RE:Codicilli 4
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Testament ohne Bindung an gesetzliche Formalität | |||
Band IV,1 (1900) S. 175–179 | |||
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4) Aus demselben Grunde hatten auch die Testamente die gleiche Form; doch nannte man die Urkunde tabulae testamenti, nicht C. Wohl aber bezeichnete man mit diesem Namen eine andere Art letztwilliger Verfügungen, die gleich den Soldatentestamenten an keine gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten gebunden waren (Dig. XXIX 7, 6 § 1. 2). Gewöhnlich hatten sie, wie das erhaltene Exemplar CIL X 7457, die Form eines Briefes an den Erben, woher sie auch den Namen C. führten. Doch konnten sie auch mündlich getroffen werden (Cod. Iust. VI 4, 3; vgl. Cod. Theod. IV 4, 7), ja selbst durch einen verständlichen Wink (Cod. Iust. VI 42, 22. Dig. XXXII 21 pr. 39 § 1. Ulp. 25, 3). Sie bedurften daher zu ihrer Gültigkeit auch nicht der lateinischen Rechtssprache, sondern konnten griechisch oder in beliebigen Barbarensprachen abgefasst werden (M. Voigt Das Ius naturale III 336).
Die C. zerfallen in zwei Klassen, die anfangs von sehr verschiedener Rechtskraft sind, sich aber im Laufe der Zeit einander immer mehr nähern, die c. testamento confirmati und non confirmati (Iust. inst. II 25. Plin. epist. II 16. Gai. II 270 a. Ulp. 24, 29. 25, 11. Dig. XXIX 7, 3 § 2. 6 § 4. 7 pr. u. sonst). Der Unterschied, den die römischen Juristen an die Spitze stellen, zwischen c. ad testamentum facti und c. ab intestato (Dig. II 15, 8 § 2. XXIX 7,16. XXXIV 9, 5 § 14 u. sonst) war, wie wir sehen werden, viel minder wesentlich.
Die c. testamento confirmati sollen in Augusteischer Zeit aufgekommen sein und zwar durch einen Mann, der in der Provinz starb und deshalb ausser stande war, sein früheres Testament durch ein neues zu ersetzen (Iust. inst. II 25). Denn nicht überall fanden sich die sieben erwachsenen römischen Bürger, deren Unterschrift und Siegel für ein rechtsgültiges Testament gefordert wurde (vgl. Dig. XXIX 7, 8 § 2). Dass die C. schon vor dem Testament niedergeschrieben [176] und nachträglich durch dieses bestätigt wurden, war der seltenere Fall (Dig. XXIX 7, 5. 8. 18. L 16, 123). Gewöhnlich verfasste man sie als Ergänzung zu einem schon vorhandenen Testament; doch mussten sie in diesem vorgesehen sein, etwa durch folgende Formel: quod in codicillis scriptum erit, valere volo oder si quid tabulis aliove quo genere ad hoc testamentum pertinens reliquero, ita valere volo (Dig. XXIX 7, 18. XL 5, 56. L 16, 123). Eine solche Bestätigung, ob sie voranging oder nachfolgte, hatte immer die Wirkung, dass der Inhalt der C. die gleiche Rechtskraft gewann, als wenn er einen Teil des Testamentes selbst gebildet hätte (Dig. XXIX 7, 14: codicilli pro parte testamenti habentur; vgl. XXIX 7, 2 § 2. 10. 16). Freilich galten sie nur als untergeordneter Teil, der den wesentlichen Inhalt nicht berühren dürfe. Sie konnten daher weder über Erbeinsetzung oder Enterbung verfügen (Gai. II 273. Ulp. 25, 11. Dig. XXIX 7, 10. 13 § 1. XXXVI 1, 78. Iust. inst. II 25, 2. Cod. Iust. VI 23, 14. 36, 2. 7) noch eines von diesen beiden an nachträgliche Bedingungen knüpfen (Dig. XXVIII 7, 27 § 1. XXIX 7, 6), wohl aber Tutoren bestellen (Dig. XXVI 3, 1 § 1. 10), über das Begräbnis Anordnungen treffen (Tac. ann. XV 64. CIL III 653. VIII 7074) und Freilassungen (Dig. XXIX 7, 2 § 2. 4. 8 § 5. 11), Legate (Plin. ep. II 16. 20, 5. Tac. ann. XVI 17. Gai. II 270 a. Ulp. 24, 29) oder sonstige Stiftungen begründen (CIL III 5202. VIII 17479. XIV 2795 Z. 9). Wird das Testament nichtig oder anfechtbar, so tritt die gleiche Folge auch für die C. als Teil desselben ein (Dig. XXIX 7, 3 § 2. 8 § 3. 10. 16. XXXIV 9, 5 § 4), doch hat man später diese Consequenz vermieden, indem man die c. testamento confirmati nach Analogie der non confirmati behandelte (Dig. XXIX 7, 2 § 4. 3 § 1. 8 § 3. 11. 19).
Nach der Construction der classischen Juristen sollen auch diese letzteren als Teil des Testamentes gelten (Dig. XXIX 7, 3 § 2), ja selbst wenn ein solches gar nicht vorhanden ist, argumentieren sie, der Erblasser habe gewollt, dass die Intestatfolge eintrete, und zu diesem letzten Willen seien die C. als Ergänzung zu betrachten (Dig. XXIX 7, 3. 8 § 1). Doch haben sie selbst die Unrichtigkeit dieser Auffassung stillschweigend anerkannt, indem sie die Wirkung der C. in den meisten Fällen bestehen liessen, auch wenn das Testament hinfällig wurde. Übrigens ist diese auch eine ganz andere, als bei den c. testamento confirmati. Noch um das J. 100 n. Chr. waren die non confirmati rechtlich Null (pro non scriptis Plin. epist. II 16, 1); aber gewissenhafte Erben betrachteten sie trotzdem als Willensausdruck des Erblassers und hielten es für eine Pflicht der Pietät, ihre Forderungen zu erfüllen (Plin. a. O.). Aus dieser Übung entwickelt sich dann bald ein Gewohnheitsrecht. Dasselbe hat also einen ganz ähnlichen Ursprung, wie bei den Fideicommissen, die ja ursprünglich auch auf den guten Willen des Erben gestellt waren und daher regelmässig den Inhalt der c. non confirmati bilden. Legate, die schon durch den Tod des Erblassers ohne weitere Förmlichkeit Eigentum des Legatars werden, können nur durch Testament oder bestätigte C. bestellt werden; unbestätigte können an den [177] Erben nur die fideicommissarische Bitte richten, irgend ein Besitztum an einen Dritten abzutreten, wobei dann erst durch die Übergabe Eigentumserwerb eintritt (Gai. II 270 a. Ulp. 24, 29. 25, 11. Consult. 6, 12. Dig. XXIX 7, 3 § 2). In Testamenten und bestätigten C. kann man folgendermassen freilassen: Stichum servum meum liberum esse iubeo; in unbestätigten lautet die Formel: a te peto, Eutychianum alumnum meum manumittas vindictaque liberes (CIL X 7457); in jenem Falle wird der Sclave libertus orcinus des Erblassers, in diesem Freigelassener des Erben. Doch wenn man sich in der Formel vergriff, kam darauf auch nichts an, da ja bei den C. nur darauf gesehen wurde, ob der Wille des Erblassers deutlich erkennbar sei, nicht ob er die gesetzlichen Worte gebraucht habe (Dig. XXIX 7, 13).
Aber so wichtig der Unterschied auch juristisch ist, dass die Bestimmungen der bestätigten C. directo iure, die der unbestätigten nur auf dem Umwege des Fideicommisses wirksam werden, praktisch schrumpfte er sehr zusammen, da ja auch die Fideicommisse volle Rechtskraft erlangten. Es ist daher wohl begreiflich, dass für die Juristen des 3. Jhdts. die beiden Arten von C. fast zusammenfallen. Denn auch darin, dass sie keine Erbeinsetzung verfügen konnten, stimmten sie überein, weil ja auch das Fideicommissum das Vorhandensein eines gesetzlichen Erben, an den die betreffende Bitte gerichtet werden kann, notwendig voraussetzt. Desto bedeutungsvoller trat der Unterschied der c. ad testamentum facti und der c. ab intestato hervor, insofern jene das Testament nur ergänzten, diese es ersetzten (Dig. II 15, 8 § 2. XXIX 7, 3. 8 § 1. 16. Iust. inst. II 25, 1. Cod. Iust. VI 36, 4). Ja die letzteren konnten sogar etwas verfügen, was einer Erbeinsetzung sehr nahe kam; wenn sie nämlich den gesetzlichen Erben fideicommissarisch aufforderten, das ganze hinterlassene Vermögen einem Dritten zu übertragen (Dig. XXIX 7. 2 § 4. Iust. inst. II 25, 2. Gai. II 273. Ulp. 25, 11. Cod. Iust. VI 36, 2). Selbst wenn in den C. die an sich unzulässige Formel gebraucht wurde: Titium heredem esse volo, konnte man sie so deuten, dass nicht eine directe Erbeinsetzung, sondern eine fideicommissarische gemeint sei, und demgemäss verfahren (Dig. XXIX 7, 13 § 1), weil es ja nur auf die Interpretation der Willensäusserung, nicht auf die Form derselben ankam.
Wie im römischen Reich auf allen Gebieten die formlosen Rechtsgeschäfte die streng formellen zurückdrängten, so gewannen auch die C. den Testamenten gegenüber immer mehr Boden, namentlich da sie auch sonst dem letzten Willen grössere Sicherheit gewährten. Denn die meisten Gründe, die ein Testament ungültig machen konnten, waren für sie nicht vorhanden. Der Eintritt eines neuen suus heres in die Familie vernichtete das vorher gemachte Testament, nicht aber die C. (Dig. XXIX 7, 2 § 4. 3 § 1. 8 § 3. 11. 16. 19). Auch wurde jedes Testament durch ein späteres ungültig, während die C. ihre Rechtskraft bewahrten, falls nur das nachfolgende Testament nicht zu ihnen in Widerspruch stand (Iust. inst. II 25, 1. Dig. XXIX 7, 5. 18). Alle diese Vorteile führten dazu, dass man sich der sogenannten Codicillarclausel bediente, die zuerst [178] im Anfang des 3. Jhdts. erwähnt wird (Dig. XXVIII 6, 41 § 3. XXIX 1, 3. 7, 1. Cod. Iust. VII 2, 11. Cod. Theod. IV 4, 7. Nov. Theod. 16, 7). Sie bestand in einem Zusatz zum Testament, der bestimmte, dass, falls dieses aus irgend einem Grunde als Testament nicht gültig sei, es rechtlich als C. behandelt werden solle. In einem Testament vom J. 479 n. Chr. lautet sie: quod testamentum meum, si quo casu vel civili vel praetorio vel alia qualibet iuris ratione valere non potuerit, etiam ab intestato vice codicillorum meorum valere illud voleo (Bruns Fontes³ 210). Doch waren auch andere Formeln zulässig, z. B. ταύτην τὴν διαθήκην βούλομαι εἶναι κυρίαν ἐπὶ πάσης ἐξουσίας (Dig. XXVIII 1, 29) in griechischer Sprache, da ja bei den C. auf die Formalitäten, zu denen auch die lateinische Rechtssprache gehörte, nichts ankam. Demgemäss wurde beim Testament jede Erklärung, dass es ganz oder teilweise, auch abgesehen von seiner Eigenschaft als Testament, gültig sein solle, als Codicillarclausel betrachtet (Dig. V 2, 13. XXXI 77 § 23. 88 § 17). Diese wurde namentlich mit Vorliebe von Landleuten angewandt (Dig. XXIX 1, 3), die ihrer eigenen Rechtskunde misstrauten und keinen juristischen Beirat zur Hand hatten (Dig. XXXI 88 § 17).
Mit der steigenden Bedeutung der C. stellte sich das Bedürfnis ein, für eine sichere Beglaubigung derselben Sorge zu tragen und ihre Form wenigstens soweit auszuprägen, dass sich ein fest bestimmter letzter Wille von einer blossen, nicht rechtsverbindlichen Absicht unterscheiden lasse (Dig. XXIX 7, 17). Daher verordnete Constantius II. im J. 354, dass C., die nicht nur Vervollständigungen eines vorausgegangenen Testaments enthielten, sondern selbständig waren, um Gültigkeit zu erlangen, vor sieben Zeugen, gleich den Testamenten selbst, oder mindestens vor fünf gemacht werden müssten, mochte dies nun mündlich oder schriftlich geschehen (Cod. Theod. IV 4, 1. 3 § 1). Die Zahl der Zeugen wurde später auf drei herabgesetzt, aber 424 wieder auf fünf erhöht und zugleich diese Art von Beglaubigung für alle Arten von C. obligatorisch gemacht (Cod. Theod. IV 4, 7 § 2. Cod. Iust. VI 36, 8 § 3. 42, 22). Werden sie schriftlich abgefasst, so müssen sie, falls der Erblasser überhaupt schreiben kann, entweder ganz von seiner Hand sein oder doch seine eigenhändige Unterschrift tragen, der die Zeugen dann auch die ihrige hinzufügen sollen (Cod. Iust. VI 23, 28 § 6. 36, 8 § 3). Unterlässt man diese Förmlichkeiten, so werden die C. zur blossen epistula fideicommissaria, die zwar an sich nicht wirkungslos ist, für deren Echtheit aber ein ausdrücklicher Beweis gefordert wird (Cod. Theod. IV 4, 2; vgl. Cod. Iust. VI 22, 7. Isid. orig. V 24, 14. Dig. XXXII 37, 3).
Im J. 389 verfügte Theodosius der Grosse, dass der Kaiser und seine Familie nur solche Legate und Erbschaften annehmen dürften, die ihnen durch feierliches Testament hinterlassen seien, nicht auch durch C. oder epistulae (Cod. Theod. IV 4, 2. Symm. epist. II 13, vgl. rel. 7, 1). Dieses Gesetz, das übrigens in den justinianischen Codex nicht mehr aufgenommen ist, also wohl bald seine Geltung verlor, beruhte auf einer etwas übertriebenen Durchführung des Grundsatzes: [179] ex imperfecto testamento legata vel fideicommissa imperatorem vindicare inverecundum est: decet enim tantae maiestati eas servare leges, quibus ipse solutus esse videtur (Dig. XXXII 23; vgl. XXVIII 1, 31. Cod. Iust. VI 23, 3); denn in jener Zeit konnten die C. durchaus nicht mehr für ein imperfectum testamentum gelten, wohl aber im 2. Jhdt. n. Chr. Denn damals hatten wenigstens die c. testamento non confirmati noch keine unbedingte Rechtskraft, und eben dies scheint der Grund gewesen zu sein, warum von Traian bis auf Antoninus Pius neben der procuratio hereditatium noch ein besonderes kaiserliches Hausamt a codicillis bestand (Dessau 1529. 1530. CIL VI 6190. 8441), dem zeitweilig auch ein adiutor a codicillis an die Seite trat (Dessau 1531). Beide Ämter wurden von Freigelassenen verwaltet. Wahrscheinlich war ihre Aufgabe, die C. daraufhin zu prüfen, ob der Kaiser die Vermächtnisse, die ihm darin zugedacht waren, annehmen oder zurückweisen solle. Denn dass sie nicht mit den Bestallungsdecreten (s. u.), sondern mit den Erbschaften zu thun hatten, ergiebt sich mit Sicherheit aus Fronto ep. ad M. Caes. II 16 p. 37. Hier heisst es in Bezug auf die Hinterlassenschaft einer kaiserlichen Verwandten: unde nihil Egatheus acceperit, und derselbe Egatheus ist uns als Freigelassener a codicillis überliefert (Dessau 1529. O. Hirschfeld Untersuchungen auf dem Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte 60).
M. S. Mayer Die Lehre vor den Legaten und Fideicommissen I 59. F. H. Vering Römisches Erbrecht 697. Max Vincent Des Codicilles et des dispositions qui en font partie en droit Romain, Paris 1886. Paul Vincent Des hérédités fidéicommissaires, Tours 1890.