Pomologische Monatshefte:1. Band:6. Heft:Zum Schutz der insektenfressenden Vögel

Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 6, Seite 261–262
Gloger
fertig
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Ueber zweckmäßige Anwendung verschiedener Holzarten zu Unterlagen zur Veredlung unserer Obstsorten
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Ueber die Einrichtung und den Betrieb von Obstbaumschulen im Allgemeinen
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Zum Schutz der insektenfressenden Vögel.

Im 4. Hefte dieser Monatsschrift, S. 146, ist das Aufstecken von Saamenköpfen der Sonnenblumen zum Herbeiziehen der Meisen, dieser für Gärten unschätzbaren Vögelchen, empfohlen. Es läßt sich aber theils hiermit, theils durch andere Nahrungsmittel für dieselben ein viel weiter gehender und wichtigerer Zweck erreichen. Dieß ist der: im harten Winter zeitweise Tausenden von ihnen das Leben zu fristen, und sie vor dem Hungertode zu bewahren.

Dergleichen Zeiten sind im Laufe dieser Jahresperiode solche, wo oft mehrere Tage hindurch, oder noch länger, Glatteis und Rauhreife (Duft) so dicht alle Zweige der Bäume etc. bedrücken, daß Meisen und Goldhähnchen wenig oder fast gar keine Nahrung zu finden im Stande sind. Dann gehen mitunter, besonders in Landstrichen, wo es kein Nadelholz in der Nähe gibt, 9/10 von ihnen zu Grunde. Den Goldhähnchen läßt sich hierbei, da sie nur von Insekten und besonders von deren Eier leben, freilich nicht zu Hilfe kommen; indeß kömmt ihnen dann ihre beständige Vorliebe für Nadelholz zu statten, indem sie nur gewöhnlich sich dahin zurückziehen. Wohl aber läßt sich für Meisen theils auf die angegebene Weise (durch Sonnenblumen-Scheiben), theils durch Eberesche-Beeren und manches Andere sorgen. Wer seinen Obstgarten und dessen geborene Freunde, also ganz besonders auch die Meisen, lieb hat: der erhalte ja seine Ebereschen (Sorbus jeder Art), wenn er deren hat; und wer keine hat, pflanze schon deßhalb einen, oder lieber gleich einige dieser im Spätsommer und Herbste so zierenden Bäume an. Nur muß er nicht bloß ihre Früchte hängen lassen, sondern auch den Stamm unterhalb der Aeste tüchtig „verdörnern“ (mit einem dichten und wenigstens 1½–2 Fuß hohen Kranze von recht stacheligem Dorngestrüppe umgeben) um die Marder von den Beeren abzuhalten. Denn leider sind auch sie große Freunde der letzteren, und zwar nicht bloß in Zeiten der Noth, sondern aus Liebhaberei. So sehr verschieden auch der herbe Geschmack derselben, z. B. von dem der Reine-Clauden seyn mag: für die Marder kommen jene der Reihe nach bald hinter diesen; und wenn der erwähnte Dornenkranz entweder nicht hoch, oder nicht breit genug ist, so springt ein so überaus gewandter Kletterer nur allzuleicht mit einem kräftigen Satze über dieses Hinderniß weg, vom Stamme aus nach einem der Aeste hinauf. Dagegen rühren außer Gimpeln, Kreuzschnäbeln und Drosseln, die wenig in Gärten kommen, die meisten kleinen Vögel und namentlich die zudringlichen Sperlinge Ebereschbeeren nicht an. Sie bleiben also meistens den Meisen, die alsdann auch die Früchte der Weißdorn- (Crataegas-) Arten suchen. Zäune oder Zierbäumchen von letzteren sind daher auch für diesen Zweck nützlich.

[262] Hafer und Knochen mit einigen Fleischresten, gekochte Kohlstrünke, Speckschwarten und dergl., die man für die Meisen hinlegt oder streut, werden gewöhnlich bald von Sperlingen, Aelstern und Krähen verzehrt oder fortgeschleppt.

Wer da bedenkt, daß P. Fr. Bouché (in seiner Schrift über „Garten-Insekten“[WS 1]) den jährlichen Bedarf einer Meise von Insekten-Eiern und Räupchen mit 2–300,000 Stück gewiß eher zu nieder als zu hoch anschlägt, und daß man als Verbrauch eines nistenden Pärchens für sich und zwei Gehecke von je 8–10 Jungen füglich eine halbe Million wird rechnen können, der wird ohne Zweifel eine Fürsorge dieser Art für wohlangebracht halten, und sie der geringen dazu erforderlichen Mühe werth finden.

Ferner: wer Bäume mit weit offenen Höhlungen hat, die meistens auch die Fäulniß befördern, verdecke dieselben mit einem darüber genagelten Brette, verschmiere dessen Ränder, und mache eine kleine, gegen Regen geschützte Oeffnung hinein. Dann können Meisen, die gerade im Herbste und Winter die meisten Schmetterlings-Eier verzehren, darin übernachten, sowie später nisten. Deßgleichen, wer ein Paar Nadelholzbäume hat, dulde auch diese wo möglich, weil sie im kahlen Winter nützlichen Vögeln Schutz gegen Raubvögel gewähren. Um sich davon zu überzeugen, beobachte man nur die Meisen und Goldhähnchen bei ihren Streifzügen. Man wird alsdann sehen, um wie Vieles länger sie in der Nähe jedes Nadelbaumes oder jungen Gehölzes der Art verweilen, als fern davon. So viel sicherer fühlen sie sich dort.

Berlin, den 1. Mai 1855.

Dr. Gloger.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. P. Fr. Bouché: Naturgeschichte der schädlichen und nützlichen Garten-Insekten und die bewährtesten Mittel zur Vertilgung der ersteren. Nicolaische Buchhandlung, Berlin 1833 Google