Predigt zur Eröffnung der Generalsynode am 16. September 1913
In Christo Geliebte! Die 16. vereinigte Generalsynode unserer Landeskirche, die 23. in ihrer Geschichte hat begonnen. Im Namen der hier versammelten Väter und Brüder grüßt der Prediger die evangelische Gemeinde Bayreuth, in deren Gotteshaus wir Stärkung und Segen empfangen, in deren Mauern wir freundliche Aufnahme finden, mit dem alten Kirchengruße: Der Herr sei mit euch! – und erbittet für die Synode als Gegengruß den fürbittenden Wunsch: Und mit Deinem, mit Eurem Geist! Denke an unsere Arbeit, teure Gemeinde, wenn Du im täglichen Vater Unser zur zweiten Bitte kommst und stärke uns mit Deinem Gebete Mut und Freudigkeit. Du sollst, wills Gott, auch von uns Segen empfangen.
Man mag an Generalsynoden viel auszusetzen haben, sie seien nicht das treue Abbild des Kirchenlebens, darum nicht der wahre Ausdruck der kirchlichen Stimmung, es sei die Vertretung von Stadt und Land nicht richtig verteilt, die Landeshauptstadt bedeute in ihr nicht mehr wie das kleinste Landdekanat, es sei das Arbeitsprogramm zu fest umschrieben, die Ordnung zu starr geformt. – Aber das wird man diesen kirchlichen Versammlungen nachrühmen dürfen, daß sie ernste Arbeit getan haben und von der jetzigen Generalsynode erwarten können, daß sie, der Verantwortung vor Gott und Menschen eingedenk, redlich sich bemühen will.
Eine Arbeitsgemeinschaft wollen wir sein, in der einer den andern aneifert und zum tüchtigen Werke reizt, in der jede Gabe zur Geltung gelangen mag und jeder treue Wille begrüßt wird. Aus der Ferne wie aus der Nähe zusammengekommen, verschiedenen Berufskreisen entstammend, haben wir als Männer, als Freunde und Diener der Kirche einander und ihr das Beste versprochen, in ihr und für sie zu arbeiten, aus Dank und Liebe zu ihr. –
Kein weltgeschichtlich bedeutsames Ereignis – so hören wir über die Generalsynode reden. Nein, wahrlich nicht, aber in die Geschichte des Gottesreichs wird sie mit ihrer Arbeit| und ihren Versäumnissen eingereiht. „Darum auch wir“ hebt unser Text an. Gottes Wort und Geheiß reiht Geschlecht an Geschlecht, heißt das eine gehen, ein anderes kommen, gibt jeder Arbeitsstunde ihr Gepräge und der einzelnen Kirchenzeit ihre Bedeutung. Die eine soll Friedenswerke pflegen, die andere das Schwert bereiten und führen, die unsere behüten, bewahren, aber auch Neues aufnehmen und beginnen. Wehe der Kirchenzeit, die sich ihrer Aufgabe entzöge, sie würde von der Ewigkeit verklagt und verurteilt werden, – was hinderte sie das Land? – wohl aber jeder, die Gabe und Recht erkennt und braucht. Darum auch wir, teure Väter und Brüder, stellen uns der Gemeinde Jesu Christi mit dem schlichten und mannhaften Verspruch dar: 1. in treuer Wahrung der Geschichte,
2. in ernster Heiligung unseres Wesens,
3. in freudiger Hoffnung auf endlichen Sieg.
Mein Jesus rufet mich und heißt mich mit Ihm ziehen, |
Christen sind moderne Menschen, sollen sie darum nach dem jeweiligen Urteil sich richten, der Tagesmeinung, die heute verkennt, was sie gestern ehrte, sich anpassen, sollen sie von jedem Luftzug das Licht sich auslöschen lassen? Man bietet ihnen Surrogate an, dürfen sie ihr klares Salz drangeben? Die Stadt wird veraltet gescholten, soll der Bau von Grund auf geändert werden? – So gewiß jedes Urteil am Wege vernommen und erwogen sein will, so gewiß darf nicht jedes bestimmen. Geprüft wird alles, nur das Gute behalten. Das Gute aber ist das im Feuer bewährte, in der Gluthitze geläuterte und aus ihr gerettete Urteil.
Von der Gegenwart und ihrem wandelbaren Urteile weg, von der buntfarbigen Kritik der Tagesmeinung kehren wir in die von der Ewigkeit durchleuchteten Hallen der Geschichte ein, schauen wir auf die Wolke der Zeugen, die auf uns niederblickt, obwohl wir sie nicht sehen. Vor den Augen des apostolischen Mannes, dem wir den Hebräerbrief verdanken, hebt sich die selige Vergangenheit empor, die in die Gegenwärtigkeit der Arbeit hereinwirkt, die edle Schar all der Glaubensleute, die Gehorsam geübt, Verzicht geleistet, Schmach ertragen, Opfer gebracht haben, die in der Wüste ihr Vaterland und ihre Heimat in der Fremde fanden, unter dem Schwerte des Tyrannen verbluteten und ein in Spott und Verachtung viel angefochtenes Leben willig bestanden. Es sind wenig erlauchte Namen, nicht Weltweise, nicht viel Edle und Gewaltige, Ungenannte, wenig Genannte, aber in so hoher Ehre, daß ihrer die Welt nicht wert war, denn ihre Namen sind im Himmel angeschrieben. Nicht was sie taten, machte sie so groß, sondern was sie an sich tun ließen, ihre Leidentlichkeit war ihre Großtat. Und diese Leidentlichkeit heißt Glauben, diese Willensrichtung auf das Unfaßbare, dieser Abt des Gehorsams gegen das Wort ihres Gottes. – Der Glaube war ihr grünender Stab, ihre Wehr und Waffe, ihre einzige, aber ganze Kraft. Darum sind sie jetzt in die lichte Welt des Schauens und in den Reichtum des Vollbesitzes versetzt und umlagern uns wahrhaftig um unser Urteil zu heiligen und wehrhaftig, um uns im Kampfe zu stärken, wie es der 21. Artikel unseres Augsburgischen Bekenntnisses meint. In dieser Morgenstunde gedenken auch wir – „die Zeit würde zu kurz sein“ – in ernster Dankbarkeit der treuen Bekenner, die uns die Herrlichkeit des Glaubens vorgelebt haben. Unter grünen Ranken haben sie über Luthers Gemach auf der Wartburg das Wort gemalt: „Der Glaube| ist ein neuer Sinn, weit über die fünf Sinne hin.“ Und wir hören sein sieghaftes Wort: „Der Glaube macht lustig und trotzig gegen alle Kreatur.“ Königlich frei weiß er: „Der Herr Jesus ist mein Bischof, Herr, Vater, Meister, sonst weiß ich keinen mehr, also daß ich niemandem unterworfen bin als Ihm“, – nicht der Mann der Glaubenssätze, sondern der getreue, freudige Haushalter der Glaubensschätze. Wie hat er in Kraft des Glaubens das Ruh’n und Tun in gleichem Grade geehrt: „Streitet Gott nicht für uns, so wird unser Wachen vergeblich sein, arbeitet Er aber für uns, so wird auch unser Schlafen nicht vergeblich sein“. In der Reichsunmittelbarkeit des Gebetes hat er fürwahr Gerechtigkeit gewirkt, Verheißungen erlangt, ist kräftig geworden aus der Schwachheit und stark geworden im Streit. Christus und Glaube gehören ihm zusammen: wer aber am meisten glaubt, wird am meisten nützen und schützen. Vor den mächtigen Anstalten der Liebe in Halle steht August Hermann Franckes Denkmal: „Er hat Gott vertraut“ – hier das Geheimnis seiner Kraft und ihrer Erfolge. In ihrem Geiste haben an hiesigem Orte und in dieser Gegend vor bald zweihundert Jahren Flessa und Silchmüller Großes für Kirche und Schule geleistet. – Welche Frühlingstage aber gingen vor 50 Jahren über die Umgegend von Bayreuth auf, als Vikar Kettner in kurzer, aber unvergessener Wirksamkeit hier stand, ein Prediger des frohen, freien Glaubens. Vor sechzig Jahren hat der sel. Harleß, bei gleichem Anlaß wie es der heutige ist, auf dieser Kanzel das Wort vom Glauben als Sieg verkündet und in solcher Kraft die schweren Angriffe und bitteren Leiden überwunden, die sein Amt ihm brachte. Vor neunzig Jahren hat hier die erste Generalsynode getagt – welch edle heilige Geschichte hat Gott unserer teuren Landeskirche seit diesen Tagen geschenkt! Bekenner, Lehrer, große Denker und schlichte Arbeiter, Namen jetzt noch von reinem Glanze und längst verglänzte – alle eins in der ökumenischen Weitschaft des Glaubens, jetzt der Wolke der Zeugen zugesellt, denen ihr Heiland Mittelpunkt des Lebens war. – Geliebte, wenn ein Volk seiner Väter, eine Kirche ihrer Geschichte und der sie tragenden Kräfte vergißt, dann fallen sie dahin: Luther hat nicht umsonst die oblivio, den Undank als Todschaden bezeichnet.Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir sind wie wegelose Leute, aber das ist Gottes Ehre, in Seiner Weisheit einen Weg zu kennen. Teure Väter und Brüder, Ihr kennt ja mit uns, ihr teilt mit uns die Eliasfrage und -klage: „Es ist genug, Herr, so nimm denn meine Seele“. Aber ihr wißt auch den Bescheid des Herrn: „Stehe auf, du hast einen großen Weg vor dir“. Dieser Weg muß und will beschritten werden, so lange Gott steht, dieser Ruf muß und darf befolgt werden, weil der treu ist, der ruft. – „Nur kein gottloses Stillschweigen!“ warnt Luther vor dem lauen Optimismus. Aber – „Seid getrost, Ich habe die Welt überwunden. Dies Wörtlein mußt Du groß schreiben. Und ist’s nur Ein Wörtlein, hat nicht aus einem Stäublein Gott die Welt gemacht?“ So predigt er den heilwertigen Optimismus, denn man kann auch im Trauergewand Gott verleugnen und tatenlos die heilsame Pflicht versäumen. Wir wollen mit der Verzagtheit brechen, die müden Kniee aufrichten, die lässigen Hände stärken und ans Werk gehen, in den Kampf schreiten, der uns verordnet ist.
Wir haben ihn nicht erwählt, aber Er hat ihn für uns erwählt, den Kampf wider Schein und Traum, wider Unwahrheit der Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Unwahrheit, wider tote Rechtgläubigkeit und falsche Lehre uns verordnet. Weil Er ihn befohlen hat, so wollen wir ihn aufnehmen und wie Er ihn geführt hat, durchstreiten, Laufen durch Geduld. Spener hat einmal an Luther die patientia und die fides heroica gerühmt, die herzliche Geduld und den heldenhaften| Glauben. Diese beiden Stücke tuen not. Denn Geduld ist nicht lässige Schwäche und unmännliche Gelassenheit, sondern mannhafte Tragkraft, der starke tiefe Atem des gläubigen, „Dennoch“, der auf Höhen nicht versagt und durch die Ebene im Sonnenbrand hält. Es ist die Geduld, die das zögernde „Noch nicht“ in Gehorsam und das freundliche: „Siehe, ich komme bald“ in Freudigkeit bewahrt. Sie tut willig Schritt für Schritt die am Tag und für ihn befohlene Arbeit und trägt gerne seine Plage, nimmt jeden Tag „aus allerlei Holz, so am Wege liegt“ das Kreuz auf im Beruf und in allerlei befohlenem Werk. Dabei aber blickt sie sehnlich auf die Vollendungszeit aus und lauscht anbetend, ob sie nicht bald das Rauschen seiner Füße höre. Sie trägt dem armen Weibe gleich scheinbare Absage und Weigerung: Ja, Herr und fährt getrost und kühnlich weiter: Aber doch! Dieses „doch“, die lutherische Partikel, wie der sel. Kahnis meinte, bewahrt vor Mißglauben, Zweiflung und anderer großer Schande und Laster. „Mit unserer Macht ist nichts getan“ so hebt der in Geduld geheiligte Pessimismus beichtend und büßend an. „Es streit’ für uns der rechte Mann“, so jauchzt und triumphiert der selige Optimismus, der in Geduld bewährt ist. Unsere Tage gehen eilends dahin, aber müde soll uns keiner machen. Sich ewige Jugend schwören ist nicht Enthusiastenart, sondern Lauterkeit. Auffahren mit Flügeln wie Adler heißt in Geduld laufen, und solcher Kampf hält jung und macht im Schwersten froh. Noch ist Gnaden-, noch ist Säemannszeit, noch ist Sein heilsames Wort unter uns, die Herzen der Kinder sind ihm noch erschlossen, noch ist die Schule die „Sakristei der Kirche“, noch die Jugend „die selige Provinz des Amtes“. Unser Volk will noch von Gott sich strafen lassen und begehrt seinen Trost. – Die Heiligung hat auch die Verheißung, daß ein kleines Feuer einen Wald anzünde. Wo du, mein Christ, dein eigenes Wesen in heiligem Eifer des Kampfes bestreitest, gegen dich angehst, über dich siegst, da zieht dein Erfolg weitere Kreise, dein Sieg wird zum Halt und Heil für andere. An deinem Leben wächst ein anderes empor, das du verstehen und tragen und fördern kannst.Denn wir träumen nicht von einem Fortschritt in die Unendlichkeit hinein, von einem Strom, der in das weite Meer sich verliert, sondern wir hoffen auf Vollendung als Ziel des Fortschrittes, als Krönung des Glaubens. Jesus, der Anfänger des Glaubens muß, wenn Gott die Wahrheit ist, das gesamte Glaubensleben und seine Wahrheit zur Höhe des Besitzes der Wirklichkeit führen, den Glauben, diese Überzeugtheit von Ungeschautem durch das Schauen seiner Richtigkeit überführen, denn der Anker (Hebr. 6, 19. 20.) des Glaubens geht nicht in die Leere der Vorstellung, sondern sinkt in den Felsgrund der Tatsachen. Diese sind geschehen, um täglich zu geschehen und endlich gesehen zu werden. Der Herzog der Seligkeit, durch Leiden vollkommen gemacht, (Hebr. 2, 10) hat verheißen, uns alle nach sich zu ziehen. Wie er den Erben das Erbe verhieß, so soll das Erbe nicht ohne Erben bleiben. Über Zeit und Raum, durch Streit und Not führt der Herzog seine Scharen dem vollkommenen Siege zu: aller Glaubensernst fordert, verbürgt, empfängt die Freude des Schauens.
Im Lichte dieser Gewißheit, die im Wort der Wahrheit versichert, im Wesen des Christentums begründet ist, geht die Kirche Jesu Christi ihren Leidensweg durch die Zeiten. Was sichtbar ist, das ist zeitlich und fällt mit der Zeit dahin, darum ist auch ihre Trübsal leicht, sie währt nur einen Augenblick. Aber was unsichtbar ist, das ist ewig und über die Maßen herrlich. Inmitten der Angst und der Schuld sieht sie den Herrn, dem sie dient, zu sich treten: Weine nicht, siehe ich habe überwunden, der Löwe aus Juda. Und nach dem heiligen Naturgesetze Seines Reiches, das ihn in ihr Leid hinabzog, weiß sie sich in seine Herrlichkeit hinaufgezogen. –
Was ist das Ende des Glaubens? Die Anschauung von Angesicht zu Angesicht. – Was ist die Krönung des Glaubenslebens?| Der Sieg der Wahrheit, des Wahrhaftigen, zu dem alles Wahre hingehört. Mit übermächtigem Heimweh, das nicht den Mann zum Kinde, wohl aber das Kind zum Manne macht, schauen wir in dieser Feierstunde unseren Vätern nach, die, hier im Frieden abgefahren, sich auch dort im Frieden freuen. Wir gönnen ihnen die Ruhe der Heiligen, sie haben den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und den Glauben gehalten. Ihrer würdig zu werden und zu bleiben versprechen wir. Und über sie hinaus blicken wir vertrauensvoll auf den durch Leiden vollendeten Vollender. Du wirst nicht betrügen, die auf dich trauen, noch die verlassen, an die du so viel gewendet hast. „Eine weitaufgesperrte Türe ins Paradies“ nennt Luther die teure Rechtfertigung aus Glauben. Welche er gerecht gemacht hat, die will er auch herrlich machen.Gemeinde Jesu Christi! Wie klein und unansehnlich wird aller Kampf angesichts der Freude, die er gebiert, wie groß und hehr wiederum wird aller Streit, wenn er solche Freuden bringen kann. – Sage selbst, ob das Dogmen, Lehrsätze, veraltete Katechismusstücke oder ob es nicht vielmehr Lebenskräfte sind, würdig, täglich gepredigt, vielmehr täglich erlebt zu werden?
September 1823, September 1923: wie wird dieses Säkularfest einst gefeiert werden? Mit Schmückung der Prophetengräber und Verleugnung des Prophetengeistes? Mit viel schönen Reden und goldenen Feiern und innerem Zerfall? – Wir befehlen euch und uns der behütenden und bewahrenden, der rettenden und durchrettenden Gnade, die ich in dieser Morgenstunde aus tiefster Seele dankend preisen wollte.
Eine persönliche Erinnerung sei mir am Ende vergönnt, Vor sechsundzwanzig Jahren (am 9. Dezember 1887) habe ich in dieser Kirche die Ordination empfangen. Die teuren Männer, die mir fürbittend und segnend die Hände auflegten, sind daheim, Schick, Caselmann, Wucherer, Leonhard Stählin – ich segne dankbar ihr Andenken, und viele tun es mit mir. Ein Zeuge jener Stunde lebt und wirkt noch an dieser Gemeinde: Gott schenke ihm viel Frieden! – Oft hat die Erinnerung an jene Weihestunde mich gestraft, aber viel öfter hat sie mich aufgerichtet: Sei getrost, dein Meister ist da, der ruft dich, daß er dir helfe.
Ihm und dem Bekenntnis meiner Kirche, die Ihn am innigsten ehrt und am herrlichsten lehrt, will ich die Treue halten und will nie vergessen, was es um Seine Treue ist, die kämpfen heißt und lehrt und – lohnt. – Amen.