Prozeß wider das Grafen-Ehepaar Kwilecki wegen Kindesunterschiebung

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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Prozeß wider das Grafen-Ehepaar Kwilecki wegen Kindesunterschiebung
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 13–45
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Prozeß wider das Grafen-Ehepaar Kwilecki wegen Kindesunterschiebung.

Nirgends spiegelt sich das öffentliche Leben derartig wieder als an der Stätte, wo Frau Justitia mit Zepter und Wage ihres Amtes waltet. Unaufhörlich wechseln die Bilder. Bald ist es ein Lustspiel, bald ein erschütterndes Drama, bald gar eine Tragödie, die zur richterlichen Aburteilung gelangt. Der Prozeß wider das Grafen-Ehepaar Kwilecki, der im letzten Viertel des Jahres 1903 das Schwurgericht des Landgerichts Berlin I zwanzig Tage beschäftigte, zählt trotzdem zu den größten Seltenheiten. Handelte es sich doch um den spannenden Roman eines Grafenkindes, der nicht in einem Roman erzählt wird, sondern in rauher Wirklichkeit vor einem preußischen Schwurgerichtshof in der Hauptstadt des Deutschen Reiches verhandelt wurde. Und das Grafenkind, über dessen Geburt sich noch immer eine arme Bahnwärtersfrau und ein sehr reiches Grafen-Ehepaar streitet, erschien leibhaftig, von einem preußischen Gerichtsdiener geführt, vor dem Richtertisch. Der damals siebenjährige Graf Josef Adolf Stanislaus Kwilecki, Erbe des großen, in der Provinz Posen belegenen Majorats Wroblewo, ein auffallend schöner Knabe, soll der uneheliche Sohn eines blutarmen Krakauer Dienstmädchens sein, das inzwischen einen böhmischen Bahnwärter geheiratet hat. Kaum geboren, soll ihn seine arme Mutter für hundert österreichische Gulden verkauft haben. Nach einiger Zeit regte sich aber bei dem Mädchen die Mutterliebe. Sie empfand Sehnsucht nach ihrem Kinde und bereute, daß sie den hübschen Jungen für ein paar Silberlinge verschachert hatte. Sie wandte sich an die Hebamme, die den Verkauf des Kindes vermittelt hatte, und an den Krakauer Rechtsanwalt Dr. Filmowski, dem vom Gericht die Vormundschaft des Kindes übertragen war. Die Hebamme wußte, daß das Kind an eine Grafenfamilie nach Deutschland verkauft worden sei. Die Käuferin hatte der Mutter die Versicherung gegeben: das Kind werde es so gut haben, daß ihm eigentlich nur noch das Himmelreich fehlen werde. Inzwischen traf auch ein Mann aus Deutschland in der armseligen Wohnung des Krakauer Dienstmädchens ein. Dieser erzählte: ein Grafen-Ehepaar in der Provinz Posen, Besitzer eines umfangreichen Majorats, werde beschuldigt, einen Knaben aus Krakau gekauft zu haben, um den Anschein zu erwecken, es sei dem schon bejahrten Grafen-Ehepaar ein männlicher Leibeserbe geboren worden. Das Grafenpaar bedürfe eines solchen, da durch die große Verschwendungssucht der Gräfin die gräfliche Familie eine große Schuldenlast habe, so daß der Gerichtsvollzieher fast täglicher Gast im Grafenschloß sei und von den Familienangehörigen und der Dienerschaft „Onkel“ genannt werde. Das Vorhandensein eines männlichen Leibeserben berechtige die Grafenfamilie, eine Hypothek auf das Majorat aufzunehmen, in den weiten Waldungen Holz in großen Massen fällen zu lassen und dies zu verkaufen. Ohne das Vorhandensein eines männlichen Leibeserben sei zu beiden Sachen die Genehmigung der Agnaten erforderlich, an die auch alsdann nach dem Tode des Grafen das Majorat falle. Die Gräfin müßte, wenn ein männlicher Leibeserbe nicht vorhanden sei, nach dem Ableben ihres Gatten die gräfliche Besitzung verlassen. Der Mann war der Agent Hechalski aus Posen, der im Auftrage des Grafen Hektor Kwilecki nach Krakau gekommen war, um die Verschacherung des Knaben festzustellen. Graf Hektor würde der Erbe des Majorats sein, wenn der jetzige Majoratsherr Graf Zbigniew Wesierskie Kwilecki ohne männlichen Leibeserben stürbe. Es wurde außerdem festgestellt, daß die im Jahre 1846 geborne Gräfin Isabella Wesierska Kwilecki Ende Januar 1897 von Wroblewo nach Berlin gekommen sei, hier in der Kaiserin-Augustastraße 74 ein Wohnung gemietet und am 27. Januar 1897 angeblich einen Knaben geboren habe. Es fiel auf, daß die Gräfin, deren letzte Schwangerschaft 18 Jahre zurücklag, und die mit ihrem damals 58jährigen Gatten eine sehr schlechte Ehe geführt, noch im 51. Lebensjahre Mutterfreuden erlebt habe. Es fiel auch auf, daß sie ihre Niederkunft nicht im Grafenschlosse Wroblewo, wo sie alle Bequemlichkeiten hatte, abwartete, sondern eigens zu diesem Zweck eine Wohnung in Berlin gemietet hatte, hier ohne Hinzuziehung eines Arztes einen Knaben gebar und als der aus Wronke telegraphisch herbeigerufene langjährige Hausarzt, Sanitätsrat Dr. Rosinski die Gräfin und das Kind untersuchen wollte, die gräfliche Wöchnerin beide Untersuchungen mit Entschiedenheit ablehnte. Diese und noch andere Verdachtsgründe gelangten schließlich zur behördlichen Anzeige. Im Januar 1903 wurde Gräfin Isabella Kwilecka verhaftet. Einige Zeit darauf wurde auch ihr Gatte, Graf Zbigniew Kwilecki in Haft genommen. Ende Oktober 1903 wurde das gräfliche Ehepaar unter der Anklage der Kindesunterschiebung vor das Schwurgericht des Landgerichts Berlin I gestellt. Neben dem gräflichen Ehepaar saßen die Hebamme, Katharine Ososka, wegen wissentlichen Meineids, die Dienerin Josepha Knoska und die Dienerin Pronislawa Chwiatkowska wegen Beihilfe zur Kindesunterschiebung auf der Anklagebank. Den Vorsitz des Gerichtshofs führte Landgerichtsdirektor Leuschner. Die Anklage vertraten Erster Staatsanwalt Steinbrecht und Staatsanwalt Dr. Müller. Die Verteidigung führten Justizrat Wronker und Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner (Berlin), Justizrat Dr. v. Sittorski, Justizrat Dr. Lewinski, Rechtsanwalt Dr. v. Rychlowski, Rechtsanwalt Dr. Eger und Rechtsanwalt Dr. Iborowski (Posen). Als medizinische Sachverständige wohnten der Verhandlung bei Professor Dr. Dührßen, Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Störmer, Kreisarzt Medizinalrat Dr. Leppmann, Gerichtsarzt Professor Dr. Straßmann und Professor Dr. Alexander Brückner (Berlin), Kreisarzt Dr. Paniarski (Posen), Sanitätsrat Dr. Rosinski (Wronke), Professor Dr. Freund (Straßburg, Elsaß) und als Schreibsachverständiger Rechnungsrat Junge (Berlin). Da die Mehrheit der Zeugen nur polnisch verstand, waren Regierungsrat Brandt und Rechnungsrat Groß als Dolmetscher der polnischen Sprache hinzugezogen. Der große Schwurgerichtssaal des alten Moabiter Gerichtsgebäudes, in dem der Kampf um das Grafenkind 20 Tage geführt wurde, bot einen ganz seltenen Anblick. Ist es schon ein noch niemals vorgekommenes Ereignis, daß ein gräflicher Majoratsbesitzer nebst seiner Gattin aus der Untersuchungshaft auf die Anklagebank geführt wird, um sich wegen eines Verbrechens zu verantworten, das im Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bedroht ist, so veranschaulichten die Zeugen, weit über 200 an der Zahl, ein ganz eigenartiges Bild. In erster Reihe fiel der kleine Graf Joseph Stanislaus Kwilecki, der, ganz in Weiß gekleidet, den Gerichtssaal betrag, auf. Der kleine Junge, mit schneeweißem, fein geschnittenem, klassisch schönem Antlitz, schwarzem, dichtem Lockenhaar und kohlschwarzen großen Augen, hatte jedenfalls keine Ahnung, daß er die Hauptperson in diesem forensischen Drama bildete. Nicht weit von ihm stand seine angebliche Mutter, die jetzt verehelichte böhmische Bahnwärtersfrau Cäcilie Meyer, geborene Pracza, eine ärmlich gekleidete, aber noch immer hübsche Frau mit ihrem kleinen unehelichen Sohn Felix, der ein Jahr früher als der kleine Graf in einer armseligen Dachkammer in einer Vorstadt Krakaus das Licht der Welt erblickt hat. Aber auch der angebliche Vater der beiden Knaben, Ritter v. Ziegler, Hauptmann im 20. österreichischen Infanterieregiment aus Krakau, ein mittelgroßer, schneidiger, hübscher Mann von damals etwa 35 Jahren, war erschienen. Die große Mehrheit der Zeugen waren polnische Arbeiterinnen, aber auch einige Vertreter des polnischen Hochadels, wie die Agnaten, Mitglied des preußischen Herrenhauses, Graf Miecislaw Kwilecki und dessen Sohn, der Reichstagsabgeordnete und Rittmeister der Reserve, Graf Hektor Kwilecki, ferner polnische Reichstags- und Landtagsabgeordnete, Geistliche und endlich Polizeibeamte, an der Spitze der bekannte Berliner Kriminalkommissar v. Tresckow I. Die Vernehmung der angeklagten Gräfin, die dem höchsten polnischen Adel entstammte und einstmals eine auffallende Schönheit gewesen sein soll, gestaltete sich ungefähr folgendermaßen: Vor. (zur Gräfin): Bekennen Sie sich schuldig? Sie sind angeklagt, in Gemeinschaft mit Ihrem Ehemann ein Kind untergeschoben zu haben. Angeklagte: Will ich ausgeblasen werden und hier Erde sein, wenn ich was weiß von solcher secret – wie sagt man doch Geheimnis? Vors.: Seit wann sind Sie verheiratet? Angekl.: Seit dem 12. Juli 1864. – Vors.: Sie waren am 27. Januar 1897, als Sie einem Kinde das Leben gegeben haben wollen, 51 Jahre alt? Angekl.: Jawohl. – Vors.: Ihre Ehe soll nicht sehr friedlich gewesen sein. Angekl.: Glücklich war sie nicht. Vors.: Sie soll mehr wie nicht glücklich gewesen sein, Sie sollen Ihren Gatten oft mit sehr groben Schimpfworten bedacht haben? Angekl.: Oft war ich böse, oft habe ich geschimpft; es gab aber auch Zeiten, wo wir sehr gut lebten, namentlich in den letzten Jahren. – Vors.: Also früher war Ihr eheliches Verhältnis mehr schlecht als gut? Angekl.: Es war bald so, bald so. – Auf weiteres Befragen bemerkte die Angekl.: Sie habe fünf Kinder geboren. Der Älteste, ein Knabe, sei 1865 geboren und bald verstorben. Ihre älteste Tochter sei 1866, die zweite 1873 und die dritte 1879 geboren. Vors.: Sie sollen häufig von Ihrem Mann getrennt gelebt und sich gar nicht um ihn gekümmert haben? Angekl.: Ich bin häufig monatelang bei meinen Eltern gewesen, da war die Trennung doch natürlich. – Vors.: Sie sollten schon vor Jahren den Offenbarungseid leisten, zogen es aber vor, ins Ausland zu gehen? Angekl.: Es waren Schulden meines Mannes, die mich nichts angingen. Ich habe alles was wir nötig hatten, selbst gekauft und auch bezahlt. – Vors.: Der Gerichtsvollzieher soll bei Ihnen aus- und eingegangen sein. Er soll so häufig zu Ihnen gekommen sein, daß er „Onkel“ genannt wurde? Angekl.: Das ist wahr. – Vors.: Ihre Schuldenlast soll 450000 Mark betragen haben, Sie sollen sehr verschwenderisch gelebt haben? Angekl.: O nein. Ich habe sehr viel Geld ausgeben müssen, aber nicht für meine Person. Ich habe das Schloß aufbauen lassen und alles gekauft, was sich in Wroblewo befindet. Es waren 20 Zimmer, aber keine Möbel oder sonst was, das hat natürlich eine erhebliche Summe verschlungen. Mein Vater hat mir häufig Geld gegeben, um die Schulden meines Mannes zu bezahlen. – Vors.: Sie sollen geäußert haben: „Ich muß mit meinem Körper eine Veränderung vornehmen, damit die Leute glauben, ich sei in gesegneten Umständen, dann werden wir wieder Kredit erhalten“? Angekl.: Herr Vorsitzender, das ist leeres Gerede. – Vors.: Als Sie im Sommer 1896 von Montreux nach Wroblewo zurückkehrten, sollen Sie angegeben haben: Sie seien in anderen Umständen? Angekl.: Das ist richtig. – Vors.: Es wird nun von der Anklage angenommen, daß dies Heuchelei war, es sei Ihnen nur darauf angekommen, einen männlichen Erben vorweisen zu können, der einst Anspruch auf das Majorat hätte und daß Sie deshalb ein fremdes Kind untergeschoben haben? Angekl.: O bitte, mein Mann ist so gesund, wie ein Mann nur sein kann. – Vors.: Sie hatten Ihren Verwandten angezeigt, daß Sie nochmals Mutter werden würden und Ihre Entbindung im Auslande vornehmen lassen wollten? Angekl.: Jawohl. – Vors.: Sie wissen, daß Ihre angebliche Schwangeschaft bei den Agnaten ein solches Mißtrauen erregte, daß diese brieflich an Sie die Aufforderung richteten, im Reichsgebiet zu entbinden. Sie wissen auch, daß wiederholt gesagt wurde, Sie müßten in Posen auf offenem Markte entbunden werden, sonst glaube man es nicht? Angekl.: Das waren nur Späße. Der Angeklagte, Graf Zbigniew Kwilecki bestritt, sich der Beihilfe zur Kindesunterschiebung schuldig gemacht zu haben. Der kleine Josef Stanislaus sei sein natürlicher Sohn, er sei stolz darauf. Vors.: Sie sollen zu einigen Leuten, die die große Schönheit des Kindes betonten, gesagt haben: Ich wünschte, der Junge wäre tot? Angekl.: Das ist eine krasse Unwahrheit. Vors.: Sie sollen eine schlechte Ehe geführt haben, zumal Sie mehrere Liebesverhältnisse hatten? Angekl.: Weshalb sollte ich nicht Liebesverhältnisse haben. (Große Heiterkeit im Zuhörerraum.) – Der Vorsitzende setzte darauf die Vernehmung der angeklagten Gräfin fort und hielt ihr vor, daß sie die im Jahre 1828 geborene Dienerin Aniela Andruszewska im Januar 1897 nach Krakau mit dem Auftrage gesandt habe, ihr einen neugeborenen Knaben mit schwarzen Augen und dunklem Haar zu besorgen. Die alte Frau, die 1900 gestorben sei, habe dies ihrer Tochter Hedwig auf dem Sterbebett erzählt und hinzugefügt, daß die Schwangerschaft der Gräfin eine Komödie gewesen sei. Der Vorsitzende hielt der Angeklagten ferner vor, daß der Droschkenkutscher sich gemeldet habe, der am 26. Januar 1897 zwei schwarz gekleidete, verschleierte Damen, die polnisch sprachen, von der Kaiserin-Augustastraße nach dem Schlesischen Bahnhof gefahren habe. Der Kutscher habe am Bahnhof lange Zeit warten müssen. Als die Damen aus dem Bahnhofsgebäude gekommen seien, hatte die eine unter ihrem Mantel einen großen Gegenstand. Er habe die Damen nach der Kaiserin-Augustastraße zurückgefahren und dafür 6 Mark und 1 Mark Trinkgeld erhalten. Die Angeklagte versicherte auf alle diese Fragen, daß sie richtig entbunden habe. – Die angeklagte Hebamme Ossowska bemerkte: Sie habe aus Anhänglichkeit zu der gräflichen Familie der Gräfin schriftlich bescheinigt, daß sie richtig geboren habe und dies auch auf dem Gericht in Posen beschworen. Sie habe aber falsch geschworen. Sie müsse das bekennen, da sie ihr Gewissen bedrücke. – Die angeklagten Dienerinnen beteuern, sich der Beihilfe zur Kindesunterschiebung nicht schuldig gemacht zu haben. – Eine große Anzahl Zeugen bestärkten den Verdacht der Kindesunterschiebung, einige Damen vom polnischen Hochadel beschworen jedoch, daß sie der Entbindung in der Kaiserin-Augustastraße beigewohnt haben bzw. bald nach geschehener Entbindung am Wöchnerinnenbett erschienen seien. Es habe eine richtige Entbindung stattgefunden. Sehr lange Zeit nahm die Vernehmung der Hedwig Andruszewska in Anspruch. Diese versicherte: ihre Mutter habe ihr auf dem Sterbebett erzählt: die Entbindung der Gräfin sei eine Komödie gewesen. Die Mutter sei im Auftrage des gräflichen Ehepaares im Januar 1897 nach Krakau gefahren, um einen neugeborenen Knaben mit schwarzen Augen und dunklem Haar zu besorgen. Dies habe sie auch nach anfänglicher Weigerung getan. Sie habe einen solchen Knaben durch Vermittelung einer Krakauer Hebamme einem armen Dienstmädchen in einer Vorstadt Krakaus für 100 Gulden abgekauft, obwohl der Knabe schon einige Wochen alt war. Der Knabe sei nach Berlin gebracht worden. Dieser Knabe werde jetzt als von der Gräfin geboren ausgegeben. Von einer Anzahl Zeugen wurde Hedwig Andruszewska als wenig glaubwürdig und auch als rachsüchtig bezeichnet. Sie soll auch geäußert haben, sie werde sich an der Gräfin wegen schlechter Behandlung rächen. Mehrere Zeugen bekundeten: Die alte Andruszewska sei im ganzen Monat Januar und auch ganz bestimmt am 26. und 27. Januar in Wroblewo gewesen. Die Warschauer Hebamme, die die Gräfin entbunden, weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ihr Sohn, der nebst seiner Frau aus Warschau als Zeuge erschienen war, vermochte nichts von Belang zu bekunden. – Von Bedeutung war die Zeugenaussage des Grafen Hektor Kwilecki, aus dessen Vernehmung folgendes mitzuteilen ist. – Vors.: Welches persönliche oder pekuniäre Interesse haben Sie selbst an dem Ausgang dieses Prozesses? – Zeuge: Ich habe vor allen Dingen das Interesse, daß die Wahrheit an den Tag komme. Ich betrachtete es gewissermaßen als meine Pflicht, dahin zu wirken, daß mein Vater von dem Vorwurf befreit würde, daß sein bezüglich des Knaben erhobener Verdacht unberechtigt gewesen sei. Als Familienmitglied habe ich schließlich doch auch ein Interesse daran, daß die Familie rein bleibt und nicht ein Kind in die Familie kommt, das der uneheliche Sohn einer sonst vielleicht ganz braven Person ist und den man dann als seinen Vetter und später vielleicht als Haupt der Familie anerkennen muß. Keineswegs leitet mich Habsucht. Ich habe genug und brauche nicht nach der Übernahme des verlotterten Majorats zu streben, das mindestens für eine Generation gar kein Geschäft ist. Ich halte es für die Pflicht eines jeden, der einmal in das Majorat eintreten würde, für diejenigen, die, schuldig oder unschuldig, aus dem Majorat herausmußten, Sorge zu tragen. Ich halte es für meine Pflicht, die Lebensversicherungspolize des Herrn Grafen weiter zu zahlen, für die armen Komtessen, die für die ganze Geschichte doch nichts können, zu sorgen, aber auch für den Jungen zu sorgen, der unglücklich ist, weil er aus seinen Verhältnissen herausgerissen und verzogen worden ist. Ich würde ihn nicht, wie angedeutet worden ist, zu irgendeinem Schuster oder Schneider, sondern ganz wo anders hinbringen, um dafür zu sorgen, daß er nicht künftig zu einem Verbrecher würde. Von einem Plus aus der Bewirtschaftung des Majorats wird auf Jahre hinaus nicht die Rede sein können. Unsere Familie ist seit 500 Jahren in Ehren gewesen. Ich kenne keine Familie in Europa, die es sich gefallen lassen würde, daß ein hergelaufenes uneheliches Kind plötzlich der Besitzer eines Majorats werde. Ich bin an die ganze Geschichte nur höchst ungern herangetreten, mir liegt an der Verurteilung nichts, denn es ist nicht angenehm, Angehörige seines Namens und seiner Familie hinter Schloß und Riegel zu wissen. Dieses Strafverfahren ist ja nur das Vorspiel, das Nachspiel wird in Posen kommen, denn nach Schluß dieses Prozesses werde ich den Zivilprozeß in Posen aufnehmen. Richtig ist, daß einmal der Gräfin der Gedanke nahegelegt worden ist, zur Vermeidung des Eklats doch ins Ausland zu gehen. Es tut mir ja leid, daß es so weit gekommen ist, aber vor allen Dingen muß doch die Wahrheit an den Tag kommen.

Vors.: Sie, Herr Zeuge, befinden sich in glänzender Vermögenslage? Sie sind zu einem Einkommen von 150000 Mark veranlagt. Ihr Vater hat ein Vermögen von 1300000 Mark, sein Besitz beträgt 30000 Morgen? – Zeuge: Jawohl. Vors.: Wie groß ist Ihre eigene Familie? – Zeuge: Ich habe einen Sohn und drei Töchter. Ich würde natürlich stets dafür sorgen, daß die Gräfin, wenn sie aus der Herrschaft hinaus müßte, nicht auf die Straße gesetzt würde, aber die Frau Gräfin geht wohl aus Hochmut oder weil sie nicht auf die Gnade von Verwandten angewiesen sein will, ihre eigenen Wege. – Auf weiteres Befragen erklärte der Zeuge: Die Frau Gräfin hat einmal die Äußerung getan: „Wenn ich den Prozeß verliere, so schieße ich den Jungen und mich tot.“ So spricht doch keine Frau, die die wirkliche Mutter eines Kindes ist. Ebenso hat der Vater einmal geäußert: „Er sei der letzte Majoratsherr aus seiner Familie“, und als man ihn auf seinen Knaben hinwies, hat er gesagt: „Ach, ich wäre froh, wenn der Sohn nicht da wäre oder nicht lebte.“ Das ist doch auch bezeichnend genug.

Graf Hektor bemerkte ferner auf Befragen: Zu dem Thema „Bestechung“ ist so viel gelogen worden, daß es um aus der Haut zu fahren ist. Man hat gesagt, ich hätte der Ossowska 15000 Taler versprochen, einem andern soll ich 30000 Mark versprochen haben, man behauptet, ich hätte „Millionen“ ausgegeben (die ich überhaupt nicht habe). Man hat gefabelt, ich wollte nachts in Wroblewo den angeblichen Sohn stehlen, um ihn beiseite zu schaffen, der Untersuchungsrichter hat mir sogar einmal in scherzhafter Form mitgeteilt, daß behauptet werde, ich wollte den Knaben ermorden. Ich habe geantwortet: Jawohl, ich sehe wohl gerade wie ein Mörder aus! (Heiterkeit!) Später erhielt ich von dem Dr. Filimowski in Krakau, der dort Rechtsgeschäfte betreibt, einen Brief des Inhalts, daß er die Angelegenheit des untergeschobenen Kindes gut kenne. Dr. Filimowski ist inzwischen durch Dekret des Bezirksgerichts in Krakau zum Vormund des kleinen Jungen, der in Wahrheit Leo Franz Parcza heißt, bestellt worden. Dr. Filimowski hat mir in dem Briefe auch mitgeteilt, daß Professor Rosenblatt und ein Rechtsanwalt sich an diesen gewandt und gesagt hätten: er möchte doch die Familie nicht ins Unglück stürzen. Nachdem ihm Hechelski Bericht erstattet, sei er nach Krakau gefahren. Er habe dort der Cäcilie Meyer sechs bis acht Knaben-Photographien vorgelegt und ihr gesagt: „Darunter befindet sich Ihr Sohn, suchen Sie diesen doch einmal heraus!“ Sie hat auf die Photographie des angeblichen „kleinen Grafen“ gedeutet und gesagt: „Das ist er! Das ist mein Sohn, darauf will ich schwören!“ Nach sieben Jahren konnte sie ihn natürlich nicht ohne weiteres erkennen, sie erkannte ihn aber an der Ähnlichkeit mit seinem älteren Bruder, der von demselben Vater stammt. Einige Zeit darauf meldete sich bei mir die Hedwig Andruszewska und teilte mir alles auf die Kindesunterschiebung bezügliche mit. Ich dachte mir, daß ja schließlich alles Quatsch sei, was so unter vier Augen gesagt werde, ich habe deshalb einen Fragebogen mit 25 Fragen aufgestellt, bin damit zum Distriktskommisar gegangen und habe dort die Antworten der Andruszewska von dieser unterschreiben lassen, wobei der Ortsgeistliche als Dolmetsch fungierte. Da die Leute bei uns den größten Respekt vor dem Distriktskommisar und dem Ortsgeistlichen haben, ist bei dieser Gelegenheit alles durchaus ordnungsmäßig zugegangen. Für die Reise habe ich der Hedwig 20 Mark gegeben. Natürlich habe ich auch gesagt, daß ich mich eventuell erkenntlich zeigen würde, falls durch die gerichtliche Untersuchung die Kindesunterschiebungsgeschichte als wahr sich erweisen würde.

Distriktskommissar Leithof (Wronke) bekundete auf Befragen des Verteidigers Justizrats Wronker: In seiner Gegend werden leider ungeheuer viel Meineide geleistet. – Frau Biedermann, Portiersfrau des Hauses Kaiserin-Augustastraße 74 bekundete: Sie habe die Gräfin schon am Abend des 26. Januar wiederholt stöhnen gehört; sie hatte am folgenden Tage keinen Zweifel, daß die Gräfin geboren habe. Vorher habe sie Kindergeschrei nicht gehört. – Im weiteren Verlauf der Verhandlung bat Graf Hektor v. Kwilecki folgende Erklärung abgeben zu dürfen:

1. Nicht wir, sondern die angeklagten gräflichen Eheleute haben es für angezeigt erachtet, die Entscheidung über die Legitimität des Kindes den Gerichten zu übertragen, indem sie den Vorschlag meines Vaters, die Angelegenheit in dem diskreten Rahmen einer Erörterung im engen Familienkreise zu prüfen, abgelehnt hatten. Nachdem aber die Sache auf Anregung des gräflichen Ehepaares zur öffentlichen Besprechung bei Gerichten gelangte, mußte man mit logischer Konsequenz verlangen, daß auch auf dieselbe Weise das gesamte und durch dritte Personen enthüllte Material zur Aburteilung gelange.

2. Trotz meiner hier wiederholt abgegebenen Versicherung, daß meine Tätigkeit nicht durch Rücksichten auf pekuniäre Vorteile veranlaßt war, sind Zweifel an der Aufrichtigkeit meiner Worte erhoben worden. Um einen klaren Beweis für meine Absichten zu liefern, erkläre ich hiermit feierlich, daß ich auf das Majorat Wroblewo, falls die Frage an mich herantreten sollte, für meine Person verzichten werde.

Professor Dr. Dührßen gab sein Gutachten dahin ab: Ich kann nicht den Beweis liefern, daß die Frau Gräfin nicht geboren hat, ich kann aber nicht annehmen, daß gerade in diesem Fall eine Reihe von besonderen Umständen zusammengetroffen sein sollte, die eine Entbindung nach Schema F für wahrscheinlich erscheinen ließen. Ich glaube daher nicht, daß die Gräfin 1896 schwanger war und 1897 geboren hat. – Professor Dr. Freund (Straßburg): Daß eine 50 jährige Frau noch schwanger wird, ist nichts Wunderbares. Es kommt nicht auf die Zahl der Jahre an, sondern darauf, daß die Frau noch ihre Menstruation habe. Medizinisch ist gegen die Schwangerschaft oder gegen die Geburt nichts Positives vorzubringen. Mit Vermutungen will ich nicht operieren. – Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Störmer trat im wesentlichen dem Gutachten des Prof. Dr. Dührßen bei. –

Auf Anregung des Gerichtsarztes Medizinalrats Dr. Störmer wurde beschlossen: eine Kommission, bestehend aus Medizinalrat Dr. Störmer, Professor Dr. Straßmann und dem Porträtmaler Professor Vogel mit der Prüfung der Ähnlichkeitsfrage zu betrauen.

Rechtsanwalt Dr. Filimowski (Krakau): Er sei durch Dekret des k. k. Bezirksgerichts in Krakau am 1. April 1903 zum Vormund des kleinen Franz Pracza, alias Grafen Josef Adolf Stanislaus v. Kwilecki ernannt worden. Die angebliche Mutter des Knaben, Frau Cäcilie Meyer, habe ihm gesagt: Sie würde es lieber sehen, wenn der Knabe ein ehrsamer, wenn auch armer Mann werde, als ein Eindringling in eine gräfliche Familie. –

An einem der letzten Verhandlungstage erstattete die Ähnlichkeitskommission, zu der auch der Leiter des polizeilichen Erkennungsdienstes nach dem Bertillonschen System, Polizeiinspektor Klatt hinzugezogen war, ihr Gutachten. Außer dem kleinen Grafen und seinem angeblichen um ein Jahr älteren, aber kleineren Bruder, Felix Pracza, die beide, in Weiß gekleidet, von einem Gerichtsdiener in den Saal geführt wurden, nahmen als Vergleichsobjekte vor dem Richtertisch Platz: die Töchter des angeklagten gräflichen Ehepaares, Graf Brinski, Bruder der angeklagten Gräfin, und Frau Cäcilie Meyer. Diese bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden unter Tränen: das von ihr verkaufte Kind habe sie nur etwa 4½ Wochen gesehen; seitdem habe sie es nicht mehr vor Augen bekommen. Sie behauptete, die Ähnlichkeit zwischen ihrem früher geborenen Sohne und dem jüngeren kleinen Grafen sei ziemlich bedeutend. – Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Störmer erstattete darauf sein Gutachten:

Die körperlichen Details, die zum Vergleiche herangezogen wurden, seien gewesen: die Kopfform, die Form des Gesichts, das Verhalten der Jochbeine, die Gestalt der Ohren, Wölbung, Verlauf und Behaarung der Augenbrauen, das Verhalten der Regenbogenhäute, Gestalt und Behaarung der Nasenwurzel, die Form der Nasen, die Schwingungslinien und Fülle der Lippen, die Form der Mundwinkel, der Verlauf der Mundspalte, die Bildung der Zähne, Gestalt des harten und weichen Gaumens, die Konfiguration und Richtung des Kinns. Sodann sei die Gestalt der Hände, Form und Länge der Finger und Nägel, der Verlauf der Hautfurchen in den Handtellern, sowie die Wölbung des Fußes, endlich auch der Gang geprüft worden. Zum Typus der gräflich Brinski-Kwileckischen Familie gehören in erster Linie die mäßig längliche Gesichtsbildung und eine ziemlich lange, ein wenig gebogene und spitze an der Nasenwurzel schmale Nase. Bei dem kleinen Grafen finden sich Anklänge der Ohrform an die der Frau Gräfin und der Komtessen, wenn auch von einer Identität der Ohrform des Knaben mit irgendwelchen Mitgliedern der gräflichen Familie ganz bestimmt nicht die Rede sein kann. Außerdem zeige der Knabe auch in der Art der Behaarung der Augenbrauen eine starke Anlehnung an die Familie der Gräfin, er habe auch mit ihr die mäßige Behaarung der Nasenwurzel gemeinsam, endlich auch die dunkelbraune Farbe der Regenbogenhaut. Schließlich ähnele auch die Kinnbildung des Knaben derjenigen der Komtessen ganz auffallend; jedoch unterscheide sich das Kinn des Knaben von dem der Gräfin, wobei jedoch zu beachten sei, daß das Kinn bei älteren Personen stärker hervortritt. Von dem v. Zieglerschen Ohr unterscheide sich das des Knaben Josef Stanislaus in wesentlichen Punkten. Einen Familientypus für die drei zum Vergleich vorhandenen Mitglieder der Meyerschen Familie zu finden, sei nicht gelungen. Bezüglich der Ohren bestehe zwischen den drei Personen eine große Verschiedenheit. Ein Vergleich der Frau Meyer mit ihrem Sohne Felix sei dadurch besonders schwierig, daß das Skelett dieses Kindes durch schwere englische Krankheit ganz wesentliche Veränderungen erfahren hat. Aus demselben Grunde sei auch ein Vergleich dieses Knaben mit dem von Rachitis völlig verschonten Kinde Josef Stanislaus gewagt. Um so mehr müsse es befremden, daß bei beiden Knaben genau die gleiche fehlerhafte Bildung im Bau der Genitalorgane wahrgenommen worden ist, doch sei der vorgefundenen Mißbildung kein allzu großer Wert beizulegen, denn die Erfahrung der Kinderärzte lehre, daß im Alter von sechs bis sieben Jahren der in Rede stehende Zustand doch noch dann und wann, jedenfalls nicht allzu selten, zur Beobachtung kommt, so daß das Vorhandensein gerade dieser Mißbildung bei beiden Knaben immerhin ein Zufall sein kann. Sonstige anatomische Übereinstimmungen zwischen dem kleinen Grafen und dem kleinen Felix Pracza finden sich noch in dem Verlauf der Handlinien und in der Nase, soweit die breite Nasenwurzel in Frage kommt, die ganz und gar von dem Kwileckischen Typus abweiche. Augenfällige Unterschiede zeigen sich bei dem durch Ecke und Gegenecke gebildeten Schnitt am Ohr. Der Gang der beiden Kinder könne wegen der Knochenverkrümmung bei dem Felix Pracza überhaupt nicht miteinander verglichen werden, was um so mehr zu bedauern sei, als gerade der Gang bei dem Josef Stanislaus recht charakteristisch sei.

Ziehe man nun das Fazit aus all diesen Betrachtungen, so ergebe sich, daß zwar eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen den Gesichtszügen des Josef Stanislaus und denen der Grafen und der Komtessen bestehe, und daß auch hinsichtlich der Ohrformen Anklänge zwischen dem Kinde und der Gräfin vorhanden seien, aber auch nur Anklänge, keineswegs eine Identität. Demnach habe die anatomische Untersuchung keine Anhaltspunkte für die sichere Zusammengehörigkeit des Knaben Josef Stanislaus zu der gräflichen Familie ergeben, andererseits können die Sachverständigen aber auch nicht die Zusammengehörigkeit des umstrittenen Knaben zu der Familie der Frau Meyer sicher beweisen.

Der zweite Gutachter, Gerichtsarzt Medizinalrat Professor Dr. Straßmann schloß sich in den Einzelheiten dem Vorgutachten an. Die Kommission sei vor eine Aufgabe gestellt gewesen, wie sie wohl kaum jemals einem Gerichtsarzt vorgelegt worden sei. Es fehlten hier die Grundlagen für ein wissenschaftliches Gutachten und man könne hier auch nur ein Wahrscheinlichkeitsgutachten erwarten. Das Urteil über die Ähnlichkeit sei ein sehr subjektives und es können Irrtümer vorkommen. Eine sichere Unterlage bilde schon das Vorhandensein von besonderen Familieneigentümlichkeiten oder von Abnormitäten. Er komme zu folgendem Ergebnisse: einerseits sei eine allgemeine Ähnlichkeit dieses Knaben mit dem anderen oder mit der Frau Meyer nicht vorhanden. Andererseits falle ins Gewicht, daß die Genitalien der beiden Kinder dieselbe Abnormität zeigen. Das Vorkommen dieser Abnormität sei zwar nichts Außergewöhnliches, auffallend sei es aber, daß sie gerade bei diesen beiden Knaben gleichzeitig vorhanden sei. Eine Abschätzung, welches dieser beiden Momente gewichtiger sei, lasse sich nicht machen. Daher könne hieraus auch kein Schluß weder nach der einen noch nach der anderen Seite gezogen werden.

Der dritte Gutachter, Kunstmaler Professor Hugo Vogel, bemerkte auf Befragen, daß sein Spezialfach Geschichte und Porträt sei. Er erstattete alsdann folgendes Gutachten:

Das Urteil, das Sie von mir verlangen, wird ein subjektives bleiben müssen. Hier entscheint die Feststellung der Ähnlichkeit um so schwieriger, als der kleine Pracza entstellt ist durch schwere Rachitis. Immerhin finde ich, daß die Rachitis nicht imstande war, die Ähnlichkeit zwischen dem kleinen Pracza und seiner Mutter zu verwischen. Daraus ziehe ich den Schluß, daß, wenn eine Ähnlichkeit vorhanden gewesen wäre, sie auch jetzt noch zu erkennen sein müßte zwischen dem kleinen Pracza und dem kleinen Grafen. Der Typus der beiden Kinder ist für mich, vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, ein ganz verschiedener. Der kleine Graf hat ein gradliniges Profil, das des kleinen Pracza ähnelt dem seiner Mutter und Tante. Zwischen dem kleinen Grafen und der Frau Gräfin finde ich eine gewisse Ähnlichkeit. Die ovale Gesichtsform der Frau Gräfin hat etwas Viereckiges, das ist auch bei dem kleinen Josef Stanislaus der Fall. Auf die Ohren soll ja nach der Versicherung der Herren Ärzte die Rachitis keine Einwirkung ausüben. Ich habe die Ohren der beiden Knaben mit einigen Strichen gezeichnet, und da finde ich als Künstler, daß das Ohr des kleine Pracza ein ziemlich gewöhnliches ist, während das des kleinen Grafen ein recht charakteristisches, rassiges Aussehen hat und in bezug auf die Bildung eines kleinen Knöllchens hinter dem Ohre eine Übereinstimmung mit dem Ohr der Frau Gräfin zeigt. Ich komme also zu dem Schluß, daß eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen dem kleinen Pracza und seiner Mutter besteht, daß aber andererseits auch eine Ähnlichkeit zwischen dem kleinen Grafen und der Frau Gräfin sowie seiner Schwester Komtesse Marie nicht zu leugnen ist.

Kriminalinspektor Klatt spricht sich auch dahin aus, daß das abzugebende Urteil unter den vorliegenden Verhältnissen nur ein subjektives sein könne. Gerade bei Ähnlichkeitsfragen kämen die größten Irrtümer vor. Als der Raubmörder Wetzel das schwere Verbrechen in Spandau begangen hatte und verfolgt wurde, ließ eine Frau einen Mann arretieren, in dem sie mit aller Bestimmtheit den Mörder, den sie unmittelbar nach der Tat gesehen, wiedererkennen wollte. Gleich ihr ging es noch vielen anderen Leuten, bis es sich herausstellte, daß der Verhaftete das Opfer einer auffallenden Ähnlichkeit mit dem Täter geworden war. Einer der berühmtesten Kriminalbeamten, die es je gegeben, sei der verstorbene Kriminalkommissar Wolschina gewesen. Dieser habe einmal auf dem Hinterperron eines Pferdebahnwagens gestanden, als er einen lange gesuchten schweren Verbrecher vor einem Schaufenster stehen sah. Er sprang hinunter und packte den Gesuchten mit den Worten: „Nun habe ich dich endlich!“ Der Ergriffene habe ruhig gefragt: „Was wollen Sie von mir, Herr Kommissar?“ – „Das werde ich dir auf dem Molkenmarkt sagen.“ – Auf dem Molkenmarkt habe sich herausgestellt, daß Wollschina einen Kriminalschutzmann arretiert hatte. (Heiterkeit.) Dergleichen Ähnlichkeitstäuschungen hätten der Polizei schon viele Schwierigkeiten gemacht. Der Sachverständige ließ sich dann über das Bertillonsche System aus und knüpfte hieran seine Betrachtungen über die Ohrenfrage. Bekanntlich gäbe es nicht zwei Personen auf der Welt, die vollständig gleiche Ohren hätten. Ebensowenig wie zwei vollständig gleiche Hände. Das Ohr des kleinen Grafen habe an einer Stelle eine ähnliche Abflachung, wie das der angeklagten Gräfin, es beständen aber außerdem so viele Unterschiede, daß darauf unmöglich ein abschließendes Urteil sich aufbauen ließe.

Am 19. Verhandlungstage begannen die Plaidoyers.

Staatsanwalt Dr. Müller führte aus: Wenn Ihnen vor Jahr und Tag jemand mit den geradezu verblüffenden Einzelheiten des polnischen Dramas gekommen wäre, so würden Sie diese für das Produkt einer überhitzten Romanphantasie oder für die Ausgrabung aus mittelalterlichen Chroniken gehalten haben. Und in der Tat, eine ganze Reihe von Momenten sind hier in Erscheinung getreten, die einer weiten Vergangenheit anzugehören scheinen. Kein Roman, kein Theaterstück kann, wie sich hier wieder zeigt, an das wirkliche Leben mit seinen kaleidoskopartigen Mannigfaltigkeiten heranreichen. Das wirkliche Leben schlägt in dieser Beziehung jede Konkurrenz. Der Staatsanwalt beleuchtete alsdann in eingeheder Weise die Zeugenaussagen und schloß mit etwa folgenden Worten:

Gegenüber diesen unwiderleglich feststehenden Tatsachen lassen Sie sich, meine Herren Geschworenen, nicht durch allerlei Nebendinge von der Hauptsache ablenken. Wenn Sie dieser meiner Ansicht folgen und das verdächtige Verhalten der Gräfin vor und nach der angeblichen Entbindung, das durch nichts zu beschönigen ist, wenn Sie ferner die ehelichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den mysteriösen Aufenthalt der Gräfin in Paris berücksichtigen, so können Sie sich der zwingenden Beweiskraft solcher Tatsachen unmöglich entziehen. Die Beweise sind so zwingend und überzeugend, daß man sich eigentlich an den Kopf fassen und sich fragen muß, warum es erst noch der Entrollung eines so kolossalen Beweismaterials bedurfte. Wer logisch denken kann, der muß sich zu der Überzeugung bekennen, daß die Gräfin das Verbrechen begangen hat. Wenn Sie noch mehr Beweise verlangen sollten, dann würden Sie dem viel angefeindeten Schwurgerichtsverfahren direkt das Todesurteil sprechen. (Unruhe auf der Geschworenenbank.)

Die Gräfin ist schuldig, und zwar schuldig der Kindesunterschiebung, um dadurch Vermögensvorteile zu erlangen. Um nichts und wieder nichts wird diese Gräfin sicher nicht ein fremdes Bankert annehmen und ihr eigenes Nest beschmutzen. Es handelt sich keineswegs in erster Linie um einen „Kampf ums Majorat“. Diese Zivilstreitigkeiten müssen hier völlig im Hintergrunde bleiben; sie gehören vor das Zivilgericht, hier aber handelt es sich um ein Delikt gegen die allgemeine Rechts- und Staatsordnung, das geeignet ist, den öffentlichen Glauben zu erschüttern, wie denn auch das frühere Zivilurteil durch Lug und Trug zustande gekommen ist.

Meine Herren Geschworenen! Ich bin am Schluß, und ich lege das Urteil vertrauensvoll in Ihre Hände. Ob hoch oder niedrig, ob Gräfin oder armes Dienstmädchen, das dürfen Sie nicht in Betracht ziehen. Sie haben allein dem Recht zum Siege zu verhelfen. Aber um eins bitte ich Sie noch: Halten Sie sich nur an die Tatsachen, und lassen Sie sich von diesen nicht durch das Beiwerk abbringen. Halten Sie sich auch frei von allen Sentimentalitäts- und Gefühlsanwandlungen. Nicht Sie, sondern das Zivilgericht hat über das Majorat die Entscheidung zu fällen. Aber das eine sage ich Ihnen frei und offen: nach Lage der Akten und nach der Beweisaufnahme wird kein preußisches Zivilgericht – darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel – auch nur einen Augenblick zweifeln, die Identität des Kindes auszusprechen. Zeigen Sie durch Ihren Spruch, daß der alte Satz noch immer Wahrheit hat: „Es gibt noch Richter in Berlin!“ Ja, zeigen Sie, daß es noch Richter in Berlin gibt, die sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen von finsteren Scheinmächten und von Leuten, die vermeinen, Meineid auf Meineid schwören zu können, und die nachher zu ihrem Geistlichen beichten gehen. Legen Sie die Axt an die Wurzel des Übels, das schon Opfer genug gehabt hat und noch mehr nach sich ziehen wird. Der Zweck einer Strafe ist, zu bessern und zu sühnen. Wenn Sie ein Schuldig sprechen werden, dann wird das reinigend und sühnend wirken und den Leuten in Wroblewo wird dann vielleicht ein Licht aufgehen, daß es etwas gibt, was höher steht, als knechtische, sklavische – falschverstandene Hingebung; und das ist die Majestät des Gesetzes.

Erster Staatsanwalt Steinbrecht beantragte ebenfalls in längerer Rede gegen alle Angeklagte das Schuldig. Gegen den Grafen Hektor Kwilecki, so bemerkte der Erste Staatsanwalt, sei das ganze Polentum in Bewegung gesetzt worden. Das Polentum sei erbittert, weil auf seine Anregung hier manch häßliches Bild aus dem polnischen Adelsleben enthüllt worden sei. Deshalb stehe das ganze Polentum, hoch und niedrig, gegen den Grafen Hektor, deshalb sei man bestrebt, die fünf polnischen Angeklagten den deutschen Richtern zu entreißen. Er glaube, an der Hand untrüglicher Tatsachen nachgewiesen zu haben, daß die Gräfin das Kind untergeschoben habe, daß dies aus gewinnsüchtiger Absicht geschehen, sei ganz zweifellos. –

Verteidiger Justizrat Wronker führte aus: Die öffentliche Meinung, wie sie ja auch in der Presse zum Ausdruck kommt, stellt sich auf den Standpunkt, es sei hier ein Kampf ums Majorat. Diese Auffassung entspricht nicht der Auffassung der Gräfin Wensierska-Kwilecka. Sie kämpft nicht um das Majorat, sondern sie kämpft um ihr Kind und ihre Familie, die sich um sie geschart hat, sie kämpft um ihre Ehre, und wir, die wir der Gräfin beistehen, kämpfen für das Recht. Herr Staatsanwalt Dr. Müller hat gestern mit Emphase betont, daß es den Kampf ums Recht gelte. Aber die königliche Anklagebehörde hat nicht allein das Vorrecht, das Recht zu finden, gepachtet, auch wir nehmen es in Anspruch für uns. Das objektive Recht hier zu finden, wird Ihre Aufgabe sein. Die Art, wie der Kampf sich hier abgespielt hat, gibt ihm etwa Sensationelles. Soweit es sich darum handelte, ob die Nachgeburt im Topf nach Berlin gebracht worden ist, ob Schweineblut in Weinflaschen gefüllt worden ist, wird es nach Art eines Kolportageromans das Herz eines Dienstmädchens, das Ackerstraße vier Treppen wohnt, erfreuen. Das Sensationelle dieses Prozesses für uns Männer liegt in dem Prozessualen; es liegt in der Befürchtung, daß hier etwas nicht stimme. Weite Kreise haben hier diese Empfindung und man sagt sich: da müssen die Räder der Justiz nicht in Ordnung sein.

Sehen wir uns die Eigenart dieses Prozesses näher an. Hinter mir sitzt eine Frau, gegen deren Moralität niemand etwas vorgebracht hat, mit einem makellosen Leben, von der wir gehört haben, wie sie ihr Vermögen für das Majorat aufgewendet hat. Sieht diese Frau so aus, daß man sie fähig halten könnte, aus gewinnsüchtiger Absicht ein gemeines Verbrechen zu begehen?

Und von wem wird die Gräfin belastet? Von Fräulein Hedwig Andruszewska, von Herrn Peter Hechelski, von Frau Ossowska und von Frau Valentine Andruszewska. Das sind die Zeugen, gegen die das Wort der Gräfin einfach verpufft im Winde. Aber steht denn die Gräfin allein? Ich denke, nein, und doch ist sie isoliert worden. Sie beruft sich auf das Zeugnis von treuen Leuten, die in ihrem Dienst standen, von Leuten ferner, mit denen sie gesellschaftlich verkehrt. Aber was geschieht mit diesen Leuten, die auftreten, um ihre Unschuld zu beweisen, während man ihr doch umgekehrt die Schuld nachweisen muß. Die alte, treue Dienerin Knoska tritt für die Gräfin ein, man glaubt ihr nicht, eine Lehrersfrau, die Kwiatkowska, tut dasselbe, man glaubt ihr nicht; Frau von Moszewska, eine zwölffache Großmutter, man glaubt ihr nicht, denn ihr haftet ja der Makel an, daß sie die Schwester des Grafen ist. Frau von Koczorowska eilt über die Grenze, tritt für die Gräfin ein, man glaubt ihr nicht. Die Wienskowska hat jetzt andere Bekundungen gemacht wie früher, sie wird verhaftet, und ich bin der Ansicht, sie wird vielleicht heute noch nicht wissen, weshalb sie verhaftet worden ist. Bei aller Hochachtung vor den Gründen, die ich respektiere, frage ich mich doch, ob diese Verhaftung gerechtfertigt gewesen ist. Die Knoska und die Kwiatkowska sind verhaftet, gegen die Frau von Koszorowska, eine hochachtbare Dame, ist die Voruntersuchung eingeleitet, gegen die alte Frau von Moszewska ebenso. Wohin kommen wir, wenn wir schon bei Frau von Koczorowska annehmen wollten, daß sie aus besonderem Interesse gehandelt habe. Dann erst bei den Belastungszeugen? Da stehen wir alsdann doch völlig vis-à-vis de rien. Der Staatsanwalt hat nach dem Gesetz mehr Recht als die Verteidigung, er steht im Kontakt mit dem Untersuchungsrichter und hat jederzeit das Recht der Akteneinsicht. Das gibt ihm auch ein Übergewicht über die Verteidigung. Zwar ist hier in diesem Saale das Wort gefallen: „Die Staatsanwaltschaft ist die objektivste Behörde der Welt.“

Daß das Wort ehrlich gemeint ist, daran zweifle ich keinen Augenblick. Das Wort gilt aber nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens. Das wird niemand mehr bestreiten, nachdem er gestern die Rede des Herrn Staatsanwalts Dr. Müller gehört hat in ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit.

Mich hat es auf das tiefste geschmerzt, daß ein Staatsanwalt, der die Ehre hat, gegen uns zu plädieren, es gewagt hat, die Verteidigung vor der Öffentlichkeit zu beleidigen. Das werde ich nachher näher begründen. Da wurde gestern gesagt: „aus Hechelski ist so manches herausgeholt worden,“ „man hat gewisse Kniffe angewendet,“ „schlimmer als die Folter“ usw. Weiter wurde gesagt: „man hat versucht, durch Kinkerlitzchen die Aufmerksamkeit von den Tatsachen abzulenken.“ Ich frage mich: wer ist denn dieses unpersönliche „man“. Hat der Herr Staatsanwalt die Herren Geschworenen gemeint? Das ist nicht anzunehmen. Oder den Gerichtshof und den Herrn Vorsitzenden? Das ist ausgeschlossen. Oder seinen Chef, den Herrn Ersten Staatsanwalt? Das ist ebenso ausgeschlossen. Wer bleibt da noch übrig? Wir! Die Verteidigung. Die Frau Gräfin kann er auch nicht gemeint haben, denn sie hat ja kaum einmal zu einer Frage den Mund aufgetan. Auch die Zeugen können nicht als diejenigen gemeint sein, die „etwas herausgeholt“ haben. Wer also bleibt anders übrig als das Aschenbrödel Verteidigung. Herausgequetscht mit gewissen Kniffen wurde gesagt. Das ist ja der negative Knigge!

Die Verteidigung hat erfahren, daß mit dem Zeugen Hechelski nicht alles in Ordnung sein soll, und da sollen wir stillschweigen? Wo sind die Kinkerlitzchen? Haben wir Zeugen, ohne etwas mitzuteilen, nach Warschau geschickt? „Versteckte Vorwürfe“ wurde weiter gesagt! Was wir getan haben, geschah frei und offen, wir haben niemand draußen auf dem Korridor ausgefragt. Am wenigsten hat der Herr Staatsanwalt Dr. Müller, der vor mir den großen Vorzug hat, bedeutend jünger zu sein, das Recht, jemand, der in diesem Saal alt und grau geworden ist, derartige heftig Vorwürfe zu machen.

Der Verteidiger erörtert im weiteren die Mängel der Voruntersuchung, und fuhr fort:

Wer aber bezahlt den Geschworenen die Kosten für die vielen Verluste, die sie während dieser vielwöchigen Arbeit in ihrem Berufe erleiden? Etwa der Staat, der sehr besorgt war, dem kleinen Sohne des Weichenstellers Meyer ein weißes Mäntelchen auf Staatskosten zu besorgen? Wenn die Gräfin nach diesen zehn Monaten, die sie in körperlicher Pein im Untersuchungsarrest zugebracht, aus diesem Saale gehobenen Hauptes herausgeht, so wird sie ihre Pein nicht bereuen, denn die Lehren, die dieser Prozeß gibt, werden sicherlich nicht an der Kommission vorübergehen, die jetzt gerade mit der Reform der Strafprozeßordnung beschäftigt ist! Ich komme noch mit einem Wort auf die ärztlichen Gutachten. Ich bedauere, daß die Überzeugung von der Schuld der Gräfin auch in diesen Saal hinübergestrahlt ist und den einen Sachverständigen, Herrn Professor Dr. Dührßen, dessen Tätigkeit ich sonst bewundere, erfüllt hat. Ich habe bei dem Gutachten des Professor Dührßen die Objektivität und Unparteilichkeit leider vermißt. Er hat wohl nach bestem Wissen und Gewissen sein Gutachten abgegeben, aber die Voraussetzungen zu seinem Gutachten sind derartig, daß man ihm unmöglich großen Wert beilegen kann. Wenn er nach einem Gutachten von ¾ Stunden endlich zu dem Schluß kam: „Ich glaube nicht, daß die Gräfin schwanger war“, so hat er sich von Tatsachen leiten lassen, die auch andere ehrenwerte Männer schon bestochen haben und doch nichts beweisen! Ich kann mich auch bezüglich dieses Gutachtens auf die Öffentlichkeit berufen. Die Zeiten, wo in diesem Hause ein Mann sagen konnte: „Es gibt keine Öffentlichkeit“ sind ja glücklicherweise vorüber! Das Volk spricht in solchen Sachen mit.

Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes, und niemand kann mit Scheuklappen daran vorübergehen! Fragen Sie nur im Volke nach, und Sie werden finden, daß das gesamte Volk keine andere Meinung hat, als die Verteidigung. Ich bedauere, daß es so weit gekommen ist, daß in einer Zeitung ein Artikel mit der Überschrift „Professor Dührßen als Staatsanwalt“ erscheinen konnte. Auch die Berliner Ärzteschaft wird sich wohl mit der Frage beschäftigen müssen: Wie weit darf ein ärztlicher Sachverständiger in seinem Gutachten gehen? Der Staatsanwalt sagt: die Polen haben sich zusammengetan, um die Angeklagte den deutschen Richtern zu entreißen. Nun fragen Sie aber mal das Bürgertum, welches doch die adlige polnische Gräfin und die polnische Wirtschaft gar nichts angeht, wie es über die Sache denkt, und Sie werden allseitig Zustimmung zu der Auffassung der Verteidigung finden.

Wie aber steht es denn mit der Stimme der Natur? Fest steht doch, daß in der Ähnlichkeitsfrage die Kunst und die Wissenschaft für die Behauptungen der Frau Gräfin greifbaren Stoff geliefert. Der Ritter von Zeigler ist hierher getreten und hat gesagt: ich weiß nicht, ob der Knabe mein Kind ist, Frau Meyer ist hergetreten und hat gesagt: ich glaube, daß es mein Kind ist, dagegen hat die Gräfin gesagt: es ist mein Kind! Wollen Sie dies Kind, welches von der Gräfin gehegt und gepflegt wird, der Mutter von der Brust reißen? Wollen Sie sich von einer gewissen Beredsamkeit überzeugen lassen? Ich dächte, die Berliner Richter und Geschworenen lassen sich durch Beredsamkeit nicht zwingen, sondern lediglich durch die Macht der Gründe und Tatsachen. Denken Sie daran, wie man den Grafen, der sich unbeobachtet wähnte, kniend am Bette des Knaben, und ihn herzend und mit ihm spielend, vorfand. Das ist die Stimme der Natur. Auch der Umschwung der öffentlichen Meinung ist zweifellos hervorgerufen durch die Macht der Tatsachen, durch die Beweisaufnahmen. Wenn Sie den Richterspruch in Übereinstimmung mit dieser öffentlichen Meinung fällen, dann folgen Sie ihr nicht, sondern zeigen nur, daß Sie richtig und zutreffend die Tatsachen erfaßt haben. Ich zweifle nicht, daß nach dem Resultat der Beweisaufnahme das einzige Wort, das Sie, meine Herren Geschworenen, auf die Schuldfrage sprechen werden, das Wort „Nein!“ ist.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Eger (Posen) suchte den Nachweis zu führen, daß das Geständnis der Angeklagten Ossowska sowohl gegen sie selbst als auch gegen die anderen Angeklagten als Beweismittel ausscheide. Es fehlen alle Beweggründe, die bei einem richtigen Geständnis vorhanden zu sein pflegen. Ich hoffe daher auf einen Freispruch meiner Klientin. –

Verteidiger Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner: Wenn die Gräfin alles das, was auf sie hier eingestürmt ist, mit so großer Ruhe ertragen hat, so dankt sie es ihrem unerschütterlichen, felsenfesten Gottvertrauen. Als wir Verteidiger der Gräfin am Sonnabend den letzten Besuch im Gefängnis machten, fanden wir sie förmlich verklärt, strahlend. Sie sagte uns: „Heute wird in den Kirchen für mich gebetet; meine Unschuld wird an den Tag kommen, mir wird kein Haar gekrümmt werden.“ Still verließen wir das Untersuchungsgefängnis. Draußen sagte einer von uns: „Wie glücklich wären wir, wenn wir auch ein solches Gottvertrauen hätten.“ Der Herr Staatsanwalt hat geglaubt, eine Lanze für das Majorat brechen zu müssen. Wir haben gesehen, wie das Majorat nicht nur die Bande der Familie sprengt, sondern sogar demoralisierend wirkt. Als bekannt wurde, daß nach langjähriger Pause die Gräfin sich wieder in anderen Umständen befinde, schlug das wie eine Bombe ein. Die Agnaten regten sich. Man sehe sich das große Heer der Mitwisser an, und stelle sich ein Verbrechen vor, welches von so viel Leuten genau gekannt wird. Der Staatsanwalt hat ausgeführt, daß in der Gegend von Wroblewo eine wahre Meineidsseuche grassiere, die alle Entlastungszeugen ergriffen habe. Nur, o Wunder, Herr Peter Hechelski und Fräulein Hedwig Andruszewska sind von dieser Seuche verschont geblieben. Und doch haben diese das Geld des Grafen Hektor Kwilecki deutlich rollen hören. Wie heißt das wunderbare Serum, das gerade diese beiden Zeugen immun gemacht hat?

Noch andere Merkwürdigkeiten sind aus diesem Prozeß zu verzeichnen. Beispielsweise die Stellung der Staatsanwaltschaft zu dem gewiß hochangesehenen Sachverständigen Professor Dr. Dührßen. Der Staatsanwalt hat gesagt: das Strafverfahren gegen Professor Dührßen sei wesentlich aus dem Grunde eingeleitet worden, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Ich weiß nicht, ob Prof. Dr. Dührßen über diese Fürsorge des Staatsanwalts sehr entzückt war, das aber weiß ich, daß in Preußen sich keine Strafkammer gefunden hätte, die das Hauptverfahren eröffnet hätte, um einem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Nein, die Strafkammer, die das Verfahren eröffnete, hat den Prof. Dr. Dührßen für „hinreichend verdächtig“ befunden; genau so, wie hier andere Personen „hinreichend verdächtig“ befunden wurden. Und wenn das erkennende Gericht Herrn Dr. Dührßens Ehre so glänzend wiederherstellte und sich nicht an den Eröffnungsbeschluß gebunden hielt, ist ebensowenig für Sie, meine Herren Geschworenen, die Ansicht der Eröffnungskammer bindend, ebensowenig für Sie maßgebend, wenn hier einzelne Zeugen, als der Begünstigung verdächtig, nicht vereidet worden sind.

Man hat in den Aussagen einzelner Entlastungszeugen Widersprüche entdeckt. Was sind diese Widersprüche aber gegen den Widerspruch des Gesetzgebers bei der Konstruktion der Schwurgerichte?! Sie, meine Herren Geschworenen, sind dazu berufen, das entscheidende Wort über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu sprechen, und dann kommt ein Dreimänner-Kollegium und entscheidet, ob ein Zeuge vereidigt werden soll oder nicht! Diese Entscheidung müßte doch gewiß auch den Herren Geschworenen zustehen! Der zweite Herr Staatsanwalt hat den Herren Geschworenen zugerufen: Wenn Ihnen diese Beweise noch immer nicht genügen, dann erklären Sie gewissermaßen den Bankerott der Schwurgerichte. Die Schwurgerichte sind ja manchem ein Dorn im Auge, sie sind deshalb verdächtig, weil sie aus dem Jahre 1848 stammen! Ich glaube, das Geschworenengericht wird noch lange den jüngsten Berliner Staatsanwalt überleben, dem ich im übrigen ein recht langes Leben wünsche. (Heiterkeit im Publikum, die der Vorsitzende rügt.)

Nun zum Grafen Hektor Kwilecki. Die rechte Hand des Grafen Hektor ist Herr Peter Hechelski, das Medium ist Hedwig Andruszewska. Ich muß dem Grafen Hektor wirklich mit aufrichtigem Bedauern zurufen: Es tut mir in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh! Er hat durch Hechelski in halb Europa arbeiten lassen und hat doch nichts erreicht. Ich halte es für erwiesen, daß die damals unverehelichte Cäcilie Parcza ein Kind aus Not verkauft hat, ich halte es aber nicht für erwiesen, daß der kleine Leo Parcza nach Berlin gekommen ist, ich halte es auch nicht für erwiesen, daß der kleine Leo Parcza am 26. Januar 1897 auf die Reise gegangen ist; auf Grund der verschiedenen Zeugenaussagen bin ich der Überzeugung, daß der Knabe Leo Parcza schon in der Zeit zwischen dem 12. und 14. Januar aus Krakau weggekommen ist.

Der Hauptfehler, daß dies Rätsel noch nicht gelöst worden, liegt darin, daß man von Anfang an immer nur die Spur nach Wroblewo verfolgte, und doch hat die Cäcilie Meyer einen deutlichen Wink gegeben, wohin die Spur vielleicht führt. Sie hat gesagt, daß, als sie nach Weggabe des Kindes von Reue gepackt in das Hotel rannte und dort sich nach der Frau erkundigen wollte, die das Kind erhalten haben könnte, sie die Auskunft erhalten habe: es habe eine Gräfin aus Oswice dort logiert. Aber niemand hat nach der Gräfin aus Oswice geforscht, denn an dem kleinen Leo hatte niemand auf der Gotteswelt ein Interesse, Graf Hektor hatte nur Interesse an dem kleinen Majoratsherrn, man lugte nur immer nach Wroblewo, und darum hat man andere Spuren nicht verfolgt, und diese haben sich verwischt und verweht. Man suche nur fleißig nach und man wird vielleicht finden!

Ich muß mich ein wenig länger mit dem Grafen Hektor Kwilecki beschäftigen. Er ist hier eidlich als Zeuge vernommen und er ist als Edelmann wissentlich nicht um Haaresbreite von der Wahrheit abgewichen. Er hat weit von sich gewiesen, daß er sich von materiellen Rücksichten leiten lasse, er wollte angeblich nur verhindern, daß ein hergelaufener Knabe den Namen Graf Kwilecki annahm. Ich weiß nicht, ob es ehrenhafter ist, wenn jemandes Vettern im Zuchthause sitzen, als wenn böse Zungen an der Echtheit des künftigen Majoratsbesitzers zweifeln. Herr Graf Hektor Kwilecki hat die Verhaftung seiner Verwandten beantragt nach der ganzen Strenge des Gesetzes. Graf Hektor hat erklärt, daß er bei der Übernahme von Wroblewo keine Vorteile haben würde. Das Majorat bringt aber jährlich 70000 Mark Revenüen, die der Herr Graf bekommen hätte, ohne einen Pfennig zahlen zu brauchen, und das soll ein schlechtes Geschäft sein?

Und damit komme ich zu der Frage: Was ist Wahrheit? Über diese Frage hat man sich seit Jahrtausenden den Kopf zergrübelt. Die Wahrheit ist eine spröde Schöne, die sich nicht demjenigen entschleiert, der da meint, sie auf Grund einer aus den Akten gewonnenen Voreingenommenheit gewinnen zu können. Einst hielt man für Wahrheit, daß die Erde stille stehe – und sie bewegt sich doch! Im Interesse der angeblichen Wahrheit hat man Luther verfolgt und Huß verbrannt, und der Molochdienst der Wahrheit fordert auch in unseren Tagen noch immer Opfer. Eins dieser bedauernswerten Opfer ist die Zeugin Wienkowski, die mit ihrem Säugling ins Untersuchungsgefängniß wandern mußte. Ich muß es nach meiner juristischen Ansicht, die ja vielleicht von anderen Juristen bestritten werden mag, hier offen aussprechen: Nach meiner Überzeugung war die Vereidigung dieser Zeugin bei dem Untersuchungsrichter ungesetzlich und unzulässig, denn nach § 65 Abs. 3 der Strafprozeßordnung soll in dem Vorverfahren eine Vereidigung nur stattfinden, wenn die Vereidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich erscheint. Der Untersuchungsrichter hielt ja aber die Aussage der Zeugin, die sie vor ihm abgegeben, für wahr und deshalb war die Vereidigung durch den Untersuchungsrichter unzulässig. Und nun ist diese schwache, konfuse Frau zu ihrem Unglück auch hier in der Hauptverhandlung vorher vereidigt worden, und daher stammen für sie die traurigen Folgen.

Meine Herren, dieser Prozeß wäre längst zu Ende, wenn nicht die Staatsanwaltschaft die Anklage wie eine verlorene Festung mit Todesverachtung verteidigt hätte. Jeder Tag brachte neue Wunden, und die schlimmste Wunde war für die Anklage, als wir hier nach dreitägigem Warten die Aussage des Cwell aus Warschau entgegennahmen. Da brach das morsche Gebäude zusammen, die Anklage löste sich in Atome auf. Es ist nichts übrig geblieben, daran kann auch die gestrige Würdigung der Zeugenaussagen durch den zweiten Herrn Staatsanwalt nichts ändern. Der zweite Herr Staatsanwalt hat im wesentlichen nur die Anklageschrift vorgetragen, die er selbst verfaßt hat, und seine Ausführungen hin und wieder gewürzt durch ein Wörtlein, das die Schriftsprache nicht kennt und nicht verträgt. Er hat von Leuten gesprochen, die heute einen Meineid leisten und morgen beichten. Ich bin nicht Katholik, aber habe mich gewundert, daß ein Staatsbeamter, eine Stütze von Thron und Altar, hier so wenig achtungsvoll von einer Einrichtung der katholischen Kirche gesprochen hat. – Staatsanwalt Dr. Müller: Das kann ich nicht zulassen. –

R.-A. Chodziesner (fortfahrend): Bitte, mich nicht zu stören. Der zweite Herr Staatsanwalt hat dann weiter davon gesprochen, wie der Zivilprozeß unter allen Umständen zugunsten des Grafen Hektor und zuungunsten der Gräfin entschieden wird. Mit Emphase hat er gesagt, er gebe Ihnen Brief und Siegel dafür. Nun, dieses Siegel kostet viel Geld, und diese Prophezeiung ist falsch, dieser Zivilprozeß wird niemals stattfinden, weil er nicht stattfinden kann; denn gegen ein Versäumnisurteil ist ein Wiederaufnahmeverfahren fast unmöglich. Er wird aber auch deshalb nicht stattfinden, weil auch in der Brust des Mannes, mit dem wir uns ausgiebig hier beschäftigen mußten, der Friede eingezogen sein wird und er sich unter Ihr Urteil beugen und wieder ein Edelmann sein wird, wie früher. Er wird vornehm um Verzeihung bitten, davon bin ich überzeugt.

M. H. Geschworenen! Schwer war die Bürde Ihres Amtes, und schwerwiegend sind die Folgen, die sich an Ihren Spruch knüpfen. Es handelt sich darum, soll die Frau Gräfin ins Zuchthaus wandern, soll den Eltern das Kind, dem Kinde die Eltern genommen werden. Was des Kindes harrt, hat uns Graf Hektor in einer schwachen Stunde verraten. Er sagte, ich werde es nicht zum Schuster und Schneider bringen, und man wird sorgen müssen, daß es nicht zum Verbrecher wird. Was berechtigt den Herrn Grafen Hektor, so von diesem schönen Knaben zu sprechen, der in seiner Unschuld keine Ahnung hat, welchen Kampf hier die Verteidiger seiner Eltern durchkämpfen, dessen unschuldsvolle Seele nichts ahnt von den Niederungen dieses Lebens.

Sprechen Sie die Angeklagten frei, und geben Sie denen endlich die Ruhe wieder, die seit sechs Jahren verleumdet und verfolgt werden wie ein gehetztes Wild.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. v. Rychlowski (Posen): Der Kampf um das Majorat reiche weit zurück. Schon von vornherein hätten die Agnaten das Kind im Mutterleibe bekämpft, weil man befürchten mußte, daß das Kind ein Knabe, also ein unerwünschter Konkurrent in der Nachfolgeschaft, sein könnte. Das Vorgehen der Agnaten mußte die Gräfin erbittern, und daß der Trotz über die Klugheit siegte, hat die arme Frau ja schwer genug büßen müssen. Graf Hektor Kwilecki hat hier betont, daß er nicht um das Majorat, sondern um die Ehre kämpfe. Das mag glauben, wer will, vielleicht liegt hier auch eine Selbsttäuschung vor. Wie erklärt man es sich denn dann, daß die Agnaten, wie auch dieser Prozeß ausfallen möge, einen zweiten Zivilprozeß um das Majorat führen wollen. Nun hat hier Graf Hektor erklärt, daß er persönlich auf das Majorat verzichte. Diese nichtssagende, unverbindliche und verspätete Erklärung hat mich an die Fabel von dem Fuchs und den Trauben erinnert. Für die Mitstreiter des Herrn Grafen Hektor handelte es sich jedenfalls nicht um eine Ehrensache, sondern um eine Geschäftsfrage. Das Laienauge und das Künstlerauge sind sich darin einig, daß der schöne Knabe der Gräfin überaus ähnlich sieht. Wenn alles schwinden sollte, so ist, meine Herren Geschworenen, dies der feste Punkt: Sie werden nimmermehr einer Mutter ihr Ebenbild vom Busen reißen und es einer anderen Frau zusprechen. Der Staatsanwalt hat von „großer Phantasie“ gesprochen, die größte Phantasie hat er aber selbst entwickelt, indem er ausführte, daß der Knabe sich den schönen Schwestern angepaßt haben kann. (Heiterkeit.) Der Staatsanwalt ist auch auf das alte polnische ancien régime zu sprechen gekommen. Ich könnte darauf erwidern, dränge aber meine Worte von den Lippen zurück, denn ich verschmähe es, in diesen Saal Sachen hineinzutragen, die nicht dahin gehören. Der Staatsanwalt hat Ihnen, meine Herren Geschworenen, auch vorgeführt, daß Sie dem Institut des Geschworenengerichts Schaden zufügen könnten, wenn Sie die Angeklagten nicht schuldig sprechen. Sie haben nach Ihrem Eide nur nach bestem Gewissen und Wissen Ihren Spruch zu fällen. Daß es zu solchem Prozeß kommen konnte, ist sehr bedauerlich, aber begreiflich. Graf Hektor hatte schon bei dem Posener Prozeß 100000 Mark ausgesetzt, falls er den Prozeß gewönne – noch eine solche Prämie, und vielleicht machen neue Leute neue Enthüllungen über das große Geheimnis. Ich zweifle nicht, daß die Gräfin als Siegerin, wenn auch mit vernichtetem Lebensglück, diesen Saal verläßt, daß Sie ihr die Ehre und die lang entbehrte Freiheit wiedergeben werden.

Nach mehrstündiger Beratung verneinten die Geschworenen bezüglich aller Angeklagten die Schuldfragen. Dementsprechend sprach der Gerichtshof alle Angeklagten frei, erklärte die Haftbefehle für aufgehoben und legte die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auf. Noch während der Plädoyers hatten sich vor dem Gerichtsgebäude viele Tausende von Menschen angesammelt. Der Wahrspruch der Geschworenen wurde in dem überfüllten Zuhörerraum mit lautem Bravo begleitet. In demselben Augenblick schallten von der Straße aus Tausenden von Kehlen stürmische Hochrufe in den Saal.