Textdaten
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Autor: Władysław Tarnowski
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Titel: Gießbach
Untertitel:
aus: Schweizer-Skizzen (in: Polnische Dichtung in deutschem Gewande, Seite 32–33)
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1865
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Vorlage:none
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Erscheinungsort:
Übersetzer: Albert Weiß
Originaltitel: Giessbach
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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VI. Gießbach.


     Der Fluten blauer Spiegel regt sich kaum,
     Wie eines Kindes Brust im stillen Traum.
Die Felsgiganten blicken ringsherum
Zur sonnbeglänzten Tiefe starr und stumm,

5
     Die wie des Dichters Seele frohgemut,

     Als ob ein Himmel drin von Liedern ruht,
Und doch so unergründlich, unentweiht,
     Wie aus der Knospenhüll’ erblüht die Maid.

     Ob auch von grausen Klippen rings bedroht,

10
     Wie eine Wiege schaukelt sich das Boot.

Ein Zephyr bläht die Segel weiß wie Schnee,
Mit Spinnenarmen rudert’s durch den See,
     Als lenk’ es Amor selbst am Steuerbord
     Nach Psyches lieblichem Kommandowort,

15
Und Wog’ auf Woge küßt es so vertraut,

Wie den Erwählten minniglich die Braut.

     Kaum taucht den Schwanenhals es aus dem Grund,
     Begleitet als Eskorte farbenbunt
Voll Übermut im Schwarm es Fisch an Fisch,

20
Wie flüchtige Gedanken in Gemisch,

     Die uns umgaukeln, nur zu leicht verweht,
     Wie bunte Falter auf dem Frühlingsbeet –
Da plötzlich von der höchsten Klippe Saum
Herniederbraust im Chaos Silber-Schaum …

25
     Aus wilder Felsenklüfte schmalem Thor

     Zu Thale wälzt der – Gießbach sich hervor:

[33]
Dem Silberfetzen eines Mantels gleich

In Melpomenens und Thaliens Reich,
     Vereint er in sich Trauer, Lust und Glanz,

30
     Frohlocken, Harmonie und – Dissonanz:

Bald tobt und donnert er, bald jauchzt er auf,
So braust zum Abgrund er im Zickzacklauf.

     Zu Häupten ihm das Grün der Bäume winkt,
     Von seinem Gischt die scheue Gemse trinkt,

35
Die dort im Moose nagt auf Felsenhöhn

Maiblümchen, Edelweiß und Tausendschön.
     Nur heut sie, Unheil witternd in der Luft,
     Blitzschnellen Satzes überspringt die Kluft,
Bis jenseits sie vom steilen Gießbachsrand

40
Noch einmal auslugt’ und im Blau verschwand.


     Im Strom der Zeit der Gießbach ewig fließt,
     Hinab zum See er langsam sich ergießt.
Wie neunzehn Brüder unser Saeclum zählt,
Kaskaden hat er neunzehn sich erwählt,

45
     Der so beredt in grauser Schönheit spricht,

     Daß ihn zu überhören wagte nicht
Jemals die Menschheit irgend einer Zeit,
Bis einst auch ihn verschlingt die Ewigkeit.

     Auf schwankem Steg, umwogt vom Wellenschaum,

50
     Nach See und Alpen blickt’ ich wie im Traum:

Ein Alpenröslein warf ich in die Flut,
Im Nu verschwand es in der Wogen Wut.
     Ein Liedchen sang ich in die weite Welt,
     Im Nu verschwand es unterm Himmelszelt,

55
Sie beide bargen einst des Pilgers Glück –

O, kehrte Röslein ihm und Lied zurück!