Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres/Am 2. Sonntag nach Epiphanias 1837

« Am 1. Sonntag nach Epiphanias 1835 Wilhelm Löhe
Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres
Inhalt
Am 3. Sonntag nach Epiphanias 1835 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Am 2. Sonntag nach Epiphanias.
(Merkendorf 1837.)


Röm. 7, 23. Ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte.

 Zwei Gesetze unterscheidet St. Paulus in unserm Text – eins in den Gliedern und eins im Gemüte. Das Gesetz in den Gliedern ist die verderbte Neigung des menschlichen Herzens oder die Erbsünde - das im Gemüte ist Gottes heiliger Wille, welcher im Gemüte des Wiedergeborenen lebendig geworden ist. Von dem Gesetz in den Gliedern, von der Erbsünde, habe ich mir vorgenommen, euch heute zu predigen. Möge mein und euer Herz nun zur Predigt bereitet werden durch die Kraft des heiligen Geistes – um Christi willen! Amen.




 Wir fragen: Was ist die Erbsünde?

 Vernehmet hierauf meine Antwort mit willigem Herzen; denn es ist nicht meine Antwort allein, sondern die Antwort der heiligen Kirche und die Antwort der heiligen Schrift.


I.
 Die Erbsünde ist jene durch den Fall Adams verursachte Verderbnis der menschlichen Natur, nach welcher sie zu allem Guten untüchtig, zu allem Bösen aber geneigt ist. Dies Verderben ist ein allgemeines; alle Menschen, welche natürlich geboren werden, sind ihm unterworfen, und in jedem einzelnen Menschen sind alle Kräfte und Teile seines Lebens von demselben ergriffen und vergiftet. Wie ein Glas Wasser in allen seinen Tropfen vergiftet wird, wenn man Gift hineinschüttet,| so ist durch Adams Sünde die Sünde so sehr in die Menschheit eingedrungen, daß die ganze menschliche Natur sündig geworden ist. Dem Menschen werden drei besondere Vermögen insgemein zugeschrieben: das Denkvermögen oder Erkenntnisvermögen, das Begehrungsvermögen oder der Wille und das Gefühl. Diese drei Vermögen des menschlichen Geistes sind von der Sünde so durchdrungen, daß sie vom Guten völlig abgewendet und im Dienste des Bösen sind. Dazu ist auch der Leib voll böser Lüste und Begierden, in Summa: das Bild Gottes ist vom Menschen genommen.


II.

 Diese Lehre bezeugt die heilige Schrift an zahllosen Stellen, und die ganze Heilsanstalt Gottes, so wie sie in Christo aufgerichtet wurde, schließt sich an einen so verderbten Zustand des Herzens an. Es ist nicht möglich, in einer Predigt diese Behauptung nachzuweisen; aber einige Stellen der heiligen Schrift, welche man ihrer Deutlichkeit wegen hier anzuführen pflegt, wollen wir zum Beweise anführen – auch hier.

 Vor der Sündflut (1. Mos. 6, 5) war schon alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens nur böse immerdar – und 1. Mos. 8, 21 sagt Gott von Noah, seinen Söhnen und dem ganzen Menschengeschlecht, das von Noah, als zweitem Stammvater, kommt: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Damit ist ohne Zweifel der verderbte Zustand des menschlichen Herzens bezeichnet, den wir Erbsünde nennen. Mancher wird freilich sagen: „Soll denn der Mensch böse sein, den Gott geschaffen hat? Du thust dem Schöpfer eine schlechte Ehre, wenn du Sein Geschöpf schlecht machst.“ Aber das ist ein thörichtes Geschwätz. Ich kann meinem Schöpfer keine größere Ehre anthun, als wenn ich durch mein gläubiges Vertrauen Seine Aussprüche und Worte versiegele, – weiter aber, als das, thue ich nichts, wenn ich in mir und andern Sünde und Verderben erkenne, denn weder ich, noch ein anderer Mensch, sondern Gott selbst hat gesagt, was 1. Mos.| 6, 5 und 8, 21 steht. Auch ist zwischen der Schöpfung und dem Urteil Gottes (1. Mos. 6 und 8) der Fall, wie jedes Kind weiß, und wir sagen nicht, daß Gott Sein Geschöpf schlecht geschaffen habe, sondern daß die gute Kreatur durch des Teufels Neid und eigene Wahl schlecht geworden sei. – Es könnte hierauf einer sagen, daß die angeführten Stellen streng genommen nicht beweisen, daß der Mensch mit Erbsünde beladen sei. Denn es heiße 1. Mos. 8 bloß: „von Jugend auf.“ Allein schon 1. Mos. 6 heißt es: „nur böse immerdar“ – dieses „immerdar“ aber umfaßt die ganze Zeit eines Menschenlebens vom ersten Werden bei der Empfängnis bis zum Ende. Wenn aber einer auch das nicht will gelten lassen, so verweisen wir ihn auf Ps. 51, 7. In dem 51. Psalm beweint David seine Sünden, namentlich die an Uria und dessen Weibe begangenen, er redet nicht von fremden, sondern von eigenen, wie jedermann erkennen kann, welcher den Psalm liest – und sagt in diesem Zusammenhang: „Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Es würde erbärmlich in einen Bußpsalm passen, wenn David mit diesen Worten etwa seinen Vater oder seine Mutter der Sünde anklagen wollte; wenn aber das wahr ist, so beklagt er offenbar nichts anderes, als daß er von der Empfängnis an ein Sünder gewesen sei – daß ein sündhafter Same ihm die Entstehung gegeben, und dieser Same der Anfang der von ihm beweinten groben Verbrechen sei. Ist aber David schon bei der Empfängnis verderbten, sündhaften Wesens gewesen, wer unter allen Menschen wird sich von der Erbsünde freisprechen können, welche der Stammvater Christi, der doch ein Mann nach Gottes Herzen hieß, gehabt hat?


III.

 Allein nicht bloß die heilige Schrift bezeugt das Verderben des menschlichen Herzens, sondern es kann ein jeder, welcher sich und andere Leute kennt, davon Zeugnis geben.

 1. Ist’s nicht wahr, daß der menschliche Verstand in Blindheit und Verkehrtheit wandelt? Ist’s nicht wahr, daß| uns unsere Vernunft über die wichtigsten Dinge – über Gott und Unsterblichkeit, über Versöhnung und Erlösung, keine Auskunft geben kann? Haben nicht die Weisesten bekannt, daß sie nichts wissen? Und die, welche sich dünken ließen, als wüßten sie etwas, haben sie denn etwas Bleibendes, etwas Seelenstillendes und Erquickendes herausgebracht? Sind sie nicht, je mehr sie mit ihrer Vernunft eigenmächtig die Wahrheit suchen wollten, immer mehr von der Wahrheit abgekommen auf Irrwege? – Und was den Willen anlangt, gehört denn viel dazu, zu erkennen, daß unser Wille dem Göttlichen abgeneigt und dem Bösen zugeneigt sei? Was ist dem natürlichen Menschen mehr zuwider, als wenn er seinen Eigenwillen brechen soll? was schmerzlicher, als wenn er nicht thun darf, was ihm beliebt, wenn er seine Pläne nicht ausführen soll? was kränkender, als wenn ihm seine Sachen nicht nach Wunsch durchgehen? wenn seine Hoffnungen, Pläne, Wünsche scheitern? Ist’s nicht dadurch offenbar, daß unser Wollen dem göttlichen, unsere Wege den Wegen Gottes entgegen sind? daß demnach unser Wille verderbt und böse ist? – Denn was ist gut, außer was Gott will, und was böse, wenn nicht, was dem Willen Gottes widerspricht? – Und was unser Gefühl anlangt – so frage ich: wovon werden wir erfreut, wodurch betrübt? Haben wir nicht eben gehört, daß wir über unsere eigenen Wege und Pläne uns freuen, über Gottes Wege und Pläne weinen? Ist denn ein Gefühl rein und unverderbt, welches mit Eigensinn und Eigenwillen im Bunde ist? – Ich sollte doch denken, meine Brüder, es sei nicht schwer einzusehen, was auch Heiden eingesehen haben, daß nämlich ein Böses mit uns geboren werde; ich denke doch, es ist nur böser Wille, wenn man so viel nicht einsieht und erkennt!

 2. Wenn einer aber auf die Erfahrung an und in sich selbst nicht gehen will, so frage ich, ob nicht auch sonst schon die Erbsünde zu erkennen sei? Ich antworte hierauf ein unbedingtes Ja.

 a) Woher kämen denn so viele böse Gedanken, Worte, Werke, wenn nicht das Herz des Menschen verderbt wäre?| Eine süße Quelle giebt doch kein bitteres Wasser, und ein guter Baum bringt doch keine argen Früchte? Wie sollte denn aus einem guten Herzen Arges kommen? – wie sollte das Herz gut sein, von dem Christus spricht: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken etc.“? Es kann nicht anders sein, es muß das Herz ein böser Baum sein, weil er so böse Früchte bringt.

 b) Freilich könnte einer sagen: Ja, der Mensch wird so geschaffen und kommt so in die Welt, daß er wählen kann gut und böse; aber weil ihn eine böse Welt umgiebt, so wählt er das Böse, – er gewöhnt sich eben ans Böse. – Allein wenn der Mensch die Macht zum Guten sowohl wie die zum Bösen in den Händen hat, warum wählt er denn immer das Böse, warum folgt er bösen Beispielen, warum gewöhnt er sich ans Böse: – die Anlage zum Guten, welche sich niemals in der That beweist, ist gewiß sehr verdächtig!

 c) Darauf könnte man sagen: Der Mensch kommt hülflos in die Welt, er muß sich ziehen und erziehen lassen; er hat wohl Anlage zum Guten wie zum Bösen, aber weil er unter Bösen lebt, so wird von vornherein die Anlage zum Guten weniger ausgebildet, als die zum Bösen, und so kommt’s, daß keiner vor dem Bösen bewahrt bleibt. – Allein warum ist denn der Mensch so hülflos, und warum ist denn seine Anlage zum Guten so schwach, daß er vom Bösen so gar überwältigt wird, daß kein Mensch ohne Sünde blieb? Und warum hat denn Christus allem bösen Eindruck so sehr widerstanden, warum ist ER im Kote der Welt nicht schmutzig geworden, warum ist ER so rein in Seinem Leben, wenn nicht deswegen, weil ER von den Sündern abgesondert ist und keine Erbsünde mit sich in die Welt brachte? Wenn aber Ihn der Mangel der Erbsünde schützte vor Befleckung, was wird denn unsere Kinder in solche Gefahr und Befleckung bringen, wenn nicht die Erbsünde? Es ist doch offenbar, daß das Herz böse sein muß, weil es bei allen Menschen sich mit dem Bösen eingelassen, und nur einer, welcher selbst gut ist, auch gut geblieben ist?

|  d) Nichtsdestoweniger wollen einige behaupten, der Mensch werde unschuldig geboren, und pochen auf die Unschuld der Kinder. Aber auch das ist ein eitles Gerede; man kann freilich die Kinder unschuldig nennen, aber nur im Vergleich mit den schuldbeladenen Eltern – denn so viel hat freilich ein Kind nicht gesündigt, als seine Eltern, und ihnen gegenüber ist es unschuldig. Im wahren Sinn des Wortes aber kann man kein Kind unschuldig nennen, denn ehe noch ihre Sinne und ihr Geist etwas Böses, ein böses Beispiel etc. fassen können, kann ein aufmerksames Auge schon Böses erkennen, schon in den ersten Tagen ihres Lebens erkennt man an ihnen Zorn.

 e) Und noch eins, Brüder. Woher kommt’s denn, daß Gottes Wort so wenig Eingang bei Jungen und Alten findet? Woran liegt es? Es ist doch die höchste Weisheit, weil es von Gott ist, – warum erscheint es denn dem größten Teil der Menschen, nicht etwa bloß in unsern Tagen, sondern je und je, als Thorheit? Es ist doch heilig und führt den Menschen zur Heiligung, warum mag der Mensch mit ihm nichts zu schaffen haben, sich nicht von ihm leiten lassen? Es ist doch selig und seligmachend, warum nimmt es denn das Herz des unglückseligen Menschen nicht auf? – Es ist doch ein teures, aller Annahme wertes Wort, warum wird’s nicht angenommen von den Menschen? Antwort: Ist’s anders zu erklären, ist es nicht immer noch sogar für die Menschen die ehrenvollste Erklärung, zu sagen: er kann nicht, er ist zu verderbt, – mit dem Apostel zu sprechen (1. Kor. 2, 14): „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Thorheit, und kann es nicht erkennen, denn es muß geistlich gerichtet sein“?


IV.
 Wir gehen weiter, Brüder. Es giebt eine Anzahl Menschen, welche sich folgendermaßen äußern: „Es ist wahr, ein Verderben des Menschen nach allen seinen Kräften kann| man nicht leugnen; aber man sollte dies Verderben nicht Erbsünde, sondern ein geerbtes Verderben nennen; denn eine Sünde kann’s nicht sein, weil wir’s geerbt haben, wie man etwa eine Krankheit und ein Gebrechen erbt, – wir haben es nicht begehrt, aber es hängt uns ohne unsern Willen an, ja, ehe wir einen Willen haben.“
.
 Hierauf antworte ich: Gut, so soll denn die Erbsünde nur ein Verderben, nur ein Übel, nicht eine Sünde sein; aber wo kommt denn das Übel her? Wie es über Adam kam, das wissen wir, und er hat es mit Sünden verdient; aber wie kommt es auf die Menschen nach ihm, die nicht, wie er, in gleicher Übertretung gesündigt haben? Du kannst nichts dafür, kein Mensch kann etwas dafür, deinen Eltern kannst du die Schuld nicht beimessen, denn sie haben’s auf ebenso unbegreifliche Weise geerbt, wie du; es wird dir kein Ausweg übrig bleiben, als entweder es dem Teufel oder Gott zuzuschreiben. Dem Teufel einmal kann man die Macht nicht zuschreiben, alle Menschen im Mutterleibe zu verderben, das wird Gott nicht dulden; wenn’s aber der Teufel nicht ist, so ist’s Gott, ohne dessen Zulassung selbst der Teufel nichts vermag! So hat also der Schöpfer dich so verderbt – und du kannst nichts dafür! ER hat dir in der Erbsünde eine Strafe aufgelegt, die du nicht verschuldet hast. ER ist an dem Verderben des Menschen schuldig. ER ist demnach ungerecht, weil ER straft, wo keine Schuld ist, – ER ist grausam, daß ER so unerträgliches Leid auflegt denen, welche keiner Strafe schuldig sind! Also Gott, Gott trägt die Schuld der Erbsünde, also Gott ist ungerecht. – Wenn dir aber das zu sagen frevelhaft erscheint, so wirst du nicht anders sagen können, als Gott beistimmen, welcher alle Menschen, wie sie von Natur sind, Kinder des Zornes und Fluches nennt; es muß am Ende doch so sein, daß dir dein lüsternes, dein von Gott abgewendetes, fleischernes Herz zur Sünde angerechnet wird, du mußt am Ende doch selbst die Schuld davon mit Recht tragen und nur aus Mangel an Einsicht nicht wissen, wie es damit zuging. Es wird, wenn nicht die Schuld auf Gott fallen soll, schon nichts übrig bleiben, als die Schuld da| ruhen zu lassen, wo Gott sie hingelegt, und das angeerbte Verderben eine Sünde zu nennen. Und so ist’s ja auch nach dem eigenen Gewissen des Menschen. Das Gewissen schreit ja wider unsere Blindheit, unsere Irrtümer, wider unsern Kampf gegen Gottes Wort, wider den Schutz, den wir dem Bösen angedeihen lassen, schreit ja wider unsere Freude am Bösen, an verbotener Lust, an eitler Weisheit, – es läßt uns ja keine Ruhe, solange wir nach eigener Weisheit und eigenem Willen wandeln; es züchtigt uns und schlägt uns bei jeder Aufwallung des Bösen – und giebt Zeugnis dem göttlichen Worte, daß wir strafwert und schuldig sind um des angeerbten Verderbens willen! Gott und unser Gewissen zeugen von unserm Verderben, was wollen wir machen – wir müssen uns darein ergeben, Sünder von der Empfängnis an und strafwürdig von Kindesbeinen an zu sein.




 O meine Teuren, wenn nun diese Lehre wahr ist, wie sie denn wahr ist, in welch beweinenswertem Zustande befindet sich dann das menschliche Geschlecht! Und wie gefährlich ist er, dieser Zustand, von welchem der HErr selbst sagt, daß er uns ins Verderben unserer Seele für ewige Zeiten stürzen würde, wenn nicht irgendwie eine völlige Umgestaltung, eine ganz neue Geburt möglich gemacht wird (Joh. 3, 5. 6).

 O lasset uns nun ferner nicht so vornehm über die Erbsünde hinwegsehen, sie ist ja ein Sumpf, aus dem wir damit nicht gezogen sind, daß wir über ihn wegsehen! O wollen wir in Zukunft keinen Spott mehr über sie ergehen lassen, wir spotten ja nur über unser Unglück, und werden durch unsern Spott um kein Haar glücklicher, sondern unsere Verdammnis wird nur desto größer! Wenn ein zum Tode Kranker über seine Todeskrankheit spotten wollte, das wäre Lästerung, wenn er es nicht im gewissen Bewußtsein einer höheren Genesung thäte!

 Nicht spotten, Brüder, Schwestern, wollen wir über die Erbsünde ferner, sondern lieber von ihren Fesseln frei zu werden trachten. Es giebt, Gott sei ewig Dank! eine Befreiung von derselben, aber nur eine und sonst keine. Der| Schöpfer, der Vater im Himmel, hat nicht umsonst das sündenbeladene, verderbte Geschlecht erhalten, ER hat es zu einer Errettung von Fluch und Zorn aufbehalten. Der Sohn hat sich nicht umsonst mit unserm Fleische vereinigt; ER that es aber, um die Sünde im Fleische zu erwürgen – ER, der von Sünden abgesonderte, unschuldige Hohepriester, der Gott und Mensch ist, reinigt uns durch Sein Blut von unserm Aussatz! Der heilige Geist hat keine höhere Freude auf Erden, als Menschen mit Erlaß der Erbsünde und mit Glauben an Christum auszustatten, worin der Anfang eines neuen Lebens, einer Erneuerung zum verlorenen Ebenbilde Gottes besteht. Es ist wahr, die Erbsünde hat all unser Vermögen, dazu unsere Blutstropfen durchdrungen, wie Gift alle Tropfen eines Glases Wasser durchdringt, in welches es geworfen wird. Aber gleichwie es einem Chemiker oder Scheidekünstler möglich wäre, Gift und Wasser wieder zu scheiden, so ist es unserm Heilande möglich geworden, und ER hat nicht eher geruht, als bis ER es möglich gemacht hat, daß das Gift der Erbsünde aus Leib und Seele Seiner Menschen ausgesondert wurde und so das Bild Gottes wieder hergestellt. ER hat selbst alle Schwachheit der Erbsünde auf sich genommen, selbst allen Fluch der Erbsünde getragen und abgebüßt – und allen Segen Seines Büßens und Leidens in der Taufe niedergelegt. Wer getauft wird und glaubt, oder wer nur glaubt, daß seine lange vergessene Taufe als ein Gotteswerk noch jetzt Macht hat, der hat in seiner Taufe Vergebung der Erbsünde und Christi Fülle empfangen und zugleich das Mittel, die Kraft des heiligen Geistes, sein Herz zu reinigen und erneuert zu werden zum ewigen Leben. O darum, meine Brüder, so wenig der, der seine Erbsünde verlacht und vergißt, der unbußfertig ist, Vergebung der Erbsünde empfängt, so gewiß empfangt ihr durch gläubige Erinnerung und zuversichtliches Halten an eurer Taufe die Vergebung der Sünden und Macht der Erneuerung. Freuet euch, daß ihr getauft seid, ergreifet den Segen eurer Taufe, die Vergebung, die Christus erwarb für alle Sünden, vornehmlich für die Erbsünde, ergreifet den Segen eurer Taufe, die euch verheißene| Kraft des heiligen Geistes, und kämpfet in dieser Kraft gegen die Sünde, die euch noch immer anklebt (Hebr. 12, 1). Die Schuld der Erbsünde ist ohnehin von dem Gläubigen weggenommen – und ihre Reizungen und Lockungen können durch den Kampf des heiligen Geistes überwunden werden! O HErr heiliger Geist, wirke den lebendigen Glauben in uns, daß wir kämpfen! Wirke Geduld des Glaubens, daß wir uns darein ergeben, zu kämpfen wider die Sünde bis in den letzten Augenblick! Wirke Standhaftigkeit im Kampfe und am Ende den Sieg, damit wir vom Leibe dieses Todes, von der Erbsünde, durch den Tod befreit werden und im Tode ein ewiges Leben, ein völlig reines Herz und das Anschauen unseres Gottes finden! Amen, Amen. Um JEsu Christi willen! Amen.




« Am 1. Sonntag nach Epiphanias 1835 Wilhelm Löhe
Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres
Am 3. Sonntag nach Epiphanias 1835 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).