Pomologische Monatshefte:1. Band:6. Heft:Ueber zweckmäßige Anwendung verschiedener Holzarten zu Unterlagen zur Veredlung unserer Obstsorten

Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 6, Seite 259–261
C. L. Seitz
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Ueber Obstaussaaten und deren Erfolge
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Zum Schutz der insektenfressenden Vögel
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Ueber zweckmäßige Anwendung verschiedener Holzarten zu Unterlagen zur Veredlung unserer Obstsorten.

Nach den physiologischen Grundsätzen beruht das sichere Gelingen d. h. Verwachsen des Edelreises mit der Unterlage (Wildstamm) auf der Uebereinstimmung (Analogie) der Organisation der Unterlage mit der darauf zu setzenden Pflanzenart. Diese Regel wurde anfänglich genau und so lange befolgt, bis Gewinnsucht und das Streben, frühere Blüthen und Fruchtbarkeit zu erzielen, Veranlassung gab, andere diesem Zweck entsprechendere Unterlagen zu ermitteln. So kam es, daß statt des wilden Apfelbaumes, das Johannisstämmchen, die Quitte für den Birnbaum und dergl. mehr zu Unterlagen gewählt wurden; kurz, man nahm zu dem erwähnten Vorhaben nur solche Pflanzenarten, welche eine entgegengesetzte Ausbildung beim unter- und oberirdischen Stamm befolgen, also keine Bäume, sondern nur Sträucher sind, um deren Eigenschaften, wenn auch nur theilweise, dem veredelten Theil anzueignen. Dieser Wechsel der Unterlagen übt insofern keinen Nachtheil auf die veredelten Individuen aus, als der Baumzüchter die künftige Form und die darauf passende Obstsorte, außerdem aber auch ihren künftigen Standort berücksichtiget, weil er nur nach dieser Maßnahme dauerhafte und schöne fruchtbare Zwergbäume erziehen wird. Nun findet man aber in der Neuzeit häufig Obstbäumchen, welche wohl auch Unterlagen aus derselben Familie veredelt, aber anderer Gattung als das Edelreis sind, und daraus entspringen mancherlei Uebelstände: als z. B. der sehr wesentliche, wenn nämlich die Unterlagen zarter Natur, daher empfindlich gegen rauhe Klimate sind, wie das bei der Quitte, dem Mandelbaum und vielen andern der Fall ist, dann gehen sie früher ein. Oder ist die Holzbildung von festerer Beschaffenheit, wie bei der Eberesche, Mehlbeer oder gar dem Weißdorn; so findet Mißbildung statt, indem der Edelstamm entweder in seiner eigenthümlichen Ausbildung zurückbleibt, oder er überwächst die Unterlage so, daß er dicker (wulstig) wird, dadurch dem Windbruch unterworfen ist. Oder es werden strauchartige Individuen zur Erziehung hochstämmiger Bäume gewählt, was jetzt häufig mit der [260] Mahalebkirsche geschieht, indem sie wohlfeiler zu haben und auf mehreren Boden fortkömmt, aber ein Mißgriff ist, der sich nicht rechtfertigen läßt und mich eigentlich zu dieser Abhandlung veranlaßte; indem eine ganze derartige Kirschbaumpflanzung nach kurzer Zeit einging, also nicht allein Geld, sondern die nicht zu ersetzende Zeit verloren wurde. Den Stämmen und dem Wachsthum dieser Bäume, als man sie in der Pflanzschule ausgewählt hatte, nach zu urtheilen, konnte man das vollste Vertrauen in ihr ferneres Fortkommen setzen. Die Pflanzung wurde mit großer Sorgfalt ausgeführt und alles angewendet, um das Anschlagen dieser schönen Bäume zu begünstigen: allein statt kräftigen jungen Trieben, erschien im ersten Jahre nur eine schwache Belaubung der Kronen.[1] Im zweiten Jahre erfolgte nicht viel mehr, ja, es gingen schon viele zu Grund, an denen man beim Ausgraben keine neuen Saug-, sondern nur Pfahl- und wenige Haftwurzeln fand. Diese Erscheinung erklärte sich einfach dadurch: daß die Mahalebkirschstämme, welche diesen Bäumen zu Unterlagen, ohne Rücksicht auf Süß- oder Sauerkirschen, dienten, in der Jugend nicht oft genug verpflanzt worden waren, und diese Strauchart selten mehr Saugwurzeln aus dem alten Wurzelstock erzeugt. Dazu gesellt sich noch ein zweiter Uebelstand, nämlich der: daß die Stämme in rauhen Lagen leicht erfrieren, häufig der Länge nach aufspringen;[2] denn der Mahalebkirsche eigentliche Heimath ist das südliche Europa, oder sie erscheint nur in geschützten Thälern und Abhängen der Alpen oder Flußgebieten Deutschlands. Dagegen leistet sie für Amarellen, vorzüglich aber für die Weichseln, zu Strauch- oder Spalierformen treffliche Dienste, und kommt recht gut im steinigen Kalkboden fort. Immerhin müssen die Saamenpflanzen vor der Veredlung, und noch einmal nach der Veredlung verpflanzt werden, damit sie ein reiches Wurzelvermögen vor dem Versetzen an ihren Standort erlangen, das nur allein ihr Fortkommen sichert. Die zweckmäßigste Veredlung geschieht bei dünnen Stämmchen durch’s Copuliren, bei dicken durch’s Propfen in den Spalt; das Oculiren schlägt selten an, weil sich die Rinde nicht gut löst. Dagegen ist diese Veredlungsart für die übrigen Steinobstsorten besonders zu empfehlen, weil durch das raschere und bessere Verwachsen der Harzfluß und andere Uebel vermieden werden. Zur sicheren Annahme dieser Bemerkungen diene folgender Thatbestand: – Im K. Schloßgarten zu Schleißheim (der rauhesten und dürftigsten Gegend Münchens) befinden sich mehrere auf die Mahalebkirsche veredelte Weichselsträucher von großem Umfang im vollkommensten Zustande und Fruchtbarkeit auf dürftigem, eisenhaltigem Kalkboden, die alle in diesem Jahrhundert vorübergegangenen strengen Winter ohne Nachtheil ertragen haben. Sie sind über dem Boden veredelt, haben einen kurzen, 1 Fuß dicken Stamm, der schon von einem geringen Schneefall gegen die Kälte geschützt wird. Während ihrer Blüthezeit und Fruchtreife erregen sie allgemeine Bewunderung und geben manchem Besucher Veranlassung zur Anpflanzung derlei Bäume, besonders solchen, die vom Vorurtheil befangen sind, „im rauhen [261] Bayerland gedeihe kein Obstbaum!“ Zum Schluß empfehle ich deßwegen wiederholt den Baumzüchtern und allen denen, welche dauerhafte Obstbäume zu erziehen beabsichtigen: die Veredlung auf gleichartige Wildstämme sofort auszuüben, als nicht besondere Gründe Ausnahmen bedingen; ferner bei der Anzucht von Pyramid- und Spalierbäumen Rücksicht auf hiezu passende Sorten zu nehmen, wofür die Natur auch die sichersten Kennzeichen gibt.

München im Februar 1855.

C. L. Seitz.

  1. War wohl ein etwas zu trockener Boden. O.
  2. Dieß geschah in den Wintern 1827–29 und dreißiger Jahren, in welchen ganz erwachsene Pflanzungen in den K. Gärten der Umgebung Münchens bis auf den Grund erfroren sind, und bloß durch Stockausschlag die Lücken wieder ausfüllten.