Phokylides
Mahngedicht
und nicht die Sünde Sodomas!
Besudle nicht die Hand mit Blut!
Ernähr dich von Erlaubtem!
Begehr nichts Fremdes!
Sag offen stets die Wahrheit!
dann deine Eltern!
Wend nicht nach Gunst das Urteil!
Sei nicht parteiisch!
wird Gott dich richten.
Verkünde nur das Rechte!
Halt stets die Treue!
Das Maß ist gut bei allem.
Halt diesen in der Schwebe!
aus Vorsatz nicht und nicht unwissentlich!
Verflucht ist, wer dies tut.
Drück nicht die Armen!
Hältst du in deiner Brust das Wort versteckt,
so schadest du.
Duld solches auch bei andern nicht!
Heiß nie ihn morgen kommen!
dem Dürftigen des Mitleids Gabe!
Geleit den Blinden!
Unsicher ist die Seefahrt.
und rett den Hilflosen!
Das Leben ist ein Rad,
unstät das Glück.
dann öffne dem Bedrängten deine Hand!
teil mit Bedürftigen!
und alles Eintracht!
Enthalte dich von Götzenopferfleisch!
nur für die Abwehr!
so wenig wie im Rechte, als im Unrecht!
besudelst dennoch du die Hand.
Die Grenzmark überschreite nicht!
der Überschwang ist leidig.
doch der mit schlimmen Freunden schädlich.
die uns umherwirft.
ist aller Mütter Schlechtigkeit.
ein solch ersehntes Unheil!
und Totschlag in der Welt.
die Brüder ihren Blutsverwandten.
ganz anders, als du aussprichst!
wie Felsgewächs und wie der Vielfuß!
Sprich nur, was aus der Seele kommt!
doch wer aus Not,
Bei jedem prüf die Absicht!
und nicht mit Reichtum!
Bezähm den wilden Zorn!
sei billig, nicht zu hoch und nicht verwegen!
und wächst sich aus zum Übermut.
erzeugt sie schlimmen Wahnsinn.
der Grimm dagegen artet aus.
der fürs Gemeine ist verwerflich.
doch der zum Edlen fördert mächtig.
doch die der Wollust mehrt die Schande.
Das Allerbeste ist das Maß;
der Überschwang ist leidig.
Häng ihnen keinen Schandfleck an!
stets herrscht die Eintracht unter ihnen.
dann stünd der Himmel nimmer.
Enthalte dich der Schandtaten!
Durch Rechttun tilg die Rache!
und Zwietracht wiederum nur Zwietracht.
eh du das Ziel genau erblickst!
durch größere Wohltaten zu siegen.
bewirtest du gar schnell am schlichten Tisch,
damit sie dir aufs neue Junge schenke!
bevor du beide Teile nicht gehört!
der Kunsterfahrene die Kunst,
bleibt unverständig.
nicht schmeichelnde Schmarotzer!
da, wo man ißt und trinkt.
wo Sättigung winkt.
sie sind ja alle unersättlich.
Veränderlich ist ja die Menge.
sind niemals zu bezähmen.
Du schwächst dadurch die Kraft.
Das Maß ist ja das Beste.
den nicht bestatteten Leichen!
Was man nicht sehen darf,
Errege nicht den Zorn der Himmlischen! –
das menschliche Gebilde zu zerlegen.
und werden wieder jung.
wird wieder Erde,
Der Geist schwebt in die Lüfte.
Bedenke, daß du sterblich bist!
zur Unterwelt mitnehmen.
Gott aber ist der Seelen König.
das Ziel ist ewig, und die Unterwelt
den Armen wie den Königen.
nicht lange Zeit.
sie lebt für immer, niemals alternd. –
weiß niemand.
und dunkel ist die Zukunft.
Jauchze nicht im Glück!
unglaublich Unheil.
Blas nicht dem Wind entgegen!
daß nicht dein Geist verwildere!
Es ist dies jedem förderlich.
viel schneidiger als Eisen.
die Gabe, durch die Luft zu fliegen,
den Füllen Schnelligkeit
und Kraft den Löwen,
den Bienen Stacheln
als feste Wehr gab er das Wort den Menschen.
den Frevler vor der Untersuchung zu verstecken.
stirbt oft mit ihnen.
sind beide Diebe.
Doch Gleichheit ist in jedem Fall das Beste.
auf daß du nicht am Ende darbest!
hilf ihm beim Aufstehen!
statt Feinde.
Heil Wunden!
kann einen großen Wald anzünden.
Meid das Besudelte!
Flieh frevelhafte Leute!
Den Hunden, den schnellfüßigen,
Tier wird von Tier gefressen.
Lies keine Zauberbücher!
wenn Kriegsgefahr besteht!
Dies hieße in die Meere Samen streuen.
daß du aus Eignem zehren kannst!
den Faulen quält der Hunger.
vom Mahl des andern!
dein Leben ohne Tadel!
grab mit der Hacke!
willst du nur tätig sein.
das Meer ist weit.
lang sind die Felder.
gibt’s für die Männer ohne Mühe,
die Mühe hilft gar viel zur Tugend.
wenn auf den Feldern
und voll von Frucht die Felder liegen.
wobei ein Träger stets den andern drängt.
das Futter für den Winter
klein ist die Schar,
doch unverdrossen.
die Biene, die die Luft durchschwärmt,
sei’s in dem Röhricht,
für ihre Brut ein wächsern Haus erbaut.
auf daß dein Name nicht vergehe!
Zeug andre, wie du selber bist gezeugt!
denn du befleckest deine Kinder!
je gleiche Sprößlinge hervor.
des Vaters zweites Weib!
die deiner eignen nachgefolgt!
wenn sie gesegnet ist!
nicht unerlaubter Liebe!
wird von den Tieren selbst verabscheut.
sie, die verderblichste von allen Leidenschaften.
Denn was ist süßer und was schöner,
bis in das Alter Liebe zeigt,
und nie sich Zank und Zwist erhebt?
zur Hausfrau,
der Sklave deiner Gattin werdest!
Nicht Übel hin zum Übel!
Sei vielmehr gütig!
dann weis die Mutter ihren Sohn zurecht
und nicht die Männer!
sie außerm Hause sehen!
das ist für Eltern schwer.
Die Treue ist noch besser.
Räum Sitz
Erzeig dem Greis die gleiche Ehre,
daß er dir anhänge!
zur Schmach!
daß du ihn bei dem Herrn verklagest!
der gut es meint!
alleinig nur die Seele.
verbringt ein herrlich Leben bis ins höchste Alter.
Erläuterungen
Dieses Mahngedicht wurde dem milesischen Spruchdichter Phokylides, einem Zeitgenossen des Theognis 548–537 v. Chr. zugeschrieben. Der Verfasser glaubte mit eigenen Worten die beliebten Mahnsprüche des alten Dichters erklären zu dürfen. Für jüdische Abfassung spricht die vielfache Übereinstimmung mit dem Pentateuch und Sirach. Der Verfasser nahm solche Gesetze auf, die die allgemeine Moral betreffen, sog. „Verstandesgesetze“; dagegen ließ er alle Ritualgesetze, sog. „Gehorsamsgesetze“, weg, ebenso die den Götzendienst verbietenden Vorschriften des Pentateuch, überhaupt alles, was mit dem Sonderwesen der jüdischen Nation zusammenhängt. Das Gedicht wurde noch in byzantinischer Zeit vielfach als Schulbuch benützt, und so mag der eine oder andere Vers von christlicher Hand stammen (s. Poetae elegiaci et jambographi ed. Th. Bergk 1915 II 74 ff. W. Binder, Die Elegien des Theognis nebst Phokylides’ Mahngedicht, J. Bernays, Über das phokylideische Gedicht 1856).
[1319] 2 Die „Heiligen“ Gottes = die Juden s. Dan 7, 21 f. 3 Das Gedicht beginnt mit einer Auswahl aus dem Dekalog Ex 20, 1 ff. Sie enthält das Verbot des Ehebruchs und der Unzucht, 4 des Betruges und des Mordes, 5 des Diebstahls, 6 des Gelüstens nach fremdem Gut, 7 des falschen Zeugnisses. Diese sechs Verbote gehören zu den sog. Verstandesgeboten. 8 Der Verfasser wendet sich zu Lev 19, 3. Pietät gegen Gott und die Eltern stehen, wie hier, auch in Lev 19, 3 an der Spitze des Gegenstücks zum Dekalog. 9–12 Die Vorschriften über richterliche Gerechtigkeit sind aus Lev 19, 15 entlehnt. 13 warnt, wie Lev 19, 11 vor dem Ableugnen eines Depositums. 14 Das Verbot des falschen Maßes und Gewichtes entspricht Lev 19, 35 f. 16 Warnung vor Meineid stützt sich auf Lev 19, 12. 17 Der „unsterbliche“ Gott umschreibt die Worte „Ich bin der Herr“ in Lev 19, 12. 18 Verbot des Grenzsteinverrückens stammt aus Dt 27, 17. 19 Auch Lev 19, 13 verbietet jeden Aufschub in Auszahlung des Taglohnes. 20 Diese Mahnung ruht auf Lev 19, 17. „Hasse deinen Bruder nicht im Herzen; mache offene Vorwürfe deinem Nächsten!“ 21 Dieses Gebot stützt sich auf Lev 19, 16. 22–30 Hier wird die Pflicht des Almosens eingeschärft nach Lev 19, 9 f. 24 Die Aufforderung zur Behebung Obdachloser stützt sich auf Is 58, 7, die zur Fürsorge für den Blinden auf Lev 19, 14. 25 Die Zahl der Schiffbrüchigen war im Altertum ungleich größer als heute. 26 s. Lev 25, 35. 28 s. Dt 15, 11. 14. 30 An die Empfehlung der Mildtätigkeit reiht sich der Rat, das Leben gesellschaftlich und einträchtig einzurichten. 31 Hier liegt Ähnlichkeit mit Apg. 15, 29 vor. Dieser Vers scheint später eingeschoben zu sein. 32 Der Rat des V. 30 wird nach drei Richtungen angewendet: zuerst auf das Recht des Waffengebrauchs: 35 zweitens sollen die Feldnachbarn in Eintracht leben (s. Dt 19, 14). 36 u. 37 unterbrechen den Zusammenhang. 38 Die Feldnachbarn sollen die Frucht auf dem Halm nicht beschädigen (s. Ex 22, 5 Dt 23, 26). 39 Die Beziehungen zwischen Zugewanderten und Einheimischen bildeten im Altertum den fruchtbarsten Boden aller bürgerlichen Zwietracht. Um davor zu warnen, beruft sich der Verfasser auf Lev 19, 34. Der Fremde, der bei euch wohnt, gelte euch wie ein Einheimischer! ... „Denn ihr waret auch Fremde in Ägypten“. Diese Begründung aus der Geschichte verallgemeinert der Verfasser in V. 40 zu einer für das Menschengeschlecht gültigen Wahrheit. 40 Dies zeigt, wie der Verfasser mit Bedacht allem jüdisch Nationalen aus dem Wege geht. Er läßt auch bei Lev 19, 3. 30 wie beim Dekalog das Sabbatgebot unerwähnt, ebenso die Opfergesetze (Lev 19, 4–9) und die Warnungen vor dem Götzendienst (Lev 19, 4. 27–31.) 42 Auf diese alttest. Gebote folgt eine Spruchsammlung allgemein ethischer Art, geordnet nach den Haupttugenden der Philosophenschulen. 54 vgl. Jer 9, 23 Sir 1, 8. 57 Die folgende Ermahnung empfiehlt, wohl auf aristotelische Anregung, das Mittelmaß und verbietet Übertreibung nach beiden Seiten bei Zorn, 59 bei Eifer und Kühnheit, 61 bei den niederen sinnlichen Begierden, 62 bei Reichtum, 63 bei Gereiztheit, 68 Die tollen Streiche befriedigen die Neugier. 70 Hier folgt eine Warnung vor dem Neid. 71 Die „Himmlischen“ sind die Himmelschar der großen und kleinen Gestirne. 75 Die „Seligen“ sind die Naturmächte, Sonne, Mond, Sterne, Erde und Himmel, Ströme und Meere. 83 Hier folgt der Verfasser wieder dem A. T. Der Vers entspricht Ex 22, 24 „Leihst du einem armen Volksgenossen Geld, dann sei ihm kein Gläubiger!“ 84 stimmt mit Dt 22, 6 fast wörtlich überein. 86 Hier beginnt wieder eine Reihe sittlicher [1320] Ermahnungen. 97 Abmahnung vor dem trauernden Hinsitzen an der Feuerstätte des Leichenbegängnisses; ein solches Brüten über den unwiederbringlichen Verlust ist Schwächen der eignen Kraft. 98 Auch in der berechtigten Trauer ist Maß das Beste s. Sir 38, 18. 99 Daran schließt sich eine Aufforderung zu pflichtmäßigem Verhalten gegen die Toten. Ein bei allen gesitteten Völkern gültiges Gesetz. 100 Ebenso allgemeinste Völkersitte. Oder wird hier auf die Öffnung des Davidsgrabes durch Johannes Hyrkan angespielt (Jos. Ant. XIII 8, 4)? 102 Das Verbot des Sezierens weist auf Ägypten, das Mutterland der Mumien und der Anatomie hin, näherhin auf Alexandrien. 103 Ein offenes Bekenntnis der leiblichen Auferstehung der Toten. Ist dieser und V. 104 christlichen Ursprungs? Sie schieben sich trennend zwischen V. 102 und 105 ein. 106 s. Gen 1, 26 „Laßt uns den Menschen nach unserm Bilde machen!“ Als Gottes Darlehen ist der Geist ewig, wie Gott. 108 Ebenso Euripides Suppl. 541 „Der Geist geht in den Äther, der Leib zur Erde“; Koh 12, 7 „Der Staub kehrt zur Erde zurück, der Geist zu Gott, der ihn gegeben“. 113 s. Iob 3, 17–20. 116 Einleitung zum folgenden Abschnitt über Mäßigung in Freud und Leid. 122 Warnung vor hochfahrenden Reden. 132 Wieder Anlehnung an den Pentateuch, hier an Dt 13, 7 „Will dich dein Bruder ... zum Götzendienst verführen, dann ... decke die Sache nicht zu!“ Der Verfasser leitet hier das Gesetz vom jüdisch religiösen Boden aufs Gebiet der allgemeinen Strafgerechtigkeit. 134 Gefährliche Ansteckung. 135 Auch hier Überleitung vom religiösen aufs zivilrechtliche Gebiet. 138 Richtiges Einteilen und Bemessen des Anfangs und des Endes. 139 Dt 14, 21 s. V. 147. 140 vgl. Ex 23, 5 und Dt. 22, 4. 141 s. Dt 22,1 f. 147 s. Ex 22, 31 „zerrissenes Fleisch dürft ihr nicht essen, sondern müsset es den Hunden vorwerfen“. Auch bei den Klassikern finden sich Spuren eines gewissen Abscheues vor allem, was von verendetem Vieh herrührte; „denn alles, was natürlichen Todes verendet, hat etwas Unheimliches an sich“ (Festus). 149 s. Ex 22, 18 „Zauberer sollet ihr nicht am Leben lassen“. 150 Verbot des Menschenraubes s. Ex 21, 16. 151 Von hier ab wird das Familienleben behandelt. 153 Wert der Arbeit als Grundlage eines unabhängigen Daseins s. Ps 128, 2. 158 Luk 16, 3. 164 Ameisentätigkeit auch in Spr 6, 6 ff und 30, 25 als Muster hingestellt. 175 In das durch Mannesarbeit gegründete Haus tritt das Weib; so reiht denn der Verfasser an die Aufforderung zur Arbeit 176 eine Abmahnung von der im spätern Altertum um sich greifenden Ehelosigkeit. 177 Dann führt er eine Auswahl biblischer Bestimmungen über geschlechtliche Verhältnisse beiden heidnischen Völkern an. 179 Aus Lev 18, 6 ff hebt er nur vier Fälle aus. 184 Die griechisch-römische Welt übte ungescheut bis zu Valentinians Zeiten den Kindermord. 199 An die mit der Ehe verknüpften Verbrechen reihen sich Sprüche über Geldheiraten 205 und Mehrehen. 207 Nach Erledigung des Verhältnisses zwischen Mann und Weib wendet sich der Verfasser zu den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. 208 Diese alles Strafen des Vaters widerratende Milde war ein Gegengewicht gegen die harte väterliche Gewalt der römischen Gesetzgebung. 209 Die Familienhäupter erinnern an die Ältesten (Dt 21, 19), vor die der unverbesserliche Sohn gebracht werden soll. 210 Die ägyptische Jugendlocke. 213 Fernhaltung alles dessen, was die Keuschheit gefährden könnte. 218 Jetzt werden die Kreise der Freunde und Verwandten berührt. Liebe und 219 Freundschaft sollen den Verwandten geschenkt werden. 220 Die Jüngern [1321] sollen das Alter ehren, fast wörtlich nach Lev 19, 32. 223 Von den Freien geht der Verfasser zu dem Gesinde über. Den Sklaven soll die nötige Nahrung gereicht werden. 224 Man lege ihnen keine übermäßige Arbeitslast auf. 225 Das Brandmarken der Sklaven wird untersagt. 226 Man mische sich nicht in das Verhältnis zwischen Herrn und Diener, nach Spr 30, 10. 229 Der „Gerechtigkeit Geheimnisse“ = Anleitung zu sittlichem Leben.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch folgende Artikel aus Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft zu dem hier dargebotenen Text: