RE:Compensatio
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Ausgleich entgegengesetzter Dinge | |||
Band IV,1 (1900) S. 784–788 | |||
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Compensatio ist Ausgleichung entgegengesetzter Dinge, die einander aufwiegen, z. B. compensatio lucri cum damno (vgl. Oertmann Centralblatt für die juristische Praxis XV 1897, 9) oder die Ausgleichung erbrechtlicher Ansprüche mit erbrechtlichen Lasten (Kretschmar Erbrechtliche Compensationen, Leipzig 1892) oder die Ausgleichung der culpa des einen wider den andern gegen die culpa dieses andern wider ihn (compensatione negligentiae facta Dig. XVI 2 de conp. frg. 10 pr. Pernice M. Antistius Labeo II² 89ff. Priester Compensatio culpae, Diss. Würzburg 1896). In Dig. VI 1, 65 wird eine Einnahme gegen eine Forderung aufgerechnet; vgl. auch Sen. de benef. VI 4, 5: Inter beneficia quoque et iniurias ratio confertur. Auch das Gegengewicht der politischen Gewalten im Staate wird bei Cicero de rep. II 33 als C. bezeichnet. Im engern gewöhnlichen Sinne bezeichnet aber C. die Ausgleichung einer Forderung wider eine Gegenforderung, Dig. XVI 2, 1 de compensationibus: Compensatio est debiti et crediti inter se contributio. Forderung und Gegenforderung eignen sich dann zur Ausgleichung, wenn beide fällig sind (Dig. XVI 2, 7 pr.), gleichartige Schuldleistungen betreffen und ihrem Betrage nach feststehen.
Die Ausgleichung von Schuld und Gegenschuld kann eine gerichtliche sein, wenn die Schuld eingeklagt wird und der Gegner die Gegenforderung aufrechnet. Eine Tilgung beider Schulden tritt jedoch nur dann ein, wenn der Richter die Aufrechnung berücksichtigt und hiernach sein Urteil fällt. Dig. XVI 2, 7, 1 (Geib Theorie der gerichtlichen Compensation 1897, 86ff.). Wenn also die C. der Zahlung gleichgestellt wird (Cod. IV 31. 4 pro soluto compensationem haberi oportet), so ist dies nicht wörtlich zu nehmen; sie ist ihr nur ähnlich, nicht völlig gleich. Auch aussergerichtlich ist eine C. möglich. Dieser Compensationsvertrag (Dernburg Geschichte und Theorie der Compensation² 1868, 16ff. Eisele Die Compensation nach röm. und gem. Recht 1876, 229ff. 236) muss als gegenseitiger Schulderlass gegolten haben. Wenn ein solcher Vertrag uns auch vielleicht nicht ausdrücklich bezeugt wird, so sollte seine Zulässigkeit nach römischem Rechte doch [785] nicht bestritten werden, wie dies von Franz Leonhard geschieht (Die Aufrechnung, Göttingen 1896, 12ff., woselbst die zweifelhaften Quellenstellen besprochen sind). Endlich ist die Erklärung eines Schuldners an den Gläubiger, mit einer Gegenforderung aufrechnen zu wollen, schon nach römischem Rechte möglich. Dass sie aber schon nach diesem ein einseitiges schuldtilgendes Rechtsgeschäft war, ist zu erweisen versucht worden, aber nicht in völlig überzeugender Weise (Franz Leonhard Die Aufrechnung 1896 und dazu Kohler Ztschr. für Civilprocess XXIII 489ff. Stölzel Schulung für die civil. Praxis II 11, 5. Hellmann Krit. Vierteljahrsschrift XL 93ff. v. Tuhr Deutsche Litteratur-Zeitung 1898, 846ff.).
Noch viel zweifelhafter aber ist, ob nach römischem Rechte das blosse Nebeneinanderbestehen gleichartiger Forderungen und Gegenforderungen einen gegenseitigen Einfluss dieser Vermögensstücke auf einander, auch ohne jede Erklärung von der einen oder der andern Seite, ausgeübt hat und ob dieser Einfluss mit der Wendung ipso iure compensari in allen oder doch in einigen der Stellen, die sie enthalten, bezeichnet werden soll (Dig. XVI 2 frg. 4. 21. Cod. IV 31, 4. 14; vgl. auch Dig. XVI 2, 10 pr.). Hierauf bezieht sich namentlich Ubbelohde Über den Satz ipso jure compensatur 1858 und mehr oder weniger die gesamte Litteratur über C., neuerdings auch Priester Ipso jure compensatur, Frankfurt a. M. 1897. Von einer völligen Tilgung der Forderungen durch das Dasein gleichartiger Gegenforderungen kann freilich nicht die Rede sein, wohl aber von einer gegenseitigen Entwertung, wenigstens in dem Falle, dass Gläubiger und Gegengläubiger sich ihrer Schulden bewusst sind und redlich handeln (Dig. XVI 2 de compens. 3 quia interest nostra potius non solvere quam solutum repetere; vgl. auch Kohler Ztschr. f. Civilprocess XXIII 490). In diesem Falle wird vernünftigerweise jeder von beiden ein Hin- und Herzahlen für unverständig halten, ja selbst eine Erklärung hierüber als überflüssig vermeiden. Die Sachlage wird also ipso iure, d. h. ohne alle Parteierklärungen, die Eintreibung wie die Zahlung hemmen und Forderung sowie Gegenforderung entkräften oder lähmen, wenn auch nicht geradezu vertilgen. Die neuere Wissenschaft ist übrigens in vielen ihrer Vertreter so weit entfernt davon, dies anzuerkennen oder darin das ipso iure compensari zu erblicken, dass sie schliesslich dazu gelangt ist, die Quellenstellen, um deren Auslegung es sich handelt, zum grössten Teile als interpoliert anzusehen (Appleton Histoire de la compensation en droit Romain, Paris 1895 und dazu Eisele Ztschr. d. Savignystiftung, Rom. Abt. XVII 348ff., sowie dagegen Franz Leonhard a. a. O. 214), eine Methode, deren allzu starke Verwertung der Wissenschaft ihre quellenmässisen Ausgangspunkte zu rauben droht. Jene gegenseitige Entkräftung der auszugleichenden Schulden ist übrigens keineswegs ohne praktische Bedeutung, sondern zeigt sich in der beiderseitigen Befreiung von Zinszahlungspflichten (Cod. IV 31, 4. Dig. XVI 2, 11. 12.) Die Zweifel, die dann entstanden, wenn einer Forderung gleichzeitig mehrere gleichartige Gegenforderungen gegenübertraten, scheinen nach römischem Rechte dadurch ausgeglichen worden [786] zu sein, dass die Wahl des mehrfach Berechtigten darüber entschied, welcher seiner Gegenansprüche mit dem Ansprüche des Schuldners als ausgeglichen gelten sollte.
Diese gegenseitige Entwertung von Forderung und Gegenforderung ist dadurch in hohem Masse verdunkelt worden, dass man sie mit der Zulassung der Compensationseinrede in Zusammenhang gebracht und die Geschichte der Compensationseinrede mit der Geschichte der C. zusammengeworfen hat. Die genannte gegenseitige Entwertung ist von der Zulassung von Compensationseinreden völlig unabhängig. Selbst da, wo solche Einreden unzulässig sind, wirkt sie, weil auch dort jede der beiden Parteien die Klage der andern fürchtet und deshalb die Eintreibung ihrer Schuld unterlässt. Was dagegen die Zulässigkeit der Compensationseinrede betrifft, so beruht ihre Beschränkung durch Rechtssatz, wo sie sich vorfindet, vornehmlich auf dem Missbrauche, der mit dieser Einrede getrieben werden kann, um Processentscheidungen zu verzögern. Die Art und Weise aber, in der dieser Gedanke Anerkennung gefunden hat, hat im Laufe der Rechtsgeschichte aus Rücksicht auf den jedesmaligen Zustand des Processrechtes mannigfache Änderungen erfahren. Obwohl daher schon in alter Zeit die durch Gegenforderungen getilgten Forderungen aus den Rechnungsbüchern ausgemerzt wurden (Gell. VI 5, 6, eine Stelle, deren Beziehung auf Compensationen bestritten ist; vgl. Hellmann Krit. Vierteljahrsschrift XL 94. Plaut. Mostell. 296ff.; Aul. 527. Dernburg a. a. O. 22ff. Asher Die Compensation im Civilprocess des classischen römischen Rechts 1863, 3 und über die Compensationen in den leges locationis bei Cato de agric. Bekker Ztschr. f. R.-G. III 424ff. 437ff.), so scheint doch dem alten Legisactionenprocesse eine Compensationseinrede völlig fremd gewesen zu sein (vgl. Eisele Die Compensation nach röm. und gem. Recht 1876, 29, 29 abweichend von Jhering Geist des römischen Rechts § 52 Anm. 84ff.). Immerhin ist es aber möglich, dass schon in dieser Zeit der Kläger bei Strafe des Processverlustes genötigt war, solche Gegenforderungen von seinem Anspruche abzuziehen, die nach ihrem Betrage einer besondern richterlichen Feststellung nicht bedurften. Die Compensationseinrede zur Zeit des Formularprocesses unterliegt den grössten Zweifeln (vgl. Dernburg a. a. O. § 19ff. Eisele a. a. O. 16ff. Asher a. a. O. 5ff. Stampe Das Compensationsverfahren im voriustinianischen stricte judicium 1886 und die andern bei Franz Leonhard 23ff. Angeführten). Zwei Punkte sind es namentlich, in denen Widersprüche der Texte vorzuliegen scheinen: die Zulassung von Compensationseinreden bei Forderungen ex dispari causa und bei actiones stricti iuris. Paul. sent. II 5. 3 lässt compensationes ex dispari causa (d. h. aus unzusammenhängenden Schuldgründen) mit Bestimmtheit zu, während Gai. IV 63 und Inst. IV 6, 39 sie mit derselben Bestimmtheit verneinen. Andererseits sagt Inst. IV 6, 30: sed et in strictis iudiciis ex rescripto divi Marci opposita doli mali exceptione compensatio inducebatur, während Paul. sent. II 5, 3 von der Notwendigkeit einer exceptio für die Zulassung von Compensationseinwendungen nichts weiss: si totum [787] petas, plus petendo causa cadis. Der Widerspruch dieser Stellen wird noch verschärft durch die herrschende Ansicht, dass bei actiones stricti iuris compensationes ex eadem causa undenkbar seien, weil diese actiones streng einseitige Forderungen betreffen, denen eine Gegenforderung aus demselben Vertrage nicht gegenübersteht. Hierbei wird nun offenbar die stipulatio, die eine einseitige Verpflichtung erzeugt, mit der causa stipulationis verwechselt. Diese konnte auch ein zweiseitiges Geschäft sein, z. B. ein Kaufgeschäft, aus dem die Preisforderung in eine stipulatio eingekleidet war. Eine c. ex eadem causa war also auch gegenüber einer actio stricti iuris aus einer solchen stipulatio wohl denkbar. Im übrigen lässt sich der klare Widerspruch der Stellen nur daraus erklären, dass in ihnen von zwei verschiedenen Arten der C. die Rede ist (worauf namentlich die Ausführungen von Franz Leonhard a. a. O. 75 hindeuten), Gai. IV 63 und Inst. IV 6, 39 sprechen nur von den c. in iudiciis, d. i. den erst im Processe möglich gewordenen Compensationen, im Gegensatze zu den c. ante iudicia, auf die sich Paul. sent. II 5, 3 bezieht. Zu jenen gehören solche Gegenforderungen, die der Richter überhaupt erst nach ihrer Höhe feststellt und dadurch compensationsfähig macht, z. B. Entschädigungsansprüche für eine zerstörte Sache, deren Wert streitig ist. Solche Ansprüche scheinen nur ex pari causa zugelassen worden zu sein. Auch waren sie nur dann compensabel, wenn es dem Richter gefiel (Gai. IV 63). Endlich konnten sie bei actiones stricti iuris bis Marc Aurel gar nicht zur Compensation verwendet werden, seitdem aber nur dann, wenn vom Verklagten eine exceptio doli erhoben war (über das Processstadium, in dem dies geschehen musste, vgl. Eisele Ztschr. der Savignystiftung, Rom. Abt. XVII 354). Iustinian befreite auch bei den genannten actiones die compensationslustigen Verklagten von der Erhebung einer besondern exceptio doli, so dass also auch bei actiones stricti iuris die richterlich festgestellten Gegenforderungen fortan ohne weiteres (ipso iure) ebenso wirken sollten, wie alle andern Compensationen. Von richterlichem Belieben soll im übrigen nach Iustinians Vorschrift die Berücksichtigung des Compensationseinwandes in keinem Falle mehr abhängen, wohl aber durchweg davon, ob er liquid, d. h. ohne Verzögerungsgefahr beweisbar, ist (Cod. IV 31, 14).
Eine besondere Bewandtnis hatte es nach Gai. IV 63–65 mit den Compensationen des argentarius und des bonorum emptor in der älteren Kaiserzeit. Der argentarius musste alle Gegenforderungen von seinem Anspruche abziehen und zwar, wie es scheint, auch solche, die zunächst nach ihrem Betrage noch nicht feststanden, also noch nicht compensabel waren. Da ihm nun aber jedenfalls vor dem eigentlichen Processbeginne eine Gelegenheit zur Feststellung gegeben worden sein muss, so scheint er ein Recht darauf gehabt zu haben, dass diese Feststellung vor dem Magistrate erfolgte, ehe er seinen Anspruch durch litis contestatio rechtshängig machte, ein Privileg seines auch sonst in jener Zeit bevorzugten Gewerbes. Der bonorum emptor war dagegen der Käufer einer ganzen Vermögensmasse mit Forderungen und Schulden (s. Bonorum emptio). Zur besseren [788] Abwickelung dieser Angelegenheiten war er nicht nur dazu gezwungen, Compensationen zu erdulden, sondern er musste cum deductione agere, d. h. dem Gegner das Recht einräumen, den Wert seiner Gegenansprüche von der eingeklagten Forderung abzuziehen, selbst wenn sie dieser ungleichartig waren, also von einer compensatio ipso iure keine Rede sein konnte.
Einige Forderungen sind in ihrem Werte dadurch erhöht, dass eine Compensation ihnen gegenüber verboten ist. So namentlich die actio depositi. Senec. de benef. VI 5, 5. Cod. IV 31, 14 § 1. Andere Fälle enthalten Cod. IV 31, 14, 2. IV 31, 3. Dig. XLIX 14, 46, 4 und 5.
Litteratur: Dernburg Geschichte und Theorie der Compensation nach römischem und neuerem Rechte² 1868. Eisele Die Compensation nach röm. und gemeinem Recht, Berlin 1876 und dazu Brinz Krit. Vierteljahrsschrift XIX 321ff. Geib Theorie der gerichtlichen Compensation, Tübingen 1897 und die bei Franz Leonhard Die Aufrechnung 1896 § 212 Genannten, auch R. Leonhard Institutionen 493ff.