Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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A. f. Rom(ilia tribu), A. röm. Jurist
Band III,2 (1899) S. 16341637
GND: 102384150
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4) A. Cascellius A. f. Rom(ilia tribu), römischer Jurist. Vielleicht war er ein Sohn des bei Cicero (p. Balbo 45; vgl. Val. Max. VIII 12, 1) ) erwähnten Respondenten Nr. 1, eines Zeitgenossen des Augurs Scaevola: denn dass er selbst hier nicht gemeint sein kann, ergiebt sich daraus, dass Scaevola zwischen 668 = 88 v. Chr. und 672 = 82 v. Chr. gestorben ist, zu welcher Zeit unser C. aber noch in sehr jungem Alter gestanden haben muss. Zuerst wird C. in dem SC. de Oropiis (Mommsen Herm. XX 268ff. Dittenberger IGS 413) Z. 13 als Mitglied des consularischen Consiliums genannt. Da diese Ratsmänner in der Rangordnung der Senatsliste aufgeführt werden (Mommsen 278) und vor C. (nr. 13) Cicero (nr. 8) erscheint, dieser aber im J. 679 = 75 Quaestor war, so muss C. die Quaestur zwischen 679 = 75 und 681 = 73 verwaltet haben. Er muss demnach spätestens um 650 = 104 geboren sein. Ein weiteres Lebenszeichen begegnet in einer Erzählung bei Macrobius (II 6, 1), wo ein Witzwort von ihm über P. Vatinius und dessen im J. 698 = 56 (Cic. v. Sest. [1635] 133f.; in Vat. 37) veranstaltete Gladiatorenspiele erwähnt wird. Unter den Triumvirn erscheint C. als Praetor urbanus, denn nur so lässt sich die Erzählung des Valerius Maximus (VI 2, 12) verstehen: nullius aut gratia aut auctoritate compelli potuit, ut de aliqua earum rerum quas triumviri dederant formulam componeret, hoc animi iudicio universa eorum beneficia extra omnem ordinem legum ponens (bei den beneficia könnte beispielsweise an die Landanweisungen der Triumvirn an ihre Veteranen gedacht werden, so dass also C. die formula petitoria verweigert hätte, wenn jemand eine solche Verleihung als Grund seines Eigentumserwerbes anführte). Auch das doch wohl ohne Zweifel auf ihn zurückgehende Iudicium Cascellianum bei Gaius (IV 166 a. 169; vgl. darüber Lenel Ed. perp. 379. Karlowa II 344) setzt seine Praetur und zwar die städtische voraus (vgl. Dirksen 440f. 446f. mit einem merkwürdigen Versuch der Erklärung des Namens. Karlowa I 487f. Krüger 67, 68). Schon hiernach muss die Erzählung des Pomponius (Dig. I 2, 2, 45: fuit autem quaestorius, nec ultra proficere voluit, cum illi etiam Augustus consulatum offerret) in ihrem ersten Teil als unrichtig erscheinen, aber sie ist auch an sich wenig glaubhaft, da Augustus doch keinesfalls zu Gunsten des C. von der gesetzlichen Ämterfolge Abstand genommen haben wird (vielleicht ist zu lesen praetorius). Die letzte Spur seines Lebens finden wir in der Ars poetica (371) des Horaz, wo er als Beispiel eines berühmten Juristen seinen mittelmässigen Berufsgenossen gegenübergestellt wird. Das konnte natürlich nur bei Lebzeiten oder bald nach dem Tode des C. geschehen, als sein Ansehen nicht nur bei Fachmännern sondern bei aller Welt lebendig war. Die Abfassungszeit der Ars poetica ist sehr bestritten (Teuffel R. L.-G. § 239, 7): wenn es richtig ist, dass sie erst den letzten Lebensjahren des im J. 746 = 8 gestorbenen Dichters angehört, so würde sich daraus für C. ein Alter von mehr als 80, vielleicht 90 Jahren ergeben. Mit allen diesen Daten stimmt, dass er von Pomponius (45) zu einem Zeitgenossen des Trebatius und der Schüler des Ser. Sulpicius gemacht und auch von Labeo oft mit Ofilius und Trebatius zusammen citiert wird (vgl. auch Amm. Marc. XXX 4, 11: Trebatium et Cascellium et Alfenum) und dass er sich (bei Val. Max. VI 2, 12) zur Zeit der Triumvirn als alten kinderlosen Mann bezeichnet.

Als C.s Lehrer in der Jurisprudenz nennt Plinius (n. h. VIII 144) einen im übrigen unbekannten Volcatius, Pomponius (45) dagegen berichtet: Aulus Cascellius Quintus Mucius Volusii auditor, denique in illius honorem testamento Publium Mucium nepotem eius reliquit heredem. Dass der Satz (wahrscheinlich durch ungeschickte Streichungen der Compilatoren) verderbt ist, liegt auf der Hand. Zunächst scheint es geboten, Volusii durch Volcatii zu ersetzen. Im übrigen findet von den vielen Verbesserungsversuchen heute der von Mommsen (A. Cascellius Quinti Muci auditoris Volcatii auditor; vgl. Herm. XV 114, 3) am meisten Anklang. Aber abgesehen von der (wie Mommsen selbst einräumt) verzwickten Wortstellung erklärt diese Fassung nicht die Erbeinsetzung des Enkels des Q. Scaevola: diese setzt ein persönliches Verhältnis voraus. Mommsens [1636] Auffassung, C. habe den Freund seines Vaters ehren wollen, übersieht, dass bei Cicero p. Balbo 45 (vgl. oben) der Augur Scaevola als Freund des älteren C. genannt ist, während es sich hier um den Pontifex handelt. Andrerseits kann man gegen die Annahme, dass C. des letzteren Schüler gewesen sei, heute nicht mehr die Altersverhältnisse anführen: seit dem SC. de Oropiis (s. o.) wissen wir, dass C. bei Scaevolas Tode (672 = 82) mindestens 22 Jahre alt war, also ihn, wenn auch nur wenige Jahre, sehr wohl noch gehört haben kann. Demnach ergiebt sich als ungezwungenste und von der Überlieferung am wenigsten abweichende Lesart: A. Cascellius Quinti Mucii et Volcatii auditor; vgl. Zimmern 299, 15. Teuffel in Paulys R.-E. V 188f. Dirksen 439f. Krüger 67, 66. Was Pomponius (45) zu C. und seiner Zeitgenossen Charakteristik anführt (Trebatius peritior Cascellio, Cascellius Trebatio eloquentior fuisse dicitur, Ofilius utroque doctior), können wir nicht nachprüfen. Wenn neuerdings Ferrini es unternommen hat, den C. lediglich als geschickten Advokaten hinzustellen, der die Fortschritte der Wissenschaft seiner Zeit nicht kannte oder wenigstens nicht berücksichtigte, so kann dies Urteil nicht als zutreffend anerkannt werden. Überhaupt ist es misslich, auf Grund des geringen auf uns gekommenen Materials (15 Fragmente) eine solche Abschätzung zu wagen. Auch über C.s rednerische Begabung ist nichts näheres bekannt: dass er in Ciceros Brutus nicht erwähnt ist, mag seine Ursache in der grundsätzlichen Ausschliessung der Lebenden aus diesem Buche (§ 231) haben. Für seinen persönlichen Charakter ist die Dankbarkeit gegen seinen Lehrer Q. Scaevola (s. o.) und der Humor, der sich in den verschiedenen von ihm überlieferten Witzworten ausdrückt (Quint. VI 3, 87. Val. Max. VI 2, 12. Macr. II 6, 1–2) ebenso bezeichnend wie der Freimut, den er den Triumvirn gegenüber bewies (Val. Max. a. a. O.: periculose contumax. Macr. a. a. O.: urbanitatis mirae libertatisque).

Juristische Schriften des C. waren schon zu Pomponius Zeiten nicht mehr vorhanden (§ 45); dass er solche verfasst hat, wird aus einem Citat des Labeo (Dig. XXXIII 4, 6, 1: deberi ei legatum Ofilius Cascellius et Servii auditores rettulerunt) wahrscheinlich. Auf uns gekommen sind eine Reihe von Citaten (Lenel Pal. I 107ff. Bremer Iurispr. antehadr. 370ff.), die grösstenteils (sicher frg. 1–10, wahrscheinlich auch 11 und 12, vielleicht auch 13) auf Labeos libri posteriores (Bd. I S. 2552ff.) zurückgehen. Ausserdem nennt Pomponius (45) einen liber bene dictorum. Wir dürfen darin nicht eine Sammlung hervorragender Responsen des C. vermuten (so Ferrini 398. Voigt R. R.-G. I 249, 56), denn es fehlt jeder Anhalt für eine solche Bedeutung von bene dicta. Dies Buch gehört vielmehr in die Klasse der im Altertum so beliebten Sammlungen von Aussprüchen, namentlich Witzworten bekannter Männer (ἀποφθέγματα, ὑπομνήματα, γνωμολογίαι, facete dicta, ioci, ineptiae; vgl. Susemihl Alex. Litt.-G. I 141. 486ff. 492. II 159. Teuffel R. L.-G. § 121, 5–6. 191, 2. 195, 5. 244, 2. Jordan Rh. Mus. XIV 261ff. Sanio Varroniana 266, 398. C. Schmidt De apophthegmatum quae sub Plutarchi nomine feruntur collectionibus, 1879). Selbstverständlich [1637] rührte diese Sammlung nicht von C. selbst her: wir haben überhaupt kein Beispiel, dass jemand seine eigenen Aussprüche veröffentlicht habe. Ob die bei Val. Max. VI 2, 12. Quint. VI 3, 87. Macr. II 6, 1 erzählten Anekdoten aus dieser Sammlung stammen (was Krüger 67, 71. Bremer 375f. verneinen), muss dahingestellt bleiben.

Neuere Litteratur: Zimmern Gesch. d. R. Priv.-R. I 299f. Dirksen Hinterl. Schr. II 435ff. Teuffel R. L.-G. § 207, 4. Mommsen Herm. XV 144. XX 281f. Karlowa R. R.-G. I 487f. Krüger Quell. und Litt. d. R. R. 67. Ferrini Rendiconti del R. Ist. Lombardo Ser. II Bd. XIX 395ff. Bremer Iurispr. antehadr. I 368ff.

[Jörs. ]