Präsidentenwahlen in der Union

Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Doehn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Präsidentenwahlen in der Union
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 484–488
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[484]
Präsidentenwahlen in der Union.
Streiflichter zum Verständniß des gegenwärtigen Wahlkampfes.


Es war eine verhängnißvolle Gabe, welche mit dem Institute der Negersclaverei den Vereinigten Staaten gleich bei ihrer nationalen Gründung in die Wiege gelegt wurde. Wohl fehlte es an eindringlich warnenden Stimmen nicht, wohl wiesen die Edelsten und Besten unter den Gründern der großen transatlantischen Republik mit beredten Worten auf das Unheil hin, das aus der gesetzlich sanctionirten Sclaverei entstehen müsse – die Freiheit wurde der Einheit zum Opfer gebracht, und in wenigen Jahrzehnten hatte jenes fluchwürdige Institut eine Ausdehnung und Machtstellung gewonnen, welche nicht nur die Freiheit, sondern auch die Einheit der nordamerikanischen Union zu Grunde zu richten drohten. Den heftigsten parlamentarischen Kämpfen in den Hallen des Congresses über die Ausdehnung oder Localisirung der Negersclaverei folgte im Jahre 1861 jener erbitterte Bürgerkrieg zwischen dem sclavenhaltenden Süden und dem freien Norden, der länger als vier Jahre hindurch die Union in ihren Grundfesten erschütterte, um schließlich nach unsäglichen Opfern an Gut und Blut den sittlichen Flecken der Leibeigenschaft aus der Bundesconstitution der Vereinigten Staaten zu tilgen. Allein die böse Saat der Sclaverei hatte zu tiefe Wurzeln geschlagen, als daß die schlimmen Folgen derselben durch das Schwert allein geheilt werden konnten. Der unterworfene und „reconstruirte“ Süden fügte sich nur unwillig den militärischen Gewaltmaßregeln des Nordens. Vielleicht wäre der versöhnliche und staatskluge Abraham Lincoln, dem eines ruchlosen Mörders Hand im entscheidungsvollen Momente das Leben raubte, im Stande gewesen, durch seinen persönlichen Einfluß die feindlichen Gegensätze allmählich auszugleichen; einem Andrew Johnson war dies nicht gegeben. Noch weniger gelang es dem Präsidenten U. S. Grant, der wohl eine Schlacht zu schlagen, aber kein leidenschaftlich erregtes Volk zu regieren verstand.

Obschon ursprünglich der demokratischen Partei, wie Andrew Johnson, angehörig, warf er sich als Präsident doch vollständig dem radicalen Flügel der republikanischen Partei in die Arme. In der Finanzfrage, die seit dem Bürgerkriege eine Hauptrolle in der innern Politik der Vereinigten Staaten spielt, trat er mit der überwiegenden Mehrheit der republikanischen Partei für eine ehrliche Abzahlung der Nationalschuld und für möglichst baldige [486] Wiederaufnahme der „Hartgeldzahlung“ ein, während die Demokraten in ihrer Mehrzahl und im Widerspruche zu der früher von ihnen befolgten Politik für die Vermehrung des uneinlösbaren Papiergeldes und für Zahlung der Nationalschuld und deren Zinsen in minderwerthigem Papiergelde stimmten. Nur ist es leider zu jener versprochenen Hartgeldzahlung unter ihm nie gekommen. Den Südstaaten gegenüber unterstützte er auf das Eifrigste die von den radicalen Republikanern empfohlenen, vielfach parteiischen und daher ungerechten „Reconstructionsgesetze“. Die unausbleiblichen Folgen seiner einseitigen Parteipolitik waren Conflicte ohne Ende, Mißregierung und steigende Verarmung des Südens der Union.

Am 30. März 1870 wurde jenes fünfzehnte Verfassungsamendement proclamirt, durch welches etwa vier Millionen Neger das volle politische Stimmrecht erhielten, ein Recht, zu dessen verständiger Anwendung die bis vor Kurzem in Unwissenheit und Knechtschaft versunkenen Schwarzen noch keineswegs befähigt waren. In Wahrheit sollte durch diese Maßregel auch nur der in ihrer großen Mehrheit der demokratischen Partei angehörenden weißen Bevölkerung der Südstaaten ein Paroli gebogen werden. Dazu kam, daß um diese Zeit nördliche Abenteurer, die sogenannten „Carpetbagger“, welche ihr ganzes Vermögen im Reisesacke mit sich trugen, in hellen Schaaren nach dem Süden zogen und mit Hülfe der unwissenden Neger zu Macht und Ansehen gelangten. Zu den Rückschlägen, welche eine solche Gesetzgebung und eine solche Art zu regieren nothwendiger Weise zur Folge haben mußten, gehört das Entstehen des gegen die Farbigen und jene nördlichen Aufwiegler gerichteten „Kuklux-Clan“, eines südstaatlichen Geheimbundes, der schließlich nur durch Anwendung der schärfsten Gewaltmaßregeln, welche seinem eigenen gewaltthätigen Auftreten übrigens vollkommen entsprachen, zu unterdrücken war. Derartige Ausbrüche des Rassenhasses konnten nicht wohl vermindert werden durch den parteiischen Schutz, welchen die Grant-Regierung den Negern und ihren demagogischen Leitern, den „Carpetbaggern“, angedeihen ließ.

Verschlimmert aber wurde die Lage der Dinge durch eine immer tiefer greifende Corruption in der staatlichen und communalen Verwaltung. Der Handel mit Staatsämtern und die Unterschlagung öffentlicher Gelder wurden nie so schamlos betrieben, wie unter Grant’s Regierung. In Grant’s nächster Umgebung, unter den Ministern und den persönlichen Rathgebern und Freunden des Präsidenten befanden sich die bestechlichsten und betrügerischesten Menschen. Die ehrlichen Leute schienen politisch mundtodt gemacht zu sein. Vergeblich bemühte sich die namentlich durch Karl Schurz in’s Leben gerufene Partei der „liberalen Republikaner“, die Wiedererwählung Grant’s im Jahre 1872 zu verhindern, eine Reform im Aemterwesen durchzusetzen und das jede locale Selbstregierung unmöglich machende Militärregiment im Süden aufzuheben.

Endlich trat der langerwartete Rückschlag ein. Eine Reihe öffentlicher Skandale trug wesentlich dazu bei, das Ansehen der Regierung in Washington-City und der herrschenden, das heißt der radicalen republikanischen Partei in der öffentlichen Meinung zu untergraben. Unter solchen Umständen kam die Präsidentenwahl des Jahres 1876 heran, und in diesem Jahre, in welchem die Republik der Vereinigten Staaten der Feier ihrer hundertjährigen Existenz durch Abhaltung einer internationalen Weltausstellung einen besonderen Glanz zu verleihen bestrebt war, versuchten die obengenannten „liberalen Republikaner“ oder „Unabhängigen“ abermals – diesmal mit mehr Glück, als vier Jahre zuvor, Einfluß auf die Präsidentwahl zu gewinnen.

Am 15. Mai (1876) trat zu New-York eine Conferenz der „Unabhängigen“ zusammen. Die Versammlung war zahlreich besucht, obschon nur achtzehn Unionsstaaten, darunter sehr wenige Südstaaten, Vertreter dorthin entsandt hatten. Im Namen eines von der Conferenz niedergesetzten Fünfer-Ausschusses trug Karl Schurz, der nebst dem hochgefeierten Dichter William Cullen Bryant zu den Hauptführern der unabhängigen Bewegung zählte, am folgenden Tage ein zum größten Theile aus seiner Feder stammendes „Manifest an das Volk der Vereinigten Staaten“ vor. Nach einem eindringlichen Vergleich der großartigen Vergangenheit der Union mit dem beklagenswerthen Zustande derselben in der Gegenwart ging der Aufruf zur Discussion der wesentlichsten Fragen über, welche bei der bevorstehenden Präsidentenwahl ihre Lösung finden müßten. Zunächst wurde eine versöhnliche Haltung den Südstaaten gegenüber, bei voller Wahrung der nationalen und freiheitlichen Errungenschaften des Bürgerkrieges, befürwortet, dann aber eine weise und ehrliche Lösung der Finanzfrage empfohlen.

Das System des uneinlösbaren Papiergeldes oder die sogenannte „Inflationstheorie“ wurde als eine der Hauptursachen nicht nur der schlechten Geschäftszustände in der Union, sondern auch der immer mehr um sich greifenden sittlichen Verkommenheit entschieden verurtheilt. Eine gründliche Reform des Civildienstes wurde verlangt und das corrumpirende System der Aemtervertheilung für geleistete Parteidienste offen als der Weg zum Untergange der Republik bezeichnet.

Dieser von den „Unabhängigen“ erhobene Ruf nach Reformen blieb in den nun folgenden „Nationalconventionen“ der beiden großen Parteien, der Republikaner und der Demokraten, nicht unbeachtet. Beide nahmen in ihren „Platformen“ oder politischen Glaubensbekenntnissen darauf Rücksicht.

Präsident Grant, der durch die massenhaften Schwindeleien seiner Anhänger selbst zu sehr compromittirt war, verzichtete auf eine dritte Candidatur für das Präsidentenamt, zu der er, wie die Folge gezeigt hat, sonst wohl geneigt gewesen wäre. Der Wahlkampf war ein äußerst harter, und nur mit einer Stimme (185 gegen 184) siegte der Republikaner Hayes, bis dahin Gouverneur von Ohio, über den Demokraten Tilden. Bekanntlich wurde die Wahl im Congresse von den Demokraten angegriffen, und erst nach langen und heftigen Debatten einigten sich beide Parteien dahin, die verhängnißvolle Streitfrage durch eine aus Senatoren, Repräsentanten und Mitgliedern des obersten Gerichtshofes der Union zusammengesetzte Fünfzehner-Commission entscheiden zu lassen. Der betreffende Schiedsspruch lautete zu Gunsten von Hayes, der denn auch im März 1877 das Präsidentenamt antrat.

In seiner „Inaugural-Adresse“, der Rede, mit welcher Hayes feierlich das Präsidentenamt antrat, nahm er die Reform auf sich. Versöhnung und Ausgleichung der zwischen dem Norden und Süden bestehenden Gegensätze; Beseitigung der Mißregierung politischer Abenteurer sowie der corrumpirenden Einwirkung der Militärherrschaft und Sicherung einer weisen, ehrlichen und friedlichen Selbstverwaltung in localen Angelegenheiten für alle Theile der Union; möglichst baldige Wiederaufnahme der Baar- oder Hartgeldzahlung – das war Hayes’ Programm. Und mit diesen trefflichen Grundsätzen standen auch die Amtshandlungen des Präsidenten in vollem Einklange. Er berief in sein Ministerium sechs gemäßigte Republikaner, Vertreter der die Reform fordernden Gruppe der republikanischen Partei – unter Anderem Karl Schurz als Minister des Innern – sowie einen Demokraten, den General-Postmeister David M. Key aus Tennessee. Im schneidenden Gegensatze zu Grant nahm er bei der Vertheilung von öffentlichen Aemtern in keinerlei Weise auf seine Verwandten und intimen Freunde Rücksicht; er sah weniger auf geleistete Parteidienste, als auf Fähigkeit und Charakterreinheit. Die arg verwickelten Verhältnisse in Süd-Carolina und Louisiana führte er schnell einer friedlichen Lösung dadurch entgegen, daß er das Bundesmilitär aus jenen Staaten zurückzog und die republikanischen Gouverneure Chamberlain und Packard bewog, ihren demokratischen Gegnern Hampton und Nicholls Platz zu machen. Das bedeutendste Ereigniß der Hayes-Administration ist die am 1. Januar 1879, trotz der Opposition der Demokraten, vorgenommene Wiederaufnahme der Hartgeldzahlung, welche für den Aufschwung des Handels, der Industrie und des Geschäftslebens überhaupt, sowie für den Nationalcredit der Vereinigten Staaten von den segensreichsten Folgen begleitet war.

Allein die wahrhaft patriotische Regierungspolitik dieses Präsidenten fand weder bei dem radicalen Flügel der Republikaner, noch bei der Masse der Demokraten Anklang und Unterstützung. Die Freunde des alten Grant-Regiments, die Meister in der sogenannten „Maschinenpolitik“ waren und sich weniger um das Gemeinwohl, als um ihre Sonderinteressen kümmerten, wandten sich kühl von der Hayes’schen Reformpolitik ab oder traten derselben auch wohl direct entgegen. Die demokratische Partei aber, welche, Dank der corrupten Grant-Regierung, im Laufe der Zeit in beiden Congreßhäusern, im Senat und im Repräsentantenhause, die Majorität erlangt hatte, lohnte die Versöhnungspolitik des Präsidenten Hayes mit dem schnödesten Undank. Nicht zufrieden damit, daß sie der ehrlichen und durch das Gesetz vorgeschriebenen Finanzpolitik des Präsidenten die heftigste Opposition machten und sich dabei mit der inzwischen aufgetauchten, communistischen Ansichten [487] huldigenden „Papiergeld-Arbeiterpartei“ verbanden, waren die Demokraten eifrig bestrebt, diejenigen Gesetze unwirksam zu machen, welche bestimmt waren, bei nationalen Wahlen, das heißt bei Präsidenten- und Congreßwahlen, die Reinheit der Stimm-Urne zu schützen und Gewaltthätigkeiten und Betrügereien bei der Stimmabgabe zu verhindern.

Innerhalb wie außerhalb des Congresses regte sich wieder der alte unionsfeindlichc Rebellengeist, und wie unter Grant nördliche Abenteurer in den Südstaaten das freie Stimmrecht mit Füßen getreten hatten, so machten jetzt die südlichen Demokraten, die früheren Sclavenhalter, mit den wildesten Drohungen, mit List und Gewalt jenes Recht illusorisch. Unionsbeamte, welche das Gesetz aufrecht erhalten wollten, wurden in das Gefängniß geworfen. Die entrechteten Neger verließen den Süden und zogen zu Hunderttausenden im Anfang des Jahres 1879 nach dem Norden und Nordwesten der Union. In den Gesetzgebungen verschiedener Südstaaten, z. B. in Virginien und Alabama, wurden Beschlüsse gefaßt, welche das dreizehnte, vierzehnte und fünfzehnte Verfassungs-Amendement, wodurch die Farbigen gleiche politische Rechte mit den Weißen erhalten hatten, für „null und nichtig“ erklärten. Die Organe der südlichen Demokraten wagten es, mit einer „neuen Rebellion“ zu drohen, und in den Hallen des Congresses selbst hielten am 4. März 1879 südliche Bundessenatoren bei Berathung der berüchtigten, nur auf politischen Stimmenfang abzielenden „Pensionsbill“ die wärmsten Lobreden auf den Erzrebellen Jefferson Davis, den Ex-Präsidenten der südlichen Conföderation, und verglichen ihn mit den größten Helden des alten Griechenlands und Roms. Senator Hoar aus Massachusetts protestirte gegen die Ungeheuerlichkeit, daß Jefferson Davis, der Todfeind der Union, weil er einmal im mexikanischen Kriege die Uniform der Union getragen, aus dem Bundesschatze eine Pension beziehen sollte, aber er rief damit nur unter den demokratischen Senatsmitgliedern die wüthendsten Zornausbrüche hervor. Da erhob sich, es war bereits 3 Uhr Morgens geworden, der leider nunmehr verstorbene Zacharias Chandler, Senator aus Michigan, von seinem Sitze und sprach unter Anderem folgende Worte:

„Es sind jetzt ungefähr zwanzig Jahre her, als ich mit Herrn Jefferson Davis in dieser Kammer aufstand und mit ihm beim allmächtigen Gott schwor, die Verfassung der Vereinigten Staaten aufrecht zu erhalten. Vier Jahre hindurch saß ich mit Jefferson Davis in dieser Körperschaft und sah, wie Tag für Tag Anstalten gemacht wurden, diese Regierung niederzubrechen. Mit Verrath im Herzen und Meineid auf den Lippen leistete er den Schwur, die Regierung zu stützen, deren Sturz er beabsichtigte. Herr Präsident, es war Methode in diesem Wahnsinn. Im Bunde mit anderen Männern des Südens und mit Ministern des Präsidenten James Buchanan wurden die sorgsamsten Vorkehrungen von ihm für das, was folgen sollte, getroffen. Der Schatz der Union wurde geleert, das Bundesheer über das ganze weite Land hin zerstreut, sodaß es in der Noth keine Hülfe leisten konnte. Unsere Kriegsschiffe wurden in entfernte Meere gesandt, wo immer die Winde sie hinwehten und die Wogen sie trugen, sodaß sie zum Niederwerfen der Rebellion nicht benutzt werden konnten. Herr Präsident, im letzten Februar waren es achtzehn Jahre, da saß ich in diesen Hallen und hörte, wie Jefferson Davis seine Abschiedsrede hielt, uns über die Pflichten belehrte, die wir nach der Verfassung dieser Regierung schuldig wären, uns dann verließ und die Rebellion gegen die Regierung begann, der zu dienen er geschworen. Ich blieb hier während der ganzen Dauer des Rebellionskrieges. Ich sah unsere braven Soldaten bei Tausenden, fast möchte ich sagen bei Millionen, auf den Schauplatz des Krieges ziehen. Ich sah ihre gelichteten Reihen wiederkehren. Ich sah Dampfboot nach Dampfboot, einen Eisenbahnzug nach dem andern die Verwundeten heimbringen. Ich besuchte meinen Freund, den General Burnside, der jetzt Senator ist, als er die Potomac-Armee commandirte, und ich sah Schmerzensscenen, die das Herz erzittern machen. Ich sah Wittwen und Waisen, die jener ruchlose Krieg geschaffen. Zu jener Zeit dachte ich nicht, daß die Zeit kommen würde, wo ich es erleben sollte, im Senate der Vereinigten Staaten Jefferson Davis bei seinen Lebzeiten lobpreisen zu hören, den noch lebenden Rebellen hier in diesen Hallen des Senates der Vereinigten Staaten. Wahrlich, Herr Präsident, ich bin darüber fast betäubt, aber ich kann den Herren aus dem Süden hier sagen, daß sie den Geist des Nordens der Union wenig kennen, wenn sie hierher kommen mit hochtönenden Redensarten auf den Lippen und Lob häufen auf Denjenigen, welchen jeder Mann und jede Frau und jedes Kind im Norden für einen doppelten und dreifachen Verräther erklärt.“

Kein Senator wagte es, Chandler’s Rede zu unterbrechen. Niemand fühlte sich beleidigt. Die Worte des republikanischen Senators enthielten eine niederschmetternde Wahrheit – aber das von den Demokraten beantragte Pensionsgesetz wurde doch angenommen, wenn auch die auf Creirung neuen Papiergeldes abzielenden Vorschläge des demokratischen Senators Voorhees aus Indiana keinen Anklang fanden.

Das hier kurz geschilderte unionsfeindliche Auftreten der Demokraten rief jedoch in der Stimmung des amerikanischen Volkes bald wieder einen Umschwung zu Gunsten der republikanischen Partei hervor, nicht minder die ruhige und feste Haltung des Präsidenten Hayes, der in allen Hauptfragen unentwegt das Interesse des ganzen Volkes im Auge behielt und sich weder von den heißblütigen Südländern, noch von den hab- und herrschsüchtigen Grant-Leuten auf Irrwege führen ließ. Die Verfassung aber setzt auch dieser anerkennenswerthen Regierung ein Ziel. Im bevorstehenden November muß vom Volke ein neuer Präsident erwählt sein, und die Zurüstungen für den großen Wahlkampf haben bei sämmtlichen Parteien dieses Mal früher begonnen, als es sonst wohl zu geschehen pflegt.

Den Anfang machten die drei Bundessenatoren Conkling aus New-York, Cameron aus Pennsylvanien und Logan aus Illinois, ein „Grant-Triumvirat“, welches, wohlbewandert in allen Künsten der politischen „Drahtzieherei“, mit verblüffender Dreistigkeit das Project in Angriff nahm – den General U. S. Grant zum dritten Male in das „Weiße Haus“ einziehen zu lassen. Diese Edlen wußten, daß sie im Falle des Gelingens nicht nur selbst eine maßgebende Rolle spielen, sondern auch ihren dienstwilligen Werkzeugen und Helfershelfern einen lohnenden Preis in fetten Bundesämtern würden gewähren können. Schon im Februar eröffneten sie lebhaft ihre Operationen, um drei der einflußreichsten Staaten der Union möglichst zeitig für Grant zu gewinnen; sie hofften, daß es ihnen dann nicht schwer fallen würde, auch in anderen Staaten die Grant-Fahne siegreich zu erheben und so bis zum 2. Juni, der für die allgemeine republikanische Vorwahl angesetzt war, die Majorität für ihre Pläne zusammenzubringen. Allein diese Rechnung war doch eine trügliche. Ihr Spiel in New-York, Pennsylvanien und Illinois gelang, aber nun rührten sich auch die Gutgesinnten. Allen voran war es das deutsche Element in den Vereinigten Staaten, welches sich weigerte, zum dritten Male einen Mann auf den Präsidentenstuhl zu erheben, dessen Regierung in mehr als einer Beziehung dem amerikanischen Namen nicht eben Ehre gebracht hatte. Bald schlossen sich ähnlich denkende Amerikaner an, und so trat am 6. Mai dieses Jahres eine Nationalconvention „unabhängiger Republikaner“ zu St. Louis im Staate Missouri zusammen und erklärte: daß eine dreimalige Präsidentschaft desselben Mannes das ungeschriebene, aber durch Gebrauch geheiligte Gesetz der Union verletze und gegen das republikanische Princip sei, und daß eine dritte Wahl Grant’s mit allen gesetzlichen Mitteln auch deshalb bekämpft werden müsse, weil dadurch die von Hayes so erfolgreich begonnene Reformpolitik gefährdet werde. Diese Beschlüsse fanden in der ganzen Union den lautesten Wiederhall, und gerade die besten Mitglieder der republikanischen Partei traten für die Ansicht ein, daß, was ein George Washington, ein Thomas Jefferson, ein Madison, ein Monroe sich nicht erlaubt haben, einem Grant am allerwenigsten zu erlauben sei.

Als daher am 2. Juni die Nationalconvention der Republikaner zur Wahl ihres Präsidentschafts-Candidaten in Chicago zusammentrat, da zeigte es sich, daß die Grant-Fraction, allen angewandten politischen Künsten zum Trotz, nicht im Stande war, das Feld zu beherrschen. Abgesehen davon, daß nicht Cameron, dem Vorsitzenden des republikanischen Central-Wahlcomités, sondern dem früher genannten Hoar die Leitung der Versammlung übertragen wurde, beschloß die Convention auch, daß nicht nach Staaten abgestimmt werden sollte, sondern daß jeder einzelne Delegat berechtigt sei, sein Votum „nach seiner eigenen freien Meinung abzugeben“. Es war vorauszusehen, daß nunmehr eine ganze Anzahl von pennsylvanischen und neu-yorker Delegirten gegen Grant stimmen würde. Die Grant-Männer ergingen sich in glänzenden, aber leidenschaftlichen Reden. Nur um so sympathischer berührte die [488] Mäßigung auf der andern Seite, namentliche in der Person Garfield’s, der als Obmann der Ohio-Delegation für Sherman einzutreten gekommen war und sich bald als den eigentliche Führer der Anti-Grantleute erwies. Garfield ist eine imponirende Erscheinung, mit einer ausdrucksvollen Kopfbildung und intelligenten Gesichtszügen. Er sprach stets ruhig und versönlich, ohne alle persönlichen Angriffe, und die Rede, welche er zu Gunsten seines Freundes Sherman hielt, war vielleicht die beste und wirksamste, welche überhaupt in der Convention gehalten wurde.

Montag, den 7. Juni, fanden zwei Sitzungen der Convention statt, in denen nicht weniger als achtundzwanzigmal über den Präsidentschafts-Candidaten abgestimmt wurde. Die Gesammtanzahl der Stimmen betrug 756, sodaß zur Ernennung 379 nothwendig waren. Anfangs kamen in der Zahl der auf die einzelnen Candidaten fallenden Stimmen nur geringe Veränderungen vor. Noch dachte kaum Jemand an eine Candidatur Garfield’s. Von der zweiten bis zur dreizehnten Abstimmung stimmte ein einziger Delegat für ihn, dann wurden es zwei, dann wieder einer; bis zur neunzehnten Abstimmung verschwand er ganz, um von da an bis zur dreißigsten wiederum mit einem oder zwei Anhängern aufzutauchen. Endlich gaben die Anhänger von Windom, Edmunds und Blaine nach, und nun kam das Ende schnell heran. Dienstag, den 8. Juni, füllte sich Garfield’s Liste, bis er in der sechsunddreißigsten Abstimmung mit 399 Stimmen, also zwanzig mehr als zum Siege nöthig waren, die Ernennung erhielt, die nun auf – Conkling’s Antrag zu einer einstimmigen gemacht wurde. In der Abendsitzung des 8. Juni wurde dann General Chester A. Arthur aus New-York, dem Grantflügel angehörig, beim ersten Wahlgange mit 468 Stimmen als republikanischer Vicepräsidentschafts-Candidat gewählt; auch seine Ernennung wurde zu einer einstimmigen erhoben.

Auf der Nationalconvention der demokratischen Partei, die am 22. Juni zu Cincinnati sich versammelte, ging die Ernennung der betreffenden Candidaten schnell und ohne nennenswerthen Kampf vor sich. Es wurden nach kurzem Ringen General Winfield Scott Hancock für das Amt des Präsidenten und William H. English, für das des Vicepräsidenten ernannt.

Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit der beiden Präsidentschafts-Candidaten! James Abraham Garfield, in dessen Adern nach einigen Nachrichten deutsches Blut fließen soll, gehört zu den in Amerika so häufigen „self-made men“. Arm geboren (am 19. November 1831), in Dürftigkeit aufgewachsen, hat er sich durch angestrengte Arbeit, große Sparsamkeit und eisernen Fleiß eine ziemlich gute Bildung, namentlich in national-ökonomischen Fragen erworben. In den Jahren 1857 und 1858 betheiligte er sich zuerst lebhaft an politischen Dingen, trat mit Erfolg als öffentlicher Redner auf und wurde 1859 in den Senat des Staates Ohio gewählt. Beim Ausbruch des Bürgerkrieges trat er als Oberst in die Unionsarmee und zeichnete sich wiederholt durch Umsicht und Tapferkeit aus; wegen seines ebenso kaltblütigen, wie muthigen Benehmens in der blutigen Schlacht bei Chicamauga wurde er zum Generalmajor befördert.

Seit 1862 wurde er neun Mal hinter einander von demselben Wahldistricte Ohio’s in das Repräsentantenhaus des Congresses gewählt, wo er zuletzt die Führerschaft der republikanischen Partei übernahm. In der so wichtigen Geldfrage hat er zu allen Zeiten eine gesunde und ehrliche Finanzpolitik vertheidigt. Seine achtzehnjährige hervorragende Thätigkeit in der Bundeslegislatur hat ihm eine genaue Kenntniß der politischen und socialen Verhältnisse seines Vaterlandes verschafft. Eine Reise nach Europa, die er im Jahre 1867 unternahm, hat seinen geistigen Blick auch nach anderer Richtung hin erweitert. Von seinen demokratischen Gegnern wird ihm der Vorwurf gemacht, daß er sich 1872 bei den nicht immer ganz sauberen Unternehmungen des amerikanischen „Credit Mobilier“ betheiligt habe; doch liegt Grund zu der Annahme vor, daß dieser Vorwurf mehr eine gehässige Parteianklage, als thatsächlich begründet ist; andernfalls hätte Karl Schurz nicht folgenden telegraphischen Glückwunsch an Garfield nach Chicago senden können: „Empfangen Sie meinen Glückwunsch zur Nomination; dem Lande ist ebenso wohl Glück zu wünschen, wie Ihnen selbst.“

Was nun Garfield’s Gegencandidaten, den General Winfield Scott Hancock, anbetrifft, so wurde derselbe am 14. Februar 1824 in Montgomery County, im Staate Pennsylvanien, geboren und genoß eine militärische Erziehung. Er zählt zu den unionstreuen Demokraten und kämpfte mit großer Auszeichnung während des Bürgerkrieges in der Unionsarmee. Der glückliche Ausgang der entscheidungsvollen Schlacht bei Gettysburg ist vornehmlich sein Verdienst und trug ihm auch den Dank des Congresses ein. Nach dem Kriege hat er sich durch thatkräftige und unparteiische Leitung der Dinge in der Verwaltung verschiedener Militärdepartements im Süden und Osten der Union einen achtungswerthen Namen erworben. Sein Charakter ist vollkommen makellos.

Nicht allein die Republikaner, sondern auch die Demokraten haben also, hinsichtlich ihres Präsidentschafts-Candidaten eine glückliche Wahl getroffen. Beide Männer haben eine ruhmvolle Vergangenheit hinter sich; beide haben sich in Krieg und Frieden um ihr Vaterland wohlverdient gemacht; beide waren stets der Union getreu, und ihr Name ist überall in den Vereinigten Staaten bekannt und geehrt. Dennoch neigen wir uns der Ansicht zu, daß Garfield vor Hancock als Präsident den Vorzug verdient, sowohl wegen seiner persönlichen Eigenschaften, wie wegen seiner politischen Parteistellung. Mag immerhin Hancock als General und Soldat höher stehen, so übertrifft ihn Garfield doch als Staatsmann und erfahrener Politiker im höchsten Grade. Der erste Beamte der Republik soll aber vor allen Dingen und in erster Linie staatsmännische Kenntnisse und politische Erfahrung besitzen. Er soll nicht Schlachten schlagen, sondern mit Weisheit und Gerechtigkeit das Land regieren. Ein in politischen Dingen unerfahrener Präsident wird nur zu leicht ein Spielball gewandter, ehrgeiziger, selbstsüchtiger und gewissenloser Politiker; zu dieser Classe von Politikern zählt aber die große Mehrzahl der Führer der gegenwärtigen demokratischen Partei in Amerika. Während Hancock dem politischen Parteikampfe innerhalb und außerhalb des Congresses ziemlich fern stand, hat Garfield in den Vorderreihen der politischen Kämpfer gestanden und die nicht nur in finanzieller, sondern auch in national-freiheitlicher Beziehung verderblichen Bestrebungen der früheren Sclavenbarone mit Kraft und Geschick bekämpft. Wie sehr diese noch immer den Kern der demokratischen Partei bilden, das zeigt die Wahl des demokratischen Vicepräsidentschafts-Candidaten: der Ernannte, English, hat seinerzeit durch die berüchtigte „English-Bill“ in raffinirter Weise das Territorium Kansas bei dessen Aufnahme in die Union zu einem Sclavenstaat machen wollen. Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten steht, wie zur Zeit des Bürgerkriegs, so auch heute in seiner großen Mehrzahl auf Seiten der unionstreuen und freiheitsliebenden Republikaner; es wird daher auch im kommenden November seine Pflicht thun und Garfield zum Präsidenten wählen helfen, der nach seiner Vergangenheit verspricht, ein würdiger Nachfolger von Rutherford B. Hayes zu sein.

Rudolf Doehn.