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Autor: Pseudo-Phokylides
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Titel: Phokylides
Untertitel: Pseudonym
aus: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel S. 862–870, 1318–1321
Herausgeber: Paul Rießler
Auflage:
Entstehungsdatum: 1. Jahrhundert v. Chr.
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Dr. B. Filser
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Erscheinungsort: Augsburg
Übersetzer: Paul Rießler
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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[862]
45. Phokylides
Mahngedicht
1
Phokylides, der Weiseste der Männer, spendet edle Gaben
2
in diesen Sprüchen der Gerechtigkeit den Heiligen Gottes:
3
Begeh nicht Ehebruch

und nicht die Sünde Sodomas!

4
Spinn nicht Betrügereien an!

Besudle nicht die Hand mit Blut!

5
Werd nicht auf unrechtmäßige Weise reich!

Ernähr dich von Erlaubtem!

6
Sei mit dem Deinigen zufrieden!

Begehr nichts Fremdes!

7
Schwatz nicht Erlogenes!

Sag offen stets die Wahrheit!

8
An erster Stelle ehre Gott,

dann deine Eltern!

9
Gib jeglichem sein Recht!

Wend nicht nach Gunst das Urteil!

10
Hilf nicht zu Unrecht einem Armen!

Sei nicht parteiisch!

11
Bist du ein schlechter Richter,

wird Gott dich richten.

12
Flieh falsches Zeugnis!

Verkünde nur das Rechte!

13
Bewahr das anvertraute Gut!

Halt stets die Treue!

14
Gib rechtes Maß!

Das Maß ist gut bei allem.

15
Senk bei der Wage nicht den einen Balken!

Halt diesen in der Schwebe!

16
Schwör niemals falsch,

aus Vorsatz nicht und nicht unwissentlich!

17
Bei jedem haßt den Meineid der unsterbliche Gott.
18
Verrück die Grenzen nicht!

Verflucht ist, wer dies tut.

19
Bezahl die Lohnarbeiter!

Drück nicht die Armen!

[863]
20
Hab deine Sinnesmeinung auf der Zunge!

Hältst du in deiner Brust das Wort versteckt,
so schadest du.

21
Tu selbst kein Unrecht!

Duld solches auch bei andern nicht!

22
Gib schnell dem Bettler!

Heiß nie ihn morgen kommen!

23
Reich aus gefüllter Hand

dem Dürftigen des Mitleids Gabe!

24
Beherberg Obdachlose!

Geleit den Blinden!

25
Schiffbrüchiger erbarme dich!

Unsicher ist die Seefahrt.

26
Dem Stürzenden gib deine Hand

und rett den Hilflosen!

27
Für alle gibt es gleiche Leiden.

Das Leben ist ein Rad,
unstät das Glück.

28
Ist Reichtum dir beschert,

dann öffne dem Bedrängten deine Hand!

29
Was Gott dir gab,

teil mit Bedürftigen!

30
Gemeinsam sei das ganze Leben

und alles Eintracht!

31
Genieß kein Blut!

Enthalte dich von Götzenopferfleisch!

32
Gürt nie das Schwert zum Morden um,

nur für die Abwehr!

33
Ach, brauchtest du es nie,

so wenig wie im Rechte, als im Unrecht!

34
Ist der Erschlagne auch dein Feind,

besudelst dennoch du die Hand.

35
Vermeid des Nachbars Feld!

Die Grenzmark überschreite nicht!

36
Das Allerbeste ist das Maßhalten;

der Überschwang ist leidig.

37
Von Nutzen ist der Umgang,

doch der mit schlimmen Freunden schädlich.

38
Verwüst nicht eine Frucht, die keimt im Saatland!
39
Die Fremden sollen mit den Bürgern Eine Ehre haben!
40
Wir alle fühlen ja die Armut,

die uns umherwirft.

41
Es gibt kein Land den Menschen festen Boden.
42
Die Gier nach Geld

ist aller Mütter Schlechtigkeit.

43
Stets ist das Gold und Silber Köder für die Menschen.
44
Du Gold, des Bösen Wurzel, Lebensfeind und Allverderber!
[864]
45
Wärst du doch nicht den Sterblichen

ein solch ersehntes Unheil!

46
Denn dir zulieb ist Kampf und Raub

und Totschlag in der Welt.

47
Die Kinder sind den Eltern Feind,

die Brüder ihren Blutsverwandten.

48
Birg nicht Gedanken in dem Herzen

ganz anders, als du aussprichst!

49
Verändre dich nie nach dem Ort,

wie Felsgewächs und wie der Vielfuß!

50
Sei aufrichtig zu allen!

Sprich nur, was aus der Seele kommt!

51
Wer Sünden absichtlich begeht, ist schlecht;

doch wer aus Not,

52
den nenn ich schließlich nicht so.

Bei jedem prüf die Absicht!

53
Mach dich nicht breit mit Weisheit noch mit Stärke,

und nicht mit Reichtum!

54
Nur Gott ist weise, mächtig, allseits glücklich.
55
Quäl nicht dein Herz mit Leiden, die vorüber!
56
Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen.
57
Sei doch nicht rasch zum Schlagen!

Bezähm den wilden Zorn!

58
Schon mancher hat mit seinem Schlagen unfreiwillig einen Mord begangen.
59
Was du erstrebst,

sei billig, nicht zu hoch und nicht verwegen!

60
Nichts Gutes schafft den Menschen, was zu viel.
61
Viel Schwelgerei reizt nur zu wüster Wollust.
62
Der große Reichtum bläht sich auf

und wächst sich aus zum Übermut.

63
Wo sich Gereiztheit regt,

erzeugt sie schlimmen Wahnsinn.

64
Der Zorn ist nur Begier;

der Grimm dagegen artet aus.

65
Es ist der Eifer für das Gute edel;

der fürs Gemeine ist verwerflich.

66
Der Mut zum Schlechten ist verderblich;

doch der zum Edlen fördert mächtig.

67
Die Tugendliebe ist verehrungswürdig;

doch die der Wollust mehrt die Schande.

68
Der Strudelkopf ist bei den Bürgern hochwillkommen.
69
Beacht das rechte Maß im Essen, Trinken, Reden!

Das Allerbeste ist das Maß;
der Überschwang ist leidig.

70
Mißgönn den Freunden nicht ihr Gut!

Häng ihnen keinen Schandfleck an!

71
Es wohnen neidlos ja die Himmlischen beisammen.
72
Der Mond beneidet nicht der Sonne hellere Strahlen.
[865]
73
Nicht blickt die Erde aus der Tiefe zu den Himmelshöhen
74
und nicht die Ströme auf die Meere;

stets herrscht die Eintracht unter ihnen.

75
Wär bei den Seligen Streit,

dann stünd der Himmel nimmer.

76
Üb die Besonnenheit!

Enthalte dich der Schandtaten!

77
Ahm nicht die Bosheit nach!

Durch Rechttun tilg die Rache!

78
Die Übereinstimmung gebiert den Nutzen,

und Zwietracht wiederum nur Zwietracht.

79
Sei nicht so eilig zuversichtlich,

eh du das Ziel genau erblickst!

80
Pflicht ist es, über Wohltäter

durch größere Wohltaten zu siegen.

81
Viel schöner ist’s,

bewirtest du gar schnell am schlichten Tisch,

82
als wenn zur Unzeit du an reichbesetzten Tafeln zögerst.
83
Werd nie dem armen Mann ein bitterer Gläubiger!
84
Nimm nicht aus einem Nest die Vögel insgesamt!
85
Verschon die Mutter,

damit sie dir aufs neue Junge schenke!

86
Laß niemals unerfahrene Männer zu Gerichte sitzen!
87
Richt nicht,

bevor du beide Teile nicht gehört!

88
Der weise Mann beherrscht die Wissenschaft,

der Kunsterfahrene die Kunst,

89
Ein unverstandener Vortrag lehrt nicht viel.
90
Wer niemals etwas Rechtes lernt,

bleibt unverständig.

91
Wähl dir zu Freunden

nicht schmeichelnde Schmarotzer!

92
Viel Freunde gibt’s,

da, wo man ißt und trinkt.

93
Sie huldigen der Stunde,

wo Sättigung winkt.

94
Sie seufzen über viel wie über wenig;

sie sind ja alle unersättlich.

95
Trau nicht dem Pöbel!

Veränderlich ist ja die Menge.

96
Der Pöbel und das Wasser und das Feuer

sind niemals zu bezähmen.

97
Sitz zwecklos nicht am Feuer!

Du schwächst dadurch die Kraft.

98
Im Weinen halte Maß!

Das Maß ist ja das Beste.

99
Gib Anteil an der Erde

den nicht bestatteten Leichen!

[866]
100
Mach der Entschlafenen Grab nicht auf!

Was man nicht sehen darf,

101
zeig nicht der Sonne!

Errege nicht den Zorn der Himmlischen! –

102
Nicht recht ist es,

das menschliche Gebilde zu zerlegen.

103
Denn bald erstehen aus der Erde zum Lichte, wie wir hoffen,
104
der Heimgegangenen Überreste

und werden wieder jung.

105
In den Verblichenen leben ja die Seelen unversehrt noch weiter.
106
Es ist der Geist ein Darlehn Gottes an die Sterblichen, sein Ebenbild.
107
Der Leib ist zwar aus Erde,

wird wieder Erde,

108
und wir zerfallen in Staub.

Der Geist schwebt in die Lüfte.

109
Spar nicht den Reichtum!

Bedenke, daß du sterblich bist!

110
Man darf nicht Geld und Reichtum

zur Unterwelt mitnehmen.

111
Gleich sind die Toten alle;

Gott aber ist der Seelen König.

112
Gemeinsam ist der Lohn;

das Ziel ist ewig, und die Unterwelt

113
ist allen Heimatstatt,

den Armen wie den Königen.

114
Wir Menschen leben eine Zeitlang,

nicht lange Zeit.

115
Die Seele aber ist unsterblich;

sie lebt für immer, niemals alternd. –

116
Was morgen oder was nach einer Stunde ist,

weiß niemand.

117
Der Menschen Tod kommt unerwartet,

und dunkel ist die Zukunft.

118
Zag nicht im Unglück!

Jauchze nicht im Glück!

119
Im Leben zeigt sich oft den Kühnen selbst

unglaublich Unheil.

120
Den Leidenden kommt unversehens Erlösung von dem Übel.
121
Schick dich nur in die Zeit!

Blas nicht dem Wind entgegen!

122
Hab nicht am Prahlen deine Lust,

daß nicht dein Geist verwildere!

123
Üb dich in edler Sprache!

Es ist dies jedem förderlich.

124
Der Mann besitzt im Worte eine Waffe,

viel schneidiger als Eisen.

125
Gott schenkte jedem eine Waffe:

die Gabe, durch die Luft zu fliegen,

[867]
126
der Vogelwelt,

den Füllen Schnelligkeit
und Kraft den Löwen,

127
den Stieren Hörner, die von selber wachsen,

den Bienen Stacheln

128
als angeborenen Schutz;

als feste Wehr gab er das Wort den Menschen.

129
Der beste Teil der gottverliehenen Weisheit ist das Wort.
130
Den Starken übertrifft bei weitem der Gebildete.
131
Die Weisheit leitet Länder, Städte, Schiffe. –
132
Nicht recht ist es,

den Frevler vor der Untersuchung zu verstecken.

133
Man muß vielmehr den Missetäter abwehren.
134
Wer sich zu Schuften hält,

stirbt oft mit ihnen.

135
Nimm nie gestohlen Gut in heimliche Verwahrung!
136
Der Hehler und der Stehler

sind beide Diebe.

137
Gib jeglichem das Seine!

Doch Gleichheit ist in jedem Fall das Beste.

138
Im Anfang sei mit allem sparsam,

auf daß du nicht am Ende darbest!

139
Laß dir nicht Speise vom gefallenen Vieh zumessen!
140
Stürzt auf dem Weg das Vieh des Feindes,

hilf ihm beim Aufstehen!

141
Halt das verirrte und verlaufene Weidvieh nicht zurück!
142
Weit besser, einen lieben Freund sich zu gewinnen,

statt Feinde.

143
Vertilg den Schaden gleich zu Anfang!

Heil Wunden!

144
Ein kleiner Funken

kann einen großen Wald anzünden.

145
Sei doch enthaltsam!

Meid das Besudelte!

146
Meid einen schlechten Ruf!

Flieh frevelhafte Leute!

147
Genieß kein Fleisch, vom Wilde angefressen!

Den Hunden, den schnellfüßigen,

148
gib solche Stücke!

Tier wird von Tier gefressen.

149
Misch keinen Gifttrank!

Lies keine Zauberbücher!

150
Pack zarte Kinder nicht mit rohen Fäusten an! –
151
Flieh Spaltungen und Zank,

wenn Kriegsgefahr besteht!

152
Erweis dem Schuft nichts Gutes!

Dies hieße in die Meere Samen streuen.

[868]
153
Sei tätig,

daß du aus Eignem zehren kannst!

154
Ein jeder Faule lebt von Diebeshänden.
155
Das Handwerk nährt den Mann;

den Faulen quält der Hunger.

156
Iß nicht die Tischabfälle

vom Mahl des andern!

157
Frist nur vom eigenen Besitz

dein Leben ohne Tadel!

158
Doch wer kein Handwerk kann,

grab mit der Hacke!

159
Im Leben gibt’s gar viel zu tun,

willst du nur tätig sein.

160
Bist du ein Schiffer, willst du segeln,

das Meer ist weit.

161
Und willst du Ackerbau betreiben,

lang sind die Felder.

162
Kein Werk, auch noch so leicht,

gibt’s für die Männer ohne Mühe,

163
selbst für die Seligen nicht;

die Mühe hilft gar viel zur Tugend.

164
Es kriechen aus den tiefsten Erdnestern die Ameisen,
165
dieweil sie Nahrung brauchen,

wenn auf den Feldern

166
die Saaten abgemäht

und voll von Frucht die Felder liegen.

167
Sie selber trägt die Last des frischgedroschenen Weizens,
168
der Gerste weg,

wobei ein Träger stets den andern drängt.

169
So sammeln sie im Sommer schon

das Futter für den Winter

170
ganz unermüdlich;

klein ist die Schar,
doch unverdrossen.

171
Ganz meisterlich auch arbeitet

die Biene, die die Luft durchschwärmt,

172
sei’s in der hohlen Felsenschlucht,

sei’s in dem Röhricht,

173
sei’s in der alten Eiche Höhlung, in den Stöcken,
174
wo sie in ungezählten Zellen

für ihre Brut ein wächsern Haus erbaut.

175
Bleib auch nicht unvermählt,

auf daß dein Name nicht vergehe!

176
Gib der Natur dein Teil!

Zeug andre, wie du selber bist gezeugt!

177
Gib dein Gemahl nicht preis;

denn du befleckest deine Kinder!

[869]
178
Nicht bringt ein ehebrecherisches Lager

je gleiche Sprößlinge hervor.

179
Berühr nicht deine Stiefmutter,

des Vaters zweites Weib!

180
Ehr sie als Mutter,

die deiner eignen nachgefolgt!

181
Bleib fern den Nebenweibern deines Vaters!
182
Auch nah dich nicht der Schwester unantastbarem Lager!
183
Berühr nicht deiner Schwägerinnen Lagerstätten!
184
Ein Weib darf nicht sein Kind im Mutterleib vernichten,
185
noch das geborene zum Fraß den Hunden und den Geiern geben.
186
Leg nicht die Hand an deine Frau,

wenn sie gesegnet ist!

187
Verschneide nicht den zeugungsfähigen Jüngling!
188
Vermisch dich nicht mit unvernünftigen Tieren!
189
Zwing nie ein Weib zu schlimmem Umgang!
190
Und überlaß dich gegen die Natur

nicht unerlaubter Liebe!

191
Des Mannes Lieb zum Mann

wird von den Tieren selbst verabscheut.

192
Nie ahm das Weib des Mannes Rolle in der Liebe nach!
193
Auch raff dich niemals zügellose Liebe zu dem Weibe hin!
194
Die Liebe ist kein Gott,

sie, die verderblichste von allen Leidenschaften.

195
Lieb dein Gemahl!

Denn was ist süßer und was schöner,

196
als, wenn das Weib dem Mann

bis in das Alter Liebe zeigt,

197
sowie der Mann dem Weib

und nie sich Zank und Zwist erhebt?

198
Gewalt soll niemand unvermählten Jungfrauen zufügen!
199
Nimm nie ein schlechtes Weib, das Geld besitzt,

zur Hausfrau,

200
daß du nicht ob der schlimmen Mitgift

der Sklave deiner Gattin werdest!

201
Nach edlen Rossen spähen wir von Haus zu Haus,
202
nach starken Stieren, wilden Hunden;
203
wir Toren aber streiten niemals um ein wackres Weib.
204
Und selbst ein Weib verschmähet nicht den reichen Schurken.
205
Füg doch zur Ehe nicht die Ehe!

Nicht Übel hin zum Übel!

206
Streit nicht mit den Verwandten um die Erbschaft!
207
Sei nicht mit deinen Kindern hart!

Sei vielmehr gütig!

208
Verfehlt ein Knabe sich,

dann weis die Mutter ihren Sohn zurecht

209
oder die Familienhäupter oder die des Volkes!
210
Laß nie dem Knaben Locken wachsen!
[870]
211
Flecht ihm nicht Zöpfe seitlich um das Haupt!
212
Die üppigen Weiber mögen lange Haare tragen,

und nicht die Männer!

213
Des hübschen Knaben Jugendblüte hüte!
214
Denn viele sind wie rasend auf die Mannesliebe!
215
Die Jungfrau aber hüt in festverschlossenen Gemächern!
216
Laß vor der Heirat nie

sie außerm Hause sehen!

217
Der Kinder Reize zu behüten,

das ist für Eltern schwer.

218
Lieb deine Freunde bis zum Tod!

Die Treue ist noch besser.

219
Schenk den Verwandten Lieb und treue Eintracht!
220
Dem grauen Haar zoll Ehrfurcht!

Räum Sitz

221
und jede Würde Alten ein!

Erzeig dem Greis die gleiche Ehre,

222
dem Altersgenossen des Vaters oder von der gleichen Abstammung!
223
Den Dienern reich den nötigen Lebensunterhalt!
224
Dem Sklaven gib ein zugemessen Maß,

daß er dir anhänge!

225
Drück nie ein Sklavenmal dem Diener auf

zur Schmach!

226
Bring nicht dem Sklaven Schaden,

daß du ihn bei dem Herrn verklagest!

227
Laß Rat gefallen dir von einem Diener,

der gut es meint!

228
Die Reinigungen machen nicht den Körper rein,

alleinig nur die Seele.

229
Es sind dies der Gerechtigkeit Geheimnisse.
230
Wer sie befolgt,

verbringt ein herrlich Leben bis ins höchste Alter.


Erläuterungen

[1318]
45. Zu Phokylides

Dieses Mahngedicht wurde dem milesischen Spruchdichter Phokylides, einem Zeitgenossen des Theognis 548–537 v. Chr. zugeschrieben. Der Verfasser glaubte mit eigenen Worten die beliebten Mahnsprüche des alten Dichters erklären zu dürfen. Für jüdische Abfassung spricht die vielfache Übereinstimmung mit dem Pentateuch und Sirach. Der Verfasser nahm solche Gesetze auf, die die allgemeine Moral betreffen, sog. „Verstandesgesetze“; dagegen ließ er alle Ritualgesetze, sog. „Gehorsamsgesetze“, weg, ebenso die den Götzendienst verbietenden Vorschriften des Pentateuch, überhaupt alles, was mit dem Sonderwesen der jüdischen Nation zusammenhängt. Das Gedicht wurde noch in byzantinischer Zeit vielfach als Schulbuch benützt, und so mag der eine oder andere Vers von christlicher Hand stammen (s. Poetae elegiaci et jambographi ed. Th. Bergk 1915 II 74 ff. W. Binder, Die Elegien des Theognis nebst Phokylides’ Mahngedicht, J. Bernays, Über das phokylideische Gedicht 1856).

[1319] 2 Die „Heiligen“ Gottes = die Juden s. Dan 7, 21 f. 3 Das Gedicht beginnt mit einer Auswahl aus dem Dekalog Ex 20, 1 ff. Sie enthält das Verbot des Ehebruchs und der Unzucht, 4 des Betruges und des Mordes, 5 des Diebstahls, 6 des Gelüstens nach fremdem Gut, 7 des falschen Zeugnisses. Diese sechs Verbote gehören zu den sog. Verstandesgeboten. 8 Der Verfasser wendet sich zu Lev 19, 3. Pietät gegen Gott und die Eltern stehen, wie hier, auch in Lev 19, 3 an der Spitze des Gegenstücks zum Dekalog. 9–12 Die Vorschriften über richterliche Gerechtigkeit sind aus Lev 19, 15 entlehnt. 13 warnt, wie Lev 19, 11 vor dem Ableugnen eines Depositums. 14 Das Verbot des falschen Maßes und Gewichtes entspricht Lev 19, 35 f. 16 Warnung vor Meineid stützt sich auf Lev 19, 12. 17 Der „unsterbliche“ Gott umschreibt die Worte „Ich bin der Herr“ in Lev 19, 12. 18 Verbot des Grenzsteinverrückens stammt aus Dt 27, 17. 19 Auch Lev 19, 13 verbietet jeden Aufschub in Auszahlung des Taglohnes. 20 Diese Mahnung ruht auf Lev 19, 17. „Hasse deinen Bruder nicht im Herzen; mache offene Vorwürfe deinem Nächsten!“ 21 Dieses Gebot stützt sich auf Lev 19, 16. 22–30 Hier wird die Pflicht des Almosens eingeschärft nach Lev 19, 9 f. 24 Die Aufforderung zur Behebung Obdachloser stützt sich auf Is 58, 7, die zur Fürsorge für den Blinden auf Lev 19, 14. 25 Die Zahl der Schiffbrüchigen war im Altertum ungleich größer als heute. 26 s. Lev 25, 35. 28 s. Dt 15, 11. 14. 30 An die Empfehlung der Mildtätigkeit reiht sich der Rat, das Leben gesellschaftlich und einträchtig einzurichten. 31 Hier liegt Ähnlichkeit mit Apg. 15, 29 vor. Dieser Vers scheint später eingeschoben zu sein. 32 Der Rat des V. 30 wird nach drei Richtungen angewendet: zuerst auf das Recht des Waffengebrauchs: 35 zweitens sollen die Feldnachbarn in Eintracht leben (s. Dt 19, 14). 36 u. 37 unterbrechen den Zusammenhang. 38 Die Feldnachbarn sollen die Frucht auf dem Halm nicht beschädigen (s. Ex 22, 5 Dt 23, 26). 39 Die Beziehungen zwischen Zugewanderten und Einheimischen bildeten im Altertum den fruchtbarsten Boden aller bürgerlichen Zwietracht. Um davor zu warnen, beruft sich der Verfasser auf Lev 19, 34. Der Fremde, der bei euch wohnt, gelte euch wie ein Einheimischer! ... „Denn ihr waret auch Fremde in Ägypten“. Diese Begründung aus der Geschichte verallgemeinert der Verfasser in V. 40 zu einer für das Menschengeschlecht gültigen Wahrheit. 40 Dies zeigt, wie der Verfasser mit Bedacht allem jüdisch Nationalen aus dem Wege geht. Er läßt auch bei Lev 19, 3. 30 wie beim Dekalog das Sabbatgebot unerwähnt, ebenso die Opfergesetze (Lev 19, 4–9) und die Warnungen vor dem Götzendienst (Lev 19, 4. 27–31.) 42 Auf diese alttest. Gebote folgt eine Spruchsammlung allgemein ethischer Art, geordnet nach den Haupttugenden der Philosophenschulen. 54 vgl. Jer 9, 23 Sir 1, 8. 57 Die folgende Ermahnung empfiehlt, wohl auf aristotelische Anregung, das Mittelmaß und verbietet Übertreibung nach beiden Seiten bei Zorn, 59 bei Eifer und Kühnheit, 61 bei den niederen sinnlichen Begierden, 62 bei Reichtum, 63 bei Gereiztheit, 68 Die tollen Streiche befriedigen die Neugier. 70 Hier folgt eine Warnung vor dem Neid. 71 Die „Himmlischen“ sind die Himmelschar der großen und kleinen Gestirne. 75 Die „Seligen“ sind die Naturmächte, Sonne, Mond, Sterne, Erde und Himmel, Ströme und Meere. 83 Hier folgt der Verfasser wieder dem A. T. Der Vers entspricht Ex 22, 24 „Leihst du einem armen Volksgenossen Geld, dann sei ihm kein Gläubiger!“ 84 stimmt mit Dt 22, 6 fast wörtlich überein. 86 Hier beginnt wieder eine Reihe sittlicher [1320] Ermahnungen. 97 Abmahnung vor dem trauernden Hinsitzen an der Feuerstätte des Leichenbegängnisses; ein solches Brüten über den unwiederbringlichen Verlust ist Schwächen der eignen Kraft. 98 Auch in der berechtigten Trauer ist Maß das Beste s. Sir 38, 18. 99 Daran schließt sich eine Aufforderung zu pflichtmäßigem Verhalten gegen die Toten. Ein bei allen gesitteten Völkern gültiges Gesetz. 100 Ebenso allgemeinste Völkersitte. Oder wird hier auf die Öffnung des Davidsgrabes durch Johannes Hyrkan angespielt (Jos. Ant. XIII 8, 4)? 102 Das Verbot des Sezierens weist auf Ägypten, das Mutterland der Mumien und der Anatomie hin, näherhin auf Alexandrien. 103 Ein offenes Bekenntnis der leiblichen Auferstehung der Toten. Ist dieser und V. 104 christlichen Ursprungs? Sie schieben sich trennend zwischen V. 102 und 105 ein. 106 s. Gen 1, 26 „Laßt uns den Menschen nach unserm Bilde machen!“ Als Gottes Darlehen ist der Geist ewig, wie Gott. 108 Ebenso Euripides Suppl. 541 „Der Geist geht in den Äther, der Leib zur Erde“; Koh 12, 7 „Der Staub kehrt zur Erde zurück, der Geist zu Gott, der ihn gegeben“. 113 s. Iob 3, 17–20. 116 Einleitung zum folgenden Abschnitt über Mäßigung in Freud und Leid. 122 Warnung vor hochfahrenden Reden. 132 Wieder Anlehnung an den Pentateuch, hier an Dt 13, 7 „Will dich dein Bruder ... zum Götzendienst verführen, dann ... decke die Sache nicht zu!“ Der Verfasser leitet hier das Gesetz vom jüdisch religiösen Boden aufs Gebiet der allgemeinen Strafgerechtigkeit. 134 Gefährliche Ansteckung. 135 Auch hier Überleitung vom religiösen aufs zivilrechtliche Gebiet. 138 Richtiges Einteilen und Bemessen des Anfangs und des Endes. 139 Dt 14, 21 s. V. 147. 140 vgl. Ex 23, 5 und Dt. 22, 4. 141 s. Dt 22,1 f. 147 s. Ex 22, 31 „zerrissenes Fleisch dürft ihr nicht essen, sondern müsset es den Hunden vorwerfen“. Auch bei den Klassikern finden sich Spuren eines gewissen Abscheues vor allem, was von verendetem Vieh herrührte; „denn alles, was natürlichen Todes verendet, hat etwas Unheimliches an sich“ (Festus). 149 s. Ex 22, 18 „Zauberer sollet ihr nicht am Leben lassen“. 150 Verbot des Menschenraubes s. Ex 21, 16. 151 Von hier ab wird das Familienleben behandelt. 153 Wert der Arbeit als Grundlage eines unabhängigen Daseins s. Ps 128, 2. 158 Luk 16, 3. 164 Ameisentätigkeit auch in Spr 6, 6 ff und 30, 25 als Muster hingestellt. 175 In das durch Mannesarbeit gegründete Haus tritt das Weib; so reiht denn der Verfasser an die Aufforderung zur Arbeit 176 eine Abmahnung von der im spätern Altertum um sich greifenden Ehelosigkeit. 177 Dann führt er eine Auswahl biblischer Bestimmungen über geschlechtliche Verhältnisse beiden heidnischen Völkern an. 179 Aus Lev 18, 6 ff hebt er nur vier Fälle aus. 184 Die griechisch-römische Welt übte ungescheut bis zu Valentinians Zeiten den Kindermord. 199 An die mit der Ehe verknüpften Verbrechen reihen sich Sprüche über Geldheiraten 205 und Mehrehen. 207 Nach Erledigung des Verhältnisses zwischen Mann und Weib wendet sich der Verfasser zu den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. 208 Diese alles Strafen des Vaters widerratende Milde war ein Gegengewicht gegen die harte väterliche Gewalt der römischen Gesetzgebung. 209 Die Familienhäupter erinnern an die Ältesten (Dt 21, 19), vor die der unverbesserliche Sohn gebracht werden soll. 210 Die ägyptische Jugendlocke. 213 Fernhaltung alles dessen, was die Keuschheit gefährden könnte. 218 Jetzt werden die Kreise der Freunde und Verwandten berührt. Liebe und 219 Freundschaft sollen den Verwandten geschenkt werden. 220 Die Jüngern [1321] sollen das Alter ehren, fast wörtlich nach Lev 19, 32. 223 Von den Freien geht der Verfasser zu dem Gesinde über. Den Sklaven soll die nötige Nahrung gereicht werden. 224 Man lege ihnen keine übermäßige Arbeitslast auf. 225 Das Brandmarken der Sklaven wird untersagt. 226 Man mische sich nicht in das Verhältnis zwischen Herrn und Diener, nach Spr 30, 10. 229 Der „Gerechtigkeit Geheimnisse“ = Anleitung zu sittlichem Leben.

Anmerkungen (Wikisource)

Siehe auch folgende Artikel aus Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft zu dem hier dargebotenen Text: