Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Geldwechsler, Bankiers
Band II,1 (1895) S. 706710
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Argentarii. 1) Geldwechsler, Bankiers in Rom. Das ursprünglich griechische Institut der τραπεζῖται gelangte aus Grossgriechenland durch Latium bereits im 5. Jhdt. der Stadt nach Rom, wo den a. die tabernae lanienae an der Südseite des Forums eingeräumt wurden, später bezeichnet als tabernae veteres. Livius IX 40, 16 erwähnt sie zum J. 444 = 310, doch wird ihre Einführung in die Zeit zwischen 419 = 335 und 424 = 330 zu setzen sein: vgl. M. Voigt Abhandl. sächs. Gesellschaft der Wissensch. X 516. Veranlassung zur Einbürgerung derselben war einmal der Ein- und Verkauf des in Rom circulierenden Geldes, besonders Silbergeldes, und andererseits das Creditbedürfnis des bürgerlichen Verkehres, das bei der Einführung der Geldwirtschaft sich geltend machte und zur Entwicklung des Geschäftes des Bankiers führte. Zunächst behielten sie ihre griechische Bezeichnung trapezita (bei Plautus), aber bald ist der Name argentarius allgemein. Ob ein Zusammenhang derselben mit den Silberarbeitern (s. Nr. 2) anzunehmen ist, wie Saglio und Ruggiero wollen, ist zu bezweifeln, da die Bezeichnung argentarius für ,Silberarbeiter‘ statt der alten faber oder vascularius argentarius erst späteren Datums ist (Voigt 516, 4). Ihr Geschäftsbetrieb wird bezeichnet als argentaria, argentaria ars, ausgeübt in der mensa, dem Bureau. Daher erklärt sich im praetorischen Edict Dig. II [707] 13, 4 die Bezeichnung argentariae mensae exercitores und die Ausdrücke argentariam exercere Dig. II 13, 4 § 2 und 5; argentariam facere ebd. § 3 und 4. Cic. de off. III 58; Verr. V 155. 165; argentariam artem exhibere CIL VIII 7156. Ebenso findet sich für argentarius die Bezeichnung mensarius, Suet. Aug. 4, vgl. 2, und mensularius Dig. XLII 5, 24 § 2. Nach der Einführung des Silbergeldes in Rom und Einsetzung der nummularii 486 = 268 traten die nummularii in Concurrenz mit den a., doch behielten die nummularii allein die Münzprobe (Petron. 56 qui per argentum aes videt) und waren vom Auctionsgeschäft ausgeschlossen, wodurch sie sich unterschieden; doch wird die Bezeichnung nummularii = argentarius gebraucht Suet. Aug. 4. Unter Constantin d. Gr. wurden beide zusammengefasst unter dem Namen collectarii, die nach 363 n. Chr. wieder in die frühere Stellung der Bankiers eintraten, in der Gesetzgebung als a. oder trapezitae bezeichnet erscheinen; unter Iustinian erhielten sie den Namen argenti distractores und manche Privilegien. Gerade die vielen gesetzlichen Bestimmungen über die Bankiers können uns zeigen, welch wesentlichen Factor im römischen Geschäfts- und Verkehrsleben sie bildeten. Ihre Hallen am römischen Forum, die tabernae argentariae veteres und novae (Liv. IX 40, 16. XXVI 27, 2. XXVII 11, 16. XL 51. XLIV 16,10), waren die römische Börse, daher die vielfache Erwähnung bei Plautus. Von diesen Buden, die vom Staate erbaut und an die a. vermietet waren (Dig. XVIII 1, 32. Liv. XXVII 11, 16. XL 51, 5. Fest. 230 a 31), befanden sich die veteres in der Nähe des Castortempels (Plaut. Curc. IV 1, 19. Liv. XLIV 16, 10), die novae oder plebeiae in der Nähe des Ianustempels (Cic. Phil. VI 15; de off. II 87. Hor. sat. II 3, 18; ep. I 1, 54). Abbildungen einer mensa s. Ber. d. sächs. Gesellsch. XIII 1861, 349, 220 und Daremberg et Saglio Dict. I 406. Ihr Geschäftsbetrieb zerfiel in zwei Hauptzweige: I. das Bankiersgeschäft und II. das Auctionsgeschäft. I. Das Bankiergeschäft umfasste a) das Sortengeschäft und b) das Creditgeschäft. Das Sortengeschäft, gewöhnlich als permutatio bezeichnet, welcher Ausdruck jedoch nicht quellenmässig ist (Voigt 524, 37), umfasste die emtio venditio nummorum, den Ein- und Verkauf fremder Münzsorten und Umwechslung heimischer Münzen (Dig. XLVIII 10, 9 § 2. Cod. Iust. XI 11, 1); dabei gebrauchten sie pondera (Plaut. Truc. I 1, 50); der Bankier erhielt dabei ein Aufgeld, collabus, collybus, weshalb er als collybista bezeichnet wird, Cic. ad Att. XII 6, 1; Verr. III 181. Suet. Aug. 4. Bedeutender war das Creditgeschäft, welches sich aus dem Bedürfnisse entwickelte, flüssige Gelder nutzbar anzulegen (Liv. XXIV 18), andererseits sich billigen Credit zu verschaffen (Leihgeschäft, Cic. de off. III 58). Dasselbe war zuerst das Bargeschäft, welches in der Gewährung von Zinsdarlehen (Plaut. Curc. 480; Truc. 71; Trin. 425. Dig. XVI 3, 7 § 2), in der Annahme von Geldeinlagen als Depositum (Plaut. Curc. 345. 536. Dig. XVI 3, 8. 24) oder als depositum irregulare (Dig. XVI 3, 25 § 1. 26) und endlich in der Annahme von Geldeinlagen als Zinsdarlehen oder zum Ausleihen für Rechnung des Kunden bestand (Dig. XVI 3, 7 § 2; vgl. XIII [708] 5, 24). Noch bedeutender gestaltete sich das Creditgeschäft als Ordregeschäft; dahin gehörte 1) Zahlungsleistung an einen dritten auf Ordre des Kunden: solvere, persolvere alteri ab aliquo (Cic. ad Att. V 21, 11 u. ö. Plaut. Curc. 618), numerare, dare alteri ab aliquo (Plaut. Capt. 449), scribere, perscribere ab aliquo, indem die Mittelsperson die Zahlung leistet und bucht (Hor. sat. II 3, 69). Gegensätze waren domo solvere, numerare und arcarium nomen zu mensae scriptura, de mensa solvere, numerare; vgl. Suet. Caes. 42. So erklären sich auch die Ausdrücke alteri pecuniam relegare (delegare) ab argentario (Cato de agric. 150, 2. Cic. ad Att. XII 3, 2). Die Anweisung erfolgte entweder mündlich und vor dem Bankier (Plaut. Pseud. 1224) oder durch einen Brief an den Bankier (Plaut. Curc. 429ff.) oder gegen Vorweisung einer Legitimation, z. B. des Siegelringes (Plaut. Bacch. 327). So erscheint der Bankier als Kassenführer der beteiligten Parteien, was bequem und zweckmässig war und im Mittelalter dann allgemein anerkannt wurde. Das Zahlen auf Ordre eines dritten wurde bezeichnet als erogare pecuniam, Dig. II 12, 9 § 2. 2) Erteilung einer Zahlungsanweisung auf einen auswärtigen Geschäftsfreund, Creditbrief (Wechselbrief des Mittelalters), permutatio pecuniae und permutare pecuniam, welche auf verschiedene Weise erfolgen konnte: entweder beauftragte der Kunde seinen Bankier, auf seinen Geschäftsfreund Geld zur Zahlung anzuweisen, oder der Bankier selbst erteilte diesen Auftrag an seinen Geschäftsfreund, der Bankier stellte das bezügliche Accreditiv auf seinen Kunden aus, der Geschäftsfreund zahlte das angewiesene Geld für den Kunden. Diese Geschäfte sind häufig erwähnt im Briefwechsel des Cicero, ad Att. XI 24. XII 24. 27. XV 15; ad fam. II 17. III 5. 3) Das satisfacere, die Bürgschaftleistung seitens des Bankiers für den Kunden (Plaut. Asin. 437). 4) Eintritt des Bankiers als Mitschuldner in die Verbindlichkeiten des Kunden: receptio argentaria, vgl. Dig. XIII 5, 26. 5) Übernahme einer Schuldverbindlichkeit des Kunden an Stelle desselben und als Selbstschuldner, transscriptio a persona in personam.

II. Auctionsgeschäft. Der Bankier vermittelte die Veräusserung von Vermögensmassen und die Einziehung der Auctionsforderungen, auch schoss er die Kaufsumme vor, Suet. Nero 5; Vesp. 1. Gaius IV 126 a. Von dem Einziehen der Kaufsumme heisst er gewöhnlich argentarius coactor, Suet. vit. Horat. p. 44, 4 Reiff. Porphyrio zu Horat. sat. I 6, 86. Acro ebd. Dig. XL 7, 40 § 8. XLVI 3, 88. V 3, 18; vgl. Mommsen Herm. XII 94f. über die pompeianischen Quittungstafeln. Die Protokolle heissen tabulae auctianariae und tabulae argentariorum (Cic. in Catil. II 18. Quintil. XI 2, 24). Auf den Verkauf bezieht sich die argentaria stipulatio in der Lex metalli Vipascensis, Ephem. epigr. III p. 167. Es ist die Stipulation zwischen dem dominus negotii und dem argentarius auf Restitution des Auctionserlöses; vgl. Dig. XLVI 3, 88. Die a. waren zwar keine unter öffentlicher Auctorität angestellte Personen, allein ihre vielfache Thätigkeit erklärt es, dass dieselbe im öffentlichen Interesse einer staatlichen Regulierung unterlag. So finden wir [709] gesetzliche Bestimmungen über ihre Rechnungslegung (Dig. II 13, 4. XVI 3, 7 § 2); sie standen unter der Aufsicht des Praefectus urbi (Dig. I 12, 1 § 9), in der Provinz unter der des Statthalters (Suet. Galba 9. Dig. XLVIII 10, 9 § 2), sie genossen fides publica (Dig. XLII 5, 24 § 2, vgl. CIL VIII 7156).

Die a. hatten aus Latium auch ihre Geschäftsbücher mitgebracht, welche bei den Römern selbst Eingang fanden und neben den eigentlichen Hausstandsbüchern geführt wurden. Auf den argentarius besonders beziehen sich: 1) die adversaria oder ephemeris, Cic. pro Q. Rosc. 5; pro Quinct. 57; 2) der codex oder die tabulae rationum, das Hauptbuch mit der pagina accepti und pagina expensi; die einzelnen Posten wurden aus den adversaria in chronologischer Folge gezogen, Cic. Verr. II 1, 23. 60. Es gehört hieher der Codex rationum mensae oder argentariae (Dig. II 13, 10 § 2. 9 § 2. 13, 6 § 7. XLVI 3, 88), welcher einen Überblick über die finanziellen Vorgänge zwischen Bankier und Kunden gewährt. Die Eintragung in diesen Codex ergiebt ein nomen, hat keine civilrechtliche Function, doch ist er processuales Beweismittel (Dig. II 13, 4 pr. 10). Endlich 3) der codex accepti et expensi, bestimmt zur Eintragung gewisser obligatorischer Rechtsgeschäfte: die Eintragung begründet die Litteralobligation, Dig. II 14, 9 pr. IV 8, 34 pr.; vgl. Savigny Oblig. I 146f. Arndts Pand. § 213 Anm. 2.

Es kommen noch einige Ausdrücke in Betracht: Rationem referre heisst die Rechnungsablage (Cic. Verr. II 1, 366), ebenso rationem reddere (Dig. XXXIV 3, 31 § 1. XXXV 1, 82. XL 7, 6 § 7). Computatio oder putatio bezeichnet die Prüfung der einzelnen Posten (Cic. ad Att. IV 11, 1. Dig. II 14, 17 § 1); disputatio oder dispunctio dagegen die Auseinandersetzung und Berechnung der einzelnen Posten (Dig. L 16, 56 pr.) und subscriptio endlich die Anerkennung durch Namensunterschrift (Dig. XXXIV 3, 12). Parem rationem adscribere heisst quittieren (Dig. XL 4, 22). Der argentarius durfte die Bücher denen nicht vorenthalten, die an der Sache interessiert waren, sondern war zur Edition verpflichtet (Dig. II 13, 1 § 1. 6 § 7 und 8). Der argentarius kann nur auf das Saldo geklagt werden, muss aber cum compensatione agere, d. h. er muss immer abziehen, was er seinem Gegner nach seinen Büchern schuldet (Gai. IV 64. 66. 68. Quintil. V 10, 105). Bei gemeinsamem Betriebe einer Wechselstube haftete jeder socius (Dig. II 14, 9 pr. 25 pr. 27 pr.). Frauen waren ausgeschlossen, doch konnte ein Sclave als Stellvertreter das Geschäft führen unter Haftung des Herrn (Dig. II 13, 4 § 3. XIV 3, 5 § 3). Besondere Privilegien erhielten sie von Iustinian in Nov. 136.

Die nicht nur in Rom, sondern auch ausserhalb häufig erwähnten collegia argentariorum (CIL VI 348: corpora pausariorum et argentariorum. 9155–9186. 1035. 1101. 4329. VIII 7156. IX 236. 348. 3157. 4793. X 1914. 1915. 3877. XI 288. 294. 295. 350. XII 1597. 4457–4460. 4462. XIV 409 Ostia: patrono argentariorum. 470. 2286 arg. coactor. 3034) beziehen sich wohl grösstenteils auf die Silberarbeiter, s. unter Nr. 2.

Litteratur: Grundlegend ist jetzt Moritz Voigt [710] Über die Bankiers, die Buchführung und die Litteralobligation der Römer, Abh. der sächs. Ges. d. W. X (1887) 513–577, wo 515, 1 die ältere Litteratur angegeben ist; vgl. Voigt in Iwan Müllers Handb. IV 766, 4. Saglio und Humbert bei Daremberg et Saglio Dict. I 406f. Ruggiero Dizion. I 657–661. Mommsen Herm. XII 94f. Marquardt St.V. II² 64f.; Privatl. II 382f. Friedländer Sitt.-Gesch. I⁵ 264f. Arndts Pand. § 213. 227. 265. Puchta Instit. II § 269. 274. 276. 280.

[Oehler. ]