, der im Fleisch gelitten hat, reden dürfe. Dass die Sammlung für Papst Johannes II. 532–535, der im J. 534 die Entscheidung gab, angefertigt sei, ist eine sehr wahrscheinliche Vermutung des Herausgebers Amelli; er glaubt sie ebenso sicher dem D. zuschreiben zu können. Die Frage wird eine absolut zweifellose Antwort nicht gestatten, da man Ursache hat, in der Zeit des D. mehrere ähnlich interessierte und veranlagte Persönlichkeiten vorauszusetzen, wie z. B. den unbekannten Verfasser der Actus b. Silvestri (Duchesne a. a. O.).