Pfingsten (Lavant)
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Pfingsten.
Wenn Pfingsten naht, die Zeit der Lerchenlieder,
Maiglöckchenduftig, sonnig, still und mild,
Tritt vor die Seele wieder mir und wieder
Aus ferner Knabenzeit ein traulich Bild.
Um stillvergnügt, von keinem Blick gesehn
Und mit verhaltnem, raschem Herzenspochen:
Die Bilderbibel wieder durchzugehn.
Das Land, wo Milch und Honig einst geflossen,
Wie standen sie, wenn fiebernd ich erschlossen
Die Spangenbibel, vor dem Blick zugleich!
Das eine ward mit frischer Lust betrachtet,
Rasch umgewendet ward das andre Blatt,
Und an dem einen sah ich nie mich satt.
Da standen sie, beseligt und erschrocken
Die treuen Jünger, bärtig von Gesicht;
Auf ihren Scheitel fiel in Feuerflocken
Und von der neuen Himmelskraft durchdrungen,
Beschlossen sie, in alle Welt zu ziehn,
Denn plötzlich war den ungelenken Zungen
Die hohe Gabe freien Wort’s verliehn.
Die überall gepredigt und gelehrt,
Die sich in starkem, rührendem Vertrauen
An Noth und Tod und Elend nicht gekehrt;
Es freute mich, daß diese Handvoll Leute,
Verfehmt, gehetzt und der Verachtung Beute,
Der kalten Römer stolzes Reich besiegt.
Es war von dem, was heute mich begeistert
An dem Gedanken, wohl ein Ahnen kaum ―
Von eines Denkers, eines Sehers Traum!
Und doch, im Kern hatt‘ ich’s herausgefunden
Vor jenem Bild, das mir im Schooße lag,
Und still heimlich wirkten diese Stunden
Nun weiß ich lange, daß wie Feuerflocken
Sich ein Erkennen heilig, still und groß
Herniedersenkt auf braune, greise Locken
An jedem Tage, nicht zu Pfingsten blos;
Der Weg, der stets der Weg des Sieges bleibt,
Und daß in Zungen er beginnt zu reden,
Wenn ihn der Geist, der allgewalt’ge, treibt.
Und doch, wenn Pfingsten naht mit linden Lüften,
Wenn jungen, zarten Birkenlaubes Düften
In Haus und Flur wie mildes Trösten liegt,
Muß ich des alten Bibelbuchs gedenken,
Das immer wieder mir in’s Auge stach,
Das stark und ernst zur Knabenseele sprach.
Rudolf Lavant.